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Monika Hohmann zu TOP 01: Entwurf eines Gesetzes über die Einführung eines Jugendarrestvollzugsgesetzes und zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt

Bereits bei der öffentlichen  Anhörung in der 17. Sitzung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung am 7. September 2012,  konnte man aus sehr interessanten Stellungnahmen der Fachexpertinnen und Fachexperten ableiten, dass ein Umdenken beim Vollzug des Jugendarrestes in Sachsen–Anhalt angesagt ist. Was wir heute benötigen, ist eine ressortübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit, so die Meinung der Fachleute. Mit unserem Antrag haben wir dieses Anliegen aufgegriffen und wollen in Sachsen-Anhalt neue,  pädagogisch moderne Wege beim Vollzug des Jugendarrestes gehen.

Die beabsichtigten erzieherischen Effekte des Jugendarrests, welche der § 90 Abs.1 Jugendgerichtsgesetzes (JGG) enthält, sind nach unserer Auffassung derzeitig sehr umstritten. Schaut man sich die aktuelle Situation in der Jugendarrestanstalt Halle an, wo momentan nur eine halbe Stelle einer Sozialpädagogin existiert, ist klar festzustellen, dass der Erziehungsgedanke im Jugendarrest in Sachsen-Anhalt keine Rolle spielt. Freiheitsentziehende Maßnahmen bei Jugendlichen und Heranwachsenden müssen aus unserer Sicht  immer einhergehen mit einer intensivpädagogischen Betreuung. Diese wichtige und auch schwierige Aufgabe muss von hochqualifizierten pädagogischen und therapeutischen Fachkräften aus der Jugendhilfe geleistet werden.

Die Praxis verfügt schon heute auf anderen Gebieten über ausgezeichnete  geeignete sozialpädagogische Methoden und Rahmenbedingungen. Deshalb möchten wir diese in modernen, offenen Vollzugsformen initiieren. Dabei ist uns eine, aus pädagogischer Sicht, räumliche, wirtschaftliche und personelle Trennung von den Einrichtungen des übrigen Strafvollzuges sehr wichtig.
Auch die  stärkere Implementierung sozialpädagogisch-therapeutischer Kompetenz im Vollzug des Jugendarrestes, ist für den Umstrukturierungsprozess unumgänglich. Deshalb halten wir es für notwendig, Alternativprojekte einzurichten und zu fördern, um eine individuelle Intensivbetreuung der Jugendlichen sicher zu stellen. Dazu bedarf es einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit von Institutionen wie dem Jugendamt, der Jugendgerichtshilfe, Beratungsstellen und dem Allgemeinen Sozialen Dienst während des Arrestes. Ein Konzept der pädagogischen Ausgestaltung ist zwischen Justiz und Jugendhilfe unerlässlich. Dieses soll sozialpädagogische Standards und Methoden, die den speziellen Rahmenbedingungen sowie Vollzugszielen und Grundsätzen des Jugendarrestes gerecht werden, beinhalten und nicht mit der Entlassung der Jugendlichen enden.

Obwohl im SGB VIII im § 87b von einer sechsmonatigen Nachsorge gesprochen wird, können wir konstatieren, dass hier noch erhebliche Ressourcen vorhanden sind. Deshalb sollten den Jugendlichen gerade in der Zeit nach dem Arrest gezielte Hilfen und breite Unterstützungsmaßnahmen angeboten werden. Was voraus setzt , dass die Arresteinrichtung schon sehr früh stabilisierende Kontakte und Anlaufstellen schafft und auf diese Weise die weitere Betreuung durch Schulen, Ausbildungsbetriebe, Arbeitsagenturen, Beschäftigungsprojekte als auch Beratungsstellen gewährleistet. Netzwerkarbeit ist hierbei zwingend notwendig.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen: Die Ursachen und Probleme, die Jugendliche mit dem Gesetz in Konflikt geraten lassen, sind nicht mehr allein vom Fachressort Justiz zu bewältigen. Wir brauchen verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Instanzen, die Erfahrungen der anderen Disziplinen, aber auch die finanziellen Ressourcen zur Bewältigung der gemeinsamen gesellschaftlichen Aufgabe.

Zum Schluss möchte ich ihre Aufmerksamkeit auf Punkt 8 unseres Antrages lenken. Wir sehen in der Umsetzung des Auftrages des JGG, namentlich einer Personalunion aus Jugend- und Familienrichtern einen sinnvollen Schritt, bisher wenig genutzte Möglichkeiten im Jugendstrafverfahren nutzbar zu machen.

Ich möchte ihnen dies an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Das Problem: Ein Jugendlicher wird strafrechtlich auffällig. Es soll Einfluss auf ihn genommen werden, um sein Verhalten dauerhaft zu verändern. Das ist meist auch ein Erziehungsproblem. Also ist in erster Linie die Familie gefragt. Demzufolge müssen wir  mit den Familien arbeiten. Die Entwicklung eines Kindes zum Intensivtäter stellt immer auch eine Kindeswohlgefährdung dar.  

Das Jugendrecht nimmt den Jugendlichen selbst in den Fokus, das Familienrecht beschäftigt sich mit den Eltern und den Kindern. Erst so befasst sich ein Richter/ eine Richterin mit der ganzen Familie. Nimmt der Richter/ die Richterin beide Möglichkeiten in die Hand, so eröffnen sich ihm zahlreiche Perspektiven: Im Bereich des Familienrechts kann er binnen weniger Tage mit einstweiligen Anordnungen Fakten schaffen (Betreuer installieren, fehlende Hilfeanträge ersetzen, Teile der elterlichen Sorge abweichend regeln usw.). Das heißt, die vorgesehen Instrumente im Familienrecht, im KJHG und im FamFG (Familienverfahrensgesetz) sind viel zielgenauer, schneller einsetzbar und wesentlich differenzierterer als die Mittel nach JGG.

Leider nutzen wir die Personalunion in Sachsen-Anhalt zu wenig. Der Kleinen Anfrage Dr. 6/1723 ist zu entnehmen, dass sich 2012 von insgesamt 40 Jugendrichtern und 54 Familienrichtern gerade einmal vier Richter in einer Personalunion befinden. Eindeutig zu wenig und auch ganz klar am Willen des Gesetzgebers vorbei. Nutzen wir die Chance, auch in Sachsen Anhalt neue Wege beim Vollzug des Jugendarrestes  zu gehen. Lassen sie uns Modelle entwickeln, die für die betroffenen Jugendlichen Perspektiven bieten und das Rückfallrisiko langfristig minimieren.