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Eva von Angern zu TOP 29: Verfolgung von Homosexuellen nach 1945 aufklären und dokumentieren

Mit dem vorliegenden Antrag zur Aufklärung und historischen Aufarbeitung einschließlich der Dokumentation der Verfolgung von Homosexuellen wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen nach 1945 greift meine Fraktion eine Initiative der SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft auf und modifiziert diese.
Die Hamburger Bürgerschaft beschloss im Dezember letzten Jahres, den Senat zu ersuchen, die Durchführung einer Ausstellung über die Verfolgungssituation von Homosexuellen durch die Hamburger Justiz in der Zeit nach 1945 sowie die Arbeiten zur Erstellung einer begleitenden Dokumentation der Ausstellung zu unterstützen.
Ein guter und wichtiger Beschluss auf dem Weg der Aufarbeitung des begangenen Unrechts.

Mit unserem Antrag wollen wir nun einen weiteren Schritt nach dem im September letzten Jahres einstimmigen Beschluss unseres Parlaments zur Problematik nach vorn gehen. Zur Erinnerung: Wir haben gemeinsam beschlossen, die Landesregierung zu beauftragen, sich im Bundesrat der Initiative des Landes Berlin (BR-Drs. 241/12) für Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten anzuschließen.

Im November teilte die Landesregierung sodann mit, dass der Entschließungsantrag des Landes Berlin in den Beratungen im Rechtsausschuss des Bundesrates geringfügige Modifikationen erfahren und der Bundesrat im Oktober 2012 (BR-Drs. 241/12 - Beschluss) mit den Stimmen von Sachsen-Anhalt folgende Entschließung gefasst hat: „Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen“.

Der Auftrag des Landtages - allerdings auf einem nur minimalen Konsens basierend - wurde somit durch die Landesregierung erfüllt. Die Umsetzung steht durch die Bundesregierung noch aus, und wir sind gespannt, ob das Thema im Wahljahr eine Rolle spielen wird. Wünschenswert wäre, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom gestrigen Dienstag zur Stärkung der Rechte von Homosexuellen bei der Adoption noch vor der Bundestagswahl die gesetzlichen Anpassungen bzw. Neureglungen im Bundestag beschlossen würden. Ich hoffe, aus dem Konjunktiv des gerade getätigten Satzes wird bald der Indikativ folgen, denn die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte sind leider andere.

Vor uns steht sicherlich noch ein zäher und langwieriger Prozess bis zur tatsächlichen Gleichstellung. Die entsprechenden Verbände, wie bspw. der LSVD, werden diese Themen mit Sicherheit schwerpunktmäßig setzen, und auch DIE LINKE wird an den Themen dran bleiben.

Ein weiteres „Puzzleteil“ im Sinne der der tatsächlichen Gleichstellung besteht in der notwendigen historischen Aufarbeitung der Verfolgung von Homosexuellen, wie im heute vorliegenden Antrag eingefordert. Dies kann ein Beitrag, dies muss unser Beitrag als Land im Rahmen der Aufarbeitung des Unrechts sein, das Homosexuelle nach 1945 auf dem heutigen Territoriums Sachsen-Anhalts erlitten haben.
Es muss unser Anteil am Abbau der Diskriminierung von Homosexuellen sein.
Unverzichtbar ist aufgrund der zeitlichen Eingrenzung ab dem Jahr 1945 aus unserer Sicht die Einbeziehung des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Gemeinsam mit Eduard Stapel legte damals noch Frau Ahrberg (frühere Stasi-Landesbeauftragte) bereits im Rahmen der Reihe „Betroffene erinnern sich“ mit Heft 10 eine Broschüre vor, welche unter dem Titel „Warme Brüder gegen Kalte Krieger - Schwulenbewegung in der DDR im Visier der Staatssicherheit“ einen ersten Einblick gab. Hierin wird dargestellt, in welchem Spannungsverhältnis die Betroffenen sich befanden.

Einerseits war da das Bild des „blühenden Landes, welches sich die Einhaltung der Menschenrechte auf seine Fahnen geschrieben hatte“. Andererseits war das eben nur ein Scheinbild, welches beim genaueren Hinblicken in der harten Realität endete.
Eine Seifenblase, die schnell zerplatzte. Die gewünschte „funktionierende Gesellschaft“ gab es nicht. Auch in der DDR waren die Menschen verschieden, lebten und liebten sie verschieden, hatten unterschiedliche Lebensentwürfe, die aber in einer Diktatur nur schwer Platz in dieser Pluralität fanden. Die Propaganda der DDR zielte vor allem auf heterosexuelle Beziehungen ab.

Und so verwundert es nicht wirklich, dass in einer Promotion aus dem Jahr 1983 zur „Gruppe der Homosexuellen“ an der Humboldt Universität Berlin folgendes zu lesen ist: „Homosexuelle sind Personen mit stark gleichlaufenden sexuellen Interessen und Organisationsbestrebungen, die sich gegenseitig im Arbeitsbereich bevorteilen, sich erlaubt und unerlaubt in größeren und kleineren Gruppen zu bestimmten Anlässen treffen, ihre Lebensauffassungen miteinander austauschen und inneren Zusammenhalt demonstrieren, aufgrund ihrer vielen sexuellen Kontakte Hauptinfektionsquellen für Syphilliserkrankungen und andere sexuell übertragbare Krankheiten sind und sich oft von jungen Jahren an konspirativ gegenüber ihrer Umwelt verhalten.“

Das war natürlich nur ein Auszug aus der Dissertation. Ein Auszug, der aber deutlich macht, welcher Diskriminierung und welcher Kriminalisierung Homosexuelle in der DDR durchaus ausgesetzt waren. Der juristische Doktortitel wurde Dank dieser Arbeit übrigens verliehen.

Das von der SED gewünschte Bild des „sozialistischen Menschen“ tat sich tatsächlich schwer mit anders Lebenden, anders Denkenden. Und so waren Misstrauen und Konflikte vorprogrammiert. Im Zweifel steckte der Klassenfeind dahinter. So wurde beispielsweise der Arbeitskreis Homosexualität der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig vom MfS als „Kaderschmiede“ betitelt und folgendes festgestellt: „Die Mitglieder des AKH wenden die Methoden der KPD aus dem Widerstandskampf an und konspirieren ihre Verbindungen.“

Natürlich wollte dieser Arbeitskreis etwas verändern. Er wollte für Homosexuelle in der DDR die gleichen Rechte erwirken, die für andere so selbstverständlich galten.
Heute fragt man sich: Was war eigentlich daran falsch?! Der vom MfS damals gesehen politische Missbrauch muss aus heutiger Sicht klar verneint werden.
Die Broschüre gibt einen Einblick in das Leben und Wirken von Herrn Stapel, in die Mitverantwortung von Menschen, die sich vom Staat haben missbrauchen lassen, aber auch in das Leben von Menschen, die sich Freiräume schafften oder die die vom Staat eingeräumten kleinen Freiräume erweiterten oder die einfach nur für ihr persönliches Glück gekämpft haben. Und wer kann gerade Letzteres wirklich verurteilen?

So könnte ich noch weitere Beispiele aus der Broschüre Eduard Stapels wiedergeben, der aber auch selbst einräumt, dass damit das Gesamtproblem bei weitem nicht aufgearbeitet ist. Und so hat auch meine Fraktion das historisch zu untersuchende Forschungsfeld ganz bewusst nicht bis auf den letzten Punkt festgeschrieben sowie keine abschließenden detaillierten Aufzählungen vorgenommen, um die Option offen zu lassen, neue Untersuchungskriterien sowie -ergebnisse auch entsprechend aufnehmen und berücksichtigen zu können.
Ganz bewusst haben wir daher auch den zeitlichen Horizont, die historisch zu untersuchenden Zeitabschnitte offen gelassen.

Wichtig ist uns jedoch der inhaltlich fachliche Fokus in folgenden Bereichen:

Strafverfolgung bzw. Rechtsprechung
Wir wissen, dass es sich hier sowohl in Ost als auch in West um einen dunklen Teil der Justiz handelt, der aber keinesfalls im Dunkeln bleiben darf.
Und es ist traurige Realität, dass es hier bis heute keine Aufarbeitung gegeben hat.
Hier steht zuallererst die Frage: Welche Urteile wurden zu welchen Zeiten mit welcher Begründung getroffen?

Rolle und Verantwortung des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR
Hier gibt die benannte Broschüre von Eduard Stapel schon einen ersten Einblick, auf deren Grundlage weitergearbeitet werden könnte.
Interessant wäre u. a. eine Beleuchtung der Einstellung der schwulen IM, die bekanntermaßen existent waren.

Lebenssituation bzw. Stigmatisierung Homosexueller in den Betrieben
Auch hier existieren bereits Erfahrungsberichte, die zeigen, dass die Stigmatisierung in Betrieben weitaus geringer war, als vielleicht erwartet.
Welche Gründe hatte das?

Beleuchtung des Privaten Umfeldes (sofern möglich)
Sicher der schwierigste Blickpunkt, weil er allein auf Berichten von Betroffenen beruhen kann. Doch erinnern Sie sicher auch alle an die heiße Debatte um den in den 80er Jahren erschienenen Film „Coming out“.

Ein wichtiges Ziel dieser immensen Aufarbeitungstätigkeit muss natürlich darin bestehen, Unrecht wieder gut zu machen, sofern das überhaupt geht. Es geht uns um Schlussfolgerungen und Konsequenzen, die letztendlich eine voll umfängliche Rehabilitierung und Entschädigung zügig herbeiführen sollen und müssen. Im Jahr 2002 sind lediglich die bis 1945 von den Nationalsozialisten gefällten Urteile für nichtig erklärt und den Betroffenen Entschädigung zugesprochen worden. Für die nach 1945 Verurteilten gibt es bis heute keine Rehabilitierung und keine Entschädigung. Ein unhaltbarer Zustand.

Die Schlussfolgerungen aus der Aufarbeitung müssen aber auch dringend zum Thema des Unterrichts in den Schulen Sachsen-Anhalts werden. SchülerInnen müssen für dieses Thema sensibilisiert werden. Bereits in der Debatte um den § 175 StGB alte Fassung sagte ich, dass das Wort „Schwuchtel“ eines der häufigsten auf Schulhöfen verwendeten Schimpfwörter ist. Das muss uns zu Denken und Anlass zum Handeln geben. Es ist absolut begrüßenswert, dass die Landeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenpolitischen Runden Tisch Sachsen-Anhalt am 14. März diesen Jahres eine Veranstaltung zum Gesamtgesellschaftlichen Aktionsplan für Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Intersexuellen (LSBTI) sowie gegen Homo- und Transphobie in Sachsen-Anhalt durchführt.

Das ist übrigens nicht nur eine Veranstaltung für die FachpolitikerInnen, die sich mit Schwulen und Lesbenpolitik beschäftigen. Im Gegenteil, hier sind auch BildungspolitikerInnen, Rechts- und InnenpolitikerInnen gefragt. LehrerInnen bleiben diesen Veranstaltungen leider häufig fern. Auch ein ernst zu nehmendes, aber auch kein neues Signal.

Doch warum weise ich unter diesem Tagesordnungspunkt, unter diesem Thema auf diese Veranstaltung hin? Um aufzuzeigen, dass wir dringenden Bedarf an Aufklärung und Aufarbeitung haben, um Konsequenzen für das hier und heute zu ziehen. Nicht ohne Grund fordern Verbände seit vielen Jahren die Aufnahme des Schutzes der sexuellen Orientierung in das Grundgesetz bzw. die Landesverfassung. Weil es eben noch nicht in allen Lebenslagen normal ist, schwul oder lesbisch zu sein. Denn noch heute werden Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung menschenunwürdig behandelt.

Dank einer Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN werden wir Morgen hoffentlich beschließen, dass im Bereich des scheinbar diskriminierungsfreien Raums der Blutspenden das bisherige Unrecht ein Ende findet.