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Wulf Gallert zu TOP 01: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Prof. Dr. Böhmer zum Thema: „Perspektiven zukünftiger Haushaltspolitik“

Die Ankündigung der Regierungserklärung durch Ministerpräsident Böhmer lässt, wie immer in der letzten Zeit, viele Spekulationen über den Inhalt dieser Botschaft offen. Perspektiven zukünftiger Haushaltspolitik sind mit Sicherheit ein Thema, das uns in diesem Jahr noch in umfangreicher Art und Weise beschäftigen wird. Die Beratungen des Doppelhaushaltes stehen an, und die ersten Papiere dazu in der Öffentlichkeit  lassen die Brisanz der anstehenden Diskussion erkennen, zu diesem Zeitpunkt allerdings wohl noch eher kabinettsintern.

Wenn wir es also mit einer Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thema Haushaltspolitik zu tun haben, müssen wir uns wohl tatsächlich mit der längerfristigen Rahmensetzung für die Landeshaushalte bzw. den Rahmenbedingungen der öffentlichen Hand überhaupt auseinandersetzen.

Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass die finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand Ergebnisse politischer Entscheidungen sind, denen eine bestimmte Funktionszuweisung an den Staat in der Gesellschaft zu Grunde liegt. Die heutige, zum Teil desaströse Situation der öffentlichen Hand ist primär Folge der Handlungsmaxime vom schlanken Staat, also der Reduzierung der Rolle des Staates inklusive seiner Kommunen in der Gesellschaft. Diese Handlungsmaxime hat sich zuallererst in der Steuerpolitik umgesetzt. Das Ergebnis der Steuerreform der Bundesregierung mit Finanzminister Eichel vor 10 Jahren war die deutliche Absenkung der Steuerquote in der Bundesrepublik Deutschland auf einen Tiefststand in der OECD. Innerhalb des Steuersystems senkte man vor allem die einkommens- und gewinnabhängigen Steuern bzw. beließ die Vermögensbesteuerung auf ein im internationalen Vergleich extrem niedrigem Niveau. Allein die These, der Markt wird es richten, was wiederum zu einer Entlastung des Staates selbst geführt hätte, war ein Trugschluss. Die Gewinne, die nicht besteuert wurden, wurden zum großen Teil eben nicht in neue Arbeitsplätze investiert, sondern bildeten die Grundlage für die Finanzmarktspekulation, mit deren Ergebnis wir heute auch in Sachsen-Anhalt konfrontiert sind. Die sozialökonomischen Folgen dieser Politik belasteten den nun ärmer gewordenen Staat weiterhin. Dies ist die zentrale Ursache der beschleunigten Verschuldung der öffentlichen Kassen im letzten Jahrzehnt und eben nicht eine zu lockere Handhabung der Aufnahme neuer Kredite durch die öffentlichen Kassen.

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Grundansatz der Schuldenbremse falsch, der da meint, die öffentliche Verschuldung durch das Verbot einer Kreditaufnahme in den Griff zu bekommen. Die strukturellen Defizite der öffentlichen Kassen bekommt man nur dann in den Griff, wenn man die finanzielle Ausstattung des Staates mit seinen gesellschaftlichen Aufgaben in Übereinstimmung bringt.

Dass die Losung der letzten Jahre „Privat geht vor Staat“ kein gesellschaftliches Problemlösungsmodell ist, ist - mit Ausnahme der FDP - in den letzten Monaten wohl fast allen schmerzlich bewusst geworden. Die unregulierten Finanzmärkte haben eine Spekulationsblase aufgebaut, die nunmehr geplatzt ist. Der Markt hat sich hier genauso wenig als gesellschaftliches Regelinstrumentarium bewährt, wie im Bereich der so genannten Realwirtschaft, der von einer Krise erfasst wird, die man als Ende des Öl-Zeitalters bezeichnen kann.

Die öffentliche Kontrolle der Finanzmärkte, ja auch der Finanzinstitutionen, genauso wie der sozial ökologische Umbau unserer Wirtschaft verlangen politische Steuerung und sind damit im weitesten Sinne eben doch staatliche Aufgaben. Dieser Einsicht Rechung zu tragen, bedeutet allerdings auch, die Ressourcen und Kompetenzen dafür dem Staat bereit zu stellen.

Wenn wir über die Perspektiven öffentlicher Haushalte reden, zeichnet sich z. Z. folgendes Szenarium ab:

1.       Der Staat setzt massiv finanzielle Ressourcen zur Abfederung der Folgen der aktuellen Wirtschaftskrise ein, ohne sie zu haben. Dies betrifft sowohl die aus unserer Sicht zu geringen Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung im Konjunkturpaket I und II, wie auch die gigantischen Summen, die für den Bankenrettungsschirm und den Zukunftsfonds Deutschland bereit gestellt werden. Dieses Geld in Höhe von insgesamt etwa 600 Mrd. Euro droht zu einer weiteren Stufe der Staatsverschuldung zu werden, da es keinerlei ernste Überlegungen zu einer wirksamen Kapital- und Vermögensbesteuerung gibt, die diese Ausgaben refinanzieren könnten. Darüber hinaus verzichtet der Bund, wie z. B. bei der Commerzbank, auf Gewinnrückführung und Einfluss auf die jeweiligen Unternehmen, um die öffentlichen Kassen wenigstens im nachhinein wieder zu entlasten.

In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass eine neue Diskussion über die Erhöhung der Mehrwertsteuer langsam Raum greift. Dass dies vor der Bundestagswahl aus der Politik noch nicht maßgeblich unterstützt wird, versteht sich von selbst, aber auch diese Phase ist bekanntlich endlich. Ich sage hier aber mit aller Deutlichkeit: Wer in diesem Zusammenhang dann einer Mehrwertsteuererhöhung zustimmt, die als letzter Rettungsanker für die öffentlichen Haushalte verkauft werden wird, macht sich der massiven Umverteilung von unten nach oben schuldig, weil die Profiteure der unregulierten Finanzmärkte und der defizitären Vermögenssteuerung geschont werden und dafür die breite Masse zur Kasse gebeten wird, die im bundesdeutschen Durchschnitt ohnehin schon durch den Nettoeinkommensverlust der letzten 10 Jahre und durch die Folgen der Krise, z. B. Arbeitsplatzverlust, betroffen ist.

2.       Der Staat reduziert weiter seine Funktion der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die entscheidende politische Frage der nächsten Jahre wird sein, wer die Belastungen der öffentlichen Haushalte aus der Krise zu tragen hat. Während sich dies auf der Einnahmenseite in der Alternative zwischen Vermögensabgabe und Mehrwertsteuererhöhung bewegen wird, wird die Frage auf der Ausgabenseite die des Umfangs und der Art der Kürzungen sein. Seit einigen Tagen liegt uns das Strategiepapier des Finanzministers dazu vor. Wir sind uns noch nicht vollständig im klaren darüber, wie ernst die dort enthaltenen Kürzungsvorschläge wirklich gemeint sind, aber die Tendenz wird deutlich. Die Einnahmeausfälle werden zu einem massiven Abbau sozialer Leistungen führen, wenn nicht konsequent bei der inhaltlichen Ausrichtung und bei der Einnahmenseite gegengesteuert wird. 

In diesem Zusammenhang halten wir übrigens das Argument, man müsse im Interesse zukünftiger Generationen den Gürtel enger schnallen, für völlig abstrus. Man schnallt nämlich vor allem bei eben diesen zukünftigen Generationen den Gürtel enger. Dies betrifft die Unterfinanzierung der Hochschulen genauso wie den Personalbesatz mit Lehrern und die Aufkündigung der Lehr- und Lernmittelfreiheit.

Dies alles sollen wir also tun im Interesse unserer Kinder? Wir hätten schon viel gewonnen, wenn wir die offensichtliche Absurdität dieser Argumentation einmal offen anerkennen würden. Allerdings, und auch das ist mir klar, treffen solche Einschnitte die nächsten Generationen sehr unterschiedlich, weil etwa die Lehr- und Lernmittelfreiheit für Kinder aus begüterten Elternhäusern verzichtbar ist, für die große Menge von Kindern in Sachsen-Anhalt trifft dies jedoch nicht zu. Auch an dieser Stelle wird wieder deutlich, dass eine Reduzierung des öffentlichen Ausgabeniveaus zuallererst die sozial Schwächeren treffen wird und deswegen in der Tendenz die sozialen Spannungen in unserem Land verschärft.

Zukünftige Haushaltspolitik in Sachsen-Anhalt darf sich deshalb nicht mit der permanenten Reduzierung des Handlungsspielraums abfinden und muss sich gleichzeitig gegen eine defizitäre Finanzierung wehren, die in die Schuldenfalle führt. All das tut die beschlossene Schuldenbremse ausdrücklich nicht. Dass sie die politischen Handlungsspielräume ausdrücklich verkleinert, ist offensichtlich. Es besteht die reale Gefahr, dass dieses Instrument zum radikalen Abbau öffentlicher Daseinsvorsorge-Funktionen führt. Ob sie die Verschuldung der öffentlichen Hand wirklich begrenzt, ist fraglich. Zum einen wird die Verschuldung tendenziell vom Landeshaushalt auf die Kommune verlagert. Die Reduzierung der FAG-Summe gegenüber dem Jahre 2009, noch einmal verschärft durch das Strategiepapier, legt diesen Schluss nahe. Die dort enthaltene Streichung des Teilentschuldungs-Programmes für die Kommunen unterstützt diese Vermutung ebenfalls. All das geschieht wohl gemerkt noch unter der Voraussetzung von einer Mrd. Euro Neuverschuldung in den nächsten beiden Haushaltsjahren. Vor einigen Wochen wurde mir noch entgegen gehalten, dass die Schuldenbremse ja auch umgekehrt als Steuersenkungsbremse wirken kann. Allein ein Blick in die Zeitungen der letzten Tage belehrt uns eines Besseren. Innerhalb der Union hat sich demnach die CSU mit dem Wahlversprechen der Steuersenkung durchgesetzt, dieselbe Partei übrigens, die für die radikalste Form des Schuldenverbotes eingetreten ist: eine möglichst radikale Schuldenbremse auf der einen und Steuersenkungen auf der anderen Seite. Dies ist die Formel, mit der Schwarz-Gelb die öffentlichen Haushalte in die Zange nimmt, und die Kollegen der SPD machen da mit. Unter diesen Bedingungen können die Schulden nur dann begrenzt werden, wenn soziale Leistungen massiv abgebaut werden und der Staat sich aus seiner Regulierungsfunktion zurückzieht. Damit reproduzieren wir aber genau die Ursachen für die jetzige Krise, statt uns einen Ausweg daraus zu suchen.

Neben diesen inhaltlichen Erwägungen zur Ablehnung der Schuldenbremse gibt es allerdings noch einen weiteren Aspekt, der den Staatsaufbau in der Bundesrepublik Deutschland betrifft, und hier das Verhältnis von Exekutive und Legislative. Insbesondere in Sachsen-Anhalt wurde durch die Entscheidung zur Schuldenbremse der Mechanismus zischen diesen beiden Gewalten schwer beschädigt. Durch die Entscheidung im Bundesrat hat die Landesregierung eine massive Beschneidung der legislativen Rechte vorgenommen. Die Landesregierung hat mit dieser Entscheidung das Budget-Recht des Landesparlamentes massiv beschnitten. Durch die Steuerhoheit des Bundes hat das Landesparlament faktisch keinen direkten Einfluss auf die Steuereinnahmen, was vor dem Hintergrund eines kooperativen Föderalismus durchaus vernünftig ist. Das Ausgabevolumen kann demzufolge nur über Kredite flexibel gehalten werden. Wenn diese Möglichkeit jetzt genommen wird, bestimmen Bundesrat und Bundestag das Haushaltsvolumen der Länder. Dies widerspricht ausdrücklich der gewollten vertikalen und horizontalen Gewaltentrennung, und dies ist zuerst ein politisches und dann ein juristisches Problem. Durch diesen Vorgang wird das Landesparlament unter aktiver Mitwirkung seiner Landesregierung auf der Bundesebene teilweise entmündigt, und gleichzeitig beklagt der Ministerpräsident dieses Landes die geringe Wahlbeteiligung.

Aus unserer Sicht kommt noch verschärfend hinzu, dass es im Landtag von Sachsen-Anhalt für die Position der Landesregierung keine Mehrheit gibt. Wenn ich den Worten der Fraktionsvorsitzenden der SPD, Frau Budde, Glauben schenken kann, und das tue ich natürlich, hat die Landesregierung im Bundesrat gegen die Mehrheit des Landtages abgestimmt. Und zwar nicht aus taktischen Gründen, sondern Herr Böhmer, wie Sie formulierten, aus grundsätzlicher Überzeugung. Wir bewerten das als schwere Beschädigung des Verhältnisses zwischen Landtag und Landesregierung und werden prüfen, inwiefern eine Verfassungsklage diesbezüglich möglich ist und erfolgreich sein kann. Der politische Schaden ist jedoch unabhängig von dieser juristischen Auseinandersetzung, bereits eingetreten.

Herr Ministerpräsident, Sie haben Ihre Regierungserklärung mit den Worten „Perspektiven zukünftiger Haushaltspolitik“ überschrieben. Ich sage hier ausdrücklich, die Schuldenbremse, die nunmehr Bestandteil des Grundgesetzes ist, ist nicht die Antwort auf die drängenden gesellschaftlichen Probleme, die vor uns stehen. Die wirkliche Aufgabe besteht darin, eine Verständigung über die Aufgaben des Landes und der Kommunen herbei zu führen und auf gesellschaftliche Problemlagen zu reagieren. Daraus ableitend müssen wir die notwendigen Ressourcen für die zukünftigen Aufgaben bereit stellen. Eine wirkliche Konsolidierung des Landeshaushaltes bringen weder eine Schuldenbremse noch die schwarz-gelben Steuersenkungspläne. Eine sozial gerechte Konsolidierung des Landeshaushaltes setzt eine vernünftige Steuerpolitik des Bundes voraus, für die sich das Land einsetzen kann: für eine Vermögensabgabe, für eine vernünftige Einkommensbesteuerung, für eine effektive Gewinn- und Kapitalbesteuerung und eine Börsenumsatzsteuer. Das sind die entscheidenden Stellschrauben für eine sozial gerechte und nachhaltige Haushaltspolitik. Das ist unsere klare politische Alternative, für die ich hier im Haus und im Land werben werde.