Wulf Gallert zu TOP 09: TTIP- und CDTA-Leaks ermöglichen öffentliche Auseinandersetzung mit transatlantischen Geheimabkommen
Die hier zur Debatte stehenden Verträge TTIP und CETA verändern die politischen Rahmenbedingungen für Millionen von Bürgern diesseits und jenseits des Atlantiks. Darüber hinaus haben sie auch Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft, weil nichts, was in Europa und Nordamerika geregelt wird, ohne substanzielle Folgen für die gesamte Weltwirtschaft und die sog. Entwicklungsländer bleibt. Wenn so ganz grundlegende politische Entscheidungen gefällt werden sollen, ist die öffentliche Debatte und Auseinandersetzung darüber in Demokratien eine Selbstverständlichkeit. Und an dieser Stelle haben wir schon die erste Besonderheit bei diesen beiden Verträgen, eigentlich müsste man sagen, den ersten substanziellen Verstoß gegen demokratische Spielregeln bei der Aushandlung dieser supranationalen Verträge, die auch dann noch ihre Wirkung entfalten, wenn nachfolgende Regierungen sich davon verabschieden wollen.
Eine öffentliche Auseinandersetzung bzw. eine öffentliche Debatte über die Verhandlungsposition der europäischen Kommission und der US-amerikanischen Regierung war bisher nicht vorgesehen. Nein, sie sollte sogar definitiv verhindert werden. Alle Dokumente zum Vertragstext unterliegen der strengsten Geheimhaltung und selbst Parlamentarier, die letztlich darüber abstimmen sollen, bekamen entweder keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu diesen. Diese, für eine Demokratie völlig absurde Situation, belegt den undemokratischen Charakter dieser Verhandlungen und stellt die Legitimität von Vertragswerken, die in dieser Art und Weise entstehen, von vornherein in Abrede.
Nur ein Akt des zivilen Ungehorsams, nämlich die Veröffentlichung beider bisheriger Vertragstexte durch Greenpeace, ermöglicht überhaupt eine demokratische Debatte zu diesem Vertragswerk, das inzwischen Hunderttausende zu Protesten auf die Straße treibt.
Was ist aber der Kern dieses Vertragswerkes? Ist es, wie häufig kolportiert wird, die Aufgabe europäischer Interessen gegenüber einer übermächtigen amerikanischen Administration durch EU-Verwaltungsbeamte, wie nicht selten kolportiert wird?
Das, liebe Kolleginnen und Kolleginnen, ist es mit Sicherheit nicht. Nicht nur in der EU gibt es inzwischen einen breiten Widerstand in der Bevölkerung gegen dieses Vertragswerk. Nach den Veröffentlichungen zum Inhalt befindet sich auch in den USA die Zustimmung dazu in einem radikalen Sinkflug. Das Problem dieses Vertragswerkes ist nämlich nicht die Durchsetzung amerikanischer gegen europäische Interessen, sondern die Selbstentmachtung von Politik gegenüber dem Markt, genauer den Gewinninteressen global agierender Unternehmen. Kern dieses Abkommens ist der sog. Investorenschutz, also der Schutz der Interessen derjenigen, die in der Erwartung von Gewinnen diesseits und jenseits des Atlantiks investieren.
Vor wem sollen diese Investoren aber geschützt werden? Ganz klar, sie sollen vor Politik geschützt werden. Sie sollen davor geschützt werden, dass Politik soziale Standards nicht nur festschreibt, sondern auch verbessert, denn soziale Standards könnten ja evtl. den Gewinn von Investoren schmälern. Investoren sollen darüber hinaus davor geschützt werden, dass ökologische Standards gesichert oder verbessert werden, weil ja dies dazu führen könnte, dass Gewinnerwartungen nicht eintreten. Und Investoren sollen davor geschützt werden, dass Politik aus Gemeinwohlgründen Angebote und Dienstleistungen, wie z. B. die Wasserversorgung, die Gesundheitsversorgung oder auch Kulturangebote, gegenüber den Interessen des Marktes schützt. Dies ist der Kern beider hier genannten Freihandelsabkommen und eines dritten sog. TISA, das gegenwärtig verhandelt wird. Damit folgen die genannten Vertragswerke dem neoliberalen Grundsatz soviel Markt wie möglich, so wenig Staat wie nötig, in der Erwartung, dass dadurch Gewinne, Investitionen und Wirtschaftskraft in die Höhe schießen. Allerdings haben diese Erwartungen bei vergleichbaren Abkommen sich meist ins Gegenteil verkehrt und darüber hinaus dazu geführt, dass soziale und ökologische Interessen der Bevölkerung nicht oder kaum noch durchsetzbar sind. Das nordamerikanische Abkommen NAFTA ist dafür ein gutes Beispiel. Es bildet z. B. jetzt die Grundlage dafür, dass Ölkonzerne den kalifornischen Bundesstaat wegen des Freckingverbots auf Milliarden vor privaten Schiedsgerichten verklagen können. Diese Realität steht dem Heilsversprechen solcher Abkommen entgegen und ist für uns der Anlass, uns dieser Entwicklung zu verweigern.
Die von mir angesprochen privaten Schiedsgerichte sind übrigens ein weiteres Element für die Aushebelung demokratischer Grundprinzipien. Wie groß muss übrigens die Angst vor der Wahrnehmung öffentlicher Interessen sein, wenn die verhandelnden Seiten nicht einmal mehr der eigenen Judikative vertrauen? Hier soll ein Sonderrechtsweg geschaffen werden für große Konzerne, die sich die Kosten für solche Verfahren leisten können. Ein Weg, den sich mittelständische Unternehmen nie und nimmer leisten können. Was diese wiederum in einen zusätzlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber global agierenden Unternehmen bringt. Deshalb ist auch überhaupt nicht verwunderlich, dass beispielsweise der Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft zu den Kritikern des Vertrages zählt.
Darüber hinaus gibt es einen weiteren Grund beide Vertragswerke abzulehnen. Freihandelsabkommen gibt es auf bilateraler Ebene eine ganze Menge. Mit CETA und TTIP wird aber ein Freihandelsraum geschaffen, der so stark ist, dass er alle Nichtbeteiligten von vorherein in die Defensive bringt. Wir haben jetzt bereits diese
Situation, dass in der globalen Wirtschaft viele Entwicklungsländer ärmer werden. Ein Freihandelsabkommen, in dem nur die Spielregeln zwischen der EU und den USA geregelt werden, ist auch ein Abkommen gegen alle Nichtbeteiligten, ob Russland, die Länder Afrikas oder Asiens.
Was wir wirklich benötigen, ist etwas anderes. Ja, wir brauchen Handelsverträge im globalen Maßstab. Wir benötigen z. B. internationale Abkommen über die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, wir benötigen Abkommen, die die ökologische Lebensgrundlage der Weltbevölkerung schützen. Wir benötigen Abkommen, die die Ausbeutung des Südens zugunsten des Nordens verhindern. Aber all das ist eben genau nicht Gegenstand von TTIP und CETA und deswegen gehören diese Verträge gestoppt ohne Wenn und Aber.
Lassen Sie mich kurz am Ende noch auf die wahren Interessen, die mit diesen Vertragswerken umgesetzt werden sollen, eingehen. Hier könnte ich jetzt viel über VW und Deutsche Bank reden, die mit den härteren Kontrollen in den USA natürlich hadern, weil es offensichtlich in der EU leichter war, Bankenaufsicht und Umweltministerien auszutricksen als in den USA. Ich rede von der Übernahmeschlacht des Bayer-Konzerns den US-amerikanischen Montanso-Konzern betreffend. Letzterer ist besonders mit zwei Begriffen berühmt berüchtigt: genmanipuliertes Saatgut und Glyphosat. Bayer ist bereit, für den mit 42 Milliarden dotierten Monsanto-Konzern einen Kaufpreis von 62 Milliarden anzubieten. Wir reden also hier über die sechsfache Summe des Landeshaushaltes von Sachsen-Anhalt. Was treibt Bayer denn zu einem solchen Übernahmeangebot? Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger gibt darauf eine überzeugende Antwort. Diese geht davon aus, dass Bayer von der Übernahme profitieren kann, wenn es zum Abschluss von TTIP kommen sollte. Ein mögliches Scheitern von TTIP ist nach Aussage der Schutzgemeinschaft allerdings ein großes Risiko. Ich zitiere: „Dann könnte Bayer drohen, dass man eine US-Tochter habe, die keinen Zugang mehr zum europäischen Markt hätte und umgekehrt.“ Dazu muss man wissen, dass Bayer selbst Chemikalien herstellt, die wiederum in den USA umstritten sind. Und weiter: Ob die Chancen oder Risiken überwiegen, hängt nach Einschätzung der SGK stark von TTIP ab. Sollte das Freihandelsabkommen scheitern, hätte sich Bayer mit Monsanto ein Risiko eingekauft.
Es gibt sicherlich noch viel zu diesen Vertragswerken zu sagen. Aber dieses eine Beispiel der Übernahmeschlacht von Bayer um Monsanto legt den wahren Charakter des Vertragswerks und der damit verbundenen Interessen glasklar offen. Politik darf sich solchen Interessen nicht unterordnen und sich selbst entmachten. Politik muss dem widersprechen. Deswegen fordern wir die Landesregierung auf, im Bundesrat beide Verträge abzulehnen. Politik muss öffentliche Debatte und Information fördern, so wie es auch in Ihrem Koalitionsvertrag verlangt wird. Deshalb fordern wir die Koalition auf, unserem Antrag zuzustimmen. Er entspricht ganz wesentlich Ihrem eigenen Koalitionsvertrag.