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Henriette Quade zu TOP 13: Aufklärung im Todesermittlungsverfahren Oury Jalloh muss vorangetrieben werden

Anrede,

„Bei einem Vorfall, bei dem ein Mensch zu Tode kommt, sollte den Interessen der Familie des Verstorbenen seitens des Staates der höchste Respekt und Rücksichtnahme entgegengebracht werden. Grundsätzlich sollte der Staat für die Familie arbeiten und deshalb offene und ehrliche Untersuchungen aller in diesem Fall bekannten Fakten und Hypothesen darüber, wie das Feuer zustande kam, aufführen und vollständig untersuchen, damit von der Familie und Freunden so gut wie möglich nachvollzogen werden kann, wie der Verstorbene ums Leben kam.“

Das formulierte der Londoner Brandsachverständige Iain Peck in seinem vorläufigen Gutachten zum Brandversuch der Staatsanwaltschaft vom 18. August 2016. Er formulierte zugleich deutliche Kritik an den offiziellen Ermittlungsvorgängen und dem Umgang der Behörden mit dem ungeklärten Feuertod Oury Jallohs.

Oury Jalloh starb vor 12 1/2 Jahren in staatlicher Obhut. Auf einer feuerfesten Matratze, mit gefesselten Händen, nachdem er durchsucht wurde soll er sich selbst angezündet haben und an den Folgen gestorben sein. Wie das passiert sein soll ist nach wie vor unklar und nicht erklärlich. Wie und wann ist ein Feuerzeug in die Zelle gekommen? Oury Jalloh wurde durchsucht und das Tatortteam des LKA hat bei der Erstuntersuchung der Zelle dieses zentrale Beweisstück nicht gefunden.

Warum finden sich an dem Feuerzeug keine Faserspuren? Warum hat Oury Jalloh kaum Rauch eingeatmet wenn er durch den Brand gestorben sein soll? Warum sollte er sich angezündet haben? Wie kann eine feuerfeste Matratze Feuer fangen? Wie kann jemand der gefesselt ist das herbei führen? Warum waren Oury Jallohs Trommelfell gerissen und sein Nasenbein gebrochen? Warum kam das erst bei der zweiten Obduktion raus? Das sind nur einige der zentralen Fragen im Fall Oury Jalloh und dass sie nach wie vor unbeantwortet sind ist beschämend und skandalös.

Zu einer Reihe von offenen Fragen kommt eine mindestens genauso lange Kette von Unglaublichkeiten. Und zwar im doppelten Sinn. Unglaublich weil unfassbar, unglaublich weil nicht glaubhaft. Kein Dessauer Dienstgruppenleiter will gewusst haben, dass Ingewahrsamnahme nur auf richterlichen Beschluss erfolgen darf. Die mehrfach ausgelösten Feueralarme wurden mehrfach ignoriert und weggedrückt. Ein Arzt, der, als er hört dass er einen Schwarzafrikaner behandeln soll, sagt „Ach du Scheisse“.

Brandgutachten, die zu dem Schluss kommen, dass Brandbeschleuniger benutzt worden sein muss, es aber natürlich nicht beweisen können, weil es ja um eine Rekonstruktion im Nachhinein geht. Videos von der Tatortsicherung, die nicht alles zeigen. Untersuchungsausschüsse, Verfahren, Anhörungen, Brandversuche und -gutachten- letztlich alle ohne Antwort auf die zentralen Fragen.

Die Antworten, die sie geben, die Feststellungen die sie treffen sind mehr als erschütternd und können niemanden kalt lassen. Zwei Polizisten standen wegen Oury Jallohs Tod in Dessau vor Gericht und wurden freigesprochen. Der Vorsitzende Richter sagte zum Abschluss des Verfahrens: „Das, was hier geboten wurde, war kein Rechtsstaat, und Polizeibeamte, die in einem besonderen Maße dem Rechtsstaat verpflichtet waren, haben eine Aufklärung verunmöglicht.“ Schon deshalb steht die Justiz in der Pflicht, alles dafür zu tun, für umfassende Aufklärung zu sorgen.

Der Tod Oury Jallohs und die Todesumstände haben Politik und Justiz immer wieder beschäftigt. Mehr als elf Jahre nach dem Tod Oury Jallohs wurde der Fall abermals untersucht. Dazu wurde im Auftrag der Dessauer Staatsanwaltschaft im August 2016 im Institut für Brand- und Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde ein neuer Brandversuch vorgenommen. Nachgestellt wurde der Brand vom 7. Januar 2005, bei dem Oury Jalloh in einer Gewahrsamszelle der Polizei starb. Ergebnisse liegen der Öffentlichkeit und den Vertretern der Nebenkläger, der Familie und den Hinterbliebenen von Oury Jalloh jedoch leider noch nicht vor. Immer wieder haben die Vertreter der Nebenklage Anträge und Anfragen an die Zuständigkeit Staatsanwaltschaft gestellt - sie blieben ohne Reaktion.

Sieht so Aufklärungswille aus? Nein. Seit August erfährt der Fall Oury Jalloh wieder etwas mehr Aufmerksamkeit - wieder aber nicht, weil Staatsanwaltschaften oder Justizministerium einen aktuellen Stand veröffentlichten, sondern auf Grund journalistischer Recherche und der Hartnäckigkeit der Initiative Oury Jalloh. Die Welt veröffentlichte einen Artikel, der berichtet, dass sich aus diesem neuen Brandgutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft erhebliche Zweifel ergeben, dass Oury Jalloh an den Folgen des Feuers in der Zelle gestorben sein kann. Genau das ist es, was die Initiative Oury Jalloh und die Nebenklage immer in Zweifel gezogen haben. Genau das ist es, was den unglaublichen Verdacht Oury Jalloh- das war Mord erzeugt hat. Genau das ist es, was ein von der Initiative in Auftrag gegebenes Gutachten schon vor 4 Jahren ergab.

Genau für diesen Verdacht wiederum wurde die Initiative jahrelang kriminalisiert und diffamiert. Und nun soll dies auch ein Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft ergeben, die hält das aber über ein Jahr lang unter Verschluss und erteilt keinerlei Auskünfte. Plötzlich wechselt die Staatsanwaltschaft aber auch das ist nicht mit einer Informationspolitik verbunden. Es mag für beides juristische Begründungen geben, die stichhaltig sind. Nach einer unendlichen Geschichte von Vertuschung, Falschaussagen und Nichtaufklärung stimmt diese Nichtinformationspolitik pessimistisch, was die künftige Aufklärungsbereitschaft und - Fähigkeit der Justiz in Sachsen-Anhalt angeht.

Und genau hier wäre das Gegenteil nötig: wenn es so ist, dass es juristisch notwendig ist, die Inhalte geheim zu halten- erklären Sie es uns im Rechtsausschuss, statt Selbstbefassungsanträge zu vertagen. Wenn es so ist, dass Teile meiner Kleinen Anfrage aus juristischen Gründen nicht beantwortet werden können- erklären Sie diese, statt einfach zu antworten was sie wollen. Leider muss ich auch hier wieder feststellen: so agiert kein Ministerium, das auf Aufklärung drängt, das sich seiner Verantwortung bewusst ist und das um die Symbolik dieses Falles weiß.

Und es sind eben nicht nur die Fragen des Falls Oury Jalloh, die eine Antwort verlangen. Es ist auch eine ganz grundsätzliche Frage des Rechtsstaates, die unmittelbar an diesen Skandal geknüpft ist. Es ist die Frage, ob Rassismus und massive Verstöße gegen geltendes Recht bei der Polizei ungesühnt bleiben. Es ist die Frage, ob die Justiz es vermag, auch bitterste Wahrheiten mit enormer politischer Sprengkraft aufzuarbeiten. Es ist letztlich die Frage, wie sicher sich jeder Mensch in Deutschland in den Händen der Sicherheitsbehörden fühlen kann und ob er darauf vertrauen kann, das Unrecht geahndet wird, auch wenn es staatliches Unrecht war.

Deshalb ist alles was mit dem Fall und den Verfahren Oury Jalloh zu tun hat immer beides- konkret und Symbol. Und beides wäre dringend notwendig. Das sage nicht nur ich, das sagen auch immer wieder Kommissionen der UN und des Menschrechtsrates der Vereinten Nationen. Eine Arbeitsgruppe von Sachverständigen der Vereinten Nationen hielt erst diese Woche in ihrem Abschlussbericht zur Situation von Menschen afrikanischer Abstammung in Deutschland fest: Trotz Deutschlands Förderung von Multikulturalismus und Diversität ist die Arbeitsgruppe über die Menschenrechtslage von Menschen afrikanischer Abstammung tief besorgt. Während Menschen afrikanischer Abstammung eine vielfältige Gruppe sind, kennzeichnen Rassismus, negative Stereotypisierung und struktureller Rassismus ihren Alltag.“

Schon der Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, der sogenannte ECRI-Bericht, legte im Jahr 2014 zahlreiche problematische Befunde zu institutionellem Rassismus offen und Empfehlungen an die Bundesregierung vor. Bis heute hat sich auch nach den Untersuchungsausschüssen zu den NSU-Morden und den durch institutionellen Rassismus geprägten Ermittlungen nahezu nichts getan. Der Journalist David Joram kommentierte die Veröffentlichung des Weltartikels im August dieses Jahres sehr treffend: „Dass die Wende nun als „spektakulär“ bezeichnet wird, veranschaulicht das ganze Dilemma an Oury Jallohs Tod. Obwohl so vieles an dem Fall gewaltige Zweifel am Rechtsstaat aufkommen lässt, will es die Gesellschaft nicht wirklich wahrhaben. Mord, noch dazu ein rassistisch motivierter? Das verdrängt man besser. Und hakt lieber nicht haarklein nach. Dabei gab es viele Indizien darauf, vor Jahren schon, dass Oury Jalloh ermordet worden sein könnte. Reste des Feuerzeugs, mit dem sich Jalloh angezündet haben soll, werden erst nachträglich in der Zelle entdeckt, Überwachungsvideos verschwinden. Eine Richterin stellt sogar fest, dass es Ermittlungsfehler gegeben habe. Und was ist die Konsequenz aus alldem? Nichts. Von einem Mord wollte niemand etwas wissen. Der UN-Menschenrechtsrat in Genf nimmt am Montag den Bericht entgegen, der in Deutschland Schlagzeilen machen müsste, wäre da nicht die Bundestagswahl.“

Recht hat er- diese Feststellung müsste Schlagzeilen machen, sie wühlt auf und sie muss endlich zu politischem Handeln führen. Ein solcher Aspekt politisch verantwortlichen Handelns wäre es, einer zentralen Forderung der erwähnten Sachverständigenkommission zu folgen und sich für die Einsetzung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen im Fall Oury Jalloh auszusprechen, um die Todesumstände von Oury Jalloh lückenlos, objektiv und unvoreingenommen aufzuklären.

Und um es deutlich zu sagen: Ja, da schwingt Misstrauen mit. Misstrauen dass angesichts der Kette von Nichtaufklärung im Fall Oury Jalloh mehr als berechtigt, ja geradezu notwendig ist. Ein Mensch ist in staatlicher Obhut gestorben. Staatliche Stellen, Sicherheitsbehörden haben aktiv vertuscht und Aufklärung unmöglich gemacht - Staat und Politik stehen in der Pflicht alles, aber auch wirklich alles zu tun, was zur Aufklärung nötig und möglich ist. Darum geht es in unserem Antrag.