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Kerstin Eisenreich zu TOP 01: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes

Seit etwa anderthalb Jahren beschäftigt das am 10.12.2014 durch eine Koalitionsmehrheit trotz zahlreicher Widerstände verabschiedete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes die Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Zweckverbände sowie Gerichte in Sachsen-Anhalt. Ausgangspunkt für zahlreiche Rechtstreitigkeiten ist vor allem, dass die gesetzlich verankerte Verjährungsfrist für Forderungen zum Ausgleich von Vorteilslagen von 10 Jahren mit der Übergangsvorschrift in § 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes bis zum 31. Dezember 2015 außer Kraft gesetzt wurde. Damit wurde einem unbeschränkten Abkassieren auf der Grundlage kurzfristig erlassener Satzungen und ohne jegliche Rücksicht auf Verjährungen mit Unterstützung einer eigens von der damaligen Landesregierung eingesetzten Task-Force Tür und Tor geöffnet. Mit dieser wurde der Name Programm: Sie forcierte das Agieren der Zweckverbände beim Eintreiben der Beiträge. Im Ergebnis dieses Agierens wurden laut Angaben der Landesregierung zum 15. Dezember 2015 rund 85.000 Beitragsbescheide mit einem verjährungsbedrohten Beitragsvolumen von insgesamt rund 123,5 Millionen Euro erlassen. [Dies geht aus der Antwort einer Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung des Abgeordneten Olaf Meister (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drs. 6/4824) hervor.] Viele dieser Beitragsbescheide ergingen im Übrigen erst kurz vor Ablauf der Aussetzungsfrist.

Die Empörung bei den Bescheid Empfängern ist entsprechend groß. Grundstückseigentümer erhielten Bescheide zum Teil mit Forderungen in Höhe von vier- und fünfstelligen Eurobeträgen. Selbst öffentliche Einrichtungen und Kommunen müssen Beiträge zahlen. So sieht sich die Hochschule Merseburg mit einer Forderung in Höhe von einer Million Euro konfrontiert. Entscheidungen von Kommunalgremien und Verbänden, diese Beiträge nicht einzufordern, werden von den unteren Aufsichtsbehörden für nichtig erklärt, da sich zahlreiche Kommunen und Verbände in einer schwierigen finanziellen Situation befinden und damit jede Einnahmequelle auszuschöpfen haben.

War sich die Koalition bei der Verabschiedung der Reform des Kommunalabgabengesetzes dieser Folgen bewusst, so muss man ihr Vorsatz unterstellen, indem sie die Verbände aufforderte, sich fehlende Mittel bei den Bürgerinnen und Bürgern zu holen. Dass diese sich so massiv mit Widersprüchen zur Wehr setzen würden, hatte wohl keiner erwartet. Allerdings ist inzwischen die Situation im Land eskaliert. Neben massenhaften Widersprüchen sind zahlreiche Mahnverfahren anhängig, weil nicht jedem, der Widerspruch eingelegt hat, bewusst war, dass er trotz Widerspruch zur Zahlung verpflichtet ist. Auf dieser Grundlage wurden kurz vor Jahresende 2015 zahlreichen Schuldnern die Konten gepfändet oder Eigentum mit Hypotheken belegt. In einigen Regionen bemühen die Verbände inzwischen Inkasso-Unternehmen, um diese Forderungen in sehr aggressiver Form einzutreiben. Schuldner, die eine Stundung der Zahlung beantragen, müssen ihre komplette finanzielle Situation offenlegen und werden dann noch lakonisch darauf hingewiesen, dass sie die notwendigen Beiträge hätten ansparen können.
Andere Zweckverbände haben versucht, Verfahren in der Vollziehung der Bescheide zu vermeiden und Vergleiche angeboten. Abgesehen von dieser fragwürdigen Praxis, die bisher im Kommunalabgabenrecht nicht verankert ist, erscheint dies als Griff in die Trickkiste.

Und auch in diesem Fall wurden die unteren Aufsichtsbehörden aktiv und haben die Vergleiche untersagt, weil die Verbände und Kommunen durch Vergleiche auf einen Teil der sichergestellten Einnahmen verzichtet hätten. Damit erweist sich der Entwurf der Koalition in Punkt 2, mit dem die Praxis von Vergleichen nachträglich legitimiert werden soll und darüber hinaus nur eine KANN-Regelung ist, als rein kosmetische Operation.

In anderen Fällen haben sich Bürgerinnen und Bürger gerichtlich zur Wehr gesetzt und das Ergebnis sind zahlreiche anhängige Verfahren. Mit der schlechten Reform des Kommunalabgabengesetzes hat die vormalige Koalition eine akute Konfliktsituation in Sachsen-Anhalt verursacht: Das Vertrauen zwischen Gesetzgeber, Verbänden sowie Bürgerinnen und Bürgern ist komplett zerstört worden. Von einer Rechtssicherheit, die mit gesetzlichen Regelungen zu schaffen und damit auch erwartbar ist, sind wir meilenweit entfernt.

Mit einem Grundsatzbeschluss vom 5. März 2013 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit folgend den Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf eine zeitnahe und endliche Beitragsfestsetzung zuerkannt (1BvR 2457/08). Bereits im April 2013 mahnte die Fraktion DIE LINKE mit einem Antrag im Landtag (Drs. 6/1999) eine entsprechende Überprüfung und Änderung der gesetzlichen Vorschriften in Sachsen-Anhalt an und unterbreitete im Gesetzgebungsverfahren konkrete Vorschläge. Verwiesen sei hier u.a. auf unseren Änderungsantrag (Drs. 6/3679). Zwei weitere Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (1BvR 2961/14 und 1BvR 3051/14) legen nahe, dass es sich bei der in § 18 Abs. 2 KAG festgelegten Übergangsvorschrift um eine echte Rückwirkung handelt, die verfassungswidrig ist. Auf dieser Grundlage hätte der Gesetzgeber umgehend handeln und prüfen müssen, ob die gesetzliche Regelung verfassungskonform ist. Das ist bisher nicht geschehen. Allerdings rudern die Verantwortlichen der damaligen und auch jetzigen Koalition in Anbetracht der teilweise sehr aufgeheizten Stimmung nun selbst zurück. Die zu Jahresbeginn erlassene Bitte an die Verbände, die Vollziehung der Verwaltungsakte im Zusammenhang mit § 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes auszusetzen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt und das völlig falsche Instrument in dieser selbst verursachten Situation. Es sollte doch bekannt sein, dass ein Erlass allein inneres Verwaltungshandeln regelt, nicht aber nach außen wirkt. Zudem würden sich die Verbände mangels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung nachwievor gesetzwidrig verhalten, wenn sie die Beiträge nicht eintreiben würden.

Die Grundsatzentscheidung und die genannten Urteile des Bundesverfassungsgerichtes sowie die gegenwärtige für Verbände, Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürger völlig unbefriedigende Situation haben die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE der 6. Wahlperiode veranlasst, Anfang März dieses Jahres beim Landesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag einzureichen. Mit diesem soll geprüft werden, ob die Rechtsnorm des § 18 Abs. 2 Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt mit der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vereinbar ist. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hatte in seinem Urteil vom 4. Juni 2015 (4 L 24/4) die Ansicht der Verfassungsgemäßheit der von meiner Fraktion beanstandeten Rechtsnorm vertreten. Die Fraktion DIE LINKE sieht jedoch mehrere Verstöße gegen die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt. Dazu gehört das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das insbesondere das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes umfasst, wie vom Verfassungsgericht hinreichend geklärt wurde (u.a. Urteil vom 15.01.2001 LVG 3/01, LVG 5/01; Urteil vom 16.02.2010 LVG 9/08). Die Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes umfassen ihrerseits auch die Gebote der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit, wie vom Bundesverfassungsgericht in der genannten Grundsatzentscheidung vom 5. März 2013 und den Urteilen vom 12. November 2015 entschieden. Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings nicht absehbar ist, wann das Landesverfassungsgericht eine Entscheidung zum Normenkontrollantrag fällen wird, besteht für Gläubiger und Schuldner weiterhin keine Rechtssicherheit. Wohl auch aus diesem Grund sieht der Koalitionsvertrag von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Seite 24 in der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 18 Abs. 2 KAG ein Moratorium der Einziehung der Beiträge bis zum Abschluss der gerichtlichen Verfahren zur Klärung der Rechtsfrage vor.

Soll ein Moratorium Wirkung entfalten, muss es sofort in Kraft treten und gesetzlich so verbindlich geregelt sein, dass weitere Verunsicherungen der Betroffenen vermieden werden. Damit sollen Rechtsfrieden und die erforderliche Ruhe geschaffen und sachgerechte Entscheidungen vorangebracht werden.
Den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen in Drucksache 6/70 halten wir für untauglich, ein Moratorium verantwortungsvoll umzusetzen. Mit den KANN-Vorschriften werden sowohl für die Vergleiche als auch das Aussetzen der Vollziehung die Verantwortung und das Risiko vollständig auf die Aufgabenträger abgewälzt. Die Verbände geraten dadurch erneut in ein Dilemma, weil sie mit dem Verzicht auf einen Teil der Beiträge bei einem Vergleich oder beim Aussetzen gegen geltendes Recht verstoßen würden. Denn in schwieriger Haushaltslage besteht keinerlei Handlungsoption, alle Einnahmemöglichkeiten sind auszuschöpfen. Zusätzlich entsteht das Problem, dass es bei einer ungleichmäßigen Umsetzung der sogenannten KANN-Vorschriften zu einer Ungleichbehandlung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger kommen wird.

Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes der Fraktion DIE LINKE (Drs. 7/40) sieht demgegenüber ein Moratorium vor, durch das die Vollziehung aller Verwaltungsakte zum Ausgleich von Vorteilslagen, die unter die Übergangsvorschrift nach Absatz 2 fallen, bis zur Entscheidung des Landesverfassungsgerichts über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit des Absatzes 2 mit der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt ausgesetzt wird. Nur eine solche verbindliche Regelung kann Rechtssicherheit herstellen.
Da die gegenwärtigen Konflikte durch den Gesetzgeber verursacht wurden, hat das Land Verantwortung gegenüber den Aufgabenträgern der Wasserver- und Abwasserentsorgung zu übernehmen, indem die durch das Moratorium unmittelbar und nachweislich entstandenen Aufwendungen erstattet werden. Wir fordern dazu das zuständige Ministerium auf, die näheren Bestimmungen für diese Erstattung durch Verordnung zu regeln. Die für die Finanzierung der Erstattung erforderlichen Mittel sind beginnend mit dem Haushaltsjahr 2017 aus der Steuerschwankungsreserve bereitzustellen.

Zu begrüßen ist die Regelung im Koalitionsentwurf, den bisher geltenden Zinssatz von 6 Prozent zu senken und der seit geraumer Zeit herrschenden Zinssituation anzupassen.