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Stefan Gebhardt zu TOP 23 a): Die Gefährdung der journalistischen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die „Causa Brender“

Gestern wählte der ZDF-Verwaltungsrat Herrn Peter Frey zum neuen Chefredakteur. Natürlich wünscht auch meine Fraktion dem neuen Chefredakteur des ZDF alles Gute. Wir wünschen ihm vor allem, dass er es schafft, parteipolitisch unabhängig zu arbeiten, sich nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis von CDU-Ministerpräsidenten begeben und eine Koch-Sendung nach der anderen im ZDF etablieren muss.
Es ist leider notwendig, das zu sagen. Genauso notwendig ist die Aktuelle Debatte, die von der SPD beantragt wurde, weil es in den vergangenen Wochen und Monaten massive Angriffe auf die journalistische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gab und damit auch die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage gestellt wurde.

Die Angriffe gipfelten in der Abwahl de ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender durch eine von der CDU organisierte Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat. Das geschah, obwohl sich ZDF-Intendant Markus Schächter deutlich hinter seinen Chefredakteur stellte und ihn erneut für diese Position vorgeschlagen hatte. Die journalistische Kompetenz von Nikolaus Brender wurde nicht nur vom Intendanten geschätzt. Auch der Fernsehrat des ZDF hat sich in einer Abstimmung hinter den Chefredakteur gestellt. Mehrere Chefredakteure überregionaler Tageszeitungen, der Deutsche Journalistenverband, Gewerkschaften und andere gesellschaftlich relevante Organisationen stellten sich hinter Nikolaus Brender. Der I-Punkt war dann, dass er in dieser Woche vom Medienmagazin „Medium“ zum Journalisten des Jahres gekürt wurde.

Dennoch verweigerte der Verwaltungsrat des ZDF eine Vertragsverlängerung, was einen Tabubruch darstellt. Derartige Tabubrüche und Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen Staatsferne sind jedoch nicht neu. Wenn man einen Blick in die Geschichte unseres Rundfunksystems wirft und sich einmal vor Augen hält, wie unser Rundfunksystem und auch das ZDF entstanden sind, und warum die Kontrollmechanismen heute so sind, wie sie sind.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand im geteilten Deutschland auf der einen Seite, nämlich im Osten, ein lupenreiner Staatsrundfunk. Ich unterstelle, dass niemand im Saal sich ernsthaft nach so etwas zurücksehnt.
Die Erfahrung aus der Nazi-Zeit führte in der Bundesrepublik Deutschland zum Aufbau einer föderalen Rundfunkstruktur. Im Jahr 1950 gründeten sich eigenständige Landesrundfunkanstalten, die sich im gleichen Jahr zur ARD zusammenschlossen. Als Vorbild hierfür diente die britische BBC.

In der Bundesrepublik wurde seitdem der Rundfunk durch Gebühren finanziert und mit Kontrollorganen versehen. In der ARD sind das bekanntlich die Rundfunkräte, die aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Organisationen bestehen und die die Aufgabe haben, die plurale Programmgestaltung sowie die Einhaltung ethischer Grundsätze zu kontrollieren. Da die ARD allerdings von Anfang an kein Bundesfernsehen, sondern ein Zusammenschluss von Länderanstalten war, gab es von Beginn an politische Konflikte. Sie waren vorprogrammiert, weil viele Bundesländer auch zu damaliger Zeit SPD-regiert waren, die Bundesregierung allerdings von der CDU gestellt wurde. Seitdem trägt die ARD auch im CDU-Jargon den nicht liebevoll gemeinten Titel „Rotfunk“.

Über die Entstehungszeit der Rundfunklandschaft findet man übrigens im Fischer-Lexikon auch folgendes Zitat: „Vielfach wurde von politischer Seite ein unausgewogenes Programm zuungunsten der jeweils eigenen Partei unterstellt. Vor allem die CDU fühlte sich im Programm vieler Anstalten nicht hinreichend repräsentiert.“

Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärte, dass er ein politisches Gegengewicht zur ARD installieren wollte. Er versuchte sein Glück mit der Gründung der Deutschland Fernseh GmbH, die dem Bund unterstellt sein sollte. Hier lag allerdings das erste verfassungsrechtliche Problem auf der Hand, nämlich die Kultur- und Rundfunkhoheit, sie war bei den Ländern angesiedelt. Die Folge daraus war, dass die SPD-geführten Bundesländer beim Bundesverfassungsgericht klagten und hier am 28. Februar 1961 in Form des ersten medienpolitischen Verfassungsgerichtsurteils eine Klärung herbeigeführt wurde.

Hierbei wurde im Jahr 1961 erstmals deutlich vom Verfassungsgericht ein Staatsfernsehen untersagt und der Bund nur für die Rundfunktechnik zuständig erklärt. Das war für die damalige Bundesregierung eine schwere Niederlage, die jedoch in einem Kompromiss endete. Bund und Länder verständigten sich darauf, das Zweite Deutsche Fernsehen zu gründen.

Am 6. Juni 1961 wurde der Staatsvertrag unterzeichnet. Um die Frage der SPD in der Begründung der Aktuellen Debatte, nämlich ob die Strukturen im ZDF insbesondere die Unabhängigkeit des journalistischen Arbeitens in jedem Fall gewährleisten, beantworten zu können, muss man sich die Unterschiede zwischen ARD und ZDF vor Augen führen.

Während die ARD ein gemeinsames Programm eigenständiger Landesrundfunkanstalten ist, so ist das ZDF ein gemeinschaftliches Programm der Bundesländer. Die Unterschiede kommen auch bei der Zusammensetzung der Kontrollorgane zum Ausdruck.

Bei den Landesrundfunkanstalten der ARD wird die übergroße Mehrheit von Vertretern gesellschaftlich relevanter Organisationen bestimmt. Dazu gehören: Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Vertreter der Kirchen, von Sozialverbänden, von Kinder-, Jugend und Kulturorganisationen, von Opferverbänden und ausdrücklich auch von den im Landtag vertretenen Parteien. Dort ist also niemals eine Regierungsmehrheit, eine Mehrheit von Regierungsvertretern möglich. Das ist das Entscheidende. Es geht nicht darum, Vertreter aus den Parteien aus den Aufsichtsgremien fernzuhalten, politische Parteien sind zweifellos Bestandteil der gesellschaftlich relevanten Organisationen. Es geht darum, ob Vertreter des Staates ein Übergewicht haben können und somit das Gebot der Staatsferne aushebeln können.

Im Übrigen haben die Vertreter, die in ein Aufsichtsgremium entsandt werden, nicht die Aufgabe, parteipolitisch zu agieren, sondern die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten und zu kontrollieren.

Beim ZDF sieht die Zusammensetzung etwas anders aus. Im dortigen Fernsehrat befindet sich je ein Vertreter eines Bundeslandes, also auch aus Sachsen-Anhalt. Dieser Vertreter wird vom Ministerpräsidenten, also von der Regierung und somit vom Staat entsandt. Auch die drei Vertreter des Bundes beim ZDF werden von der Bundesregierung entsandt.
Die Zusammensetzung des ZDF-Verwaltungsrates macht das Problem deutlich. Von den 14 Mitgliedern sind fünf amtierende Ministerpräsidenten plus der Staatsminister für Kultur und Medien im Amt.
Von den weiteren acht Mitgliedern, die im ZDF Verwaltungsrat tätig sind und vom Fernsehrat entsandt wurden, sind vier ehemalige Minister bzw. Staatssekretäre.

Kann Staatsferne so wirklich funktionieren? Diese Frage müssen wir uns an dieser Stelle deutlich stellen. Oder verfügen die Vertreter des Staates nicht stets über eine eigene Mehrheit?

Der Fall Brender ist nicht der erste Fall von unzulässiger politischer Einmischung des Staates. Im Jahr 1995 fühlte sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl von einem satirischen Beitrag im ARD-Magazin „Monitor“ derart angegriffen, dass er einen offenen Brief an den ARD-Vorsitzenden verfasste und darin äußerte: „Den Fortbestand der ARD vermöge er dem Bürger, der gezwungen ist, für den Bestand der ARD Gebühren zu zahlen, nicht zu vermitteln.“

Im gleichen Jahr folgte ein Stoiber-Biedenkopf-Papier   wieder zwei Ministerpräsidenten  , die in 16 Thesen eine Anklageschrift an die ARD verfassten. Darin stand zum Beispiel, die ARD erhalte zu viel Gebühren, das ZDF zu wenig. Die ARD sei zu einem Konzern des linkslastigen WDR geworden und ihr Programmangebot sei größer als die gesetzlich festgelegte Grundversorgung. Schließlich gipfelte das Papier in dem Satz, ein zweites nationales Vollprogramm neben dem ZDF sei überflüssig.

Den letzten erfolglosen Versuch seitens der Politik, in die Programmhoheit des Rundfunks unzulässig einzugreifen, gab es 1997, als die Rundfunkgebühr deutlich niedriger festgelegt wurde, als von der unabhängigen Kommission, die die Gebühr ermittelt, nämlich der KEF, empfohlen wurde. Hierzu folgte am 11. September 2007erneut ein Verfassungsgerichtsurteil. Hierin stellte das Verfassungsgericht klar, die Länder dürften nicht aus medienpolitischen Gründen von der KEF-Gebührenempfehlung abweichen. In diesem Zusammenhang wurde zuletzt vom Verfassungsgericht die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekräftigt und die Einmischung durch die Politik zurückgewiesen.
Nun haben wir den Fall Brender, bei dem erneut eine politische Mehrheit über die andere gesiegt hat. Dieser Sieg ist aber vor allem eine Niederlage, und zwar eine Niederlage für die Staatsferne und somit für die politische Unabhängigkeit und demokratische Verfasstheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Wie reagierte die Öffentlichkeit auf diesen bisher einmaligen Fall? Ich möchte drei Stimmen anführen.
Die „Frankfurter Rundschau“ titelte: „Staatsferne nur ein schaler Witz.“
Die „Nürnberger Zeitung“ titelte: „Erfolg für parteipolitische Strippenzieher“.
Spiegel Online titelte: „Deutschland ist jetzt Berlusconi-Land“.

Vielleicht sollte das Bundesverfassungsgericht abermals eine Klärung herbeiführen, eine Klärung, die aus meiner Sicht notwendig ist. Wir halten, um es mit aller Deutlichkeit zu sagen, die journalistische Unabhängigkeit und die Staatsferne für ein hohes Gut und demzufolge einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk für unverzichtbar.