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Thomas Lippmann zu TOP 6: a) Einführung eines allgemeinen sozialen Dienstjahres b) Keine Wiedereinführung von Pflichtdiensten - nachhaltige Verbesserung der Personalsituation zur Gewährleistung gesellschaftlich notwendiger Arbeit

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wir haben über die Einführung eines einjährigen sogenannten Heimatdienstes hier im Haus vor einem reichlichen Jahr schon einmal debattiert. Im Ergebnis haben wir den reaktionären Antrag der AfD einmütig abgelehnt. Bereits damals waren alle guten und auch alle abwegigen Argumente dazu ausgetauscht, warum also jetzt die Wiederholung dieser Debatte? Warum, Herr Ministerpräsident, springen sie ohne Not und unter Missachtung der Meinungsbildung ihres Parlaments auf diesen Zug auf und bauen der AfD hier wieder eine Bühne? Warum spielen sie und einige ihrer Regierungsmitglieder der AfD immer neue Bälle zu? Erst die Unterstützung für Seehofer, dann die Sache mit den Abschiebungen nach Syrien und jetzt die erneute Heimatdienstdebatte. War das Sommerloch so groß, dass es mit solchen Inhalten gefüllt werden musste?

Wir wollten heute keine schlichte Wiederholung der Abstimmung über einen fast wortgleichen AfD-Antrag. Wir sehen uns deshalb gezwungen, einen eigenen Antrag vorzulegen, der die offensive Ablehnung von Pflichtdiensten beinhaltet und darüber hinaus Handlungsoptionen aufzeigt, wie den real bestehenden Problemen beizukommen ist.

Natürlich fragen wir uns, was sich in dem letzten Jahr geändert hat, dass die CDU jetzt diesen Sturm im Wasserglas entfacht? Es sind offensichtlich die anhaltenden und sich verstär-kenden Rekrutierungsprobleme der Bundeswehr, die die CDU auf den Plan rufen. Um nichts anderes geht es, alles andere ist Ablenkung. Ein schlichtes Wiederaufleben der alten Wehr-pflicht – was ja möglich wäre – erscheint aber wohl selbst der CDU doch etwas zu platt und gesellschaftlich schwieriger durchsetzbar als die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht.

Denn mit einer allgemeinen Dienstpflicht können die unbestrittenen personellen Engpässe in vielen gesellschaftlichen Bereichen mit ins Spiel gebracht werden. Dadurch lassen sich in größeren Teilen der Bevölkerung Erwartungen an positive Effekte einer solchen Maßnahme wecken – und genau darauf wird in der Diskussion auch gesetzt. Im Rahmen eines allge-meinen Pflichtdienstes würde die Zuführung von Dienstverpflichteten an die Bundeswehr unter dem Deckmantel der freien Wahl der Einsatzstellen ganz plötzlich als freiwillige Ent-scheidung der Jugendlichen erscheinen – also nur noch als ein Nebenprodukt einer angeblich guten Sache. Das liebe Kolleginnen und Kollegen ist hier des Pudels Kern.

So wird die Debatte über die nicht mehr rückholbare allgemeine Wehrpflicht jetzt auf die an-geblichen Segnungen einer allgemeinen Dienstpflicht verlagert. Diese soll nicht mehr nur die jungen Männer erfassen, sondern angeblich aus Gründen der Gerechtigkeit und einer unter-stellten positiven Einflussnahme auf die Persönlichkeitsbildung sogar auf die jungen Frauen ausgeweitet werden. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist alles, was zum zivilen Einsatz an Argumenten vorgetragen wird, an den Haaren herbeigezogen und schlicht Unsinn.

Um es gleich vorweg zu sagen: Wir stehen ohne jede Einschränkung zur Ausrichtung der bestehenden freiwilligen Dienste – und wir wollen sie gemäß unseres Antrages auch auswei-ten und vor allem mit besseren Konditionen ausstatten. Es gibt in dem Segment, in dem sich jungen Leute im Übergang von der Schule zum Beruf ausprobieren und orientieren oder sich ganz allgemein engagieren wollen, bereits eine breite Angebotsstruktur und auch ein großes Interesse. Es kann auch alles als zutreffend gelten, was von diesen Formen der gesellschaftlichen Arbeit an positiven Effekten erwartet und auch darüber berichtet wird. Aber nur, solange sie auf der freiwilligen Entscheidung der Jugendlichen und damit auf deren eigener Moti-vation beruhen. Solange dies die Grundlage ist, sind das freiwillige sozial oder auch ökologische Jahr und der Bundesfreiwilligendienst breit akzeptierte und gut genutzte Angebote. Mit der Verpflichtung aller jungen Leute würde sich das grundlegend ändern.

Es gibt für einen solchen staatlichen Eingriff in die persönliche Lebensplanung junger Men-schen durch die Verpflichtung zu einem Zwangsdienst keine moralische Rechtfertigung. Und es gibt dafür auch keinen Bedarf! Es ist eine Mär, dass mit der Aussetzung der Wehrplicht und dem damit verbundenen Ende des Zivildienstes eine Krise bei den zivilen Einsatzstellen entstanden wäre. Derzeit sind etwa 100.000 Dienstleistende in den verschiedenen freiwilligen Diensten im Einsatz. Das entspricht fast der Zahl der Jugendlichen, die in den Jahren vor 2011 zum damaligen Zivildienst einberufen oder im Freiwilligendienst zusammen eingesetzt waren. Und die Nachfrage ist heute schon größer, als das Angebot an Plätzen.

Ich zitiere dazu Aussagen von der Seite des „Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaft-liche Aufgaben“ über den Bundesfreiwilligendienst. Dort wird auf die Frage, wie viele freie Plätze es für den Bundesfreiwilligendienst gibt, geantwortet: „Der Bundesfreiwilligendienst ist ein enormer Erfolg. Aufgrund der starken Nachfrage ist es aber notwendig geworden, die Neubesetzung der noch freien Plätze stärker zu steuern. Das heißt: Im laufenden Jahr kön-nen nicht mehr alle freien BFD-Plätze sofort besetzt werden. Wer also einen BFD absolvieren möchte, muss eventuell damit rechnen, dass sein Traum- Platz nicht direkt verfügbar ist. Das verbleibende Kontingent an freien Plätzen wird von den Zentralstellen verwaltet.“

Die gleiche Situation finden wir auch beim freiwilligen sozialen Jahr. Die Anzahl der Plätze ließe sich nach Einschätzung der Sozialverbände zwar weiter steigern, aber nur, wenn dafür auch die entsprechenden Fördermittel zur Verfügung gestellt würden. Aber selbst mit mehr Geld wird die maximale Ausbaugrenze bei höchstens 200.000 Plätzen gesehen. Das wären dann schon wesentlich mehr Plätze, als es jemals zuvor in zivilen Einsatzbereichen gab. Mit einem Pflichtdienst für alle Jugendlichen würden gegenwärtig aber ständig bis zu 700.000 Männer und Frauen herangezogen. Wenn es dabei gerecht zugehen soll, müssten also die anderen 500.000 Pflichtdienstleistenden bei der Bundeswehr untergebracht werden, davon mindestens 200.000 Frauen. Die Bundeswehr hat aber derzeit nur eine Mannschaftsstärke etwa 150.000 Soldatinnen und Soldaten.

Sie müssen zugeben, dass das absurde Vorstellungen sind. Als Alternative zur Absurdität und zur Undurchführbarkeit solcher Pläne bleibt nur die Ungerechtigkeit bei der Verpflichtung. Gerade die hat aber bei der Wehrpflicht zur Aufhebung geführt. Selbst bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten könnte also nicht einmal jeder Dritte dienstverpflichtete junge Mensch überhaupt herangezogen werden. Ich kann also beim besten Willen nicht erkennen und ich habe dazu auch noch nie ein Wort dazu gehört, dass sie sich irgendwelche ernsthaften Gedanken machen, was die Umsetzung eines solchen Pflichtdienstes in der Praxis tat-sächlich bedeutet. Das nennt man Populismus! Es ist alles nur Show!

Und so werden die unsinnigsten Argumente hervorgeholt, um die Pläne zu begründen. Was haben sie z.B. für ein gruseliges Bild von unserer Jugend? Nach ihren Vorstellungen müssen erst einmal alle ein Jahr lang nach staatlichen Vorgaben lernen, wie man dient, damit sie sich zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft entwickeln können. Was, frage ich sie, sollen eigentlich 16- oder 18-jährige der Gesellschaft zurückgeben? Was haben sie bisher erhalten außer einer grundlegenden Bildung und Erziehung? Und dazu streiten wir uns noch permanent über die Quantität und Qualität der Bildungsangebote in den Kitas und Schulen.

Wie inkonsequent sind ihre Klagen darüber, dass die jungen Menschen dem Arbeitsmarkt zu spät zur Verfügung stehen? Nach ihren Vorstellungen sollen Hunderttausende junger Menschrn, die ihren Weg ins Berufsleben zielstrebig und schnell finden, erst einmal eine Ehrenrunde im Pflichtdienst drehen.  Und wie fahrlässig ist ihr Umgang mit dem Fachkräftemangel? Der Öffentlichkeit einzureden, mit ungelernten Schulabgängern könnten Lücken bei technischen Hilfsdiensten, in der Pflege oder in sozialen Einrichtungen geschlossen werden, ist eine schlichte Lüge. Es ist auch eine Missachtung der dort benötigten fachlichen Kompetenzen.

Und wie verlogen ist es, mit Pflichtdienstleistenden dem Fachkräftemangel besonders in den Bereichen beikommen zu wollen, die von schlechten Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind, weil es ganz überwiegend Frauenarbeitsplätze sind und genau dafür jetzt auch noch die jungen Frauen zum kostengünstigen Einsatz verpflichten zu wollen. Das sind im Übrigen auch jene Arbeitsbereiche, deren Ausübung auf einem hohen Maß an Empathie beruht. Niemand kann sich wünschen, dass Leistungen etwa in der Kinder- und Jugendhilfe oder in der Altenpflege von Menschen erbracht werden, die man hierzu dienstverpflichtet hat.

Das Problem des Fachkräftemangels in den sozialen Bereichen ist hausgemacht und es muss über die Schaffung besserer Rahmenbedingungen – insbesondere bei der Entlohnung – gelöst werden. Von den angeblichen Argumenten für einen Pflichtdienst in zivilen Einsatzbereichen bleibt dagegen nichts übrig. Was übrig bleibt ist die mangelnde Begeisterung junger Leute für eine militärische Laufbahn bei der Bundeswehr. Das muss einen nun aber auch nicht wirklich wundern, wenn sich herumgesprochen hat, dass man eine solche Berufswahl mit Kriegs-Traumata oder dem eigenen Leben bezahlen kann. Wir werden mit aller Konsequenz dagegenstehen, dass junge Leute wieder zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden und in einer Interventionsarmee dienen müssen, zu deren Aufgaben es gehört, unsere wirtschaftlichen Interessen am Hindukusch zu verteidigen.

Was wir brauchen, sind vor allem bessere und attraktivere Ausbildungs- und Arbeitsbedin-gungen in allen sozialen Einrichtungen. Wir brauchen viel mehr personelle und finanzielle Unterstützung für ehrenamtliche Tätigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen. Und wenn es der Bedarf erfordert, können und sollten wir die bestehenden Freiwilligendienste stärken und ausbauen. Was wir nicht brauchen, ist das Wiederaufleben der Wehrpflicht und wir brauchen keinen zivilen Pflichtdienst. Und was wir nun ganz und gar nicht brauchen, sind junge Menschen, deren Einstieg in die Erwachsenenwelt der Arbeit von Zwang geprägt ist.