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Monika Hohmann zu TOP 8: Aussprache zur Großen Anfrage zur Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt, Handlungsmöglichkeiten gegen Armut

Sehr geehrte Damen und Herren, mit unserer Großen Anfrage zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Sachsen- Anhalt wollte meine Fraktion den Versuch unternehmen, herauszufinden, wie sich die Lage der Kinder und Jugendlichen im Land, insbesondere in den Landkreisen und kreisfreien Städten in den verschiedenen Lebensbereichen darstellt.

Trotz der recht umfangreichen Antworten blieben einige Angaben sehr lückenhaft. Insbesondere dann, wenn sie statistisch nicht erfasst werden, aber dennoch für die Arbeit vor Ort nötig sind. So lassen sich beispielsweise in der Sozialberichtserstattung keine Armutsgefährdungsquoten für einzelne Landkreise und Kreisfreie Städte darstellen und in einigen Landkreisen kann nicht ermittelt werden, wieviel Kinder beitragsfrei in der Kita oder im Hort betreut werden.

Das Ergebnis der Großen Anfrage kann so zusammengefasst werden: Die Erfahrungen von Armut, schlechter Gesundheit oder schlechten Bildungschancen in der Kindheit haben tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben im Erwachsenenalter. Armut wird innerhalb der Generationen weitergegeben.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte nun einige Bereiche der Anfrage näher beleuchten. Im ersten Teil ging es uns um übergreifenden Aspekte, Begriffsbildungen und Vergleiche mit anderen Bundesländern. Drei wesentliche Ergebnisse lassen sich schlussfolgern: 1.Von 300 000 Kindern unter 18 Jahren waren 2015 ca. 83000 armutsgefährdet, Platz 13 im Bund. 2. Alleinerziehende sind mit fast 44% dreimal so hoch gefährdet wie die landesdurchschnittliche Armutsgefährdungsquote von 14,5%. 3. die Armutsgefährdungsquote bei Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei 43,4% gegenüber 17% bei Menschen ohne Migrationshintergrund.

Der 2. Teil der Anfrage widmete sich dem Thema „Einkommen“. Die Armutsgefährdungsgrenze lag 2015 für einen Ein- Personen- Haushalt bei 832 €. Bei einem Haushalt mit einem Erwachsenen und 1 Kind unter 14 Jahren bei 1082 €.

Auf die Frage, ob die Gewährung sozialer Leistungen bspw. aus dem Bildungs- und Teilhabepaket auch Kinderarmut verhindern kann, antwortet die Landesregierung mit Ja. Trotzdem sieht sie auf Bundesebene noch Handlungsbedarf, um Kinderarmut entgegenzuwirken. Hier nennt sie die Prüfung neuer konzeptioneller Ansätze, die in der Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialminister/innenkonferenz beraten werden. So wird sich dieses Gremium auch mit dem Thema der armutsfesten Grundsicherung befassen. Ein Thema, welches auch von dem bundesweiten Bündnis KINDERGRUNDSICHERUNG, einen Zusammenschluss von neun Wohlfahrts- und Familienverbänden sowie Gewerkschaften und dreizehn WissenschaftlerInnen, gefordert wird.

Ein weiterer Themenkomplex beschäftigte sich mit den Insolvenzen im Land. Schulden sind nicht nur Belastungen für Erwachsene, sondern treffen auch immer wieder Kinder in den Familien. Differenzierte Angaben zum Anteil von Familien mit Kindern im Insolvenzverfahren liegen nicht vor. Doch aus den geförderten Verbraucherinsolvenzberatungsstellen war zu erfahren, dass sich ca. 43-46% der Familien an die Beratungsstellen wenden. Davon sind die Hälfte Alleinerziehende mit einem oder mehreren Kindern. Schaut man sich die Verbraucherinsolvenzen in den einzelnen Landkreisen an und stellt die Anzahl der Schuldnerberatungsstellen dem gegenüber, besteht hier noch Handlungsbedarf bei der Förderung von Beratungsstellen.

Auf die Frage nach präventiven Maßnahmen verwies die Landesregierung auf die Bildungspläne der jeweiligen Schulform im Land. Das, meine Damen und Herren, ist für uns zu wenig. Hier hätten wir uns mehr Ideen gewünscht, wie zum Beispiel die weitere Ausgestaltung von Schuldnerberatungsstellen aussehen könnte.

Im Kapitel III „Abhängigkeit von sozialen Leistungen“ wollten wir erfahren, wie hoch die regionale Inanspruchnahme staatlicher Leistungen wie Wohngeld, Unterhaltsvorschuss oder Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sind. Beim Unterhaltsvorschuss ist ein Rückgang des Leistungsbezugs für Kinder, die jünger als 12 Jahre sind, zu verzeichnen. Es ist aber nicht ersichtlich, ob der Rückgang mit der Anspruchsdauer des UVG zusammenhängt. Deshalb können wir es nur begrüßen, dass die Entfristung des Unterhaltsvorschusses ein wichtiger und richtiger Schritt zur Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden und ihren Kindern ist. Die derzeitig gestiegene Anzahl der Antragssteller*innen in den Landkreisen bestätigen dies.

Zur Beitragsfreiheit in den Kindertagesstätten haben die Landkreise und kreisfreien Städte unterschiedlich Auskunft gegeben. Keine Antwort lieferte der Landkreis Stendal. Da die Stadt Magdeburg über die im KiFöG hinausgehende Entlastungen für Eltern bereitstellt, kann hier zwangsläufig kein Zusammenhang zwischen Beitragsfreiheit und Armutsgefährdung gezogen werden. Es ist begrüßenswert, dass die Stadt Magdeburg weitere Möglichkeit gefunden hat, Eltern zu entlasten. Ca. 42% der betreuten Kinder bezahlen keinen Beitrag. Insgesamt liegt der prozentuale Anteil der beitragsfrei gestellten Kinder an der Gesamtzahl der betreuten Kinder bei ca. 25%. Das heißt, jedes 4. Kind im Land wird beitragsfrei betreut.

Sehr geehrte Damen und Herren, über die Wirksamkeit des vor 6 Jahren eingeführten Bildungs- und Teilhabepaketes haben wir uns auch informieren lassen. Positiv hervorzuheben ist die zunehmende Inanspruchnahme dieser Leistungen. So stiegen die Leistungen im Umfang von 9 Millionen Euro im Jahr 2011 auf 16,7 Millionen Euro im Jahr 2016, bei insgesamt rückläufigen Zahlen hilfsbedürftiger Kinder und Jugendlicher. In Sachsen- Anhalt liegt die Nutzung des BuT über den Bundesdurchschnitt. Besonders gut werden die Leistungen zum Mittagessen, für Klassenfahrten und zum Schulbedarf angenommen. Außerschulische Lernförderung und Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben werden am geringsten nachgefragt. Bei der Lernförderung liegt das Hauptproblem darin, dass es lediglich der Verhinderung des Bildungsabstiegs dient und nicht darauf angelegt ist, dass Nachhilfeschüler ihre Bildungschancen verbessern. In der Regel ist damit die Versetzung in die nächst höhere Klasse gemeint. Häufig können die Leistungen für kulturelle und gesellschaftliche Angebote nicht genutzt werden, da sie nicht die Kosten decken. Dies hat nicht nur mit höheren Beiträgen für Vereine oder Musikschulen zu tun, sondern auch mit erforderlichen Fahrtkosten, insbesondere in Flächenlandkreisen, die nicht erstattungsfähig sind. Auch scheitert eine Teilnahme von Kindern und Jugendlichen daran, dass diese Angebote vor Ort nicht verfügbar sind. Hier regt die Landesregierung eine Investition in die Infrastruktur an. Weiterhin sieht sie noch gesetzgeberische Möglichkeiten zur Verbesserung am BuT. So wäre es vorstellbar, die Zuzahlung beim Mittagessen wegfallen zu lassen, die Erhöhung der Schulbedarfspauschale von 100 auf 150 Euro anzuheben sowie der Wegfall der Folgeanträge.Die Landesregierung hat sich für diese Vorschläge auf Bundesebene stark gemacht und wird es auch weiterhin tun.

Sehr geehrte Damen und Herren, im Komplex zu den Bildungschancen war ich etwas irritiert. So fragten wir nach den Zusammenhängen zwischen Bildungschancen und sozialen Umfeld- Bedingungen der Kinder und Jugendlichen und erfuhren hier, dass es zwei nicht veröffentlichte Studien von Frau Prof. Dr. Claudia Becker von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gibt. Die Studien führen aus,“ dass in den vergangenen Jahren zwar eine deutliche Bildungsexpansion und durchschnittlich höhere Abschlüsse zu verzeichnen sind, aber die soziale Herkunft der Kinder und Jugendlichen nach wie vor einen großen Einfluss auf spätere Studien- bzw. Berufsabschlüsse hat.“ Weiterhin weisen die Studien auf eine Tendenz der Vererbung von Schulabschlüssen hin. Je höher der Abschluss der Eltern, desto höhere Abschlüsse erreichen auch die Kinder. Fast 67 Prozent der Kinder von Eltern mit Universitätsabschluss schließen ihre Schullaufbahn mit dem Abitur ab aber nur 15 Prozent der Kinder, deren Eltern eine Lehre oder eine Berufsausbildung als höchste berufliche Abschlüsse angegeben haben.

Die Frage nach konkreten Maßnahmen und Initiativen, die künftig zu ergreifen sind, um allen Kindern und Jugendlichen einen gleichberechtigten Bildungsweg, unabhängig von Status und Einkommensverhältnissen der Eltern zu öffnen, beantwortete die Landesregierung kurz und knapp. Zum einen führt sie die Betreuung in der Kita an (welche derzeit im Umfang für alle Kinder infrage gestellt wird) und zum anderen verweist sie auf eine einkommensunabhängige Umsetzung des bestehenden Bildungsauftrages an den Schulen des Landes. Ebenfalls liegen Erkenntnisse vor, die sich aus den Schuleingangsuntersuchungen ziehen lassen. Auch hier sind die Entwicklungsdefizite der Kinder vom Sozialstatus der Eltern abhängig. So schnitten Kinder mit niedrigem Sozialstatus in der Grob- und Feinmotorik, bei der Artikulation, in der Grammatik und in der geistigen Entwicklung schlechter ab, als Kinder im mittleren Sozialstatus und diese wiederum schlechter als Kinder mit hohem Sozialstatus. Hier gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit dieser Kreislauf durchbrochen wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, im Lebensbereich Wohnen ist anzumerken, dass der Anteil der Sozialwohnungen mit Belegungsbindung deutlich abnimmt. Die Landesregierung spricht gegenwärtig von einem entspannten Wohnungsmarkt. Doch ich meine, hier müsste differenzierter geschaut werden. So ist es häufig schwieriger, geeigneten und bezahlbaren Wohnraum für Familien mit mehreren Kindern zu finden, gerade wenn sie Sozialleistungen beziehen.

Ebenfalls kritisch anzumerken ist die Situation im Land, wenn Strom-, Wasser- oder Gassperren erfolgen oder sogar Zwangsräumungen für Familien mit Kindern anstehen. Die Frage nach ausgereichten Darlehen oder nach Unterstützung dieser Familien fiel eher bescheiden aus. So teilte der Landkreis Jerichower Land mit, dass zwischen ihm und dem Diakonischen Werk im Jerichower Land zwei vertragliche Bindungen bestehen. Im Rahmen einer „Sozialen Wohnhilfe“ soll mittels Beratung und Betreuung Obdachlosigkeit vermieden werden. Auch im Landkreis Stendal informieren die Ordnungsämter der Kommunen bei Bedarf die Ämter des Landkreises (Sozialamt, Gesundheitsamt, Jugendamt). Die Mitarbeiter/-innen des Landkreises nehmen Kontakt zu den betroffenen Familien auf und unterstützen diese bei der Suche und Neuanmietung einer Wohnung. Trotz steigender Zwangsräumungen in einzelnen Amtsgerichtbezirken sieht die Landesregierung hier keinen Handlungsbedarf für unterstützende Maßnahmen.

Sehr geehrte Damen und Herren, im vorletzten Fragekomplex beschäftigten wir uns mit dem Lebensbereich Gesundheit. Die Landesregierung stellte fest, dass Kinder und Jugendliche in armen oder von Armut bedrohten Familien stärker von gesundheitlichen Problemen betroffen sind. Die Dokumentation der Reihenuntersuchungen der Kinder- und Jugendärztlichen Dienste der Gesundheitsämter Sachsen-Anhalt belegen dies sehr deutlich. Adipositas, Kariesbefall, ADHS, Sprachstörungen und Verhaltensauffälligkeiten steigen bei Kindern mit niedrigem Sozialstatus.

Aus den Projekten, Initiativen und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, die das Land aufgelegt hat, sind von ehemals 13 Angeboten nur noch 5 übriggeblieben. Auch erscheint es uns zu wenig, wenn die Landesregierung auf die Maßnahmen der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung (die ständig zittern muss, ob sie im Haushalt des Landes weiter gefördert wird) und dem Präventionsgesetz des Bundes hinweist. Hier muss sich unbedingt etwas ändern. Zarte Pflänzchen, wie sie sich in den Landkreisen Mansfeld- Südharz oder im Saalekreis entwickelt haben, sind zu unterstützen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, im letztem Teil unserer Großen Anfrage wollten wir uns zum Freizeitverhalten und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben berichten lassen. Es ist anerkennenswert, dass trotz der Haushaltslage vieler Kommunen in 5 von 11 Landkreisen und in allen Kreisfreien Städten Sozial- und Familienpässe angeboten werden. Diese sind recht verschieden ausgestattet und werden auch sehr unterschiedlich in Anspruch genommen. So bezifferte die Stadt Magdeburg ihre Ausgaben für das Familienticket der MVB auf 428 756€ für das Jahr 2016 und der Harzkreis seine Ausgaben mit 151 620€.

Aus der Studie „Die Bedeutung des Raumes für die intergenerationale Übertragung von Armut“ von Frau Prof. Dr. Becker geht hervor, "dass Einkommensarmut und Teilhabearmut nicht grundsätzlich zu entkoppeln sind, weswegen die Bekämpfung von Einkommensarmut eine notwendige Voraussetzung bleibt, um viele Aspekte der Teilhabe zu verbessern“ aber auch: „Ebenso wichtig ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Angeboten einer kulturellen und sozialen Infrastruktur und die Wahrnehmung dieser Angebote durch die Familien bzw. Kinder und Jugendlichen, um soziale und kulturelle Teilhabe zu erreichen.“ Und hier meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir als Land noch erheblichen Nachsteuerungsbedarf.

Deshalb ist es zukünftig noch wichtiger, ressortübergreifend zu arbeiten. Ein Anfang ist erfolgt, wie uns in der letzten Sitzung des Sozialausschusses mitgeteilt wurde. So prüft das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr im Rahmen des jugendpolitischen Programmes die Umsetzung eines Leuchtturmprojektes zum kostenfreien Schülerticket.

Abschließend möchte ich sagen, dass die Fraktion DIE LINKE weiter am Thema „Kinderarmut“ dranbleiben wird und sehr froh ist, dass sich auf Landesebene das „Netzwerk gegen Kinderarmut“ gegründet hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!