Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Seit über 93 Jahren steht der Bund in der Schuld der Länder und damit auch in der Schuld der Steuerzahler

Interview mit Dr. Helga Paschke zum Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Evaluation der Kirchenstaatsverträge.

Zur jüngsten Landtagssitzung wagte die Fraktion DIE LINKE einen parlamentarischen Vorstoß auf Überprüfung der Staatsverträge mit den christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft. Den Verlauf der Debatte kann man im Nachhinein als Paradebeispiel bewussten Missverstehens bezeichnen – da taten leider auch einige Medienvertreter ihr Übriges dazu. Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Evaluation der Kirchenstaatsverträge sprach im Plenum die religionspolitische Sprecherin der Fraktion, Dr. Helga Paschke. Im folgenden Interview erklärt sie noch einmal den Inhalt sowie Beweg- und Hintergründe des Antrags. Sozusagen als Beitrag gegen Gerüchte, Unterstellungen und unangebrachte Beißreflexe.

Frau Paschke, in der letzten Landtagssitzung haben Sie namens Ihrer Fraktion DIE LINKE beantragt, die Verträge mit den christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft auf den Prüfstand zu stellen, warum?

Helga Paschke: Nun weil wir der festen Überzeugung sind, dass überall dort, wo Steuergelder fließen, in einem angemessenen Zeitraum auch geprüft wird, ob sich die Vertragbedingungen teilweise oder gänzlich geändert haben. Der Gesetzgeber hat eben auch diese Pflicht.

Haben sich die Bedingungen verändert?

Helga Paschke: Wir sind der Auffassung, sie haben sich nach fast 20 Jahren in einigen Fragen verändert. Immerhin berühren die Verträge weit über 20 wichtige Bereiche der Beziehung von Kirche und Gesellschaft. Um nur einige zu nennen; frühkindliche Bildung, Schule, Seelsorge, Denkmalschutz, Vermögensfragen, Medien, Friedhöfe, Krankenhäuser, Heime, usw. usw.
Die Verträge sind in den 90er Jahren geschlossen worden, natürlich hat sich da einiges verändert und das sollte eine Evaluation der Verträge ausloten und ggf. dann Änderungen vorschlagen.

Die Koalitionsfraktionen haben Ihnen vorgeworfen, die Verträge kündigen zu wollen, ist da was dran?

Helga Paschke: Nein, das steht nicht im Antrag und ich habe dem in meiner Rede auch ausdrücklich widersprochen. Nur halte ich es für überhaupt nicht tragbar, dass die Verträge mit den christlichen Kirchen keinerlei Klausel beinhalten, die eine Evaluation vorschreiben oder zumindest die Vertragskündigung als Option ermöglichen. In diesen Verträgen heißt es, dass die Vertragbeziehungen abschließend geregelt sind und die sogenannte Freundschaftsklausel beide Seiten immer zum Einverständnis verpflichtet. Verträge auf Ewigkeit sozusagen.

Nun leistet die Kirche ja auch einen bedeutenden Beitrag gerade in den von Ihnen anfangs beschriebenen Bereichen der Gesellschaft, wird das von Ihnen nicht gewürdigt?

Helga Paschke: Diesen Beitrag erkennen wir sehr wohl an und auch das habe ich in meiner Rede zum Ausdruck gebracht. Beispielsweise erbringt die Kirche in vielen oben genannten Bereichen Dienstleistungen für das Land Sachsen-Anhalt. Natürlich erhalten die Kirchen dafür wie alle anderen LeistungserbringerInnen auch Mittel aus dem Steuertopf, zu recht!

Zur Debatte standen vor allem auch die sogenannten Allgemeinen Staatsleistungen, die das Land Sachsen-Anhalt für die beiden christlichen Kirchen erbringt. Worin unterscheiden sich diese Zahlungen von den oben genannten Vergütungen für soziale, kulturelle, medizinische und andere Dienste?

Helga Paschke: Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun. Die Allgemeinen Staatsleistungen sind Zahlungen, die auf Enteignungen von Kircheneigentum aus dem Jahre 1803 zurückgeführt werden. Alle Länder, außer Hamburg und das Saarland, zahlen jährlich solche Leistungen, derzeit in einem Umfang von jährlich ca. 460 Millionen. Durch eine Dynamisierungsklausel gebunden an die Beamtenbesoldung steigen diese Summen jährlich an. Sachsen-Anhalt hat beispielsweise 1991 etwas über 11 Millionen gezahlt, 2012 sind wir bei über 30 Millionen angelangt.

Irgendwann muss doch die Entschädigungssumme erreicht sein?


Helga Paschke: Sicher, manche Experten gehen davon aus, dass sie längst erreicht ist, andere bestreiten dies vehement. Genau das ist nicht feststellbar. Fakt ist jedoch, im Grundgesetz Artikel 140 steht der Verfassungsauftrag, diese Leistungen abzulösen. Der Bund soll dafür die Kriterien gesetzlich festlegen. Dies hat er bis heute nicht getan, seit über 93 Jahren  steht er somit in der Schuld  der Länder und damit auch in der Schuld der Steuerzahler. Die Bundesregierung hat auf eine kleine Anfrage meines Kollegen Raju Sharma geantwortet, sie würde in dieser Frage auch nicht aktiv werden, die Länder können ja mit den Kirchen verhandeln. Das ist bisher jedoch auf Grund der Interessenlagen regelmäßig gescheitert.

In ihrer Rede sprachen Sie davon, dass Sachsen-Anhalt mit Abstand jährlich die höchsten Zahlungen erbringt, woran liegt das?


Helga Paschke: Das stimmt, pro Einwohner/in zahlte Sachsen-Anhalt 12,48 Euro jährlich, Nordrhein-Westfalen 1,18 Euro. Hier sind wir einsame Spitze und das bei über 80 Prozent konfessionsloser Bevölkerung. In den Jahren 2011 bis 2016 werden wir über 190 Millionen Euro als Allgemeine Staatsleistungen zahlen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Die Kirchen und auch die KoalitionssprecherInnen begründen dies insbesondere mit der damaligen Eigentumsdichte der Kirchen.  Bei den Verträgen wurde jedoch davon nicht ausgegangen. Es wurde auf den Bedarf der Kirche und die zu erwartende Leistungsfähigkeit des Landes abgestellt. Jeder weiß, dass sich gerade die Leistungsfähigkeit unseres Landes rasant verschlechtern wird. Das hat nicht nur mit der Schuldenbremse zu tun, sondern vor allem auch mit der schrittweisen Einstellung von Zahlungen des Bundes. Im Übrigen spielte es natürlich eine besondere Rolle, dass der Wittenberger Vertrag mit der evangelischen Kirche der erste Vertrag in den neuen Bundesländern nach 60 Jahren war. Hier sollte natürlich die Meßlatte besonders hoch gelegt werden. Daran hatten viele ein Interesse auch außerhalb Sachsen-Anhalts.

Bei den jüdischen Gemeinden ist das völlig anders, warum hat die Fraktion DIE LINKE dann auch diesen Vertrag mit zur Evaluation in den Antragstext genommen?

Helga Paschke: Hier ist einiges anders, richtig! Die jüdische Gemeinschaft bekommt Zuschüsse, deren Verwendung vom Rechnungshof geprüft wird(bei den christlichen Kirchen prüft der Rechnungshof nicht). In dem Vertrag mit der jüdischen Gemeinschaft ist auch eine Evaluationsklausel und die Möglichkeit der Vertragskündigung unter bestimmten Voraussetzungen gegeben. Wir wollten auch bei diesem Vertrag durch die Prüfung wissen, wie funktioniert die Umsetzung, welche Defizite gibt es dabei. Wir werden darauf drängen, dass bestimmte Defizite abgestellt werden.

Nun ist Ihr Antrag im Parlament grandios durch die Gegenstimmen der Koalition gescheitert, er ist nicht einmal in die Ausschüsse überwiesen worden. Was nun?


Helga Paschke: Im Vorfeld hat sich das ja schon abgezeichnet, dennoch ist das sehr schade, diese Totalverweigerung. Wir haben die Evaluation für die beste Variante gehalten, ins Gespräch zu kommen und keine vorgefertigten Positionen zu vertreten. Nun müssen wir andere parlamentarische Möglichkeiten nutzen, mehr Transparenz in diesen Fragen zu schaffen.

Eine letzte Frage: Ist ihr Antrag Ausdruck von Kirchenfeindlichkeit, wie es von einigen PolitikerInnen und Vertretern der Kirche geäußert wurde?

Helga Paschke: Nein, das habe ich auch in meiner Rede gleich zu Beginn gesagt. Nun muss man uns ja nicht glauben, dass wir hohe Wertschätzung für den Beitrag der Kirchen, Gläubigen, Religionen und Religionsgemeinschaften in unserer Gesellschaft entgegenbringen. Wenn aber jede kritische Frage mit dem Argument Kirchenfeindlichkeit abgebügelt wird, so tut das auch der Kirche in der Konsequenz nicht gut. Kritische Fragen hat auch der Papst bei seinem Deutschlandbesuch, Ministerpräsident Wolfgang Böhmer und Pfarrer  Jochen Tschiche zum Verhältnis von Staat und Kirche gestellt. Sind sie und andere deshalb kirchenfeindlich? Wohl kaum! Wir tragen als Gesetzgeber mit Verantwortung, den Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren, weltanschauliche und religiöse Neutralität auszuüben und durch die Trennung von Staat und Kirche erst tatsächlich Religionsfreiheit zu garantieren. Wir sind der Auffassung, dass sich ein Parlament und die Landesregierung dieser Aufgabe zu stellen hat.

weiter:

Die Zukunft der öffentlichen Verwaltung effizient und bürgernah gestalten
„Die Spitzenwerke der Solarindustrie müssen gehalten werden“
„Faschismus und Fremdenfeindlichkeit gilt es nicht nur heute zu bekämpfen“
„…Das muss man an jeder passenden und unpassenden Stelle thematisieren“

"Verwaltung qualitativ gestalten"
"Was bei der Koalition fehlt, ist der politische Wille einen Mindestlohn durchzusetzen"
"Gegen ein Europa der sozialen Spaltung und Ausgrenzung"
" Für eine Politik des Friedens, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit "
„Wasser ist zur Waffe geworden“
"Politische Schwerpunkte bis 2013 gesetzt"

"Seine Rede hinterließ tiefe Eindrücke"

"Gespräch zum neuen Rettungsdienstgesetz"

„Erst mal muss das durch die Köpfe“
"Jahresauftakt im Zeichen von Demokratie und Zivilcourage"
"Einen Konsens sucht man vergeblich in der Koalition"

„Hier geht es nicht um Sachbeschädigung, sondern den Versuch, Demokratie aus dem öffentlichen Raum verschwinden zu lassen“

"Weiterhin gegen Faschismus und Fremdenfeindlichkeit einstehen – Erst recht mit jedem neuen Anschlag"
"Der gesetzliche Mindestlohn bleibt unanfechtbar"
„Kommunale Selbstverwaltung wird kaum noch möglich sein“
„…dann schalten Sie zu allererst die Extremismusklausel ab“
„Der gesamte Kontrollmechanismus gehört auf den Prüfstand“
"Besser an diejenigen halten, die sich wirklich für Mindestlöhne einsetzen"
"Bedeutender Beitrag zur Erinnerungskultur"
"Eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen ohne Nettoneuverschuldung"
"freie Berufe"
"Daseinsvorsorge und kommunale Handlungsfähigkeit sichern"
„Uns hätten sie für so etwas  in Grund und Boden gestampft“
"Grundrechte geschlossen und gemeinsam verteidigen"
"Pro Ganztagsbetreuung"
"Schuss ins eigene Knie"
"Zu Gast im „schlechtesten Dienstgebäude“
"Streikrecht ist Grundrecht und das Grundgesetz gilt für alle"
"Update in Sachen Arbeitsmarktpolitik"
"Kommunen entlasten - personelle Verankerung stärken"
"Ein Herz für Beamte"