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Eva von Angern zu TOP 25: Gestaltung eines modernen, pädagogisch zeitgemäßen und zeitnahen Vollzugs des Jugendarrestes

Anrede,

zur fachlichen Auffrischung: Jugendarrest gemäß § 16 JGG ist als Folge einer Straftat ein so genanntes Zuchtmittel, dass allerdings gegenüber den so genannten Weisungen (TOA, Betreuungsweisung, soziale Trainingskurse) nachrangig ist. Es steht zwischen Erziehungsmittel und Jugendstrafe. Insgesamt ordnet sich auch diese Sanktion dem Erziehungsgedanken des JGG unter und soll unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechtes Jugendliche und Heranwachsende von erneuten Straftaten abhalten.

Die Themen Jugendarrest, Schulverweigerer, Beugehaft für Schulschwänzer – das sind alles Themen, die bereits in der letzten Wahlperiode intensiv und über Jahre hinweg diskutiert worden sind. Aber leider ohne wirklichen Erfolg. Zwar sprachen sich Rechtspolitiker*innen von CDU, SPD, GRÜNEN und LINKEN seit Jahren z. B. für die Abschaffung des Schülerarrestes aus. Allerdings ohne Folgen bzw. positivem Ergebnis. Im Jahr 2014 waren es „nur“ 129 Fälle von inhaftierten Schülern. Im Jahr 2016 bereits 204 Fälle, wo sich Schüler im Arrest befanden.

Aus diesem Grund gehören die durch mich anfangs benannten Themen nochmals in die Diskussion, nochmals in die parlamentarische Debatte, nochmals auf den Prüfstand. Und diesmal hoffentlich mit einem Ergebnis im Interesse der Betroffenen, der Jugendlichen, der Schüler, der Arrestanten.

Zur Erinnerung: Am 7. September 2012 führte der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung eine Anhörung zum Antrag der LINKEN unter der Überschrift „Jugendarrest in LSA – modern und zukunftsfähig gestalten“. Ich nehme das Ergebnis der Anhörung vorweg: Die Fachexpertinnen waren sich einig: Jugendarrest ist ein im Jugendgerichtsgesetz verfehltes Instrument. Bemerkenswert war die klare Ansage, dass die derzeitige Ausgestaltung des Jugendarrestvollzuges im günstigsten Fall folgenlos bleibt, bzw. im Zweifelsfall der Vollzug des Jugendarrestes die Gefährdungssituation noch verschärft und die mit dem Jugendarrest verbundene Präventionshoffnung oder die teilweise gewünschte abschreckende Wirkung als gescheitert angesehen werden muss.

Nun wissen wir alle, dass das JGG ein Bundesgesetz ist, über das wir hier nicht entscheiden können. Der Jugendarrest ist in Sachsen-Anhalt zu vollstrecken, sobald er ausgesprochen wird. Wie allerdings die Vollstreckung erfolgt, darüber hat wiederum der Landesgesetzgeber zu entscheiden. Bereits seit mehreren Jahren existiert in Sachsen-Anhalt ein Gesetz für den Erwachsenenvollzug und den Vollzug der U-Haft. Ich halte es rechtspolitisch nicht nur für einen Makel, sondern für verfassungsrechtlich mindestens bedenklich, dass ein solches Gesetz für den Jugendarrestvollzug noch nicht beschlossen wurde.

In der letzten Wahlperiode hat meine Fraktion einen Gesetzentwurf diesbezüglich eingebracht. Leider wurden wir damit vertröstet, dass es eine Länderübergreifende Arbeitsgruppe gäbe und ein entsprechender Gesetzentwurf in Arbeit sei. Der Gesetzentwurf der LINKEN wurde somit auf Halde gelegt. Inzwischen sind wieder einige Jahre ins Land gestrichen und nichts ist passiert. Doch es liegt in der Verantwortung dieses Parlamentes, den Vollzug des Jugendarrestes nicht lediglich durch einen Vollzugsplan, sondern per Gesetz zu regeln.

Ihr Agieren oder besser Nichtagieren geschieht auf den Rücken von Jugendlichen, die bereits mehrfach belastet sind! Erschwerend kommt hinzu, dass mittels der Sanktionsform des Jugendarrestes ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der Jugendlichen erfolgt, welcher einer gesetzlichen Regelung bedarf.

Ich möchte an die im Jahr 2008 aufgestellten Europäischen Grundsätze für die von Sanktionen und Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäterinnen und Straftäter erinnern. Deren Inhalt ist eindeutig; ich zitiere: 

  • „Sanktionen oder Maßnahmen, die gegen Jugendliche verhängt werden können, - so wie die Art ihrer Durchführung -, müssen gesetzlich geregelt sein und auf den Prinzipien der Wiedereingliederung, Erziehung und Rückfallverhütung beruhen.“
  • „Es müssen ausreichend Ressourcen und Personal zur Verfügung gestellt werden, um sicherzustellen, dass die Eingriffe in das Leben der Jugendlichen sinnvoll sind.“
  • „Mittelknappheit darf niemals eine Rechtfertigung für Eingriffe in die Rechte von Jugendlichen sein.“

Der Kerngedanke eines zukünftigen Gesetzentwurfes muss in der kompromisslosen Abwendung vom bisherigen reinen Sanktionscharakter des Arrestes, hin zu einer konzeptionellen Zuwendung auf die Förderung und Erziehung der Jugendlichen bestehen. Daher auch unsere klare Forderung, dass am Ende der JVA-Strukturreform ein eigener, räumlich, personell und wirtschaftlich getrennter Standort der Arrestanstalt existieren muss. An dieser Forderung werden wir weiterhin festhalten.

Ein weiterer wesentlicher Punkt eines künftigen Gesetzentwurfes ist die sozialpädagogische Diagnostik, die in einem individuellen Förderprogramm münden soll. Konsequenterweise bedarf es eines komplett neu aufgestellten Teams in der Jugendarrestvollzugsanstalt; beginnend mit einer sozialpädagogischen Leiterin, die sich auf Augenhöhe mit der Vollzugsleiterin befindet. Wir brauchen neben dem AVD dringend sozialpädagogisch ausgebildetes Personal. Nur so kann das aufgestellte Förderprogramm auch tatsächlich umgesetzt werden.

Dies darf zudem keinesfalls mit Ende der Zeit im Jugendarrestvollzug enden, sondern muss dann Hand in Hand mit - im günstigsten Falle - den Eltern, dem Jugendamt, der Schule bzw. der Ausbildungsstätte weiter betrieben werden. Hier sind all jene gefragt und vor allem in der Verantwortung, die für die Jugendlichen Verantwortung übernommen haben. Es können nur in der Gemeinsamkeit nachhaltig Strategien für die Erziehung und Förderung der Jugendlichen entwickelt werden.

Ein weiterer - uns sehr wichtiger Punkt - ist eine längst überfällige Änderung des Schulgesetzes. Sie erarbeiten momentan eine Änderung des Schulgesetzes und ich sprach vorhin die Anhörung aus dem Jahr 2012 an. Schon vor fünf Jahren schrieben uns die Fachleute ins Stammbuch, dass es der größte Unsinn ist, wenn Schulverweigerer schlussendlich im Jugendarrest landen. Schon vor fünf Jahren erklärten die Rechtspolitiker von CDU, SPD, Grünen und LINKEN, dass die entsprechende Norm im Schulgesetz gestrichen werden muss.

Die Durchsetzung der Schulpflicht gegenüber Schülerinnen und Schülern mit administrativen Zwangsmaßnahmen lehnen wir als untaugliches Mittel ganz klar ab. Im Vordergrund muss auch hier eine nachhaltige pädagogische und sozialpädagogische Arbeit stehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!