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Henriette Quade zu TOP 09: Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt

Zwei Dinge sollen hier neu geregelt werden, zum einen Überfälliges, zum anderen Überflüssiges.

Ich fange einmal mit der Kennzeichnungspflicht an. Die Diskussion um die Kennzeichnungspflicht für Polizisten in geschlossenen Einsätzen ist eine wirklich alte Diskussion, sie ist eine, die in der Vergangenheit mit viel Leidenschaft und auch mit viel gezielter Desinformation und auch dem Versuch der Delegitimation betrieben wurde.

Entgegen der Behauptungen der Gegner einer solchen Kennzeichnungspflicht geht es eben nicht um ein Misstrauensvotum gegenüber der Polizei, es geht nicht um einen Generalverdacht gegen Polizistinnen und Polizisten, und es geht schon gar nicht um Stigmatisierung. Es geht um das, was zu den Kernelementen eines demokratischen Rechtsstaates gehört: um die Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns, um die Möglichkeit der Kontrolle des Handelns von Trägern von Hoheitsaufgaben, und das eben auch individuell feststellbar.

Meine Fraktion fordert eine solche individuelle Kennzeichnungspflicht in geschlossenen Einsätzen seit langem, und wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir sie gleich in das SOG mit eingearbeitet, als es 2011 novelliert wurde. Ich erinnere mich gut an die damalige Debatte hier im Haus. Was ist da nicht alles ins Feld geführt worden an angeblichen Gegenargumenten - wer die Kennzeichnungspflicht forderte, musste sich im Grunde entschuldigen, weil er angeblich absichtlich Polizistinnen und Polizisten in Gefahr und in Misskredit bringen wollte. Der Ministerpräsident fühlte sich an DDR-Zeiten erinnert, und die CDU wähnte Einsatzverzögerungen, weil immer erst noch die Nummern angebracht werden müssten. Es ist gut zu sehen, dass sich diese Auffassungen offenbar gewandelt haben - die Kennzeichnungspflicht ist überfällig, und meine Fraktion wird ihre Einführung natürlich unterstützen. Was nach wie vor fehlt, ist eine tatsächlich unabhängige Polizeibeschwerdestelle, die es sowohl Polizistinnen und Polizisten, als auch Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, ohne Rücksicht auf Hierarchie, Beförderungsaussichten und Gruppencodexe Beschwerden vorzutragen und nachzugehen.

Soweit zum Überfälligen - schauen wir nun auf das Überflüssige: die Bodycams.

Der geplante Modelleinsatz von Bodycams in Sachsen-Anhalt wirft erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken auf. Das zeigt die Kritik von Datenschutzbeauftragten vieler Bundesländer am Vorhaben des Einsatzes von Bodycams recht deutlich:
Bereits festinstallierte Videokameras zur Überwachung des öffentlichen Raums stehen unter massiver datenschützerischer Kritik und leiden unter Wirksamkeitsnachweisen. Im Gegensatz zu festinstallierten Kameras greifen mobile Bodycams jedoch noch weitaus tiefer in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Bürgerinnen und Bürger können nicht selbst entscheiden, ob sie sich der Videoaufzeichnung aussetzen wollen oder nicht. Wer wann warum wie lange gefilmt wird, ist für die Einzelnen nicht nachvollziehbar. Private Orte, die Schutzbereichen unterliegen, können ebenso zufällig mitgefilmt werden, wie unbeteiligte Dritte, die z.B. an einer Kontrolle vorbeigehen. Wenig überraschend übte auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz Kritik am vorliegenden Entwurf, in seiner schriftlichen Stellungnahme zum Gesetzentwurf beurteilt er die Passage zu den Bodycams als „nicht ausgewogen“ und kritikwürdig.
Ebenso wie in Hessen beabsichtigt die Landesregierung, das besonders umstrittene Pre-Recording, bei dem in einer Endlosschleife kontinuierlich aufgenommen wird, gesetzlich zu regeln. Mittels der Pre-Recording-Funktion finden bereits mit dem Einschalten des Geräts Aufzeichnungen und damit eine Speicherung statt, die dann immer wieder überschrieben werden soll. Bereits das stellt einen erheblichen  Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, zumal die tatsächliche Löschung der Aufzeichnungen für die Betroffenen unkontrollierbar ist. Der hessische Datenschutzbeauftragte hatte in der dortigen Anhörung völlig zu Recht von einer „massiven Datenspeicherung auf Vorrat"  gewarnt - genau das wollen Sie nun auch in Sachsen-Anhalt etablieren. Das lehnt meine Fraktion vehement ab.

Bodycams werden als Instrument zur Gefahrenabwehr und insbesondere zum Schutz von Polizistinnen und Polizisten bezeichnet, um sie gegen Angriffe und Gewalttätigkeiten zu schützen. Vielfach wird eine  deesaklierende  und präventive Wirkung ins Feld geführt.

Nun sollte man meinen, bei so deutlicher datenschützerischer Kritik würde es zumindest einen belegten Nutzen geben. Das Gegenteil ist der Fall. Einen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit in Bezug auf Gewalt und Widerstandshandlungen gibt es schlichtweg nicht. Und mehr noch: Die Statistiken, die es gibt und die als repräsentativ gelten dürfen, weisen eher auf gegenteilige Effekte hin. Eine in diesem Jahr vorgestellte europäische Studie von Wissenschaftlern der University of Cambridge und RAND Europe weist sogar einen Anstieg von Übergriffen gegen Polizisten und Polizistinnen aus, in Fällen, bei denen diese Kameras zum Einsatz kamen. Die Studie untersuchte über 2,2 Moi.  Arbeitsstunden von mehr als 1.200 Polizistinnen und Polizisten in 10 unterschiedlichen Tests. Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass Polizistinnen und Polizisten, die eine Bodycam trugen, 15 Prozent häufiger Übergriffen ausgesetzt waren.
 
Bild- und Tonaufzeichnungen schützen absolut nicht vor Übergriffen - weder Bürgerinnen und Bürger, noch Polizeibeamte.
 
Die deeskalierende Wirkung eines Body-Cam-Einsatzes ist mehr als fragwürdig und kaum belegbar. Auch als Mittel zu vorgezogener Beweissicherung und objektiver Aufklärung über eine Situation, die einer Gewaltsituation vorausgegangen ist, als was Videoaufzeichnungen im Allgemeinen oft betrachtet werden, ist - von grundsätzlichen rechtlichen Bedenken einmal ganz zu schweigen - der Einsatz von Bodycams kaum plausibel zu machen.

Denn erstens, wenn eine Kamera nur einen Teil der Handelnden filmt, von einem anderen Handeln gesteuert wird, was gefilmt wird und was nicht, bleibt die Wahrheit eben eine subjektive und manipulierbare. Zweitens sollen Bodycams laut Entwurf ja nur zum Einsatz kommen, wenn drei Beamte zusammen auf Streife oder anderweitig im Einsatz sind. Wenn das der Fall ist, ist es schlichtweg überflüssig, weil dann immer genügend Zeugen für eine eventuell zu verfolgende strafbare Handlung gegenüber Polizistinnen und Polizisten zur Verfügung stehen. Und drittens: Fragen Sie doch mal in ihren örtlichen Polizeirevieren, wie viele solcher Dreierteams im gewöhnlichen alltäglichen Dienst im Einsatz sind. Es gibt sie kaum, weil es Personalsituation, Krankenstand, Abordnungen und die Aufgabenfülle schlichtweg nicht zulassen. Wer also ernsthaft etwas für Polizistinnen und Polizisten tun will, der kümmert sich um diese Dinge, der kümmert sich um ihre Dienstgebäude und um ihre Schutzausstattung, um gutes und gelingendes betriebliches Eingliederungsmangement und um Fortbildung - und nicht um videografisches Aufrüsten, dem elementarer Grundrechte geopfert werden müssen.

Die Neuregelungen in punkto Bodycams sind praktisch überflüssig, datenschutzrechtlich bedenklich und rechtlich fragwürdig - meine Fraktion wird ein solches Modelprojekt ablehnen. Aber natürlich sehen wir der Beratung im Innenausschuss gespannt entgegen.