Henriette Quade zu TOP 11: Aufenthaltsregelungen zum Zwecke der Ausbildung ausschöpfen – Rechtssicherheit für Auszubildende und Ausbildungsbetriebe herstellen
Integration ist in aller Munde. Die ehemalige Integrationsbeauftragte und jetzige Staatssekretärin erklärte unlängst, das Jahr 2016 solle zum Jahr der Integration werden. Integration wird selten definiert, oft aber umso vehementer eingefordert, als ob anhand feststehender Faktoren kontrollierbar wäre, ob sich jemand auch wirklich integriert hat, als ob dieser Prozess abschließbar wäre, als ob die Verantwortung dafür einzig und allein bei denjenigen läge, an die die Aufforderung sich zu integrieren gerichtet wird.
Und tatsächlich ist es eben nicht nur politisch sondern auch soziologisch, meinetwegen auch philosophisch eine nicht einfach zu beantwortende Frage, was genau Integration eigentlich sein soll. Und, ob tatsächlich Integration oder, wenn man das Gesellschaftsideal einer freien und gleichberechtigten Gesellschaft zu Grunde legt, nicht eher Inklusion die richtige Zielformulierung wäre. Die Auffassungen zu diesen Fragen hier umfassend auszutauschen würde sicher zu weit führen – eines will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen – wenn wir als LINKE von Integration oder Inklusion sprechen, heißt das ausdrücklich nicht, dass die Zielstellung dahinter steht, dass Muslimas kein Kopftuch mehr tragen sollen, zu Hause ausschließlich Deutsch gesprochen wird und alle gefälligst Schweinefleisch, Sauerkraut und Kartoffelbrei als Inbegriff von Gemütlichkeit und Genuss zu verstehen haben.
Gute Voraussetzungen für Ankommen und Orientieren und gleiche Bedingungen für Teilhabe zu schaffen, das muss aus unserer Sicht im Zentrum von Zuwanderungs- und Integrationspolitik stehen. Drei wesentliche Handlungsfelder sehen wird dafür und da dürften wir uns von CDU bis LINKE zunächst mal einig sein: Sprache, Wohnen und existenzsichernde Arbeit.
Mit dem Integrationsgesetz auf Bundesebene sollen Voraussetzungen für Integration geschaffen werden, es liegen dazu Eckpunkte und Vereinbarungen zwischen den Koalitionspartnern vor. Ein Eckpunkt dieser Vereinbarungen ist, dass künftig, wer ein Ausbildungsplatz hat, vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt werden soll, indem rechtlich gesichert wird, dass während dieser Zeit keine Abschiebung stattfindet. Das ist prinzipiell zu begrüßen, es ist Interesse der Betroffenen, es ist im Interesse der Ausbildungsbetriebe und es ist im Interesse des Landes. Was aber fehlt, ist eine Ausweitung auf die auch von den Handwerkskammern geforderte Zeit von zwei Jahren nach Ausbildungsabschluss, was fehlt ist die Gültigkeit auch für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern, was fehlt ist ein eigenständiger Aufenthaltstitel für Migrantinnen die Auszubildende sind und auch schon ein Jahr vor Beginn der Ausbildung greift, wenn eine Ausbildungsplatzzusage vorliegt. Dies sind nicht nur Punkte, die wir einfordern, dies entspricht auch den Forderungen zahlreicher Expertinnen und Verbände, die in der Anhörung des Bundestages vorgetragen wurden und genau für diese Punkte soll sich die Landesregierung im Bundesrat und in den Bund-Länder-Abstimmungen einsetzen.
Für Kinder und Jugendliche, die als unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge in Deutschland leben, sind richtigerweise besondere Schutzinstrumente vorgesehen und werden besondere Unterstützungsmaßnahmen gewährt. So wird die Klärung, ob es Verwandte gibt, ob Traumatisierungen vorliegen, das Finden geeigneter Vormünder, die Unterstützung bei der Orientierung in Rechtssystem und Gesellschaft, die Begleitung der schulischen Ausbildung, das Suchen von Praktika und eines Ausbildungsplatzes und vieles mehr das tägliche Brot der Clearingstellen und Vormundschaftsvereine. In Sachsen-Anhalt leben mit Stand Ende Mai 1093 Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge für die mit viel Aufwand und ehrenamtlichen Engagement diese Unterstützung organisiert wird – das ist gut und dafür ist den Engagierten ausdrücklich zu danken.
Genau dieses Engagement wird ebenso wie die Leistungen der jungen Menschen selbst aber ad absurdum geführt, und die erreichten Ergebnisse werden konterkariert, wenn die Leute 18 werden und aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommen: Denn dann hat das gewöhnliche Aufenthaltsrecht Vorrang vor sämtlichen zuvor eingeforderten, mühsam erarbeiteten und nicht selten hart erkämpften Integrationsschritten hat. Der Fall der 18-Jährigen Albaners Xhino Gula zeigt die Unsinnigkeiten der bestehenden Rechtspraxis deutlich auf: Er besuchte mit großem Erfolg eine Berufsbildende Schule in Schönebeck, brachte dort sehr gute Leistungen, engagierte sich in einem Berufspraktikum und auf Grund dessen wurde ihm eine Ausbildung zum IT-Kaufmann angeboten, die am 1. August dieses Jahres starten sollte. Dazu wird es nicht kommen. Was hat Herr Gula falsch gemacht? Er kommt aus Albanien, einem Land das seit Oktober 2015 als sogenanntes sicheres Herkunftsland gilt. Damit sind sämtliche Integrationsleistungen und Perspektiven, die er sich erarbeitet hat in den Augen der Rechtsprechung und offenbar auch in den Augen des Innenministers nichts mehr wert und obwohl sein Anwalt sich am 26. April mit einer Petition an Landtag und Innenminister wandte, wurde Herr Gula am 28. April abgeschoben.
Genau hier zeigen sich die Widersprüchlichkeiten deutscher Integrations- und Bleiberechtspolitik: Einerseits werden Integrationsleistungen verlangt und sanktionsbewährt gemacht, andererseits werden sie ignoriert, wenn Aufenthaltsrecht eine Ausweisung möglich macht. Das ist ungerecht, das ist von menschlicher Härte gekennzeichnet und es ist absurd. Mal ganz von der persönlichen Härte für Herrn Gula abgesehen – von einer Bildungskarriere mit der Perspektive, sich ein eigenes unabhängiges und selbstfinanziertes Leben aufzubauen hinein ins Nichts. Wie wird sich diese Erfahrung wohl auf den Arbeitgeber, der den Arbeitsplatz angeboten hat und froh war, einen Azubi gefunden zu haben, auswirken? Wird er wieder einen Ausbildungsplatz für einen Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtling zur Verfügung stellen? Welches Signal geht mit dieser Entscheidung an diejenigen, die sich für Herrn Gula eingesetzt haben und diejenigen, die an so vielen Stellen, Menschen helfen, die Anforderungen, die staatlicherseits an sie gestellt werden zu erfüllen? Welches Signal geht an diejenigen, die die von uns allen, mit Ausnahme derer, die scheinbar nichts weiter haben als besonders deutsch zu sein, eingeforderte und gewünschte Willkommenskultur tatsächlich leben?
Es ist das Signal, dass ihr Engagement eben nicht wertgeschätzt wird, es ist das Signal, dass es ins Leere läuft und es ist das Signal, dass Integration in vielen Fällen eben nicht belohnt wird sondern überhaupt nichts nützt. Es ist das Signal, dass Integration am Ende eben doch nicht gewollt ist. So kann Integrationspolitik nicht funktionieren, Integration braucht Bleiberecht. Es ist die Aufgabe des Staates, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, unser Antrag schlägt für einen Teilbereich Lösungen vor – ich werbe um Zustimmung.