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Guido Henke zu TOP 3: Aktuelle Debatte: Mobilität für Alle - Gewinn für Alle

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute ist bekanntlich der Kindertag. Vor diesem Hintergrund möchten wir die Aktuelle Debatte zur Mobilität heute betrachten. Die von den GRÜNEN beantragte Debatte hat als Stoßrichtung allerdings weniger die Mobilität für ALLE, wie der Titel verheißt, sondern eher die Verkehrssicherheit im Allgemeinen. Das Thema Verkehrssicherheit ist meiner Fraktion seit vielen Jahren bekanntermaßen sehr wichtig. Aktuell hatten wir vergangene Woche im Verkehrsausschuss zur Verkehrsunfallbilanz 2022 einen Selbstbefassungsantrag eingebracht, der jetzt in Teilen auch Niederschlag im heutigen Debattenantrag der Grünen findet.
In der vergangenen Legislaturperiode gab es den Beschluss, alles für eine Vision Zero – für Null Verkehrstote – im Land zu tun, leider bislang mit wenig Erfolg. Im Zusammenhang mit der Vision Zero wurde der Verkehrssicherheitsrat installiert, der jedoch das letzte Mal 2018 zusammenkam, was - gelinde gesagt - schwierig ist. (meine Vorrednerin ist bereits darauf eingegangen). Er soll wohl wieder installiert werden, was dringend nötig ist.
Die aktuelle Unfallbilanz zeigt für Sachsen-Anhalt eine Steigerung der Zahlen bei Verletzten und Toten im Straßenverkehr. Besonders davon betroffen sind Menschen im Rad- und Fußverkehr, und hier besonders die Seniorinnen und Senioren.
Was uns in dieser heutigen Debatte jedoch umtreibt, ist wie gesagt die Frage nach einer kinderfreundlichen Mobilität, mit allem was dazugehört: städtebaulich, stadtplanerisch, die Kostenfrage, ÖPNV-Angebot, Verkehrsinfrastruktur für kleine Radfahrer und Fußgänger etc. Und auch die Verkehrssicherheit. Laut der Aussagen im Ausschuss, gab es 2022 einen 10-prozentigen Anstieg der Unfallzahlen bei Kindern. Auch wenn es zum Vergleich mit den Vor-Corona-Jahren gleichgeblieben ist, ist das viel zu viel.
Das Leben und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sind im Straßenverkehr besonders gefährdet. Nach Angaben von Polizei und Versicherern hat die Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Kinder in den vergangenen Jahren zwar insgesamt abgenommen, gleichwohl kommt noch heute im Durchschnitt alle 23 Minuten ein Kind im Alter von unter 15 Jahren im Straßenverkehr in Deutschland zu Schaden. So sind es jährlich seit 2010 mehr als 20.000 Kinder, die auf deutschen Straßen verunglückten, im Jahr 2020 48 davon tödlich.
Kinder haben mangelnde Erfahrung im Straßenverkehr, ein noch unausgeprägtes Risikobewusstsein, dazu kommt die autoorientierte Verkehrsplanung. Damit gehören Kinder zu den besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmern. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Fähigkeiten von Kindern zum sicheren Umgang mit komplexen Verkehrssituationen bis etwa zum 14. Lebensjahr begrenzt sind.
Der hauptsächliche Fokus der Verkehrssicherheitsarbeit liegt bisher in der Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung von Eltern und Kindern. Dabei wird jedoch häufig der Straßenverkehr in seinem Ist-Zustand als gegeben hingenommen und von Kindern und Eltern eine Anpassung des Verhaltens erwartet. Zukünftig braucht es viel mehr den Anspruch und die Anforderung, eine barrierefreie und kindgerechte Infrastruktur zu schaffen.
Die Belange und Fähigkeiten von Kindern bei der Infrastrukturgestaltung muss zum Planungsgrundsatz werden: Durch straßenbauliche und verkehrsrechtliche Maßnahmen ist die Unfallgefahr für Kinder und Jugendliche zu minimieren.
Das heißt konkret: abgetrennte Geh- und Fahrradwege sowie Geschwindigkeitsbegrenzungen bzw. Tempo 30 oder verkehrsberuhigte Bereiche im Umfeld von Kindergärten, Spielplätzen, Schulen und auch an den ausgewiesenen Schulwegen nach den Schulwegplänen unerlässlich. Zudem sind bauliche oder geschwindigkeitsreduzierende Maßnahmen auch zwingend im Bereich des übrigen Hauptverkehrsnetzes erforderlich, wenn dort besondere Gefahrenmomente für Kinder und Jugendliche erkennbar sind. Hierfür benötigen die Kommunen erweiterte rechtliche Rahmenbedingungen in der StVO.
Die Geschwindigkeitsbegrenzungen sollen durch straßenbauliche Maßnahmen sowie den Einsatz stationärer Geschwindigkeitsüberwachung durchgesetzt werden. Eine Verkehrsüberwachung durch die Polizei und die zuständigen kommunalen Ordnungsbehörden darf sich nicht auf den Schuljahresbeginn jedes Jahr im August  beschränken, sondern ist eine Daueraufgabe.
Für die Kinder muss ein selbstständiges Queren von Fahrbahnen ermöglicht werden, wofür gut sichtbare und für Kinder begreifbare Querungsstellen einzurichten sind. Je nach Örtlichkeit bedarf es Lichtsignalanlagen, Fußgängerüberwege (Zebrastreifen), Mittelinseln oder vorgezogene Aufstellflächen, die auch in der Dämmerung gut erkennbar sind. Die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungenmüssen wie im Koalitionsvertrag des Bundes dafür endlich angepasst werden. Sie erschweren den Kommunen und anderen Akteuren durch unnötige Hürden - etwa bei der Einrichtung von Fußgängerüberwegen - die Verkehrssicherheitsarbeit vor Ort.
Sichthindernisse müssen entfernt und das Halten und Parken von Fahrzeugen baulich unterbunden werden. Halt- und Parkverstöße müssen gerade in den Morgenstunden zu Unterrichtsbeginn konsequent und dauerhaft überwacht werden. Die Bedeutung von Schulweg- und Radschulwegplänen soll wesentlich stärker in den Fokus gerückt werden. Die Instandhaltung und Pflege von Rad- und Gehwegen inkl. Grünpflege und Winterdienst ist für eine sichere Verkehrsteilnahme von Rad fahrenden Kindern erforderlich. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Planung von Bauvorhaben haben Kinder ein Recht auf Mitsprache und Beteiligung. Ihnen ist, angemessen und entsprechend des Alters und der Reife, dazu Gelegenheit  zu geben. Dabei sollte die Landesregierung die örtlichen Behörden mit Leitfäden, Praxisbeispielen und Fortbildungsangeboten unterstützen.
Für junge Menschen ist der Umweltverbund aus Rad- und Fußverkehr sowie ÖPNV relevant, um selbstbestimmt mobil zu sein. Und wenn vom ÖPNV die Rede ist, stellt sich sofort die Frage nach Angebot, Bezahlbarkeit und Finanzierung im Land. Sie werden sich möglicherweise noch an unseren nicht allzu weit zurückliegenden Antrag erinnern, wo wir am Beispiel Magdeburgs, ein 9 Euro-Ticket für alle Schüler als Landes-Modellprojekt angeregt haben. Und ganz sicher braucht es dafür auch eine weitere Aufstockung der Regionailsierungsmittel seitens des Bundes, aktuell sichern die Regmittel die Bestandverkehre, jedoch keinem ÖPNV-Ausbau, nicht zuletzt wegen auch hier weiterer Kostensteigerungen. Der ÖPNV ist im Übrigen auch entscheidend für eine bessere Unfallbilanz und damit höhere Verkehrssicherheit. Eine weitere Anhebung der Regmittel ist also nötig, das sagt auch der Beschluss der VMK vom März 2023.
Entsprechend muss natürlich auch der jetzt zu novellierende Landesentwicklungsplan qualifiziert werden, was die zukunftsfähige Mobilität – auch von Kindern - als zweiten raumordnerischen Schwerpunkt betrifft.  
In Sachen bezahlbaren ÖPNV ist das 49 Euro-Ticket ein guter erster Schritt, muss jedoch über 2023 verlässlich und dauerhaft vom Bund mindestens hälftig kofinanziert werden, jedoch: für Jugendliche, FSJler, Bufdis etc. ist das auch noch zu teuer.
Im Verkehrsausschuss vergangene Woche wurde auch die Präventionskampagne für Senioren vorgestellt, gut wäre eine solche auch für Kinder und Jugendliche. Es ist nachteilig und gefährlich, dass der vorgeschriebene 1,5 Meter Abstand von PKW zu Radfahrern im Moment noch nicht technisch messbar ist. Radfahren ist damit für Kinder und alle anderen ein Risiko. Hier fordern wir Bundesfördermittel für kommunal und regional zu errichtende Radvorrangrouten, die dann rechtlich zu installieren sind. Auch das Fernstraßengesetz muss geändert werden, damit auch bei Bundesstraßen begleitende Radwege finanziert werden können.
Ein kinderfreundliches Verkehrssystem ist also Voraussetzung für selbstständige und selbstbestimmte Mobilität von jungen Menschen, das Straßenverkehrsrecht muss daraufhin angepasst werden, Verkehrsinfrastruktur dafür schaffen.  
Auch die Verkehrsministerkonferenz hat auf ihrer vergangenen Sitzung erstmals explizit festgestellt, dass der öffentliche Raum und MIV nicht kindgerecht sind. Das bedeutet für uns, dass Straßenverkehrsgesetz und die StVO müssen jetzt wie im Koalitionsvertrag des Bundes geschrieben (hier sitzen meines Wissens nach die GRÜNEN in der Regierung) angepackt werden: statt Flüssigkeit des Verkehrs, sind der Sicherheit und dem Umweltschutz Vorrang einzuräumen, Länder und Kommunen brauchen dafür Entscheidungsspielräume um Geschwindigkeitsreduzierung und Städtebauliche Maßnahmen umzusetzen.
Und hier im Land müssen die Jugendverkehrsschulen finanziell sachgerecht unterstützt werden, damit die Arbeit nachhaltig und personell gesichert werden kann.
Verbesserungspotenzial besteht auch in einer institutionellen Förderung ab 2024 oder mittels deutlicher Erhöhung der VE. Die Verkehrserziehung kann nicht hauptsächlich auf die Schultern des Ehrenamts abgelegt werden, hier bedarf es massiver Lehrerfortbildungs- und Ausbildungsangebote.
Das Aktionsbündnis „Kidical Mass“ war auch dieses Jahr wieder Anfang Mai, erst vor weniger Wochen, für ein kinderfreundliches Straßenverkehrsrecht unterwegs. Zehntausende Menschen forderten „Straßen sind für alle da“! Das teilen wir absolut: Alle Kinder und Jugendlichen sollen sich sicher und selbstständig mit dem Fahrrad und zu Fuß bewegen können. Wir brauchen ein Straßenverkehrsrecht, bei dem die ungeschützten Verkehrsteilnehmer Vorfahrt haben - insbesondere die Kinder. 
Der Geschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, sagt: (ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis)

„Wir brauchen eine ganzheitliche Entwicklung von Städten und Gemeinden, in denen sich auch die junge Generation wohlfühlt. Wir sollten deshalb umgehend dazu übergehen, Kindern und Jugendlichen auch im Bereich der Stadt- und Verkehrsplanung kontinuierlich, umfassend und möglichst frühzeitig Mitbestimmung zu ermöglichen. Dafür braucht es eine veränderte Verkehrspolitik, um für mehr Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr zu sorgen. Kinder, die sich selbständig im Straßenverkehr bewegen und beispielsweise mit dem Rad zur Schule kommen, nehmen ihre Umgebung aktiv wahr. Sie lernen, sich gut zu orientieren und auf sich selbst aufzupassen. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein – auch für andere Lebenssituationen. Daher fordern wir eine an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen ausgerichtete Verkehrspolitik und eine echte Mobilitätswende.“ 

Schlussendlich geht es nicht nur um sichere Mobilität, sondern um eine bessere Lebensqualität für alle Generationen.