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Swen Knöchel zu TOP 3: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thema "Sachsen-Anhalt: Große Geschichte, gute Zukunft - wie wir heute die Weichen für morgen stellen

Anrede,

Herr Ministerpräsident der Titel Ihrer Regierungserklärung ließ Großes erwarten - ein Titel dem diese Regierungserklärung nicht gerecht wurde. Wir hörten unseren Ministerpräsidenten nicht als Staatsmann, der erklärte, wohin er das Schiff Sachsen-Anhalt zu steuern gedenkt. Wir hörten den Ministerpräsidenten als Buchhalter von Kenia, der in endloser Aufzählung das Soll und Haben von einem Jahr Koalition vortrug. Einer Koalition, in der drei Partner, die unterschiedlicher nicht sein können, in inniger Abneigung vereint sind und einander hindern, das Bessere zu tun. Lässt man die letzten Monate Revue passieren, so hat die Koalition ihre großen Schlagzeilen immer nur im Zusammenhang mit Personalien gemacht. Geht es um Sachthemen, wird das Eis schon dünner.

Vielleicht war der Regierungswechsel am ehesten an den Autobahnen zu erkennen. Dort grüßt die, die durch Sachsen-Anhalt fahren, nicht mehr der unsägliche Frühaufsteherslogan, sondern der Hinweis „Ursprungsland der Reformation“. Ein Slogan, der den Durchreisenden verrät, hier in diesem Land war vor 500 Jahren mal richtig was los. Und genau darauf reflektiert der Ministerpräsident in seiner Erklärung: Hier in Sachsen-Anhalt wurde vor 500 Jahren Weltgeschichte geschrieben.

Der Thesenanschlag Luthers, mit der er zu einer theologische Disputation herausfordern wollte, traf den Nerv der damaligen Zeit. Er löste eine Entwicklung in Deutschland und in Europa aus, die ermöglichte die Weltsicht des Mittelalters in die moderne, aufgeklärte Zeit zu transformieren. Eine Entwicklung, die der Aufklärung und der modernen Welt das Tor weit aufstieß und von mehr geprägt war, als von religiösen Fragen. Das wären die Fragen, die ein Reformationsjubliäum in den Kontext von Vergangenheit und Gegenwart rücken würde. Das hätte die Chance eröffnet, auch die 84 Prozent der Menschen im Land, die nicht einer der beiden Kirchen angehören, mit diesem Jubiläum anzusprechen.

Wenn Ihre Regierungserklärung etwas gezeigt hat, dann Ehrlichkeit: Nicht 75 Millionen Euro, nicht 80 Millionen Euro sondern über 90 Millionen Euro wird es kosten. Das macht nachdenklich, ob dessen, was nach dem Jubiläum kommt. Haben wir mit diesem Geld tatsächlich nachhaltige Impulse für Sachsen-Anhalt gesetzt oder haben wir mit den sanierten Bauwerken nur ein Luther-Disneyland geschaffen, das am Tag nach dem Jubiläum in Stein und Beton bis zum nächsten Jubiläum stehen bleibt?

Demnächst wollen sie „Bauhausland“ auf die Autobahnschilder schreiben. Wieder ein Jubiläum! Und wieder, so fürchte ich, wird diese Landesregierung alle Gedanken zu dem, was Bauhaus ausmachte, in seichter Rotkäppchen-Sekt Laune ertränken. Dabei lohnt es, gerade am Beispiel des Bauhauses, über unser Land nachzudenken.

Aus Weimar vertrieben, gaben mutige Dessauer dieser Schule der Moderne und Weltoffenheit eine Heimstatt. Hier wurde Architektur- und Kunstgeschichte geschrieben. Die Region profitierte. Doch nicht lange, dann zogen die dunklen Wolken von Abschottung und Engstirnigkeit über Anhalt und Dessau. Fremdenfeindlichkeit und Hass vertrieben das Bauhaus wieder aus der Stadt. Im August 1932 stimmten im Dessauer Rat, neben dem Oberbürgermeister, nur noch die vier Kommunisten für den Verbleib der Schule in Dessau.

Für Ihre Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident, hätte mich interessiert, was Sie denken. Wie würde heute eine Abstimmung über ein so avantgardistisches Projekt verlaufen? Die Frage ist vor dem Hintergrund, dass in diesem hohen Hause schon die Freiheit der Kunst in Frage gestellt wurde, eine brennend aktuelle.

Sie sagen, Herr Ministerpräsident: „Ein Prozent Wachstum ist gut, doch im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern zu wenig“. Ich, Herr Ministerpräsident, sage Ihnen, ein Prozent Wirtschaftswachstum ist nicht gut. Ein Prozent Wirtschaftswachstum koppelt Sachsen-Anhalt von der wirtschaftlichen Entwicklung im gesamten Bundesgebiet weiter ab. Ein Prozent Wirtschaftswachstum reicht nur für den Tabellenkeller, Sachsen-Anhalt ist abstiegsgefährdet. In den vergangenen zehn Jahren, also in dem Zeitraum, wo Sie Herr Haseloff, für die Wirtschaft und die Geschicke unseres Landes die Verantwortung trugen, betrug das Wirtschaftswachstum gerade mal 2,5 Prozent. Es gilt, einen Anschlussprozess zu organisieren, dazu war wenig zu hören in Ihrer Erklärung.

Zu hören war aber der aus unserer Sicht gescheiterte Versuch, mit der neuen GRW-Richtlinie gute Arbeit in unserem Land zu schaffen. Wir können nicht die Firmenphilosophie der Konzernzentralen ändern, aber wir sollten als Landespolitik bestimmen, welche Arbeit wir unterstützen und fördern. Aber in ihrer neuen Richtlinie kommt gute Arbeit nur als Bonuspunkt vor. Wir meinen sie muss Kernpunkt von Wirtschaftsförderung sein.

Die Arbeitslosigkeit ging zurück, geblieben ist aber eine sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit. Das Arbeitsmarktprogramm, das die Kenia-Koalition präsentiert, war keine Überraschung. Mit Arbeitsgelegenheiten oder nennen wir sie Ein-Euro-Jobs wollen Sie das Problem lösen. Das ist eine seit Jahren gescheiterte Strategie.

Bei der Digitalisierung sind die Ausbauziele, sowohl was die Netzgeschwindigkeiten als den Zeitraum angeht, unterambitioniert. Das Ziel 50 Mbit/s wird in der Werbung für den Internetzugang in Nachbarländern, mit dem Zeichen der Schnecke symbolisiert. Zukunftsfähig ist anders! Vielmehr brauchen wir keine Förderung von Übergangstechnologien wie Vectoring, sondern die Glasfaserkabel ans Haus. Wir unterstützen dabei ausdrücklich Initiativen wie den Zweckverband in der Altmark. Das erwarten wir auch von der Landesregierung!

Dass die Hochschulen erstmals wieder mehr Mittel für die Grundversorgung bekommen, ist zwar gut. Sie kompensieren aber kaum die Kürzungen der letzten Jahre und die Verluste durch nicht ausgeglichene Tarifaufwüchse. Dabei sind die Anforderungen insbesondere durch den Anstieg der Studierendenzahlen gestiegen. Wichtig wäre, für einen Teil der Mittel aus dem Hochschulpakt eine Garantie zur Weiterfinanzierung zu geben, damit auch Personal unbefristet eingestellt werden kann.

Ob sich diese Koalition an die Novellierung des Hochschulmedizingesetzes wagt, werden wir sehen. Die letzte Regierung ist kläglich gescheitert. Wir werden gerne darüber diskutieren, in wieweit die Klinika wieder näher an die Fakultäten rücken können.

Im Bereich der Schulen sind viele Chancen im ersten Regierungsjahr ungenutzt geblieben. Ja, die neue Landesregierung hat einige schwere Hypotheken übernommen. Diese fielen freilich nicht vom Himmel, zwei der Koalitionspartner haben sie zu verantworten. Aber die vielen engagierten Sprachlehrkräfte haben sie ziehen lassen. Fast der Hälfte unserer Referendare aus dem letzten Abschlussjahrgang haben sie in Sachsen-Anhalt keine Chance gegeben und das Hin und Her bei der Aufstockung der Ausbildungskapazitäten für Lehrerinnen und Lehrer an der Universität in Halle verantwortet ihre Landesregierung. Beide Landesregierungen unter ihrer Führung haben immer nur auf sinkende Schülerzahlen spekuliert, obwohl aufgrund der bekannten Entwicklung der Geburtenzahlen, die schon seit fast 20 Jahren stabil sind, längst klar sein musste, dass die ursprünglichen düsteren Prognosen nicht eintreten werden. Die vielen Anträge der Fraktion die LINKE zeigen, dass die Landesregierung keinesfalls von sich aus handelt, sondern immer erst zum Jagen getragen werden muss. Und selbst dann waren alle bisherigen Maßnahmen zu spät, zu klein und zu unflexibel.

Die Landesregierung zeigt bisher ein geradezu erschreckendes Desinteresse an den realen Verhältnissen in den Schulen. Das Schulsystem wird komplett auf Verschleiß gefahren und diese Entwicklung wird sich mit Ansage auch im kommenden Schuljahr weiter fortsetzen.

Es ist bedauerlich, dass – spricht man von Schulen – sofort die Personalsituation und die schiere Unterrichtsversorgung im Zentrum stehen. Schließlich stehen die Schulen auch vor großen inhaltlichen Herausforderungen. Die Aufgaben der Inklusion sind umzusetzen. Zahlreichen ausländischen Kindern und Jugendlichen muss der Weg zu guter Bildung eröffnet werden. Es gilt, Digitalisierung und die Chancen moderner Medien zu erschließen. Das alles muss sich auch in der Ausbildung und in den pädagogischen Konzeptionen an den Schulen niederschlagen.

In der vergangenen Legislaturperiode ist in Sachsen-Anhalt ein kulturpolitischer Scherbenhaufen entstanden, wie es ihn bisher noch nicht gab. Dass sich die neue Koalition und die neue Landesregierung redlich bemühen, diesen Scherbenhaufen zusammenzukehren, nehmen wir zur Kenntnis. Wir begrüßen das. Hätten sie in der sechsten Wahlperiode nur einmal auf uns gehört, wäre heute manches besser. Wir verkennen also nicht, dass einiges in Bewegung gekommen ist. Das ist gut so. Aber der Blick für die Baustellen muss noch weiter geschärft werden.

Auch im Bereich des Innenministeriums finden wir mehr ungelöste Probleme als Lösungen. Wer zu spät kommt, das merken Sie jetzt, bekommt eben die Stellen bei den Polizeianwärtern nicht besetzt und kann Gebäude, wie das der Polizeidirektion Nord, eben nur mit erheblichen Verzögerungen sanieren. Von den ungelösten Problemen bei der Führung dieser Polizeidirektion ganz zu schweigen.

Nicht weniger brisant ist die Personalsituation im Justizbereich. Gut, dass Sie die erwähnt haben, Herr Ministerpräsident, Sie müssen diese Probleme aber auch angehen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Landesregierung das akute Thema der Personalstruktur und des damit verbundenen Personalnotstands in der Justiz erst aufgrund der Thematisierung und parlamentarischen Befassung durch die LINKE als ein akutes Problem auch für sich entdeckt hat. Es bedarf hier kurzfristiger, mittelfristiger und langfristiger Lösungen.

An zwei Stellen erklären Sie, wie wichtig die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter sei. Und Sie betonen deutlich, wie schwierig diese Aufgabe ist. Mit der Einführung einer Wohnsitzauflage in Sachsen-Anhalt hat die Landesregierung diesem Ansinnen einen Bärendienst erwiesen. Zwar ist die Aufnahme einer Arbeit ein akzeptierter Grund für einen Wohnortwechsel, doch wem der Wohnsitz vorgeschrieben wird, der hat schlicht und ergreifend schlechtere Ausgangsvoraussetzungen für die Arbeitssuche.

Wir finden in Ihrer Rede wieder das stereotype Gerüst gezeichnet: einerseits fördern und integrieren – andererseits Abhaken und Abschieben. Gerade dort, wo junge Menschen Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben, zeigt sich die Absurdität der ganzen repressiven Logik. Wenn Betriebe in Sachsen-Anhalt junge Menschen ausbilden wollen, sollte dieses Vorhaben doch nicht durch ein repressives Aufenthaltsrecht konterkariert werden.

Offen ist auch die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Krankenkarte für Geflüchtete. Hierzu kamen auch keine Aussagen.

Nein, meine Damen und Herren, Kenia in Sachsen-Anhalt ist nicht so schön, wie es der Ministerpräsident herbeiredet. Sie brauchen aber auch starke Sprachbilder, um das Problematische schön zu sprechen. Lagerfeuerromantik bemühen Sie. Ein schönes Bild, wenn ich auch die Romantik nicht finde, die sie spüren. Jedes und auch noch so fernes Wolfsgeheul droht die Zweckgemeinschaft am Lagerfeuer auseinanderzutreiben. Und aus der dunklen Oppositionsnacht stellt sich beim Anblick Ihrer Lagerfeuergemeinschaft höchstens die Frage, wer gerade in der Mitte sitzt. Im Moment scheint es die Landwirtschafts- und Umweltministerin zu sein. Oder warum spielt sie in Ihrer Rede eine so geringe Rolle?

Warum sagen Sie nichts zum Hochwasserschutz? Kein Wasser, kein Thema? Noch vor kurzem berichteten Sie, dass der Landesregierung ländliche Räume wichtig sind und dass Sie die Verfassung ändern wollen. Gleichwertige Lebensverhältnisse sollen dort festgeschrieben werden. DIE LINKE ist da bei Ihnen. Und dennoch…

Der Doppelhaushalt ist eine Mogelpackung. Vorhaben für knapp 500 Mio. Euro sind nicht finanziert. Der Finanzminister legt noch vor Verkündung des Haushalts die Daumenschrauben an, um die Globale Minderausgabe zu erwirtschaften. Die Rücklagen werden pulverisiert, das Sparschwein geplündert. Die hohen Ziele der Koalition bleiben so Makulatur, der Finanzminister hat das Regiment übernommen.

Im Soll und Haben von Kenia ist viel Soll und wenig Haben. Auch Ihre heutige Regierungserklärung hat wenig Aufschluss darüber gegeben, welche Zukunft unser Land haben wird. Die Probleme wurden höchstens gestreift, Lösungen liegen im vagen. So wird das nichts.

Die Koalition hat Verantwortung für dieses Land übernommen, der muss sie nun endlich gerecht werden. Gabor Steingart betonte unlängst im ARD-Presseclub: „Wir Journalisten empören uns zu sehr über Menschen und zu wenig über Zustände.“ Die Koalition soll sich endlich daran machen, die mit vielen Problemen behafteten Zustände in Sachsen-Anhalt zu verbessern, das ist ihre Aufgabe, und die harrt dringlich ihrer Wahrnehmung.

Herr Ministerpräsident wärmen Sie sich nicht länger am Lagerfeuerplatz. Stehen Sie auf und wenden Sie sich den Problemen im Land zu!