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Eva von Angern zu TOP 8: Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Justizvollzuges in Sachsen-Anhalt

Die Justizministerin Kolb sagte in einer Presseerklärung vom 27. Januar 2015: „Inhalte und Strukturen – beides ist für einen guten Strafvollzug wichtig.“ Das ist zunächst korrekt.
Das wird von mir geteilt und kann so auch „unterschrieben“ werden.

Aber dann entstehen unweigerlich folgende Fragen:

  • Was sollte prioritär behandelt werden?
  • Was ist ausschlaggebend?
  • Sollte man zunächst über Inhalte und dann über Strukturen reden, oder zunächst über Strukturen und dann über die inhaltliche Ausgestaltung des Strafvollzuges? Und da bin ich wahrlich nicht bei der Frage nach dem „Huhn und nach dem Ei“.


Ich kenne für meine Person bzw. meine Fraktion nur eine Antwort:

  • Bei der Ausgestaltung des Strafvollzuges muss letztendlich unbedingt den Inhalten der Vorrang eingeräumt werden.
  • Wir müssen klar bestimmen und untersetzen, was einen modernen Strafvollzug ausmacht.
  • Wir müssen benennen, welche Ziele wir erreichen wollen – und das mit Blick auf die Strafgefangenen und das auch mit Blick auf die Strafvollzugsbediensteten.
  • Wir müssen sagen, welche Bedingungen für einen modernen Strafvollzug geschaffen werden müssen?


Erst auf dieser Grundlage, nach dieser Verständigung und Einigung kann und darf und sollte man über Strukturen und den erforderlichen Personalkörper reden. Aber das ist leider monatelang, ja jahrelang in diesem Land seitens der Landesregierung nicht passiert.
Es ging zunächst immer nur um Umstrukturierungsmaßnahmen bzw. Schließungsabsichten im Bereich der Justizvollzugsanstalten.

Und selbst heute im Plenum haben wir zunächst über die Änderung des Gesetzes über die Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt, konkret über die Schließung der JVA Dessau-Roßlau debattiert und erst anschließend über die möglichen gesetzlichen Grundlagen für einen modernen Strafvollzug – (vorgegeben natürlich durch die nummerische Größenordnung der Drucksachennummer). Das ist das falsche Signal.

Im Rahmen einer Sitzung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung am 4. Juli 2014 hat das Ministerium für Justiz und Gleichstellung erstmalig die Eckpunkte für ein künftiges Landesstrafvollzugsgesetz Sachsen-Anhalt vorgestellt. Auslöser für ein solches Gesetzesvorhaben war, dass mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 die Zuständigkeit für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder übergegangen ist.

Sachsen-Anhalt schaffte in der Folge Gesetze für den Vollzug der Jugendstrafe, der Untersuchungshaft und der Sicherungsverwahrung und erließ ein Mobilfunkgesetz.
Im Bereich des Strafvollzugs galt und gilt bisher das alte Bundesstrafvollzugsgesetz fort.

Und, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, es befindet sich noch ein Gesetzentwurf meiner Fraktion zur Ausgestaltung des Jugendarrestes in der „parlamentarischen Pipeline“ mit folgendem Anspruch: Gesetzliche Regelungen zum Jugendarrest müssen sich deutlich vom Strafvollzug unterscheiden, da Jugendarrest keine Strafe ist.

Aufgrund des Übergangs der Zuständigkeit für den Strafvollzug hat Sachsen-Anhalt gemeinsam mit anderen Bundesländern (unter Federführung von Berlin und Thüringen gemeinsam mit Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein)  einen Musterentwurf für ein Landesstrafvollzugsgesetz entwickelt und im Jahr 2011 vorgelegt. Dieser Entwurf war wiederum Grundlage für den vorliegenden  Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Justizvollzuges. Dieser wiederum ist jedoch mit dem Musterentwurf nicht identisch, er hat sich aber deutlich an diesem inhaltlich orientiert.

Der vorliegende Gesetzentwurf weicht vom bisherigen Musterentwurf der Bundesländer an einigen Stellen deutlich ab. An dieser Stelle möchte ich insbesondere die 2 folgenden Punkte benennen, wo es deutliche Differenzen zu anderen Bundesländern gibt (vorausgesetzt, diese Regelungen werden durch das Parlament letztendlich so beschlossen):

  1. Strafgefangene in Sachsen-Anhalt werden zunächst grundsätzlich im geschlossenen Vollzug untergebracht, um ihre Eignung für den offenen Vollzug sachgerecht prüfen zu können.
  2. Sachsen-Anhalt behält die Arbeitspflicht für erwachsene Strafgefangene und Jugendliche im Justizvollzug bei.


Diesem Vorhaben stehen jedoch zum einen fehlende bzw. nicht ausreichend zur Verfügung stehende Arbeitsplätze und Arbeitsmöglichkeiten für die Strafgefangenen in Sachsen-Anhalt entgegen. Zum anderen steht dem ebenfalls entgegen (und das ist aus meiner Sicht weitaus problematischer einzuschätzen), dass die Arbeitstätigkeit von Strafgefangenen nicht im gleichen Maße sozialrechtlich geschützt ist wie Arbeit außerhalb der Haft.

Nach derzeitiger Gesetzeslage sind alle pflichtarbeitenden Gefangenen explizit in die Unfall- und Arbeitslosenversicherung, aber grundsätzlich nicht in die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. Damit entstehen oft erhebliche Versicherungslücken für die Strafgefangenen. Armut im Alter ist vorprogrammiert…

Freiwilligkeit ist jedoch ein Grundmerkmal einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Dem widerspricht der Arbeitszwang/ die Arbeitspflicht von Strafgefangenen in Sachsen-Anhalt. Das bisher Gesagte trifft mit einer Ausnahme auf alle Strafgefangenen zu, und die wäre folgende:  Und zwar unterliegen Gefangene (sog. echte Freigänger) in einem freien Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Strafanstalt der vollen Versicherungspflicht und damit dem vollen Versicherungsschutz. Das betrifft jedoch nur einen sehr geringen Teil der Strafgefangenen in Sachsen-Anhalt. (Bundesweit stehen wir im Übrigen bei der Auslastung des offenen Vollzuges eher schlecht da.) Hier sind aus unserer Sicht Lösungsansätze gefragt.

Dieses aufgeworfene Problem muss dringend während der parlamentarischen Gesetzesberatung diskutiert und beraten werden. Es bedarf letztendlich einer erforderlichen Pflichtversicherung aller bisher nicht versicherten pflichtarbeitenden Gefangenen in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Eine konsequente Lösung würde letztendlich darin bestehen: Abschaffung der Arbeitspflicht und letztendlich Festschreibung eines Rechts auf Arbeit, welche sozialversicherungspflichtig ist. Lassen Sie uns das ausdiskutieren.

9 Jahre nach der Föderalismusreform wird nun erstmalig auf der Landesebene in Sachsen-Anhalt der Strafvollzug geregelt. Man bündelt hierbei die Regelungen für den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft in einem eigenen Justizvollzugsgesetzbuch. Der Maßstab für Transparenz und Wirksamkeit, für Erfolg, Praktikabilität sowie Modernität eines solchen Gesetzes muss dabei stets sein, wie der Schutz der Allgemeinheit sowie die Resozialisierung der Strafgefangenen als gleichrangige Vollzugsaufgaben verankert sind. Alle Personen, die für einen bestimmten Zeitraum ihrer Freiheit entzogen werden, müssen menschenwürdig untergebracht werden.
Der Strafgefangene muss letztendlich befähigt werden, nach seiner Entlassung sein Leben in Freiheit eigenverantwortlich und straffrei führen zu können. Er muss in der Lage sein, sich in die Gesellschaft wieder einzugliedern.

Nelson Mandela sagte einmal: „Es heißt, dass man eine Nation erst dann wirklich kennt, wenn man in ihren Gefängnissen gewesen ist. Eine Nation sollte nicht daran beurteilt werden, wie sie ihre höchsten Bürger behandelt, sondern ihre niedrigsten.“

Ich denke, wir müssen uns nicht wirklich verstecken in Sachsen-Anhalt, aber es bedarf doch der ein oder anderen dringenden Nachbesserung…

Nun im Detail zu einigen wenigen Punkten des vorliegenden Gesetzesentwurfes.

Die Beratung in den Ausschüssen, eine zu beantragende Anhörung muss uns letztendlich Zeit und Gelegenheit geben, ausführlich, intensiv und im Einzelnen über die Punkte des umfangreichen Gesetzentwurfes zu reden. Erlauben Sie mir  zunächst eine haushalterische bzw. eine personalpolitische Einordnung des Gesetzesentwurfs vorzunehmen:

Rechtspolitisch begrüße ich ganz klar den mit dem Gesetzesentwurf verfolgten Ansatz der verstärkten Therapieorientierung und des individualisierten Ansatzes zur Behandlung aller Gefangenen unabhängig vom verhängten Strafmaß. Wir unterstützen auch ganz klar den Ausbau der Sozialtherapie. Das hat natürlich seinen Preis – zumindest kurzfristig betrachtet, wenn man die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen außen vor lässt. Dies ist aus unserer Sicht aber auch die einzige tatsächliche und vor allem überfällige Maßnahme, um den Resozialisierungsauftrag des Strafvollzuges zu erfüllen.

Es ist kein Geheimnis, dass DIE LINKE den Auftrag des Vollzuges nicht im Wegsperren straffällig gewordener Menschen sieht, sondern in der Vorbereitung eines Lebens in Freiheit ohne Straftaten. Das ist daher auch sicherheitspolitisch der sinnvollste Ansatz und deshalb gut investiertes Geld. Dabei ist die Rolle der Arbeitsplätze im Vollzug nicht zu unterschätzen.

Ich sagte bereits einige grundlegende Aspekte diesbezüglich am Anfang meiner Rede.
Der von Ihnen selbst festgelegte Anspruch einer Beschäftigungsquote von 60 % ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt. Dies wäre maximal dann zu rechtfertigen, wenn die übrigen Gefangenen in Bildungsmaßnahmen sind oder aufgrund ihres Alters nicht mehr beschäftigungsfähig. Ein Punkt, der im Ausschuss noch zu klären ist.

Insgesamt wird deutlich, dass Sie, Frau Ministerin, den personellen Mehraufwand vor allem durch Strukturkonzentration – also vermutlich durch Ihren Drei – Standort – Vollzug – realisieren bzw. ausgleichen wollen. Diesen, ihren Ansatz hat der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung im Sommer letzten Jahres ebenfalls unterstützt. Mit Blick auf die Debatte im vorhergehenden Tagesordnungspunkt fehlt mir jedoch der Glaube, dass dieses Vorhaben in DIESER Koalition tatsächlich umgesetzt wird.
Und da wird es auch nicht ausreichen, dass der Ministerpräsident derselben Partei angehört wie die Mitglieder der CDU – Fraktion.

Und rechtspolitisch sehe ich wenig Engagement bei Ihnen für ein Werben im Parlament, um dem hohen Anspruch des Gesetzesentwurfs auch tatsächlich gerecht zu werden.
Auch das wird im Ausschuss noch intensiv zu beraten sein. Wir müssen gegebenenfalls im Personalentwicklungskonzept nachbessern, um das Gesetz nicht auf den Knochen der Bediensteten umsetzen zu müssen. Denn in einem können wir uns sicher sein: Die Gefangenen werden ihre neuen Rechte schon bald kennen und keinesfalls zögern, diese gegebenenfalls auch mit Hilfe von Gerichten durchzusetzen. Also lassen Sie uns ehrlich prüfen, was das Gesetz personalpolitisch und ggf. auch strukturpolitisch bedeutet.
Lassen Sie uns prüfen, was der vorgesehene Einstellungskorridor, der auf keinen Fall als üppig und ausreichend bezeichnet werden kann, bedeutet.

Der Ansatz, der engen Verzahnung bzw. enggliedrigen Verkettung von Gericht, Vollzug und sozialem Dienst wird von uns ausdrücklich begrüßt. Gleiches gilt für die nachgehende Betreuung und den vorübergehenden Verbleib in der JVA oder die Wiederaufnahme.
Aufgrund bestehender Erfahrungen sind das sehr sinnvolle und auch im gesellschaftlichen Interesse stehende Maßnahmen.

In eigener Sache: Die Darstellung auf S.8 des Gesetzesentwurfs zur Anhörung des Landesfrauenrates ist falsch.

Abschließend möchte ich lediglich noch einmal ausführen, dass meine Fraktion nach wie vor bedauert, dass der Strafvollzug nach einer Entscheidung der Föderalismuskommission in Länderhand übergegangen ist. Selbst als Freundin des Föderalismus muss man zu dem Ergebnis kommen, dass Strafvollzug kein Spielball der Landespolitik sein darf und bundesweit Standards gelten müssen. Freiräume für Experimente wären auch dann gegeben. Ich werbe daher auch heute dafür, diese Entscheidung zu überdenken, initiativ zu werden und ggf. rückgängig zu machen. Meine Fraktion wird der Überweisung in die Ausschüsse Recht, Verfassung und Gleichstellung und Finanzen zustimmen.