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Thomas Lippmann zu TOP 18: Sofortprogramm 3 mal 200 zur Verbesserung des Schulerfolgs

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

schon von jeher haben wir im Land das Problem, dass viel zu viele Schülerinnen und Schüler ohne den erwarteten Schulerfolg bleiben und letztlich an unserem Schulsystem scheitern. Zum Beginn der 2000er Jahre hatte sich diese Fehlentwicklung soweit zugespitzt, dass damals bereits jeder 7. Schüler die allgemeinbildenden Schulen ohne regulären Abschluss verlassen hatte.

Und das, obwohl doch fast alle dieser Kinder einmal als hoffnungsvolle und erwartungsfrohe ABC-Schützen gestartet sind – so wie vor 14 Tagen wieder mehr als 18.000 Schulanfänger. Auch von diesen jüngsten Schulkindern werden aber in zehn Jahren wieder 2.000 mit leeren Händen dastehen und noch einmal 2.000 werden über einen Hauptschulabschluss nicht hin-auskommen, wenn nicht entschlossen und wirksam gegengesteuert wird.

Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, können und das dürfen wir uns nicht weiter leisten. Nicht im Interesse der Heranwachsenden, denen wir sonst die Chancen für ein selbstbe-stimmtes Leben verbauen und nicht im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes, deren Fachkräftebasis wir durch mangelhafte Bildung zusätzlich beschneiden.

Noch in den Jahren 2008 und 2009 war die Situation bei den Schulabschlüssen dramatisch. Damals erreichten fast 30% eines Altersjahrgangs keinen Realschulabschluss während die Zahl der Abiturienten auf etwa 23% abgesackt war. Von dieser Entwicklung waren besonders die Jahrgänge betroffen, die kurz nach der Wende geboren wurden (92/93) und die nicht nur die damit verbundenen Belastungen in den Familien, sondern auch in ganzer Breite die großen Wellen von Schulschließungen im Bereich der Grundschulen und später noch viel stärker bei den Sekundarschulen durchleben mussten. Damals sprach zwar noch niemand davon, das Problem des Schulversagens zur Chefsache zu machen, gleichwohl wurde aber konkret etwas getan.

In den nachfolgenden 7 Jahren von 2009 bis 2016 gab es dann auch eine durchaus bemer-kenswerte Entwicklung. Der Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss konnte zwar nur leicht, der Anteil der Absolventen mit Hauptschulabschluss konnte dafür aber deutlich gesenkt werden. In der Summe ist in dieser Zeit der Anteil der Jugendlichen, die insgesamt keinen Realschulabschluss erreichen, von knapp 30% im Jahr 2009 auf knapp unter 20% – also um ein Drittel – gesunken (die Zahlen aus dem letzten Schuljahr sind noch nicht verfügbar). Gleichzeitig hat sich der Anteil der Abiturienten von vormals 23% auf inzwischen über 30% erhöht.

Diese Entwicklung ist erfreulich und sie war dringend geboten. Es sind dies allerdings die Er-gebnisse, die in den Jahren vor 2013/14 erarbeitet wurden, als die Schulen noch keine be-darfsmindernden Maßnahmen zu ertragen hatten, die Unterrichtsversorgung bis zu 105% betrug und im Umfang von bis zu 400 Vollzeitstellen das Bildungsangebot an Grund- und Se-kundarschulen durch Erweiterte Schulische Angebote (ESA) verstärkt wurde. Es sind auch die Jahre, in denen das Programm „Produktives Lernen“ an Sekundarschulen entwickelt und das ESF-Programm „Schulerfolg sichern“ ins Leben gerufen wurden. Und es sind die Jahre, als nach dem Beschluss der EU-Behindertenrechtskonvention und der einstimmig beschlossenen Empfehlung des Bildungskonvents mit dem schrittweisen Übergang von der sonderpädagogi-schen Förderung in Förderschulen zur Förderung im gemeinsamen Unterricht in Regelschulen begonnen wurde.

Diese Maßnahmen, die unter Herrn Olberts auf den Weg gebracht und von Herrn Dorgerloh zumindest noch teilweise weitergeführt wurden, waren also geeignet, dem massenhaften Schulversagen Mitte der 2000er Jahre wirksam entgegen zu treten. Ab dem Beginn der letz-ten Legislatur begannen sich die Erfolge dieser Maßnahmen so nach und nach einzustellen. Denn grundlegende Änderungen und Korrekturen im Schulsystem benötigen i.d.R. 3 – 5 Jahre, bis sie ihre Wirkungen entfalten. Als verantwortlicher Politiker erntet man also – zumindest soweit es die Schulen betrifft – in der ersten Amtszeit nie die Früchte der eigenen Arbeit, sondern man beerbt stets seine Vorgänger – im Guten wie im Schlechten. Erfolge fallen nicht vom Himmel – und Misserfolge eben auch nicht. Beides entsteht durch entsprechenden Rahmenbedingungen.

Wenn Sie also jetzt, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, die sich wieder verschlechternden Abschlussergebnisse zur „Chefsache“ erklären wollen, dann hat das aus unserer Sicht sehr gute Gründe. Denn Sie beginnen jetzt gerade damit, die Ernte ihrer eigenen Regierungspolitik aus der letzten Legislatur einzufahren. Und das werden zunehmend Missernten sein. Denn seit fünf Jahren, seit dem Schuljahr 2013/14, wurden und werden die Arbeits- und Lernbedin-gungen an den Schulen massiv verschlechtert. Das gerade angelaufene Schuljahr stellt dabei mit einer noch nie dagewesenen Unterversorgung den bisherigen traurigen Höhepunkt dar.

Wenn Sie sich und die Ankündigung ihrer „Chefsache“ ausreichend erst nehmen, kann ich Sie nur auffordern, den Leuten nicht zu erzählen, dass sich an den beklagenswerten Zuständen irgendetwas ändern wird, wenn sie einfach nur mal persönlich genauer hinschauen, so wie es im Sommer in der Zeitung zu lesen war. Die Schulen brauchen ganz gewiss keinen Oberpäda-gogen, der ihnen sagt, wie sie ihren Job zu machen haben und sie brauchen im Übrigen auch keinen Physikstundenhalter – sie brauchen einen Landesvater, der klug genug ist, die Wir-kungszusammenhänge zu erkennen statt sie ständig zu leugnen oder zu verdrängen und der politisch erfahren und verantwortungsvoll genug ist, um die notwendigen Kurskorrekturen vorzunehmen. Ich kann nur an Sie appellieren: Wachen Sie auf und lassen Sie den vielen Worten endlich die notwendigen Taten folgen!

Mit unserem Antrag liegt alles auf dem Tisch, was Sie für ihre „Chefsache“ brauchen. Denn Schulerfolg entsteht ausschließlich durch die Menschen, die ihn sich gemeinsam erarbeiten – durch die Schülerinnen und Schüler auf der einen und die Lehrkräfte, pädagogischen Mitar-beiterinnen und Schulsozialarbeiterinnen auf der anderen Seite. Wenn die Pädagogen fehlen – und ich versichere Ihnen an dieser Stelle, dass derzeit 1.500 Pädagogen für eine solide und angemessene Ausstattung der Schulen fehlen – dann führt dieser Mangel zwangsläufig zu einer Verschlechterung des Schulerfolgs für einen Großteil der Schülerinnen und Schüler.

Allerdings betrifft dieser schwindende Erfolg nicht alle Schüler gleichermaßen. Der Mangel schadet vor allem den Schülerinnen und Schülern, die auf die Unterstützung in der Schule besonders angewiesen sind, weil sie durch soziale Problemlagen in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt sind und damit sehr eng verbunden eben auch entsprechende Leistungsprobleme haben. Starke Schüler bleiben starke Schüler – in jedem System und auch unter widrigen Bedingungen. Aber die Schwachen bleiben einfach auf der Stecke, weil die Unterstützung außerhalb der Schule fehlt.

Genau das organisiert die Landesregierung mit ihrer fortgesetzten Verknappung der Personalkapazitäten. Ich erinnere an die Große Anfrage zur Kinderarmut von heute Vormittag und u.a. an die beiden dort erwähnten Studien. Ein anhaltender und sich verschärfender Mangel an Pädagogen wirkt selektiv auf den Bildungserfolg. Die Landesregierung befördert damit im Rahmen ihrer originären Zuständigkeit für das Schulwesen das Vererben von schlechter Bildung und damit von Armut, weil sie die Möglichkeiten der Schulen zur Kompensation ungünstiger Umfeldbedingungen beschneiden.

Sie entziehen gerade an den Grundschulen, an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen und an den Förderschulen genau jenen, die besondere Unterstützung brauchen, die Grundlagen für eine erfolgreiche Schulkariere. Wenn Sie tatsächlich einmal genauer hineinschauen, dann werden Sie schnell erkennen, wo das Schulversagen stattfindet:

  • Es betrifft die inzwischen bis zu 10.000 ausländischen Schülerinnen und Schüler, denen durch den Abzug der Sprachlehrer derzeit massenhaft ein zügiger und umfassender Spracherwerb und damit in der Folge eine erfolgreiche Teilnahme am Fachunterricht verweigert wird,
  • Es betrifft die bis zu 15.000 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbe-darf, denen sowohl an den Förderschulen als auch im gemeinsamen Unterricht an Regel-schulen vielfach keine ausreichende Unterstützung durch Förderschullehrer und pädago-gische Mitarbeiter/innen mehr gewährt wird,
  • Es betrifft viele Schülerinnen und Schülern an Sekundarschulen und Gemeinschaftsschu-len, deren Unterrichtsangebot inzwischen mehrfach gekürzt wurde.
  • Und nicht vergessen werden dürfen die fortlaufenden Kürzungen von Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeiter/innen an den Grundschulen, die uns im aktuellen Schuljahr mit Sicherheit noch sehr intensiv beschäftigen werden. Denn die Grundlagen für den Erfolg in der Schule werden Beginnen gelegt – die Grundlagen für den späteren Misserfolg aber eben auch! Auf den Anfang kommt es an!

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie müssen sich also mit ihrer Mannschaft darauf ein-stellen, dass in den nächsten Jahren der Anteil der Schüler ohne regulären Schulabschluss weiter steigen und nicht sinken wird und Sachsen-Anhalt bundesweit hier die rote Laterne fest in der Hand behalten wird. Hier liegt einer der wichtigen Hebel, um Kinderarmut in der Zukunft zu verringern.

Dieses Land kann sich nicht nur mehr Investitionen in die Bildung seiner Kinder leisten, es muss dies tun. Das verlangt auch die Bevölkerung inzwischen sehr nachdrücklich von uns allen hier im hohen Haus. Denn noch vor unserer nächsten Sitzung werden wir erfahren, wie viele Zehntausend Wähler die Forderungen der Volksinitiative nach mehr pädagogischem Personal unterstützen. Mit unserem Sofortprogramm sprechen wir einen konkreten Teilbereich an, der sich speziell gegen das Schulversagen wendet. Schauen sie es sich genau an und verweigern sie den Schulen und den betroffenen Schülerinnen und Schüler nicht weiter die Unterstützung, die sie dringend brauchen. Sie können hier nicht sparen – sie nehmen hier vielmehr eine Hypothek auf, an der wir alle schwer zu tragen haben. Setzen Sie die Zukunft dieser Kinder und Jugendlichen und die Zukunft des Landes nicht weiter aufs Spiel, tun sie wirklich etwas für Chancengleichheit durch bessere Bildung für alle Kinder und beginnen sie hier mit dem Kampf gegen Kinderarmut.