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Hendrik Lange zu TOP 20: Situation an der Martin-Luther-Universität Halle

Medienberichten zufolge steht die Martin-Luther-Universität vor einer enormen Stellenkürzung. Von 100 bis 170 Stellen ist darin die Rede. Tatsächlich hat das Rektorat der MLU dem Senat ein Papier vorgelegt, in dem ein Stellenabbau von 95,3 Stellen bis zum Jahr 2019 vorgeschlagen wird. Hintergrund ist nach Angaben des Rektorats ein strukturelles Defizit von 6 Millionen Euro. Ein Aktionsbündnis von Studierendenvertretungen und Gewerkschaften protestiert verständlicherweise gegen dieses Vorgehen, das wohl auch unter den Professorinnen Skepsis auslöst.
 
Um die Situation an der MLU zu verstehen und zu analysieren, braucht es den Blick zurück ins Jahr 2003. Die damalige Landesregierung entschied in diesem Jahr - also 2003 -, die Haushaltsbudgets der Hochschulen ab dem Jahr 2006 um ca. 30 Millionen Euro zu kürzen. Die Martin-Luther-Universität hatte dabei mit 14,7 Millionen Euro den größten Batzen zu tragen.  
 
Einher ging diese Kürzungsabsicht mit einer Diskussion zur Hochschulstruktur des Landes. Diese Strukturmaßnahmen, die damals von der sogenannten Benz-Kommission vorgeschlagen und von der Landesregierung beschlossen wurden, führen bis heute zu Verwerfungen im Hochschulsystem, denn selbstverständlich können Angestellte und Beamte nicht einfach entlassen werden. Gleichwohl leisten diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Stellen nicht mehr besetzt werden sollen, eine sehr gute und wichtige Arbeit an der Universität.

Als Grund für die Kürzungen um 30 Millionen Euro im Hochschulsystem des Landes wurde die demografische Entwicklung des Landes genannt, wonach die Studierendenzahlen ab 2006 abnehmen und ab 2008 einbrechen sollten. Damit die Studierendenzahlen sanken, haben die Hochschulen im Land gemeinsam mit dem Ministerium die Anzahl der zulassungsbeschränkten Fächer ab 2006 enorm ausgeweitet.  
 
Für Sachsen-Anhalt sind mit diesen Beschlüssen 33 850 personalbezogene Studienplätze von ehemals 39 251 personalbezogenen Studienplätzen festgelegt worden. Die MLU hat diesen Beschlüssen zufolge 13 700 personalbezogene Studienplätze bei einer Stellenzahl von 1 855, das Ganze immer gerechnet  ohne die medizinische Fakultät.

Dabei war die Zielstruktur mit 1 011 Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und mit 844 Stellen für nichtwissenschaftliches Personal gedacht. Einher gingen diese Beschlüsse mit den Änderungen des Landeshochschulgesetzes und der Einschränkung der Hochschuldemokratie, verkauft unter dem Begriff „Autonomie“. Im Zuge dieser Autonomie durften die Hochschulen dann entscheiden, wo sie kürzen wollen, und das wird heute noch immer „Profildiskussion“ genannt. Wenn Autonomie und Reform immer nur Kürzungen bedeutet und damit Beschränkungen einhergehen, ist es verständlich, wenn ihnen gegenüber eine gewisse Skepsis herrscht, obwohl der Ursprungsgedanke ein guter ist.
 
Der Abbau der Hochschulstrukturen und Studienplätze war ein schmerzhafter Prozess und die demografische Entwicklung ein Scheinargument, denn nun kam alles anders. Die Studierendenzahlen sind nicht gesunken, sondern massiv gestiegen. Der Bund hat einen Hochschulpakt mit den Ländern geschlossen, um Abiturientinnen und Abiturienten einen Studienplatz auch unter der Bedingung des Vorhandenseins vieler Studienplatzbewerber zu ermöglichen. Dabei wurden Zielzahlen festgelegt, und unsere Hochschulen müssen die gleichen Studienanfängerzahlen wie 2005 haben, als besonders viele junge Menschen bei uns im Land ein Studium begonnen hatten.
 
Da danach die beschriebenen Kürzungen erfolgten, fahren unsere Hochschulen trotz Hochschulpaktmitteln eine enorme Überlast, denn auf 34 000 Studienplätzen im Land studieren über 50 000 Studierende. Ich glaube, dieses Jahr sind es 54 000 Studierende. Deswegen sind Vorstellungen - wie beispielsweise vom Finanzminister -, dass bei sinkenden Studierendenzahlen auch Budgetkürzungen möglich sind, eine Illusion, denn die Hochschulen würden dann erst wieder in Richtung normaler Auslastung zulaufen. Glauben Sie mir: Überfüllte Hörsäle, Vorlesungen im Steintor-Varieté und Videoübertragungen von Vorlesungen am Abend sind kein Qualitätsmerkmal.

Fakt ist: Die Hochschullandschaft in Deutschland ist unterfinanziert. Konservativ gerechnet, fehlen allein zur Verbesserung der Lehre über 1 Milliarde Euro, wobei wir hierbei den Bund ganz besonders in der Pflicht sehen. Gerade in experimentellen Fächern werden Mittel für Praktika und Masterarbeiten häufig aus Drittmitteln genommen, was eigentlich nicht zulässig ist. Gleichwohl gab es weder zur letzten Budgetverhandlung noch zur Erarbeitung der Zielvereinbarung und auch nicht zu den Haushaltsberatungen - nicht einmal zum Nachtragshaushalt - ein Signal aus der Universität und schon gar keines aus der Landesregierung. Ich hätte schon erwartet, dass dort ein Signal aus der Einrichtung und aus der Landesregierung kommt, wenn fast 100 Stellen abgebaut werden sollen, weil 6 Millionen Euro fehlen.
 
Deswegen braucht es Aufklärung und Problemlösungen. Das möchten wir mit diesem Antrag erreichen. Auch wenn sich die Ministerin freut, dass die Hochschulleitung strategisch arbeitet, sie wird bestimmt wieder sagen, dass die mangelnde Strategiefähigkeit vom Wissenschaftsrat angekreidet wurde. Ich sage: Strategien immer nur zum Abbau zu entwickeln, ist frustrierend, und mangelnde Strategiefähigkeit ist eben auch ein Resultat von zu wenigen, die an der Hochschule sind, die überhaupt noch Zeit dafür haben, Strategien zu entwickeln, wenn permanent Überlast gefahren werden muss.
 
Mir ist noch nicht klar, warum das Rektorat jetzt mit dieser Strukturdiskussion beginnt. Es gibt eine gültige Beschlusslage. Wenn jetzt Stellen an der größten Universität im Land in diesem  Umfang gestrichen werden, hat das massive Auswirkungen auf die Studienplatzkapazitäten, zumal die Struktur- und Profildebatte erst mit dem Bericht des Wissenschaftsrates im nächsten Jahr erfolgen soll - und auch dann erst fundiert erfolgen kann. Wir haben gestern kurz darüber geredet. Ich halte es für gefährlich, dass die Uni-Leitung signalisiert, die Überlast mit noch weniger Stellen bewältigen zu wollen. Deswegen ist damit unverzüglich der zuständige Ausschuss zu befassen.
 
Vielleicht sollten dazu noch Uni-Leitung und Statusgruppenvertreter eingeladen werden. Dann könnten wir statusgruppenübergreifend ins Gespräch kommen. Warum die Koalition die Ministerin vor einem Zusammentreffen mit dem Aktionsbündnis an der Uni schützen will, ist mir auch unklar. Sie haben es aus unserem Antrag de facto herausgestrichen. Da bin ich schon ein wenig irritiert.
 
Unklar ist auch, wie es dazu kommt, dass es innerhalb des Budgets der Universität Halle Jahr für Jahr Überträge in das nächste Jahr gibt. Mir ist nicht unklar, wie es dazu kommt, denn die sind da, und die werden dann auch wieder verwendet. Aber wenn man das über Jahre hinweg mit einer relativ konstanten Summe macht, dann kann man sehr schwer davon reden, dass diese Summe zur Besetzung von Stellen fehlt, und das müssen wir aufklären. Deswegen müssen wir da ins Gespräch kommen, und das bedarf auch der Ausschussdebatte.

Unser Antrag zielt auch darauf hin, dass die Hochschulpaktmittel perspektivisch fortgeschrieben werden. Die Hochschulrektorenkonferenz hat ausgerechnet, dass bis 2025 die Studierendenzahlen in Deutschland gleichbleibend hoch anzusetzen sind. Von daher ist es dringend notwendig, die Hochschulpaktmittel fortzuschreiben. Wahrscheinlich müssen aber die Vorzeichen des Hochschulpaktes geändert werden, indem dort beispielsweise auch Masterstudiengänge berücksichtigt werden.  
 
Den Antrag der GRÜNEN unterstützen wir. Das würden wir übernehmen. Es ist völlig klar, dass auch die Debatte um das Kooperationsverbot mit aufgegriffen werden muss. Dazu haben wir auch schon Anträge in den Landtag eingebracht.
 
Es muss eine offene Diskussion darüber geben, wie die zukünftige Hochschulstruktur im Land aussehen soll und welches Profil die einzelnen Hochschulen im Land entwickeln sollen. Wir müssen darüber diskutieren, wie viel Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften wir an den einzelnen Einrichtungen haben wollen. Was machen wir mit den sogenannten kleinen Fächern, den Orchideen, die nun einmal auch noch sehr häufig an der Martin-Luther-Universität besetzt sind?  
 
Von daher braucht es hier eine ergebnisoffene Diskussionen und eine Diskussion, die auch im Land geführt wird. Bevor wir das nicht geklärt haben, ist eine Präjudizierung der falsche Weg. Ich finde es gut, wenn die Universität in Halle Vorschläge macht. Vorschläge ja, aber Tatsachen zu schaffen, bevor wir die Diskussion über die zukünftige Hochschulstruktur geführt haben, halte ich für falsch. Die Lage ist ernst, und es herrscht dringender Handlungsbedarf.