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Henriette Quade zu TOP 07: Entwurf eines Gesetzes über das Verbot der Gesichts-verschleierung im öffentlichen Raum des Landes Sachsen-Anhalt / Sachsen-Anhalt: Gesicht zeigen! Zwischenmenschliche Kommunikation gewährleisten

Wieder haben wir es mit einem Antrag zu tun, der nicht viel mit Realitäten hier im Land zu tun hat, aber gut zur eigenen Stimmungslage passt. Man hat den Eindruck, der AfD gehen die Themen aus - zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit haben wir hier einen Antrag der darauf zielt, Muslime und Muslimas zu Fremden zu machen, der ihnen feindselige Absichten unterstellt und der Bedrohungen imaginisiert, wo keine sind. Und auch darin sind sie nicht mal originell, so wie den ersten Antrag sind gleichlautend auch in anderen Landtagen solche aufgewärmten Anträge eingebracht worden. Eine meiner Kolleginnen in Brandenburg stellte dazu zutreffend fest: Das Problem mit aufgewärmtem Kaffee ist erstens, dass man noch mehr braunen Bodensatz produziert und sich zweitens auch kein neues Aroma entfaltet.

Auch Ihr Verhalten in den Beratungen in den Ausschüssen zu Ihrem ersten Antrag war aufschlussreich. Immerhin, in der zweiten Beratung im Innenausschuss wollten sie dann doch noch mal was sagen - Herr Höse legte in beeindruckenden Worten dar, dass der Koran das Tragen eines Gesichtsschleiers nicht zwingend vorschreibe und es unterschiedliche Auffassungen dazu gibt, um analytisch scharf daraus abzuleiten, dass Gesichtsschleier deswegen verboten werden müssten. Logik a la AfD.

Die Berufung auf Religionsfreiheit könne nach Ihrer Argumentation nicht stattfinden, weil das ja nicht Vorschrift sei. Wenn ich das richtig sehe, ist der sonntägliche Kirchgang kein Zwang, fällt aber zweifellos unter die Ausübung der Religionsfreiheit. Oder sehen Sie das anders?

Ich bin - wie die meisten Menschen in Sachsen-Anhalt - Atheistin, für mich stellen Religionen ein großes Faszinosum dar, deren Gesetze, deren Regeln und deren Praxen sich mir nur bedingt erschließen. Darin sind sich für mich alle gleich. Ich kann für mich persönlich nicht nachvollziehen, warum sich jemand entscheidet, sich zu verhüllen, ich kann genauso wenig nachvollziehen, warum jemand findet, Homosexualität sei eine Strafe Gottes und sich deshalb sein Leben lang selbst verleugnet und kasteit, ich kann es nicht verstehen, wie man im Namen eines Gottes Verhütungsmittel als unmoralisch begreifen kann und warum Kinder nur dann ein Geschenk sein sollen, wenn sie in eine heterosexuelle Ehe hineingeboren werden. Muss ich ja auch nicht. Ich muss nur damit leben können, dass es Leute gibt, die das anders sehen.

Und um eines ganz deutlich zu sagen: Zwang ist ein Problem im orthodoxen Islam, sowie Zwang ein Problem aller Orthodoxien ist, und es braucht nun wirklich nicht die AfD, um darauf zu kommen.

Niemand hier im Hause bezweifelt, dass das Tragen eines Gesichtsschleiers auch Ausdruck eines Unterdrückungsverhältnisses sein kann. Auch bei der geringen bis nicht vorhandenen Fallzahl an Niqab- oder Burkaträgerinnen in Sachsen-Anhalt bleibt es schwer zu sagen, wie viele davon einem solchen Unterdrückungsverhältnis zuzuordnen wären. Klar ist aber, dass sich Zwangsverhältnisse nicht mit einem Bekleidungsverbot lösen lassen. Sie mögen damit leben können, wenn die betroffenen Frauen dann in Wohnungen weggesperrt würden - wir nicht. Wer Frauen aus Zwang befreien will und die Voraussetzungen dafür schaffen will, dass sie es selbst können, der muss Beratungsangebote schaffen, der muss für Zugänglichkeit und bedarfsgerechte Versorgung mit Frauenschutzhäusern, für Verständigungsmöglichkeiten und Rechtsberatung, für Kinderbetreuung und strikte Ahndung von Nötigungen sorgen, statt Männer, die ihre Frauen, die sich aus ihren gewalttätigen Beziehungen befreien wollen, als "Gehörnte" zu bezeichnen und Frauen Geburtenraten zur Volkserhaltung vorzuschreiben - so wie es die AfD tut.

Was allerdings zutrifft, ist die Feststellung, dass die CDU sich entscheiden muss. Sie müssen sich entscheiden, was für eine Gesellschaft Sie wollen: eine normierte Gesellschaft des Ausschlusses oder eine Gesellschaft, die ihre Liberalität und Offenheit nicht nur als Behauptung vor sich herträgt,  sondern auch tatsächlich eine solche ist. Das heißt, Unterdrückungsverhältnisse überall dort anzugehen, wo sie existieren, das heißt, sie eben nicht zu einem Problem der Anderen zu machen, und das heißt auch, den Integrationswillen von Menschen nicht an der Zahl ihrer Pässe ablesen zu wollen.