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Wulf Gallert zu TOP 17: Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation beenden

Wir haben bei dieser Frage natürlich eines der sehr spannenden und sehr vielschichtig diskutierten Themen auf dem Tisch, die uns zurzeit berühren und die ein bisschen den Eindruck vermitteln, dass sich diese Welt in eine Komplexität auflöst oder hineinbegibt - egal wie man es sieht -, die für uns schwer zu fassen ist. Denn das, was sich hinter den Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union gegenüber Russland verbirgt, ist eine sehr komplexe und differenzierte Schwierigkeit oder - man kann es auch so sagen - Konfliktlage, die sich vielfach überlagert.

Wir haben zum einen - das habe ich heute früh gesagt - sehr wohl, und zwar auf beiden Seiten, eine gewisse Kontinuität einer Blockkonfrontation. Wir haben ein Stück weit die fehlende Überwindung der Positionen des Kalten Krieges, die sich manchmal fast eins zu eins in den jeweiligen Stereotypen gegenüber dem anderen widerspiegeln. Das ist eine Situation, in der die Wirtschaftspolitik, in der die internationale Politik selten dazu in der Lage und bereit sind, einen echten Beitrag zur Entspannung einer ganz schwierigen Situation zu leisten.

Natürlich muss man auch darauf hinweisen, dass die Wirtschaftssanktionen etwas mit der Annexion der Krim zu tun haben. Ich muss es noch einmal ganz klar sagen: Natürlich war es eine militärische Annexion, was dort stattgefunden hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Mehrheit der Menschen, die auf der Krim leben, diese Position ausdrücklich teilt.

Stellen Sie sich nur einmal vor, nicht nur in Europa, sondern weltweit würde es jeweils eine ethnische Minderheit oder eine bestimmte Bevölkerungsgruppe immer freigestellt bekommen, ob sie nun in dem Land, in dem sie ist, verweilen möchte, oder ob sie möglicherweise zu einem anderen gehen möchte. Dann brauchten wir über einen Weltfriedenstag oder über einen Antikriegstag überhaupt nicht mehr zu reden, weil fast in all diesen Situationen ein solcher Wechsel über Landesgrenzen dazu führen würde, dass wir in eine unendliche Zahl von militärischen Konflikten hineinkommen.

Das heißt, einfach die Situation, die Bevölkerung auf der Krim selbst hat sich eher zu Russland definiert als zur Ukraine, ist völkerrechtlich noch lange nicht der ausreichende Beitrag, um zu sagen, dass das vernünftig und in Ordnung war. Das ist es nicht.

Unser Problem besteht jedoch darin, dass auch dieser Konflikt in einen größeren Maßstab eingeht. Das ist tatsächlich die Konfrontation zwischen der NATO auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Aber auch dieser Konflikt ist sehr vielschichtig. Zum einen ist es natürlich die alte Hegemonialposition, die zwischen Washington, Brüssel und auch Moskau ausgetauscht wird. Zum anderen ist es natürlich auch so, dass die Länder, die in dieser Pufferzone sind, sehr unterschiedliche und differenzierte Interessen haben.

Nehmen wir zum Beispiel die polnische Situation. In Polen und auch in den baltischen Ländern überwiegt eindeutig die Angst davor, möglicherweise Opfer von russischen Einflussnahmen zu werden. In Russland wiederum haben wir die Situation, dass eine gewisse Aggressivität und Großmachtposition vor allen Dingen dadurch motiviert worden ist, dass man sie tatsächlich mit globalpolitischen Interessen in die Ecke getrieben hat und natürlich die Grenzen der militärischen Präsenz der NATO permanent weiter in Richtung Osten getrieben hat. Das heißt, beide Seiten agieren in einer Eskalationsspirale, beide Seiten haben mit Wirtschaftssanktionen, die es übrigens nicht nur seitens der Europäischen Union gegenüber Russland, sondern als Antwort auch seitens Russlands gegenüber der Europäischen Union gibt, einen Beitrag dazu geleistet, weiter an dieser Eskalationsspirale zu drehen.

Eines - das dürften wir inzwischen auch alle wissen - war im Grunde genommen vorher klar: Die Annexion der Krim wird man mit Wirtschaftssanktionen nicht zurückdrehen. Das, was wir jetzt brauchen, ist tatsächlich eine - im besten Sinne des Wortes - Entspannung auf beiden Seiten. Entspannung auf beiden Seiten heißt, Vertrauen aufzubauen. Vertrauen aufbauen könnte man natürlich zuallererst, indem man diese Wirtschaftssanktionen wieder zurücknimmt. Dann müssen wir einmal sehen, wie die Dinge weitergehen.

Die gegenseitigen Klischees, die existieren, funktionieren definitiv nicht. Ich weiß auch, dass es in der AfD eine große Begeisterung für das politische Herrschaftssystem des Kollegen Putin gibt. Das ist schon bekannt. Aber ich sage Ihnen: So einfach ist es auch nicht. Der Kollege Putin, wenn man ihn einmal so nennen will, ist zum Beispiel jemand, der ausdrücklich sagt: Der Islam gehört zu Russland. Er freut sich über die Einweihung von Moscheen. Er freut sich über islamische Bildungsinstitutionen, die in Russland einen Beitrag zur dortigen multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft leisten. Putin! Also freuen Sie sich nicht zu früh, liebe Kollegen von der AfD.

Insofern sage ich noch einmal ausdrücklich: Die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen im eigenen Interesse und im Interesse der Entspannung und auch im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands ist dringend geboten. Sie einzuführen war ein Fehler, wir müssen sie zurückbringen. Aber die Dinge sind komplexer. Und sie sind auf beiden Seiten komplexer. Wenn Sie in einem solchen Konflikt immer nur einer Seite die Schuld geben, dann liegen Sie garantiert falsch. Wir müssen auf beiden Seiten abrüsten, ökonomisch, militärisch und ideologisch.