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Swen Knöchel zu TOP 1: Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Anrede Alle, die in diesem Plenarsaal sitzen, wurden durch freie, gleiche und geheime Wahlen legitimiert. Zum einen die Mitglieder des Landtages, die direkt gewählt wurden. Zum anderen der Ministerpräsident, der seine Legitimation indirekt aus der Wahl durch das Parlament bezieht und mit diesem Recht wiederum die Minister ernennt.

„Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus“, so steht es im Grundgesetz, so steht es auch in unserer Landesverfassung. Mehr noch, das Grundgesetz verlangt, dass auch in den Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht. Dieser Grundsatz der Volkssouveränität ist unabdingbarer Bestandteil des Demokratieprinzips, das unsere freiheitlich demokratische Grundordnung trägt.

Und ja, jeder in diesem Raum, dürfte hin und wieder mit dem einen oder anderen Wahlergebnis unzufrieden gewesen sein. Aber es muss einen Grundkonsens in diesem Raum geben: Was am Wahltag entschieden wurde, ist eine Entscheidung, die zu akzeptieren ist. Sie ist die Grundlage für die Tätigkeit dieses hohen Hauses oder eben für unsere Kommunalvertretungen. Es gibt keine Alternative zu allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen.

Damit dieser Grundkonsens stabil bleibt, müssen Wahlergebnisse über jeden Zweifel erhaben sein. Sie müssen das abbilden, was die Bürgerinnen und Bürger, jeder einzeln für sich in der Wahlkabine, entschieden haben.Um das sicher zu stellen, finden die geheimen Wahlen öffentlich statt. Das ist übrigens kein Widerspruch. Der Publizitätsgrundsatz sichert, dass alle Handlungen zur Vorbereitung, Durchführung und Auszählung von Wahlen und der Feststellung des Wahlergebnisses vor den Augen der Öffentlichkeit geschehen - geheim ist nur der Wahlakt. Dieses Verfahren ist der Grund, dass ich feststellen kann, Wahlen in Deutschland bilden den Willen der Wählerinnen und Wähler ab, Parlamente und Institutionen können darauf vertrauen, für ihr Tun legitimiert zu sein.

Das heißt nicht, dass Wahlen in Deutschland fehlerfrei ablaufen. Überall dort, wo Menschen tätig sind, passieren Fehler. Das Gesamtsystem ist aber so angelegt, dass Fehler erkannt und bereinigt werden können - selbst Manipulationsversuchen hält dieses System grundsätzlich stand.

So auch bei der Europawahl in Halle, wo es in gleich zwei Wahllokalen zu Unregelmäßigkeiten kam. In dem einen wurden die Wahlergebnisse vom Wahlleiter nach Gutdünken ins Protokoll getragen, in dem anderen die Stimmen der LINKEN einer anderen Partei zugeschlagen. Beide Vorgänge wurden wegen des Publizitätsgrundsatzes erkannt und noch vor der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses korrigiert. Zu Korrekturen in größerem Umfang kam es auch nach der Landtagswahl 2016, wo Zähl- und Übermittlungsfehler auch Auswirkungen hatten. Auswirkungen, die meiner Fraktion sicher nicht gefallen haben, aber auch hier war klar: Ein Wahlergebnis auf das alle Bürgerinnen und Bürger vertrauen können, geht der eigenen Zufriedenheit vor.

Zu dem von mir genannten Publizitätsgrundsatz gehört nicht nur, dass die Wahlhandlungen öffentlich erfolgen, sondern dass sie auch eine breitere Öffentlichkeit durch eine funktionierende freie Presse erfährt, die berichtet und hinterfragt. Im Falle des heute zur Rede stehenden Wahlskandals in Stendal, war es eben jene funktionierende freie Presse, die uns ermöglicht hat, hier einen ungeheuerlichen Vorgang zu verhandeln. Es ist der Beharrlichkeit des Journalisten Rath zu verdanken, der sich mit seinen Fragen nicht abwimmeln ließ. Fragen, die sich aufdrängten, Fragen, die sich auch die Wahlbehörden hätten stellen müssen. Man könnte es als Beleg für eine funktionierende Demokratie nehmen, dass die Fälschung aufgedeckt wurde. Man kann es aber auch als Armutszeugnis für die am Wahlfeststellungsverfahren Beteiligten nehmen, wie schleppend mit dieser Erkenntnis umgegangen wurde. Da stand nicht die Aufklärung drängender Fragen im Mittelpunkt, sondern die Vermeidung eben jener Aufklärung. Das ist der Umstand, der die Wahlfälschung zu einem politischen Skandal macht.

Eine Ausnahme, die den Publizitätsgrundsatz durchbricht, ist die Briefwahl. Hier ist die Ausgabe des Wahlscheines, die geheime Wahl und die Übersendung der Unterlagen an die Wahlbehörde eben nicht öffentlich. Sie sollte deshalb eine Ausnahme darstellen. Eine Ausnahme für diejenigen, die aufgrund einer Krankheit oder eines Gebrechens nicht in der Lage sind, das Wahllokal aufzusuchen. Oder für diejenigen, die beruflich oder anderweitig gehindert sind, ihre Stimme am Wahltag abzugeben. Und genau deshalb macht die Briefwahl aus Sicht meiner Fraktion Sinn. Sie bietet Menschen, die sonst nicht an der Wahl teilnehmen können, die Möglichkeit ihr demokratisches Recht wahrzunehmen.

Aber die Briefwahl ist auch in Verruf geraten. Der hier zur Rede stehende Fall in Stendal als auch der jüngste Fall von Wahlmanipulationen in Quakenbrück, haben zum schlechten Ruf der Briefwahl beigetragen. Mit fehlendem Demokratiebewusstsein und viel krimineller Energie haben politische Akteure dazu beigetragen, Zweifel an der Legitimation von Volksvertretungen zu säen. Und dass, meine Damen und Herren, ist ein Grund für unseren Antrag, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Es gilt, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler wiederherzustellen. Wiederherzustellen, indem wir aufklären, wie es zu den Wahlfälschungen in Stendal kam und indem wir daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

Die zur Rede stehende Wahlfälschung in Stendal ist, nach allem was bisher bekannt wurde, komplex. Sie hat eine strafrechtliche Dimension und eben eine politische. Die strafrechtliche Dimension wird von der Justiz aufgeklärt - die politischen Fragen müssen hingegen in den Kommunalparlamenten und eben hier im Parlament aufgeklärt werden. Etwaige Versuche mittels kleiner Anfragen, der Befragung der Landesregierung, mit einer aktuellen Debatte oder durch Selbstbefassungsanträge in der sechsten und siebten Wahlperiode brachten jedoch mehr Fragen als Aufklärung. Die bisherigen Aussagen und Erklärungen der Landesregierung und ihr nachgeordneter Behörden, einschließlich der getroffenen Bewertungen, konnten das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit nach Aufklärung nicht vollumfänglich befriedigen. Nicht zur Sprache kam bisher das Tun und Handeln von Organisationen und ihr nahestehender Personen. Das verschließt sich bis heute der normalen Ausschussarbeit und da, wo es versucht wurde, kam der Innenausschuss schnell an seine Grenzen.

In Summe dessen blieb für meine Fraktion nur die Beantragung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses – er ist das geeignete Mittel, die Aufklärung der politischen Dimension voranzutreiben. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist mit konsequenten Aufklärungsmitteln, die mehr Erfolg versprechen, ausgestattet. Er kann Zeugen laden, Zeugen vereidigen, die Beweiserhebung erfolgt öffentlich und der Zugang zu Auskünften und Akten wird deutlich erleichtert. Wir gehen davon aus, dass der Wunsch um umfassende Aufklärung von allen Fraktionen geteilt wird.

Insbesondere im Zusammenhang mit dem Strafprozess gegen den Beschuldigten Gebhardt kam es zu zahlreichen Aussagen und Beweisen, dass die Wahlfälschung eben nicht die Tat eines Einzelnen war. Nicht zuletzt dieser Umstand macht aus unserer Sicht den Untersuchungsausschuss unumgänglich.

Unser Wunsch ist Aufklärung – politische Aufklärung – ob es bei den Kommunalwahlen 2009, 2012 und 2014 zu Manipulationen und zur Verfälschung des Wählerwillens kam. Für diese von mir genannten Wahlen gibt es Anhaltspunkte für Manipulationen des Briefwahlverfahrens und Aussagen des Beschuldigten Gebhardt, dass manipuliert wurde. Die Koalition will die Wahl 2009 ausnehmen. Sie macht Verjährung und die fehlende Unterlagensituation geltend. Meine Fraktion denkt jedoch, dass solange und soweit hier ein System von Briefwahlfälschungen im Raum steht, dieses mit gegebenen Mitteln aufzuklären und zu bewerten ist.

Behaupten wir mal, 2009 war der Anfang. Dann ist es wichtig, zu verfolgen und zu bewerten, wie das Wahlfälschungssystem überhaupt entstanden ist. Und politisch ist das Wort „Verjährung“ ein problematisches. Auch 2015 wollen Sie nicht untersuchen. Warum eigentlich nicht? Wir haben die Wiederholungswahl benannt, weil sich der Untersuchungsausschuss eben auch der Frage widmen soll, ob die Wahlbehörden aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlussfolgerungen gezogen haben. Warum wollen Sie das nicht wissen? Zwei Jahre haben Sie gestrichen, ich denke, wir werden im Ausschuss sehr schnell auch auf diese Jahre zu sprechen kommen. Den diesbezüglichen Änderungsantrag verschließen wir uns.

Wir wollen zunächst den Vorgang der Wahlfälschung selbst aufklären. Konkret die Frage, ob hier ein Einzelner das in ihn gesetzte Vertrauen ausgenutzt hat oder Teil eines auf Betrug angelegten Systems war. Strafrechtlich verfolgt wurden Einzelne, das hat etwas mit unserem Rechtstaat zu tun. Schuld im Sinne des Strafrechts ist immer individuell. Politisch aber steht hinter der Frage der Einzeltäterschaft ein großes Fragezeichen. Ort der Straftat war schließlich nicht die Stendaler Unterwelt, sondern die Kreisgeschäftsstelle der Christlich Demokratischen Union. Soll es wirklich so gewesen sein, dass dort ein Einzelner saß und fälschte und niemand hat etwas gesehen? Kann es sein , dass - schwarzen Waldameisen gleich - fleißige Parteiarbeiterinnen in Stendal Wahlbenachrichtigungskarten und Vollmachten sammelten, um sie guten Glaubens an den Tatort zu befördern, um sie dann nach der Tat wiederum arglos bei den Wahlbehörden einzureichen?

Der Beschuldigte Gebhardt hat behauptet, seine Taten im Auftrag ausgeübt zu haben. Der Auftraggeber bleibt jedoch unbenannt. Das könnte eine Schutzbehauptung sein. Könnte? Es war beredest Schweigen, um mal diesen Fachbegriff zu nutzen. Es war ein Balanceakt vorbei an den drängenden Fragen, die sich auch im Untersuchungsausschuss stellen werden. Was war die Annahme derer, die Wahlbenachrichtigungen und Adressen sammelten? Was hat es mit dem vom Hauptbeschuldigten benannten Ordner mit Adress- und Unterschriftensammlungen auf sich? Was sagt uns die von den Strafverfolgungsbehörden sicher gestellte Datei namens „Wahl Hardy und Holger“? Wie war das Verhalten von einzelnen Personen nach der Wahl? Wer besuchte in wessen Auftrag den Bürger, der mit einer eidesstattlichen Versicherung, keine Briefwahlunterlagen beantragt zu haben, den Stein ins Rollen brachte? Was waren die Motivlagen derer, die Zeugen beeinflusst haben?

Diese Fragen richten sich nach unserem Antrag an Organisationen und ihr nahestehende Personen. Ich gebe der Koalition Recht, wir können das Kind beim Namen nennen und hier von Parteien auch im Einsetzungsbeschluss sprechen.

Ein weiterer Fragenkomplex richtet sich an die Exekutive, namentlich die Landesregierung, deren Bestandteil sowohl Landeswahlleiter als auch das Innenministerium als oberste Kommunalaufsichtsbehörde sind. In allen bisherigen Untersuchungsausschüssen war die Landesregierung, als die dem Parlament verantwortliche Exekutive, Adressat des Untersuchungsausschusses. Man kann also sagen, Ihr Änderungsantrag ist an dieser Stelle ein Novum in der Geschichte bisheriger Untersuchungsausschüsse. Wir lehnen ihn ab, da die Landesregierung nun mal gegenüber dem Parlament für exekutives Handeln verantwortlich ist und wir den Untersuchungsauftrag nicht von vorneherein beschneiden wollen.

Warum Sie den Landeswahlleiter benennen, ist uns unklar, denn ausweislich der gesetzlichen Regelungen des Kommunalwahlrechtes hat er für die Stendaler Wahlen tatsächlich nur Verantwortung für die Feststellung von landesweiten Parteieneigenschaften, einheitliche Wahlscheine und die Wahlstatistik. Interessanter sind in der Tat die Kommunalaufsichtsbehörden, also der Landkreis, das Landesverwaltungsamt und das Innenministerium. Fraglich ist, ob hier durch die obere Kommunalaufsichtsbehörde im Rahmen des Kommunalverfassungsgesetzes mehr Aufsicht hätte erfolgen müssen und ob das Verfahren nicht auf das Landesverwaltungsamt hätte übergehen müssen, weil dies bei einer verbundenen Wahl, bei der auch der Landkreis mit dem Kreistag betroffen war, nach der Kommunalverfassung erforderlich war.

Zu fragen ist, warum die sogenannte Vierer-Regelung, nach der jeder maximal vier Vollmachten einreichen darf, in Stendal keine Beachtung fand? Zu fragen ist, warum wegen bereits erfolgter Wahl zurückgewiesene Vollmachten nicht Anlass für weitergehende Prüfungen waren? Zu fragen ist, wie in den Wahlbehörden damit umgegangen wurde, dass Wählerinnen in den Wahllokalen erschienen, die nach dem Wählerverzeichnis bereits gewählt hatten? Gab es dazu Vermerke? Wurde das dem Kreiswahlausschuss als besonderes Vorkommnis berichtet? Wenn nein, warum nicht? Warum wurde ein offensichtlich unplausibles Briefwahlergebnis vom Wahlleiter als korrekt bezeichnet? Wie wurde mit der Erkenntnis umgegangen, dass die Ausgabe von mehr als vier Wahlscheinen in einer Vielzahl von Fällen erfolgt ist? Wie waren die Beratungsabläufe im Stadtwahlbüro? Wer wurde wie informiert? Warum unterrichtet der Stadtwahlleiter einen örtlichen Landtagsabgeordneten zuallererst über festgestellte Fragen?

Wie konnte es sein, dass ein Bürger, der sich an die Wahlbehörden wandte und die Fälschung seiner Unterschrift anzeigte, Besuch von Dritten bekommt, die ihn bewegen wollen, die Anzeige zurückzunehmen? Wer informiert hier wen? Wer wusste oder ahnte was? Warum wurde das Ergebnis der Kreistagswahl ordnungsgemäß festgestellt, obwohl sich für die verbundene Wahl der klare Verdacht aufdrängte, dass Unregelmäßigkeiten bei der einen Wahl auch Unregelmäßigkeiten bei der anderen Wahl nach sich ziehen? Wer hatte das Interesse hier schnell Tatsachen zu schaffen? Warum beschäftigten sich die Wahlbehörden mit Erklärungen für Manipulationen, statt Schlussfolgerungen zu ziehen? Welche Rolle spielte der örtliche Landtagsabgeordnete der CDU bei diesen Vorgängen? Worin lagen seine Motiv- und Interessenslagen?

Auch diese Fragen bewegen uns, weil es eben seine ungeklärten Widersprüche waren, die auch das höchste Amt im Landtag in Misskredit zu bringen drohte. Wir wollen die Fragen um die Wiederholung der Briefwahl und der dabei aufgetretenen Unregelmäßigkeiten klären. Diese und viele andere Fragen stellen sich im Komplex an die örtlichen Wahlbehörden und ihre Aufsicht. Dem Anschein nach gab es unzulässige Verquickungen zwischen der - nennen wir es mal Stendaler Staats- und Parteiführung. Diese gilt es ebenfalls zu hinterfragen, da Amtsträger in ihrer Amtsführung nun mal unparteiisch sein müssen.

Es wird ein Ausschuss sein, der auf Grund der Komplexität der Fragestellung sicher keine kurze Angelegenheit wird. Zahlreiche Zeugen werden zu vernehmen sein, Akten der Wahl-, Kommunalaufsichts- und Strafverfolgungsbehörden müssen hinzugezogen werden. Auch hier gilt es, Abläufe bei der strafrechtlichen Aufklärung nachzuvollziehen, wo der vom Innenminister verfügte Zuständigkeitswechsel zumindest erläutert werden muss. Meine Fraktion geht davon aus, dass der Ausschuss wohl sehr lange und sehr intensiv arbeiten muss.

Ich freue mich, dass vom CDU-Landesvorsitzenden über die SPD und Bündnis90/Die Grünen alle ihr Interesse an der Aufklärung bekundet haben. Das macht mich sicher, dass dieser Ausschuss sein Ziel, das Vertrauen in das Funktionieren von Wahlbehörden wieder herzustellen, erreichen kann: Durch konsequente Aufarbeitung und die Vorlage entsprechender Schlussfolgerungen.

Wir sind es unseren Bürgerinnen und Bürgern und einem funktionierenden, demokratischen Gemeinwesen schuldig. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag und zur aktiven Mitarbeit im Ausschuss.