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Thomas Lippmann zu TOP 1: Regierungserklärung des Bildungsministers zum Thema "Gute Unterrichtsversorgung als Kern guter Bildungspolitik"

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

in der schon etwas längeren Geschichte unserer Debatten um die desolate Versorgung unserer Schu-len mit Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeiter/innen hat der verantwortliche Minister heute versucht, mit seiner Erklärung ein weiteres Kapitel aufzuschlagen. Aber es ist wahrlich kein gutes, denn im Prinzip steht nichts Neues drin. Als ich die Ankündigung gelesen hatte, habe ich noch gehofft, dass unsere Regierung doch noch aufgewacht wäre und mal mit offenen Augen raus in die Realität und den Leuten aufs Maul geschaut hat. Aber ich gebe es zu, das war sehr naiv gedacht.

Was wir heute gehört haben, war nichts weiter als eine Zusammenfassung all dessen, was wir vom Minister hier im hohen Haus bei Anträgen meiner Fraktion zur Unterrichtsversorgung oder in ver-schiedenen Zeitungsinterviews schon mehrfach gehört oder gelesen haben. Es war die Offenbarung, dass sie, Herr Minister, und die Landesregierung nicht gewillt und nicht in der Lage sind, die Heraus-forderungen in den Schulen anzunehmen und gemeinsam um Lösungen zu kämpfen.

Die Unterrichtsversorgung ist so schlecht wie noch nie, soweit wir uns alle zurückerinnern können. Schulleitungen, Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiterinnen stöhnen unter den Belastungen und resignieren immer mehr vor den schier unlösbaren Problemen. Die Eltern sind zu Recht voller Sorge um die Zukunft ihrer Kinder und hier steht ein Minister und redet sich und der Öffentlichkeit die Welt schön!

Und wenn sich dennoch einige von jenen, die von der ständigen Abwärtsentwicklung unmittelbar betroffen sind, zu Wort melden, dann wird abgewiegelt und von unvermeidbaren Einzelfällen ge-sprochen. Den Medien wird unterstellt, sie lägen auf der Lauer nach spektakulären Geschichten. Da-bei kann sich der Minister über eine regierungsfreundliche Berichterstattung nun wirklich nicht be-klagen. Und wenn gar nichts mehr hilft, werden Organisationserlasse, Verordnung oder sogar das Schulgesetz einfach uminterpretiert bzw. geändert. Beschäftigte, die das nachdrücklich kritisieren, werden mundtot gemacht.

In unserer Wirklichkeit gibt es aber inzwischen massenhaft Schulen, deren Unterrichtsversorgung weit unter 100% liegt, in Duzenden Fällen unter 90% und auch unter 80%. Das sind unhaltbare Zu-stände lieber Herr Tullner und die Gründe dafür liegen nicht mehr nur in der Vergangenheit bei ihren Vorgängern, die Gründe dafür liegen inzwischen auch bei ihrem eigenen Handeln, in ihren Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen.

Es gab und gibt in den Schulen noch immer große Hoffnungen und Erwartungen, dass Regierung und Koalition nach einem halben Schuljahr mit einer solchen schlechten Unterrichtsversorgung und Unterrichtsaufällen in bisher ungekannter Größenordnung endlich die Fakten zur Kenntnis nehmen und für die längst überfälligen Korrekturen sorgen. Diese Erwartungen und Hoffnungen wurden mit der heutigen Erklärung wohl endgültig zerstört. Das lieber Herr Minister Tullner sage ich hier ganz deutlich, das war keine Erklärung zu „Gute Unterrichtsversorgung als Kern guter Bildungspolitik“, das war eine Erklärung zu „Schlechte Unterrichtsversorgung als Kern verfehlter Bildungspolitik“.

Die fruchtlosen Auseinandersetzungen in den bisherigen Haushaltsverhandlungen um mehr Lehrkräf-te und pädagogische Mitarbeiter/innen zeigen allen im Land, dass Bildung für diese Regierung keinen hohen Stellenwert hat. Denn während das Volumen des Gesamthaushaltes um mehr als 8 Prozent wächst, soll der Bestand an Lehrkräften gerade einmal um 0,8 Prozent steigen und der Bestand an pädagogischen Mitarbeiter/innen sogar weiter sinken. Und das bei einem Unterrichtsangebot, dass inzwischen mehr als 4 Prozent von dem Ziel entfernt ist, das im Koalitionsvertrag versprochen wurde.

Und selbst wenn diese fehlenden 500 Einstellungen realisiert würden, wäre es doch immer nur die Hälfte von dem, was in den letzten vier Jahren bereits aus dem schulischen Angebot weggekürzt wurde. Ich wiederhole es hier noch einmal, dass das in diesem Schuljahr in den Schulen eingesetzte Arbeitsvolumen um etwa 1.000 Vollzeitstellen geringer ist, als im Schuljahr 2007/08, als wir die gleichen Schülerzahlen hatten wie heute.

Und noch kurz etwas mehr zu den Zahlen, die der Minister präsentiert hat:

Wir sind zum Schuljahresbeginn nicht mit 100,3% gestartet, sondern von Beginn an nur mit 99,5%. Das ist Wert vom Stichtag der Unterrichtserhebung vom 21. September. Mit den vom Minister er-wähnten späteren Ausschreibungsrunden vom September und zuletzt vom Dezember haben wir zwar ungefähr 260 weitere Kolleginnen neu eingestellt, es sind im Gegenzug seit dem Schuljahresbeginn aber auch weitere Lehrkräfte ausgeschieden. Zusammen mit den etwa 100 Sprachlehrkräften, die ja erst vor kurzen aus der Unterrichtsversorgung abgezogen wurden, dürften das erfahrungsgemäß insgesamt so um die 160 Lehrkräfte sein. Wenn wir also Glück haben und sich nicht noch zusätzliche Kolleg/innen durch Langzeiterkrankung oder Mutterschutz von ihren Klassen verabschiedet haben, dann stehen in 14 Tagen nach den Winterferien vielleicht tatsächlich 100 Kolleginnen mehr vor den Klassen als zum Schuljahresbeginn. Dadurch könnten vielleicht gerade so die 100,3% Unterrichtsver-sorgung erreich werden, die uns schon im August berichtet wurden.

In Sachsen-Anhalt nichts Neues, könnte man also nach der heutigen Erklärung meinen. Aber das stimmt nicht, denn etwas Neues soll es wohl geben, aber darüber hat der Minister geschwiegen. Denn er weiß so gut wie ich, dass mit den jetzigen Haushaltsvorgaben zu den Vollzeitäquivalentzielen auch im kommenden Schuljahr die 100% nicht erreicht werden können. Wenn wir Glück haben, wird es nicht noch schlimmer, aber besser wird es auf keinen Fall. Deshalb soll erneut in die Trickkiste gegriffen werden und die heißt „bedarfsmindernde Maßnahmen“.

Wenn der Bedarf künstlich abgesenkt wird und den Schulen schlicht durch neuen Berechnungsfor-meln einfach weniger Stunden zugewiesen werden, dann erhöht sich die Prozentzahl für die Unter-richtsversorgung automatisch auch ohne zusätzliche Lehrkräfte. Lieber Herr Tullner, sie sagen, sie wollen der Zahl von 103% nicht wie einem Fetisch hinterherlaufen. Da kann ich ihnen ein Stück weit zustimmen, denn diese Zahl sagt längst nicht alles. Für die Bildung der Schülerinnen und Schüler ist es nämlich am Ende egal, wo gekürzt wird – ob gleich am Anfang bei der Bedarfsermittlung oder erst später bei der Lehrkräftezuweisung – zu wenig bleibt zu wenig!

Statt sich vor ihre Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter/innen zu stellen und das in vielen Jahren aufopferungsvoller Arbeit erreichte Niveau in unseren Schulen zu verteidigen, opfern sie es auf dem Altar der Haushaltsverhandlungen. Die Spatzen pfeifen es längst von den Dächern, dass die neuen Organisationserlasse längst fertig in der Schublade liegen.

Das was da auf die Schulen erneut zukommt, nennen sie – ich zitiere sie – das „System weiter zu flexibilisieren, Effizienzreserven zu heben und die Strukturen zu optimieren“. Das sind nette Worte und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen in den Koalitionsfraktionen werden diese sicher gern hören und ebenso gern glauben. Ich nennen es jedoch, den Ausverkauf in unseren Schulen voranzutreiben und Sachsen-Anhalt die rote Laterne im bundesweiten Vergleich anzuhängen.

Lieber Herr Minister, ich habe ernsthaft erwartet, dass sie die Regierungserklärung nutzen wollen, um im Sinne ihrer Einführungsworte hier im Parlament nicht mit verdeckten Karten zu spielen, wenn es um Schule geht. Ich habe erwartet, dass sie uns hier im hohen Haus und der Öffentlichkeit ihre Pläne offenlegen und zu einer Diskussion auffordern, ob dieser fortgesetzte Schrumpfungskurs in den Schulen so akzeptiert wird, dass es einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess darüber gibt, was Schule leisten und anbieten soll.

Wenn es stimmt, was man so hört, dann wollen sie die Zuweisung an die Grundschulen um bis zu 8 Prozent kürzen und die Schulen dadurch flächendeckend zwingen, jahrgangsübergreifende Klasen mit mindestens 23 Schülern oder mehr zu bilden. Wenn es stimmt, was man so hört, dann sollen auch die Sekundar- und Gemeinschaftsschulen erneut bluten und bis zu 10 Stunden aus ihrer Stundentafel verlieren. Insgesamt wollen sie angeblich bis zu 500 Vollzeitstellen aus den Bedarfszuweisungen streichen. Das wäre der bisher größte Aderlass in den Schulen, den dieses Land bisher erlebt hat. Ich kann für unsere Kinder und Jugendlichen nur hoffen, dass das alles nur Gerüchte sind, die sie sofort dementieren werden. Wenn aber doch etwas dran sein sollte, dann fordere ich sie auf, das Parlament und die Öffentlichkeit unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Es geht um die Zukunft unserer Kinder!

Denn wenn solche Pläne realisiert würden, dann liebe Kolleginnen und Kollegen mit Kontakten zur Wirtschaft und zum Handwerk, sollten künftig alle schweigen, wenn es um die mangelnde Ausbil-dungsreife unserer Jugendlichen geht. Dann muss eben später in den Betrieben oder in der Ar-beitsagentur das Geld in die Hand genommen werden, dass jetzt nicht in eine ordentliche Grundbil-dung unserer Kinder und Jugendlichen investiert wird. Es hat alles seinen Preis. Geld an den entschei-denden Stellen nicht auszugeben, kostet am Ende mehr als das, was man glaubt, kurzfristig eingespart zu haben.

Dass wir uns gegenwärtig mit unseren schulischen Leistungen im nationalen und internationalen Vergleich noch sehen lassen können, ist nicht dem Bildungsministerium zu verdanken. Dass der Minister immer noch launig behaupten kann, es läuft doch auch ohne Leute ganz gut – ohne pädagogische Mitarbeiter/innen, ohne Förderschullehrkräfte, ohne 100prozentige Unterrichtsversorgung und an vielen Schulen sogar ohne Schulleitung – ist ausschließlich dem übermäßigen Engagement der Kolle-ginnen und Kollegen in den Schulen zu verdanken. Engagement und Leistungsfähigkeit werden aber zerbrechen, wenn wir nicht bald wieder zu normalen Unterrichtsbedingungen kommen. Wer in einer solchen Situation plant, lieber Herr Minister, sich auch noch an der Arbeitszeit der Beschäftigten zu bedienen – und dazu zählen auch die Anrechnungen für Schulleitungen, für Schwerbehinderte und für die besonderen Aufgaben im Schullalltag – der spielt mit dem Feuer. Ich kann ihnen aus langer Erfahrung nur raten – lassen sie die Finger von der Arbeitszeitverordnung für die Lehrkräfte.

Die Vorschläge zur Verbesserung der Situation liegen alle auf dem Tisch – von uns und von ihren Koa-litionspartnern. Erhöhen sie die Vollzeitäquivalentziele, schreiben sie mehr und schneller aus und ändern sie endlich die Ausschreibungspraxis. Wie das geht, haben wir in der Drucksache 7/60 aus-führlich aufgeschrieben. Die Schulen brauchen weniger gut gemeinte Worte und unverbindliche An-kündigungen – sie brauchen mehr Personal. Reden sie also weniger und tun sie endlich etwas.