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Eva von Angern zu TOP 9: 33 Jahre Deutsche Einheit - Sonntagsreden ersetzen keine Anerkennung

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Zum 30. Jubiläum der Deutschen Einheit veröffentlichte die Wochenzeitung DIE ZEIT eine besondere Studie: Erstmals wurde genauer geschaut, nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland verglichen. Sondern einbezogen wurden auch die Westdeutschen, die im Osten leben und die Ostdeutschen, die im Westen leben. Vergleicht man nun die Einkommen, vergleicht man die Vermögen dieser vier Gruppen, ergab sich im Jahr 2020 das folgende Bild: Im Schnitt am meisten haben Westdeutsche, die in Westdeutschland leben. Auf Platz 2 landen wiederum Westdeutsche, eben auch, wenn sie in Ostdeutschland leben.

Auf Platz 3 sind Ostdeutsche, die in den Westen gegangen sind. Und, wer ist noch übrig? Richtig, am wenigsten verdienen und haben im Schnitt die Ostdeutschen, die in Ostdeutschland geblieben sind. Es geht also nicht um eine regionale Wohlstandslücke. Es geht, bis heute, um ungleiche Chancen. Darum, dass Menschen, die in der DDR und im östlichen Deutschland geboren worden, im Schnitt weniger erreichen können als ihre westdeutschen Nachbarn.

Lange wurde öffentlich argumentiert, der Osten hänge halt hinterher bei wirtschaftlicher Produktivität und Effizienz. Das war pauschal aber nie richtig, denn die Altenpflegerin macht die gleiche Arbeit am Menschen, egal, wo das Seniorenheim steht. Trotzdem wird im Westen mehr verdient und meist auch kürzer gearbeitet. Wir leisten uns – mal aus gesamtdeutscher Perspektive gesprochen – wir leisten uns seit 30 Jahren eine strukturelle Abwertung, eine Verkoppelung von Herkunft und zugeschriebener Kompetenz. Noch augenfälliger wird dies bei Menschen, die erkennbar oder vermutbar Zugewanderte sind. Wir übersetzen also falscherweise ökonomische Benachteiligung in persönliche Unzulänglichkeit. Das gilt für die Stellung von Migrantinnen und Migranten in unserem Land, das gilt tendenziell für Frauen, und es gilt eben auch für Ostdeutsche. Diese Geringschätzung von Menschen ist ein demokratisches Problem. Es geht längst nicht mehr um blühende Landschaften, es geht um das Ideal von Freiheit und Gleichheit.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

der industriell entkernte Osten ist bis heute Niedriglohnland. Und die Niedriglohnstrategie ist eng verbunden mit dem Agieren der CDU in der Landesregierung. Insofern erlauben sie mir eine Bemerkung zur Debatte, die wir gerade eben, auf ihren Antrag hin, vor einer Stunde geführt haben. Dass ausgerechnet die CDU hier postuliert, „Leistung müsse sich wieder lohnen“ ist vor dem Hintergrund ihrer Politik ein schlechter Witz. Wer wie Sie die Einführung eines Mindestlohns verhindern wollte, der sollte jetzt niemandem etwas vom Wert der Arbeit erzählen. Machen sie stattdessen eine Politik, die an der Lohnstruktur Ost etwas ändert. Setzen sie öffentliches Geld im öffentlichen Interesse ein. Derzeit werden Fördermittel in Milliardenhöhe für Industrieansiedlungen zugesichert. Wir sagen: Binden Sie die Zusagen an Bedingungen für die Qualität der Arbeitsplätze, für den schonenden Ressourcenverbrauch von Wasser und Energie. Aber es geht bisher genau so weiter, wie es in den 90er Jahren begonnen hat. Wenige Unternehmer und Konzerne schalten und walten im ganz eigenen Interesse. Wir sagen hingegen: Der Strukturwandel Ost darf nicht schon wieder in Wild-West-Manier erfolgen.

Und, es gibt neben den Beschäftigten eine weitere Gruppe, die uns heute aufmerksam zuhören wird. Diejenigen, die bereits seit 10, 20 Jahren in der verdienten Rente sind. CDU und SPD hatten sich in der alten Bundesregierung auf einen Härtefallfonds zum Ausgleich für Regelungslücken bei ostdeutschen Rentnern geeinigt. Umgesetzt hat den Fonds aber erst die neue Bundesregierung, die Ampel. Deshalb hat es die CDU geführte Landesregierung fertiggebracht, sich jetzt in die Büsche zu schlagen. Im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung in Sachsen-Anhalt eine Beteiligung am Fonds bekanntlich abgelehnt, ich erinnere sie an unsere entsprechenden Anträge als Linksfraktion hier im Landtag.

Wir haben jetzt einen Zwischenstand, denn das Antragsverfahren wurde im September beendet. Der Seniorinnenrat aus Halle hat dazu – völlig zurecht –  eine Petition an den Landtag gerichtet. Nur ein Bruchteil der Anträge, nämlich unter 10 Prozent, betrafen überhaupt ostdeutsche Rentnerinnen mit DDR-Biographie (Zwischenstand August). Der weit größere Teil der Anträge kommt von Menschen, die als Kontingentflüchtlinge aus Osteuropa nach Deutschland kamen. Das verweist auf zwei Dinge: Erstens, auf ein gewaltiges Armutsproblem bei älteren Menschen in den jüdischen Gemeinden, und bei denen, die nie wieder an ihre alte berufliche Qualifikation anknüpfen konnten. Und Zweitens: Das Gerechtigkeitsproblem bei ostdeutschen Renten ist nach wie vor ungelöst.

Bisher ist nur eine zweistellige Zahl von bewilligten Anträgen bekannt. Das bestätigt unsere bittersten Befürchtungen: also bislang nur ein paar Dutzend Bewilligungen von 2.500 Euro! Vor dieser finanziellen „Belastung“ im Landeshaushalt haben sie sich also gesträubt. Ich komme noch mal auf ihren Auftritt heute zurück: O-Ton CDU: „Leistung muss sich lohnen“. Die betroffenen Rentnerinnen und Rentner haben geleistet. Ich muss ihnen leider sagen, die Landesregierung nicht. Die Politik wirft stattdessen halbgare Vorschläge in die Luft. Ausgerechnet der Bundesvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, hat bei einem Magdeburger Besuch versprochen, er wolle sich ein paar Gedanken um die Vermögensbildung für Ostdeutsche machen.

Ich sage mal, –  bitte nicht! Bitte nicht den Herrn Merz dafür. Bitte nicht schon wieder ein westdeutscher „Experte“ für den Osten! Ihm traue ich weder die Interessenvertretung für Ostdeutsche, und schon gar nicht ein Verständnis für migrantische oder feministische Belange zu. Das sehen sie sicherlich ein. Ich würde die Landes-CDU allerdings auffordern, endlich tätig zu werden, für diejenigen, die ihre Leistung erbracht haben und jeden Tag erbringen.

Die jahrzehntelang auf ein paar Hundert Euro Rente verzichten mussten, die hingegen für westdeutsche Rentner selbstverständlich sind. Vergleichbare Arbeitstätigkeiten an vergleichbaren Arbeitsorten dürfen nicht unterschiedlich bewertet werden. Es darf da – rückschauend betrachtet – keinen unterschiedlichen Rentenanspruch geben. Es darf – aktuell betrachtet – keine Lohnabwertung Ost geben. Beenden sie den Irrwitz von Arbeitsbiographien 1., 2. und 3. Klasse in diesem Land.

Denn die Lohnlücke Ost setzt sich fort in der Rentenlücke Ost.

Und schauen sie ehrlich auf den Stand der Dinge – und den Stand der Deutschen „Lohn-Einheit“: Die erst in diesem Jahr erfolgte gesetzliche Angleichung der Rentenpunkte ist verbunden mit der schrittweisen Absenkung der bisherigen Höherwertung der Ostlöhne. Wir sagen, solange die Unterschiede im Verdienst so hoch sind, muss die Umrechnung erhalten werden. DIE LINKE will deshalb generell für Beschäftigtenzeiten mit Niedriglohn in Ost wie West eine Hochwertung in der Rente einführen. Und abschließend sage ich Ihnen auch: Wir bleiben als LINKE dran am Thema. Um es im übertragenen Sinn mit Katja Hoyer zu sagen: wir kämpfen solange es „Die deutsche Norm – und die ostdeutsche Abweichung“ gibt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!