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Henriette Quade zu TOP 07: Solidarität in Europa - Faire Chancen für Asylsuchende im „Dublin-Verfahren“ sichern / Dublin-Übereinkommen überwinden

Es herrscht große Einigkeit darin, dass sich gute Flüchtlings- und Migrationspolitik in Sachsen-Anhalt nur eingebettet in eine europäische Asyl und Migrationspolitik umfassend wird entfalten und auch funktionieren können. Genau deshalb ist es notwendig, Perspektiven europäischer Entwicklung auch hier im Landtag zu diskutieren und sich offensiv in die Prämissensetzung einzubringen. Genau das haben wir mit beiden hier zur Beschlussfassung stehenden Anträgen beabsichtigt, heute haben wir wieder mit einer Beschlussempfehlung zu tun, die die ursprüngliche Antragsabsicht ignoriert oder in ihr Gegenteil verkehrt und das zum Beschluss machen will, was der gegenwärtigen Praxis entspricht.

Die Beschlussempfehlung stellt zwar einerseits fest - und für diese Landesregierung ist das geradezu revolutionär- dass das Dublin-Übereinkommen überprüft werden soll. Gleichzeitig aber sagt sie, die EURODAC-Verordnung ist für das Funktionieren des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems grundlegend und muss deshalb konsequent angewendet werden. Unterm Strich heißt das - wir wissen zwar, das Dublin nicht funktioniert, aber es soll konsequent angewendet werden. Und das ist dann das Europäische Asylsystem – ich bitte Sie.

Welches europäische Asylsystem denn? Das, was wir gerade in Ungarn sehen? Dass wir sehen, dass Menschen, die in Europa zweifellos schutzberechtigt sind, sich zu Fuß auf eine Reise begeben müssen, die kreuzgefährlich ist, die sie auszehrt und noch ärmer macht? Dass, was die Menschen, die mit Tränengas, Wasserwerfern und Schüssen von den europäischen Grenzen ferngehalten werden,  die ja angeblich nicht geschlossen sind, erleben? Dass, was die Menschen, die in Italien oder Griechenland erleben, die keine Unterkunft, keine Versorgung, keine Chance auf ein faires rechtsstaatliches Asylverfahren haben?  

Das soll das europäische Asylsystem sein, dessen Grundlagen nicht angerührt werden dürfen sollen? Ich sage Ihnen: Nein, das ist es nicht. Das ist das europäische System der Abschottung, das ist das System, dass Menschen in die Arme von Schleusern treibt.

Die Überwindung von Dublin, die verbindliche Verständigung auf ein System der Verantwortungsteilung in Europa, die Schaffung legaler und sicherer Eireisewege, die europaweite Sicherstellung menschenwürdiger Unterbringung und Versorgung wären die Voraussetzung für ein europäisches Asylsystem und genau das bräuchte eben auch die Positionierung aus den Ländern.

Genau das tut die vorliegende Beschlussempfehlung nicht und will die Maßnahmen der Europäischen Migrationsagenda begrüßen. Ich bin wahrlich keine Anhängerin einer Verteilung entsprechend festgesetzter Quoten  - aber nicht mal dafür sind verbindliche Regelungen in der Migrationsagenda vorgesehen. Statt eines umfassenden Programms zur Seenotrettung sollen die Boote von sogenannten Schleppern zerstört werden und Menschen in Zusammenarbeit mit denselben Regimen, die Menschen überhaupt erst zur Flucht zwingen, mittels sogenannten Auffangzentren vom Übertritt europäischer Grenzen abgehalten werden. Die europäische Migrationsagenda ist die Fortsetzung des Scheiterns mit denselben erwiesenermaßen untauglichen Mitteln und auch deshalb lehnen wir die heutige Beschlussempfehlung ab.

Eine Bemerkung des Innenministers bei der Pressekonferenz des Kabinetts im Zusammenhang mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen, hat mich ehrlich gesagt erschüttert – und zwar völlig fernab der Tatsache, dass wir naturgemäß und üblicherweise nicht denselben Standpunkt haben. Sie sagten, ein Ergebnis der Grenzkontrollen sei, dass wir nun wissen dass von den 7000 Menschen die in den ersten Stunden an der deutsch-österreichischen Grenze, etwa die Hälfte keine Ausweispapiere dabei habe und damit nach nationalem Recht abweisbar wären, und man irgendwann überlegen müsse, ob man nicht die EU-Regeln die das verhindern oder erschweren aussetzen müsse. Das hat mich erschüttert denn das hieße nichts anderes, als die Menschen zurück in das Elend in Ungarn, zurück auf den landminenverseuchten Weg durch Serbien und Kroatien, zurück in absolute Unsicherheit zu weisen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Hälfte keinen Pass dabei gehabt haben mag. Nein, natürlich nicht. Diese Menschen haben ganz andere Sachen nicht, sie haben keine warme Kleidung, keine Medikamente, über lange Zeiten kein Essen und Trinken. Ich wäre froh, das triebe den Innenminister um bzw. er würde seine Sorge darüber artikulieren. Dass Menschen, die zu einem großen Teil aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak fliehen mussten, keine Ausweispapiere dabei haben könnten, kann doch niemanden ernsthaft überraschen und dazu führen, ihnen ihre Schutzbedürftigkeit abzusprechen. Das ist eine Position, die in keiner Weise etwas daran ändern würde, dass verzweifelte Menschen versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Das ist eine Position, die die Gefährdung von Menschenleben in Kauf nimmt. Das darf nicht die Position Sachsen-Anhalts sein.