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Monika Hohmann zu TOP 02: Korruption in der Pflege beenden - Qualitätskriterien der Pflege fachgerecht definieren

Als vor einem Monat die Antikorruptionsorganisation Transparency ihren Bericht veröffentlichte ging dies – völlig zu Recht – bundesweit durch alle Medien. Wir kennen die Halbwertzeit von Nachrichten in der Politik und so wundert es wenig, dass dieses Medienecho schon wieder verhallt ist. Und dennoch: Transparency ist für diese „Schwachstellenanalyse“ unseres Pflegesystems zu danken. Schließlich ist die Pflege ein zunehmend wichtigerer Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Es ist also die Aufgabe der Politik, sich die aufgeführten Problempunkte genauer anzuschauen und adäquate Konsequenzen daraus zu ziehen.

Es scheint hilfreich, sich vorab über offene Fragen zu verständigen. So etwa:

  • Wo hören Ungenauigkeiten bei der Abrechnung von Pflegeleistungen auf und wo beginnt der Betrug?
  • Wo hört der einzelne Betrugsfall auf und wo beginnt Korruption?

Das ist tatsächlich nicht immer ganz einfach zu entscheiden. Wenn etwa eine Pflegekraft eine Leistung abrechnet, die sie nicht vollbracht hat, ist das Betrug. Klar, das scheint eindeutig. Doch wie ist der Vorgang in Gänze zu bewerten, wenn sie dieses zusätzliche Kreuz auf dem Formblatt dafür gesetzt hat, um einer offenkundig einsamen Pflegebedürftigen Zuwendung zu spenden - eine menschliche  und zeitliche Leistung, die sie eben nicht abrechnen kann?  

Ein ganz anderes Kaliber ist dagegen das von ZDF-Frontal 21 veröffentlichte Beispiel der sogenannten „Wanderoma“: Ein Pflegedienst engagiert eine alte Frau, die sich in verschiedenen Wohnungen vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen begutachten lässt und jeweils eine Pflegestufe erhält. Die Pflegeversicherung zahlt, es wird aber nichts geleistet. Das ist wahrlich schwerer Betrug an unseren Pflegeversicherungsbeiträgen. Wir müssen dringend klären, warum solche Machenschaften überhaupt möglich sind.

Kommen wir zu den vermeintlichen Kavaliersdelikten: Pflegeheime verlangen von Ärzten einen Bonus dafür, dass sie deren Bewohner als Patienten bekommen; Einkäufer von Heil- und Hilfsmitteln (Windeln, Krücken, Rollatoren etc.) der Pflegeketten werden durch Vergünstigungen oder Boni-Zahlungen der Hersteller beeinflusst; Pflegedienste „verkaufen“ lukrative Patienten an andere Pflegedienste.  Pflegebedürftige erhalten Präparate, an deren Umsätze ihre vermeintlich nur fachlich orientierten Berater beteiligt sind (Ernährungsberater oder „Wundmanager“). Diese und andere Vorgänge in unserem Pflegesystem hat Transparency u.a. durch Experteninterviews ermittelt.

Nun mag man einen Streit über die Schwere der einzelnen Punkte führen können, eines sollte aber Konsens sein: Diese Vorkommnisse haben in der öffentlichen Daseinsvorsorge nichts zu suchen und müssen abgestellt werden.

Mit der Föderalismusreform 2006 wurde die Verantwortung für das Heimrecht vom Bund auf die Länder übertragen. Sozial- und Behindertenverbände hatten vor diesem Teil der Föderalismusreform gewarnt. Denn die Probleme der klammen Kassen von Ländern und Kommunen – so wurde nicht zu Unrecht argumentiert – werde dann für die Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Pflegekräften die ohnehin schon schlechten Rahmenbedingungen in der Pflege noch zusätzlich erschweren. Inzwischen haben bis auf Thüringen alle Bundesländer ein eigenes Heimgesetz.  D.h., wir haben 15 verschiedene Heimgesetzte (eigentlich sogar 16, denn in Thüringen gilt noch das alte Bundesheimgesetz). In jedem Fall hat diese Entwicklung dazu beigetragen, die mangelnde Transparenz in der Pflege zu verschärfen. Alle Länder eint allerdings eines: sie könnten zwar hohe Ansprüche an die Pflege in ihren Gesetzen vorgeben, doch ob diese Ansprüche in der Realität auch haltbar sind, dass hängt von wesentliche Maßgaben ab, die auf Bundesebene entschieden werden. Oder vielleicht besser formuliert: eben nicht entschieden werden. Kernproblem ist seit langem die chronische Unterfinanzierung der Pflegeversicherung. Ich will hier nicht in die Tiefe gehen, sondern erinnere an Anträge der Linken auf Landes- wie auf Bundesebene für eine solidarische Bürgerversicherung. (zuletzt im Juliplenum via Änderungsantrag; Drs. 6/2147)

Also: das Problem der Unterfinanzierung besteht und wird sich angesichts der demographischen Entwicklung noch drastisch verschärfen. Hinzu kommt nun aber, dass nicht nur zu wenig Geld im System ist, sondern dieses zu wenige Geld zumindest zum Teil in die falschen Taschen fließt. D.h., dieses Geld fehlt den Pflegebedürftigen und es kann auch leider nicht dafür verwendet werden, die beschämend niedrigen Tarife der Pflegekräfte zu erhöhen.

Wir setzen uns daher mit unserem Antrag dafür ein, eine Antikorruptionsabteilung bei der Landesheimaufsicht anzusiedeln. Diese soll einerseits Fälle von Betrug und Korruption aufdecken (dazu gehört z.B. die Geschäftsverbindungen zwischen Pflegeketten und Heilmittelherstellern zu überprüfen) und andererseits aus der Erfahrung dieser Arbeit Vorschläge für politische Maßnahmen zu entwickeln. Diese Maßnahmen müssen darauf zielen, die strukturellen Einfallstore für Korruption zu beseitigen. Außerdem müssen Fehlanreize im System aufgedeckt und abgebaut werden. D.h., ein pflegebedürftiger Mensch soll immer die Anwendungen, Therapien usw. bekommen, die er auch benötigt. Und nicht die, die der Pflegeeinrichtung, dem behandelnden Arzt oder dem Heilmittelvertreiber das beste Geschäft bedeuten.

Außerdem möchten wir auf Bundesebene strengere gesetzliche Rahmenbedingungen für die Pflege erreichen. Nicht zuletzt sollte sich damit der sogenannte Pflege-TÜV des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zu einem tauglichen und transparenten Instrument entwickeln. Es ist ein blanker Hohn, wenn alle unsere Einrichtungen offiziell sehr gute Noten erhalten und die Erfahrungen vieler Pflegebedürftiger oder deren Angehöriger gänzlich andere sind. Viele von uns Abgeordneten – das gilt sicher fraktionsübergreifend – sind doch schon ein- oder mehrfach auf Missstände in Pflegeeinrichtungen angesprochen worden.

Mir ist schon jetzt klar, dass die CDU in ihrem Redebeitrag gleich das große Wort für die Einführung einer Pflegekammer sprechen wird. Es quasi als Allheilmittel der Probleme in der Pflege darstellen wird. Wir hatten das Thema ja gerade erst im Juli-Plenum auf der Tagesordnung. Die Untersuchung von Transparency bestätigt uns in unserer Skepsis. Denn ein zentrales Argument, dass wir gegen die Einrichtung einer Pflegekammer aufgelistet hatten, war die fehlende Vertretung der Interessen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. In der Schwachstellenanalyse von Transparency wird ein genereller Problempunkt als  „Anbieter-Lobbyismus“ bezeichnet. Es sind die Gewinninteressen der Investoren im boomenden Pflegemarkt, die zunehmend die Pflege gestalten und eben nicht die eigentlichen Bedarfe und Bedürfnisse der Bevölkerung. Als Linke können wir nur gebetsmühlenartig wiederholen: Gewinnorientierung hat in der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht zu suchen.

Mit der Einrichtung einer Pflegekammer würden wir quasi Aufgaben der Politik an die Pflegeanbieter übertragen. Inklusive bestimmter Richtlinienkompetenzen. Das lehnen wir als LINKE ab. Die Politik ist in der Verantwortung und sollte auch so handeln. Wenn Betrug und Korruption einen Raum in der Pflege finden konnten, müssen wir das abstellen. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag.