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Eva von Angern zu TOP 23: Zukunft der Rechtsmedizinischen Institute in Sachsen-Anhalt

"Die Fortschritte der Medizin sind ungeheuer. Man ist sich seines Todes nicht mehr sicher." (Hermann Kesten) Nun, ganz so einfach ist das eben leider nicht, und wie wir wissen, ist selbst der Tod nicht ganz umsonst. Doch wer denkt, dass es in den hiesigen Rechtsmedizinischen Instituten nur allein um das Obduzieren von Leichen geht, geht fehl. Diese machen nur etwa ein Viertel der Tätigkeiten aus.

Die Aufgaben der Rechtsmedizin sind weitaus umfangreicher, als wir es etwa aus dem Fernsehen kennen. Zu einem großen Teil gehören auch Lehre und Praktika zur Arbeit der Rechtsmedizin. Außerdem führen sie - immer im Auftrag der Rechtsprechung - auch Untersuchungen von Lebenden durch. So gehört die Erstellung von Gutachten zur Vaterschaft oder bezüglich der Zurechnungsfähigkeit zu ihren Aufgaben. Rechtsmediziner werten medizinische Spuren aller Art aus, um der Staatsanwaltschaft Fakten in Bezug auf eine Straftat liefern zu können.
Auch die Bestimmung des Blutalkoholwertes zur Unterstützung der Arbeit der Polizei gehört dazu.

In meiner Fraktion haben wir uns ganz bewusst entschieden, das Thema „Zukunft der Rechtsmedizin in Sachsen-Anhalt“ aus rechtspolitischer Sicht mit Blick auf einen ressortübergreifenden finanziellen Lösungsansatz zu beleuchten. Gerade das Gerangel um Zuständigkeiten, besser gesagt das Wegschieben von Verantwortlichkeiten, war Grund für uns, den vorliegenden Antrag heute im Landtag zur Abstimmung zu stellen.

Seitens der Parlamentarier bestand in allen Ausschüssen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, große Einigkeit darüber, dass es einer langfristigen konzeptionellen bzw. finanziellen Lösung für die beiden bestehenden Standorte der Rechtsmedizin in Sachsen-Anhalt bedarf. Doch seit mehreren Jahren führt kein Weg dorthin. Und lachender Dritter ist auch hier nicht etwa der Finanzminister, der sich der Hoffnung hingibt, dass die Zeit die Entscheidung treffen wird. Nein, Gewinner gibt es bei diesem Thema ganz gewiss nicht.

Und wer ernsthaft meint, die Leistungen der Rechtsmedizin zu allererst und vor allem hinsichtlich des Kostenfaktors bewerten zu können, geht ebenso völlig fehl. Genauso wie die Demokratie kostet eben auch ein Rechtsstaat Geld. Wir brauchen den politischen Willen aller Fraktionen, um letztendlich mehr finanzielle Mittel für mehr Rechtssicherheit bereitzustellen. So genannte Alternativen dazu kennen wir, lehnen diese aber ausdrücklich ab, und das ist auch gut so.

Ganz klar und deutlich feststellbar ist: Die Rechtsmedizinischen Institute sind unverzichtbar für eine funktionierende und zügige Strafverfolgung in Sachsen-Anhalt.
Nun können wir gern trefflich darüber streiten, ob es dafür zweier Standorte bedarf.
Wenn man sich aber Fragen nach den Folgen der Schließung für die Arbeit der Staatsanwaltschaft, die Arbeit der Polizei, die Arbeit der Frauenschutzhäuser, aber auch nach den Folgen für die Opfer von Straftaten ehrlich beantwortet, dann gibt es nur eine Antwort: Erhalt beider Standorte.
Auch die Landesregierung positionierte sich mit Verweis auf die Leitenden Oberstaatsanwälte des Landes im Jahr 2011 im Rahmen meiner Kleinen Anfrage deutlich: „Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass die hiesige Rechtsmedizin die erforderlichen Leistungen, besonders die rechtsmedizinischen Dienstleistungen für die Strafverfolgungsbehörden auch künftig in der notwendigen Qualität und Quantität sowie in dem gebotenen zeitlichen Rahmen erbringen kann.“

Zutreffend haben die Behördenleiter der hiesigen Staatsanwaltschaften darauf hingewiesen, dass Todesermittlungs- und Kapitalsachen Sofortsachen seien, bei denen Zeitverzögerungen zu erheblichen Ermittlungslücken und Schwierigkeiten in der Beweislage führen könnten. Gerade bei Obduktionen seien Verzögerungen zwangsläufig mit Informationsverlusten verbunden, da der körperliche Zersetzungsvorgang unmittelbar nach Todeseintritt einsetze und sich vielfach auf die Qualität der zu erlangenden Befunde auswirke. In diesem Zusammenhang haben die Behördenleiter die Besorgnis geäußert, der Wegfall eines rechtsmedizinischen Instituts in Sachsen-Anhalt ließe eine signifikante Senkung auch der Qualität staatsanwaltschaftlicher Arbeit befürchten. Sie sprechen sich deshalb für die Beibehaltung von zwei Standorten aus. Fachlich ist dem kaum noch etwas Sinnvolles hinzuzufügen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Beispiel benennen, das Prof. Dr. Lessig auch gegenüber den rechtspolitischen Sprechern nannte - und zwar das furchtbare Zugunglück nahe Hordorf aus dem Jahr 2011 mit 10 Todesopfern. Deren Körper waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt, so dass eine Identifizierung nur mit Hilfe der Rechtsmedizin, also den zwingenden Einsatz von SpezialistInnen, möglich war.
Dank an jene MitarbeiterInnen der Rechtsmedizin sowie der Polizei, die das Wochenende an den Nagel gehängt und dafür gesorgt haben, dass nach 48 h sämtliche Todesopfer sicher identifiziert waren.

Prof. Lessig gab uns die Botschaft mit auf den Weg: Wir benötigen gerade auch für solche Fälle ausreichendes, schnell verfügbares und hochqualifiziertes Fachpersonal aus dem Bereich der Rechtsmedizin. Denn ohne die forensische Medizin sind wir in solchen Situationen hilflos. Fehlt jedoch die fachliche Ausbildung bzw. wird diese eingeschränkt, müssen wir uns Hilfe im Ausland suchen. Dass das wenig erfolgversprechend ist, kennen wir aus vielen anderen Bereichen.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle, dass ich auf die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2011 zu Defiziten in der Leichenschau Bezug nehme. Ich fragte die Landesregierung, ob sie denn Defizite diesbezüglich sieht.
In der Antwort des Sozialministeriums nahm man Bezug auf die rechtsmedizinischen Institute, die darlegten, dass in bis zu 7 % der Leichenschauen die Todesursache fehlerhaft eingetragen sei. Nun will ich aber auch klar stellen, dass es bei diesen 7 % nicht zwangsläufig um Tötungsdelikte gehen muss. Die Landesregierung selbst führte in der benannten Anfrage in ihrer Antwort aus, dass Gründe für die falsche Einschätzung der Todesursache fehlende Fortbildung sowie mangelnde Erfahrung sind. Problematisch kommt hinzu, dass unser Bestattungsgesetz lediglich bei Feuerbestattungen eine zweite Leichenschau durch die Rechtsmedizin vorsieht.
Wir wissen also nicht, wie viele nicht natürliche Todesfälle auf diese Weise bei Erdbestattungen unentdeckt bleiben. Allein auf die Möglichkeit der späteren Exhumierung zu verweisen, reicht eben nicht. Nicht jede Todesart ist zu einem späteren Zeitpunkt noch nachweisbar. Hier besteht dringender Handlungsbedarf - sowohl hinsichtlich der Aus- und Fortbildung von ÄrztInnen als auch beim Bestattungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt.

Die Landesregierung äußerte sich selbst dahingehend, dass mit den ärztlichen Körperschaften vor allem geklärt werden muss, ob es machbar ist, die erste Leichenschau nur Ärzten und Ärztinnen zu übertragen, die über eine anerkannte, kontinuierliche Fortbildung für die Leichenschau verfügen. Und wer soll das letztendlich realisieren, wenn nicht die rechtsmedizinischen Institute an den medizinischen Hochschulen? Ein von der Landesregierung in die momentane Debatte eingeführte Überlegung eines Landesamtes ist da nur begrenzt hilfreich.
Das sollte hierbei unbedingt berücksichtigt werden.

Die Debatte in den Fachausschüssen bzw. im Finanzausschuss hinsichtlich der mangelnden Kostendeckung der letzten Jahre zeigte unter anderem, dass wir bundesweit mit dem Problem der nichtkostendeckenden Arbeit der Rechtsmedizin nicht allein stehen. Lediglich in Bayern und Rheinland-Pfalz wird von einer Vollkostendeckung ausgegangen. Der genauere Blick in diese Länder zeigt aber auch ein differenzierteres Bild über die dortige Situation. Als Grund für die vorhandenen Defizite wird von allen Ländern das derzeitige Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz benannt. Dieses befindet sich momentan in einer Überarbeitung im Bundestag. Doch auch die zu erwartende Erhöhung der Fallpauschale von 15 % bis 20 % wird das Problem nur ein wenig verkleinern, aber nicht beseitigen.

Wenn nach Aussagen von Rechtsmedizinern knappe Kassen die Aufklärung von Verbrechen behindern, ist das mehr als alarmierend und von uns ernst zu nehmen. Die Frage, ob bspw. eine Obduktion angeordnet wird, darf nicht von den entstehenden Kosten hierfür abhängig gemacht werden. Diese Frage ist rein anhand der in der Strafprozessordnung hierfür genannten Voraussetzungen zu beantworten.
Alles andere ist eine Bankrotterklärung an den Rechtsstaat. Es kann auch nicht sein, dass hier die Angehörigen in die finanzielle Pflicht genommen werden und somit zweimal zum Opfer werden.

Ich freue mich natürlich sehr, wenn aus dem Justizministerium zu hören ist, dass an beiden Instituten festgehalten werden soll, um eine hohe Qualität in der Strafverfolgung sicher zu stellen. Allein, dieser Ausspruch - der sich jährlich wiederholt - reicht aber nicht. Es reicht bei weitem auch nicht aus, mit dem Finger in der Wunde auf andere Ressorts zu verweisen. So schiebt man Verantwortung hin und her, und ist weit von einer Lösung entfernt. Die Ressorts, die von der Rechtsmedizin profitieren, und das sind neben dem Wissenschaftsministerium auch das Justiz-, das Innen- und das Sozialministerium, müssen gemeinsam zeitnah eine Lösung finden und sich ggf. auch paritätisch an der Finanzierung beteiligen. Es bedarf zudem einer klaren Entscheidung - und nicht nur Lippenbekenntnissen - durch die Landesregierung hinsichtlich des Erhalts beider Standorte. Da diese seit Jahren hierzu nicht bereit ist, müssen nun wir als Parlament der Exekutive diese politische Leitplanke geben, und ich kann meine Kollegin, Frau Dr. Pähle, nur unterstützen, wenn sie ein klares Bekenntnis zum Erhalt beider Institute fordert, und das im Interesse einer hohen Qualität der Strafverfolgung aber auch im Interesse einer hohen Qualität von Lehre und Forschung.
Mit Blick auf die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen für das kommende Jahr, dürfen auch wir keine Zeit mehr verstreichen lassen. Das hat die Landesregierung schon in ausreichenden, wenig bzw. nicht hilfreichen Maßen getan.
Daher werbe ich heute um direkte Zustimmung zu unserem Antrag.

Lassen Sie mich abschließend noch deutlich sagen, dass ich keinesfalls durch unsere parlamentarische Initiative das Leistungsspektrum der Rechtmedizinischen Institute einschränken möchte. Und ich nehme wohlwollend zur Kenntnis, dass dies bisher auch niemand ernsthaft in der Debatte gefordert hat. Es ist wichtig, dass auch zukünftig Konsiliartätigkeiten in den Kliniken im Rahmen des Kinderschutzes, Untersuchungen von Gewaltopfern, Gutachten von Frauen in Frauenschutzhäuser, telefonische Beratungen sowie Fort- und Weiterbildungen für die Landesärztekammer- und Zahnärztekammer, für Polizei und Justiz durch die MitarbeiterInnen der Rechtsmedizinischen Institute wahrgenommen werden.

Private Dienstleister werden diese Aufgaben sicherlich nur übernehmen, wenn dafür entsprechend gezahlt wird. Aber der Preis ist hoch. Und damit meine ich nicht nur die finanzielle Seite, sondern möglicherweise auch qualitative oder datenschutzrechtliche Aspekte. Dieser Weg ist also keinesfalls eine Alternative zu den bestehen rechtsmedizinischen Instituten.