Rechte Bedrohung endlich ernst nehmen
Seit den frühen Morgenstunden durchsuchen bundesweit Spezialeinheiten Wohnungen und Räumlichkeiten von Personen, denen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung eines gewaltsamen Staatsstreiches vorgeworfen wird. Dazu erklärt Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt:
„Die Mitteilung des Generalbundesanwaltes benennt die enorme Gefahr der Reichsbürgerszene, auf die Fachstellen und Journalist:innen seit langer Zeit hinweisen. Viel zu oft werden solche Gruppierungen nur belächelt, Akteur:innen als verwirrt dargestellt. Die Abstrusität ihrer Staatsmodelle, Herleitungen und Ideologie führt nicht selten zu einer Verharmlosung. Der Verfassungsschutz gibt an, dass nur ein kleiner Teil der Reichsbürgerszene überhaupt als rechtsextrem einzuschätzen sei.
Die Beschuldigungen, auf denen die heutigen Durchsuchungen basieren, zeigen deutlich das Gefahrenpotential. Die Ideen von einem „souveränen Deutschland“ lassen sich nur mit Gewalt umsetzen. Sie gehen immer einher mit der „Bestrafung“ demokratischer Repräsentant:innen und Verantwortungsträger:innen. Es liegen Hinweise für die Bewaffnung und Ausspähung vor sowie Pläne für eine künftige Regierung.
Eine zentrale Rolle soll dabei eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD und Richterin gespielt haben, die als Justizministerin mutmaßlich federführend für das Vorgehen gegen alle, die als politische Feinde gelistet wurden, verantwortlich sein sollte. Erneut zeigt sich: Die AfD ist der parlamentarische Arm rechten Terrors.
Wir sehen zudem die Radikalisierung der Szene, die maßgeblich mit den Coronaleugner:innen-Demonstrationen ihren Ausdruck fand. Die Markierung als politische Feinde, verbale Attacken und Aufforderungen zu weitergehenden Aktionen, die emotionale Aufladung fanden und finden maßgeblich in Telegramkanälen und bei diesen Demonstrationen statt. Vielfach kam es bereits bei solchen Aktionen zu Übergriffen und Angriffen, wie z. B. das Belagern des Hauses des Oberbürgermeisters von Halberstadt. Sie sind die Vorstufe zu weiterreichenden Angriffen, wie sie mit den heutigen Razzien offenbar verhindert werden sollen. Sie zeigen auch: Mit dem Extremismusbegriff kommt man dem nicht bei. Er ist nicht geeignet, gesellschaftliche Entwicklungen und Bedrohungen zu analysieren.
Besonders besorgniserregend ist der Zugang zu Waffen und die Rolle von Angehörigen des Sicherheitsapparates, insbesondere des KSK der Bundeswehr und der Polizei. Die Durchsuchungsmaßnahmen und die ihnen zu Grunde liegenden Erkenntnisse müssen deshalb endlich Anlass sein, bisherige Einschätzungen, Gefährdungsprognosen und behördliche Maßnahmen in Frage zu stellen. Die seit Jahren wiederholte Einschätzung des Verfassungsschutzes, nur ein kleiner Teil der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene sei rechtsextrem, ist faktisch nicht haltbar. Vielfach haben Versammlungsbehörden und Polizei offenbar keine adäquaten Gefährdungsanalysen getroffen und Angriffe zugelassen. Viel zu oft konnten radikale Rechte und die sie tragende Szene bestärkt aus solchen Aktionen hervorgehen, weil Behörden handlungsunfähig oder nicht handlungswillig waren. Viel zu oft wird der Charakter und die Gefährlichkeit der Szene und ihrer Aktionen verharmlost und werden Alter, Situiertheit und optische Erscheinung als Beleg für Harmlosigkeit dargestellt.
Noch immer sind Komplexe wie Nordkreuz und die Rolle des KSK für rechte Netzwerke ungenügend aufgearbeitet und werden als Einzelfälle dargestellt. Noch immer ist die vom Verfassungsschutz geleitete Unterteilung in „extremistisch“ und „bürgerlich“ maßgeblich für die Beurteilung von Bedrohungslagen. Die heutigen Maßnahmen zeigen: Das ist falsch, brandgefährlich und muss endlich überwunden werden.“
Magdeburg, 7. Dezember 2022