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Nicole Anger zu TOP 32: Die Situation von Menschen mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelits/Chronisches Fatigue Syndrom) in Sachsen‐Anhalt ernstnehmen und verbessern

Sehr geehrte Damen und Herren,

chronische Entkräftung, extreme Erschöpfung und Grippesymptome nach jeder kognitiven oder körperlichen Bewegung, Schmerzen im ganzen Körper, lichtempfindlich, geräuschempfindlich, starke Konzentrationsstörungen, Magen-Darmbeschwerden, eine Fehlbalance des Nervensystems, die zu Herzrasen und Blutdruckentgleisungen führen – DAS – Anrede - IST MECFS - Myalgische Enzephalomyelitis, auch Chronisches Fatigue Syndrom genannt. 

Wir befinden uns im 54. Jahr, in dem Betroffene falsch diagnostiziert, falsch behandelt, ignoriert und als psychisch krank abgestempelt werden. Und dass, OBWOHL diese Erkrankung von der WHO als neuroimmunologische Erkrankung bereits im Jahr 1969 eingestuft wurde – vor eben 54 Jahren. Warum?! Weil die Medizin bisher versagt hat. Es NULL Therapien gibt - weil biomedizinische Forschung fehlt, um die Grundlagen dieser Krankheit, die viele Menschen in ihren Betten festhält und aus dem sozialen Umfeld reißt, zu verstehen.

Weil das bisherige Wissen weder in der Bevölkerung noch beim medizinischen Fachpersonal genügend ankommt - weil eine breite Aufklärungskampagne fehlt. Weil wir wegschauen. Lassen Sie uns das Wegschauen heute beenden - und die Situation für Menschen mit MECFS in Sachsen-Anhalt verbessern. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Fatigue, also Erschöpfung oder Müdigkeit - so die Übersetzung - ist aber keineswegs das, was wir alle unter Erschöpfung verstehen. Der Begriff verharmlost, was Betroffene durchmachen. Denn diese Erschöpfung kann Monate anhalten, wird durch Ruhe kaum besser, kann sogar irreversibel werden.

Betroffene sind nicht zu müde, um etwas zu tun, sondern schlichtweg nicht in der Lage. Weil sämtliche Körperfunktionen bestenfalls auf Sparflamme laufen oder nahezu gänzlich streiken. Der Körper kann keine Energie mehr produzieren für alltägliche Tätigkeiten.  

ME/CFS ist die schwerste Form in Folge von Long-Covid und kann sich auch nach Impfung entwickeln. Rund 20% der Long-Covid-Fälle entwickeln sich unumkehrbar zu ME/CFS weiter. ME/CFS kann aber auch durch andere Virusarten ausgelöst werden, wie etwa durch das Epstein-Barr-Virus. In selteneren Fällen kann ME/CFS auch durch Unfälle und Verletzung der Halswirbelsäule sowie Traumata ausgelöst werden. 

Wie Sie hören, handelt es sich, anders als propagiert NICHT um eine neue oder gar seltene Erkrankung, sondern vielmehr steht dieser Begriff für einen postviralen Zustand.
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Etwa 25% von den Erkrankten sind bettlägerig, und damit zu 100% pflegebedürftig. 60% sind arbeitsunfähig. ALLE leiden unter zahlreichen Einschränkungen. 

Frauen sind doppelt so häufig betroffen als Männer, außerdem betrifft es eher jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Viele Kinder und Jugendliche sind betroffen. 

Die am schwersten Betroffenen liegen 24/7 in einem dunklen Raum, tragen eine Augenbinde, die das restliche Licht abhält, tragen Ohrstöpsel, um alle Geräusche zu dämpfen. Sie sitzen nicht, sie lesen nicht, sie spielen nicht mit ihren Kindern, sie schauen nicht aus dem Fenster, sie sprechen nicht. Sie ertragen keine Berührung ohne Schmerzen zu erfahren. Essen besteht aus pürierten Mahlzeiten, einige haben eine Magensonde, weil die Kraft zum Arm heben fehlt.

Sie verlieren ihr Leben, ohne dabei zu sterben. 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

PEM - das Kardinalsymptom (Post Exertional Malaise) ist eine ganz spezielle Belastungsintoleranz und verursacht die Verschlechterung des Zustandes bereits nach geringer Anstrengung. Ein umgangssprachlicher “Crash” kann z.B. durch Zähneputzen, Duschen, ein ganz kurzes Gespräch z.B. mit dem:der Ärzt:in ausgelöst werden. Die Auswirkung einer Belastung zeigt sich allerdings zeitverzögert. Alle Symptome werden dann ZEITVERZÖGERT bis zu 72 Stunden schlimmer und unerträglich.   Und das ist das, was es mitunter schwer diagnostizierbar macht.

Deshalb erfordert die Belastungsintoleranz ein drastisches Umdenken. Medizinische Fachkräfte, Pflegefachkräfte, Physiotherapeut:innen und Mitarbeitende in Reha-Einrichtungen müssen DRINGEND dafür sensibilisiert werden, dass nicht Aktivierung hilft, sondern das sogenannte Pacing.

Pacing meint, seine Kräfte neu einteilen zu lernen, nie an die Belastungsgrenze zu gehen. Ein individuelles Energiemanagement, um die eigene Zustandsverschlechterung zu verhindern. Das heißt dann zum Beispiel, dass eine betroffene Person den ganzen Tag im abgedunkelten, geräuscharmen Raum im Bett zubringt, um so beispielsweise den anstehenden Arzttermin zu absolvieren. Sie dürfen NICHT zur Aktivität über ihre Grenze, und die ist ganz individuell, motiviert werden. Denn die Motivation bringen sie von allein mit, sie wollen alle ihr Leben zurück, sie sind NICHT depressiv.

Aber sie müssen das Verzichten zu akzeptieren lernen.  Verzichten worauf? Auf Sport, Freund:innen, Familie Sport, ihre Arbeit, die Natur - kurzum: Verzichten auf das ganz normale Leben.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Immer wieder habe ich von Betroffenen geschildert bekommen, dass sie aus der Reha immobiler rauskamen, als sie hingingen. Quasi auf Krücken rein im Rollstuhl oder gar liegend im Krankentransport wieder raus. Weil Pacing nicht beachtet wurde. Eine Reha kann in diesem Falle also dauerhafte Schäden und eine irreversible Zustandsverschlechterung verursachen.

Im Bericht steht dann oftmals: Reha verweigert. Man unterstellt, die Betroffenen hätten ihre Mitwirkung nicht erfüllt. In der Folge werden Rentenbescheide dann abgelehnt. Betroffenen fehlt dann nicht nur das soziale Leben, sondern sie rutschen auch noch in die Armut und es kommen zusätzlich belastende Existenzängste dazu.

Hoch problematisch: Die Versorgungslage - auch landesweit! Es gibt im gesamten Bundesgebiet nur zwei Schwerpunktambulanzen – München und Berlin. In München für Kinder und Jugendliche, in Berlin finanziert durch Spendengelder. Durch Überlastung sind diese nur noch bundeslandweit ausgerichtet. Betroffene sind vom Gesundheitssystem vergessen. Laut meiner kleinen Anfragen gab es bis heute nicht eine einzige Fort- und Weiterbildung, die zu ME/CFS von der Ärztekammer angeboten wurden.

Durch fehlende spezifische Angebote an Fort- und Weiterbildungen zu ME/CFS kommt es bei Ärzt:innen und Pflegepersonal zu Unkenntnis, dazu fehlt eine Anlaufstelle für Betroffene. Die Landesregierung begründet bis dato das Ausbleiben einer Ambulanz damit, dass ja noch das Grundlagenwissen dazu fehle. Da haben wir den Teufelskreis.

Das darf so nicht weitergehen!

Wir brauchen Forschung UND Sensibilisierung.

Eine Anlaufstelle ist wichtig, um Symptommanagement zu gewährleisten. Um zuvorderst die Diagnose zu stellen und Betroffene nicht im Stich zu lassen. Fehldiagnosen, falsche Behandlungen müssen endlich ein Ende haben. Und das gelingt nur, wenn wir es gemeinsam schaffen, mehr Sensibilität und mehr Kenntnisse zu diesem Krankheitsbild zu erwirken, und nicht die Verantwortung allein beim Bund sehen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Deutschlandweit sind über 300.000-400.000 Menschen betroffen, davon etwa 40.000 Kinder und Jugendliche. In Sachsen-Anhalt gehen wir aktuell von mindestens 9.000 Betroffenen bis zu 17.000 Betroffenen aus – Tendenz zur Verdoppelung. Meine Kleinen Anfragen dazu haben ergeben, dass allein bei der AOK Sachsen-Anhalt im Jahr 2021 2.945 Frauen und 1.134 Männer, insgesamt also 4.079 Fälle von CFS die bekannt sind. Und das sind nur die Zahlen einer einzelnen Krankenkasse. 

Davon ausgehend, dass etwa ein Viertel von ihnen vollständig pflegebedürftig ist und rund zwei Drittel aller Erkrankten arbeitsunfähig sind, stehen dem verschwindend geringe Zahlen der Erwerbsminderungsrente gegenüber. Und zwar laut meiner Kleinen Anfrage genau 33 anerkannte Erwerbsminderungsrenten! 33 bei über 4.000 Betroffenen. Und ich wiederhole, das sind nur die Zahlen einer einzelnen Krankenkasse.


Sehr geehrte Damen und Herren,

die Betroffenen, die nicht einmal Kraft haben, einen ganz normalen Alltag zu schaffen, sind wegen Unkenntnis der Entscheidungsträger gezwungen, sich nun auch noch in Widersprüche, Klagen und Rechtsstreitigkeiten zu begeben. Oft nehmen Betroffene daher die Ablehnungen hin, weil sie schlichtweg nicht die Kraft haben, den Klageweg zu gehen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

es braucht Aufklärung und Sensibilisierung auch bei den Mediziner:innen aber ebenso bei den Krankenkassen, der Rentenversicherung, Rehaeinrichtungen und dem Versorgungsamt, bei den Gutachter:innen des MD, denn all diese entscheiden und behandeln über diese schwer erkrankten Menschen.
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Betroffenen sind zu krank, um allein für mehr Hilfe zu kämpfen.

Es ist unsere politische Verantwortung, hier die Weichen zu stellen und den entsprechenden Weg zu gehen.

Dass die Bundesregierung die versprochenen Forschungsgelder nun mit dem vorliegenden Entwurf des Bundeshaushaltes wieder kassiert, ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Als Land dürfen wir uns hier nicht länger auf den Bund verlassen. Die Betroffenen haben keine Zeit zum Warten. Wir müssen handeln und wir müssen die Gegebenheiten hier bei uns im Land im Interesse aller ME /CFS-Erkrankten anpacken und verbessern.

Dazu will unser Antrag beitragen und ich bitte um entsprechende Unterstützung. Es ist unsere politische Verantwortung, die Menschen nicht aus dem System zu werfen. Wir haben es in der Hand und können viel dafür tun, dass es ihnen besser geht.