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Henriette Quade zu TOP 15: Missbilligung der Ministerin für Justiz und Gleichstellung

Ein Landtag ist kein Gerichtssaal und keine Staatsanwaltschaft. Ein Landtag hat keine Verfahrensherrschaft im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Ihm obliegt nicht die rechtliche Würdigung des ermittelten Sachverhaltes, er entscheidet nicht über den Abschluss eines Ermittlungsverfahrens. Ein Landtag kann kein Verfahren einstellen oder auch keine Anklage erheben und kann auch niemanden beauftragen, dies zu tun. Ein Landtag kann der Justiz keine Weisungen erteilen.

Das ist gut so, denn das Prinzip der Gewaltenteilung gehört zu den unantastbaren Prinzipien unserer Demokratie.

Und es geht meiner Fraktion auch ausdrücklich nicht darum, daran zu rühren- weder mit dem Antrag, den wir in der letzten Plenarsitzung debattiert haben, noch mit dem heutigen. Worum es aber geht, ist, dass ein Landtag auch nicht so tun kann, als könne bzw. dürfte er sich mit den Entscheidungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften nicht auseinandersetzen und als ginge ihn das alles nichts an, als sei die Verantwortung für einen funktionierenden Rechtsstaat gleichsam an die Justiz abgegeben.

Meine Damen und Herren, über die Verantwortung Sachsen-Anhalts für die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh habe ich vor 4 Wochen hier an dieser Stelle gesprochen. Über die Notwendigkeit, alles zu unternehmen, was möglich ist, um zu klären, wie Oury Jalloh starb. Und ich sprach über die Signalwirkung, die mit allem, was mit dem Verfahren um seinen Tod in einer Dessauer Polizeizelle verbunden ist.

Nun zeigt sich, dass die von meiner Fraktion beantragte Unterstützung für die Einrichtung einer unabhängigen internationalen Expertenkommission aktueller und notwendiger denn je ist. Denn: Am 12. Oktober teilte die leitende Oberstaatsanwältin in Halle mit, dass das Verfahren zur Ermittlung der Todesursache von Oury Jalloh eingestellt wird, weil weitere Aufklärung nicht zu erwarten sei.

Mit dieser Entscheidung bleiben nach über 12 Jahren alle zentralen Fragen offen. Es bleiben Zweifel und Verdacht.

Und das zentrale Versprechen des Rechtsstaates bleibt unerfüllt- die juristische Aufklärung und Ahndung von Verbrechen.

Es ist eine Entscheidung, die schwer zu verstehen ist. Meine Fraktion beabsichtigt deshalb, Akteneinsicht im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung zu beantragen, um so die Argumentation und Sachlage detailliert nachvollziehen zu können.

Es ist angesichts der jetzt öffentlich gewordenen Entscheidung der Staatsanwaltschaft besonders bedauerlich, und spricht zu gleich Bände, dass die nächste reguläre Sitzung erst im November stattfindet, weil CDU, SPD und Grüne die von unserer Fraktion geforderte Sondersitzung abgelehnt haben.

Aufklärung über das Schicksal Oury Jallohs bleibt notwendig. Ein Mensch ist in staatlicher Obhut gestorben und es ist der Justiz nicht möglich, die Umstände aufzuklären - das bleibt schwer erträglich.

Politik muss deshalb alles tun, um Aufklärungswillen nicht nur symbolisch zu zeigen, sondern auch konkret umzusetzen. Das Signal der aufgegebenen Aufklärung steht im Raum – und es braucht eine politische Antwort. Ein Teil dessen könnte und müsste der Einsatz für die Untersuchung des Falls Oury Jalloh durch eine unabhängige internationale Expertenkommission sein.

Aber darum geht es im heute hier zur Debatte stehenden Antrag ausdrücklich nicht. Worum es heute aber geht, ist folgendes:

Wir erlebten bei der letzten Debatte hier im Hause eine Justizministerin, die den Eindruck erweckte, das Verfahren laufe, die Ergebnisse seien offen und der Verfahrensausgang damit ebenso offen. Sie verwies in ihrer Rede ausdrücklich auf die Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Eva von Angern und mir, die nach wie vor Gültigkeit habe. Darin heißt es: „Es ist nunmehr Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sämtliche im Verfahren gefertigten Gutachten nochmals sorgfältig zu prüfen, abzugleichen und sodann zu entscheiden, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem bestimmten Geschehensablauf ausgegangen werden kann und ob dieser Ablauf weitere strafrechtliche Ermittlungen rechtfertigt.“

Frau Ministerin Keding sagte weiter: „Dementsprechend wird die mit den Ermittlungen beauftragte Staatsanwaltschaft Halle nach Abschluss der Ermittlungen zu entscheiden haben, ob und in welcher Weise die Öffentlichkeit über die maßgeblichen Gründe ihrer Entscheidung unterrichtet wird. Wird dabei die Verantwortlichkeit einer bestimmten Person für den Tod Oury Jallohs ermittelt, gehört zu den dann zu treffenden Entscheidungen auch die über eine Entschädigung der Hinterbliebenen für das von ihm erlittene Leid.“ Was die von meiner Fraktion geforderte unabhängige Kommission leisten könne, was die Justiz in Sachsen-Anhalt nicht zu leisten vermag, sei daher nicht ersichtlich.

Am 12. Oktober, also nur zwei Wochen nach diesen Aussagen der Ministerin zum aktuellen Verfahrensstand, teilt die Staatsanwaltschaft Halle mit, dass das Verfahren eingestellt wird.Kurz darauf stellte sich jedoch heraus, dass diese Entscheidung schon am 30.08.2017 begründet wurde, also 2 Wochen vor der erwähnten Antwort auf unsere Kleine Anfrage und 4 Wochen vor der Debatte hier im Hohen Haus, aus der ich eben zitierte. Das geht aus einem Fax der Staatsanwaltschaft an die Nebenklage hervor. Darin ist ein Verweis auf einen Vermerk vom 30.08.2017 enthalten, in dem die Gründe für die abschließende Entscheidung dargelegt werden. Am 30.08.2017 begründete die Staatsanwaltschaft Halle also bereits, warum sie das Verfahren beabsichtigt einzustellen. Das geht nicht, ohne die Entscheidung in der Sache bereits getroffen zu haben.

Sowohl zum Zeitpunkt der Antwort auf die Kleine Anfrage, als auch zum Zeitpunkt der Debatte hier im Landtag entsprach also die Aussage: ‚Der Ausgang der Ermittlungen und Prüfungen der Staatsanwaltschaft ist offen‘ nicht den Tatsachen. In beiden Fällen hat also die Ministerin dem Parlament und der Öffentlichkeit zentrale, entscheidende Informationen über den tatsächlichen Stand des Verfahrens vorenthalten und wider besseren Wissens darüber geschwiegen, dass die Staatsanwaltschaft, das Verfahren bereits abgeschlossen hat bzw. abzuschließen gedenkt.

Denn ja, das Verfahren ist zwar offiziell mit der Mitteilung der leitenden Oberstaatsanwältin vom 12. Oktober eingestellt. Auch hat diese, so teilte sie es ja auch mit, natürlich das Prüfungsrecht und könnte theoretisch zu einem anderen Schluss kommen als der mit der eigentlichen Prüfung beauftragte Dezernent. Die Entscheidung in der Sache trifft aber gemäß Geschäftsverteilungsplan der Beauftragte Dezernent in eigener Zuständigkeit. Eine andere Entscheidung der leitenden Oberstaatsanwältin als die des bearbeitenden Dezernenten wäre zwar theoretisch möglich aber mehr als ungewöhnlich und dürfte mit Fug und Recht als unüblich für das Arbeiten der Justiz nicht nur in Sachsen-Anhalt angesehen werden. Aber auch unter Beachtung dieser Möglichkeit, wäre eine andere Auskunft der Justizministerin, nämlich eine, die dem tatsächlichen Verfahrensstand entspricht, möglich und vor allem nötig gewesen.

Dass Sie dem Parlament nicht den tatsächlichen Verfahrensstand mitgeteilt haben, Frau Ministerin, ist nicht hinnehmbar und deshalb haben wir die Missbilligung dieses Nichtinformationsverhaltens beantragt. Dass Sie dem Parlament nicht den tatsächlichen Verfahrensstand mitgeteilt haben, Frau Ministerin, ist nicht hinnehmbar und deshalb haben wir die Missbilligung dieses Nichtinformationsverhaltens beantragt.

Das ist die Fortsetzung der seit nunmehr über 12 Jahren betriebenen Nichtaufklärung, es ist eine weitere Spirale des Schweigens und des Vorenthaltens von Informationen und eine Missachtung des Parlamentes und des Rechtes der Öffentlichkeit auf wahrheitsgemäße und vollständige Information. Denn nein, dieser letzte Vorgang ist eben nicht der einzige fragwürdige, er setzt dem Ganzen nur die Krone auf.

10 Monate lang hat die Staatsanwaltschaft Dessau ein neues Brandgutachten geprüft. 10 Monate lang blieben Fragen nach dem Inhalt unbeantwortet, Fragen der Nebenkläger ohne Nachricht. Dann wird im Juni diesen Jahres der Fall nach Halle abgegeben. Trotz erheblichen medialen und öffentlichen Interesses geschah dies, ohne dass es eine aktive Information der Öffentlichkeit und der Nebenklage gegeben hätte. Am 30. August (ein wichtiges Datum wie wir sehen) fragt laut Aussage der Nebenkläger eine Anwältin der Nebenklage telefonisch bei der Staatsanwaltschaft Halle an, wer in Halle mit dem Fall betraut sei. Sie erhält die Antwort, dass der Staatsanwaltschaft kein Verfahren mit den bisher verwendeten Aktenzeichen oder dem Namen Jalloh vorliegt. Die Staatsanwaltschaft Halle prüft dann in, wie wir jetzt wissen, nicht mal drei Monaten ‚gründlich und sorgfältig’ und kommt zum Ergebnis: die Justiz vermag es nicht, hier für Aufklärung zu sorgen.

Aber auch dazu gibt es keine aktive Informationspolitik des Justizministeriums oder der Staatsanwaltschaft. Vielmehr erscheinen Zeitungsartikel, die über die Inhalte des noch immer nicht veröffentlichten Gutachtens berichten, es gibt Kleine Anfragen, es gibt Selbstbefassungsanträge, es gibt eine Debatte hier im Landtag, die Ministerin weist jede Problematisierung als unbegründet zurück und stellt den Verfahrensausgang als offen dar. Nur 7 Arbeitstage später erklärt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens, und nun stellt sich heraus, dass diese Entscheidung schon wesentlich eher feststand.

Ich wiederhole mich: So agiert kein Ministerium, das 1. um Aufklärung bemüht ist und sich 2. der Symbolik und Signale einer solchen Entscheidung bewusst ist. Das ist ein verheerendes Signal und deswegen werbe ich um Zustimmung sowohl zu unserem, in den Rechtsausschuss überwiesenen Antrag, als auch zu unserem Antrag zur Missbilligung des Verhaltens der Ministerin für Justiz und Gleichstellung.

Wenn das Signal der Justiz ist, dass sie keine Aufklärung über das Schicksal Oury Jallohs leisten kann, dann braucht dieses Signal eine politische Antwort.