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Eva von Angern zu TOP 22: Strategien gegen Gewalt an Kindern, Frauen und Männern in Sachsen-Anhalt / Frauenhausarbeit langfristig sichern – Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder ausbauen

Es nicht das erste Mal, dass wir hier über die Situation in Frauenschutzhäusern reden. Ich erinnere mich, dass wir in der Vergangenheit durchaus ergebnisorientierte und sehr konstruktive Debatten zu diesem Thema geführt haben. Ich hoffe, dass wir auch heute in dieser Art und Weise diskutieren werden.

Im Land Sachsen-Anhalt gibt es 20 Frauenschutzhäuser, die insgesamt über 125 Plätze für Frauen und über ca. 170 Plätze für Kinder verfügen. Ich muss diese Rede nutzen, um mich bei allen ehrenamtlich und hauptamtlich tätigen Frauen zu bedanken, die sich für den Schutz von Frauen und Kindern engagieren.

Ein ganz wichtiger Punkt in unserem Antrag ist es für mich, die Situation der Kinder in Frauenschutzhäusern zu beleuchten. Sie wissen, dass die Frauen, die in die Frauenschutzhäuser kommen, im Durchschnitt jeweils ein Kind mitbringen. Die Mütter befinden sich aufgrund der Gewaltsituation in einer Krisensituation. Sie sind traumatisiert, sie sind hilflos, sie brauchen Schutz und Hilfe. Es ist eine Pflichtaufgabe des Staates, ihnen genau dies zu gewähren. Wie sieht es mit den Kindern und mit dem Kinderschutz in Frauenschutzhäusern aus? Auch für die Kinder, die in ein Frauenschutzhaus kommen, ist es ein extremer Bruch in ihrem Leben. Sie werden aus ihrem häuslichen Umfeld herausgerissen. Auch das ist nicht zu unterschätzen: Sie werden von einer sehr wichtigen Vertrauensperson, vom Vater, weggerissen. Auch wenn dieser Gewalt ausübt, ist das für die Kinder ein Bruch. Sie haben ein Gewalterlebnis hinter sich. Sie müssen sich in einem neuen Lebensumfeld mit für sie ganz neuen Menschen zurechtfinden: Sie müssen gegebenenfalls in eine neue Kita, in eine neue Schule gehen. Sie erleben zudem ihre Mutter in einer sehr hilflosen Situation. Nicht selten sind die Folgen für die Kinder entsprechend hart. Wir erleben Traumata. Wir erleben psychische Störungen, Störungen in der Entwicklung, auch in der Gehirnentwicklung. Leider - das muss man feststellen - ist es so, dass in dem Fall, in dem man diese Gewaltspirale nicht durchbricht, betroffene Kinder später ebenfalls zu Opfern wie ihre Mutter oder auch zu Tätern werden.

Was brauchen die Kinder in Frauenschutzhäusern? Sie brauchen die Chance auf Nähe, die ihnen ihre Mutter möglicherweise nicht mehr geben kann oder erst zu einem späteren Zeitpunkt. Sie brauchen aber auch die Chance, die Gewalterfahrung aufzuarbeiten. Sie müssen in ihrem Selbstwertgefühl, in ihrem Selbstvertrauen wieder gestärkt werden. Sie brauchen für sich Schutz- und Bewältigungsstrategien, wie sie in Zukunft mit solchen Situationen umgehen können. Sie brauchen aber auch Hilfe beim Abbau geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens und häufig auch eine Vermittlung in ambulante und weiterführende Angebote. Für all das ist es wichtig, stets verlässliche Vertrauenspersonen neben der Mutter zu haben.

Wie schaut nun die Realität für die Kinder in Frauenschutzhäusern in Sachsen-Anhalt aus? Die Antworten auf die Große Anfrage in der letzten Wahlperiode haben es noch einmal deutlich gemacht. Wir haben in Magdeburg eine Erzieherin für die Kinder. Wir haben eine halbe Stelle im Frauenschutzhaus Halle. Wir haben keine psychosozialen Angebote. Über einen Punkt bin ich in der Antwort auf die Große Anfrage gestolpert. Man behilft sich zuweilen auch der Kinder als Dolmetscher, um mit den Müttern zu reden. Das heißt, die Kinder, die ohnehin schon belastet sind, werden auch noch mit dieser zusätzlichen Aufgabe konfrontiert, als Dolmetscher zu fungieren. Sie werden - auch das gehört zur Wahrheit, weil es manchmal nicht anders möglich ist – zu Behördengängen mitgenommen, die nicht nur die Mutter, sondern auch die Kinder belasten, weil sie dort Dinge hören, die sie eigentlich nicht hören sollten.

Zuweilen spielen die Kinder auch in den Büroräumen der Mitarbeiter. Daraus kann man den Mitarbeitern keinen Vorwurf machen, denn sie wollen den Kindern helfen. Den Kindern fehlt häufig die dringend erforderliche Schutz- und Ruhezone. Ich finde, diese Situation ist für ein Land wie Sachsen-Anhalt ein katastrophaler Zustand, dem Abhilfe geleistet werden muss.

Nun erlauben Sie mir noch einen Blick in die Vergangenheit. Es war nicht immer so. Es gab auch einmal Landesmittel, die zur Verfügung gestellt wurden. Das war im Jahr 2002, als ich im Landtag begonnen habe. Damals war davon die Rede, dass solche Mittel zur Verfügung gestellt würden. Es wurde immer gesagt, der Landesrechnungshof habe kritisiert, dass eine Doppelfinanzierung stattfinden würde. Die Kommunen, die für die Leistungen nach dem SGB VIII zuständig seien, müssten die Finanzierung tragen. Nach Auskunft des Landesrechnungshofes sei aber nie eine solche Kritik formuliert worden. Es ist egal, wer es damals war. Entscheidend ist, dass die Kommunen nicht in die Leistung eingetreten sind. Als die Landesmittel gestrichen wurden, haben nur Magdeburg und Halle diese Finanzierung fortgesetzt. Spätestens nach zehn bis 15 Jahren muss uns klar sein, dass die Kommunen diese Verantwortung auch nicht mehr übernehmen können. Das heißt: Wir haben an dieser Stelle Einsparungen in Höhe von 15 bis 20 Millionen Euro in den letzten zehn bis 15 Jahren zu konstatieren. Doch zu welchem Preis? Zu einem sehr hohen Preis.

Nun schauen wir uns einmal die Personen an, die in den Frauenschutzhäusern arbeiten. In diesem Bereich sind sehr viele Frauen ehrenamtlich tätig. Es sind aber auch sehr hoch qualifizierte und sehr empathische Frauen in den Häusern tätig. Ich will daran erinnern - das war sehr positiv -, dass wir es in der letzten Wahlperiode geschafft haben, uns entsprechend dem Leistungsspektrum einer tarifgerechten Bezahlung anzunähern.

Ein weiterer Punkt unseres Antrages betrifft die Barrierefreiheit. In der Antwort auf die Große Anfrage in der letzten Wahlperiode hat sich gezeigt, dass gerade einmal zwei Frauenschutzhäuser barrierefrei sind. Einige weitere sind zumindest in Teilen barrierefrei. Dieser Stand entspricht natürlich überhaupt der Behindertenrechtskonvention. Wer glaubt, dass Frauen mit Behinderungen nicht Opfer von Gewalt sind, der geht fehl. Wenn man in die Frauenhäuser hineinschaut, sieht man, welch großer Sanierungsbedarf hier besteht. Als Land könnten wir sagen, wie seien dafür nicht zuständig; wir befänden und nicht in der Trägerschaft. Aber das hilft uns gar nicht. Wir müssen hinschauen. Wenn wir als Land sagen, wir wollen die Barrierefreiheit kurz- und mittelfristig realisieren, müssen wir gegebenenfalls auch den Sanierungsbedarfen gerecht werden.

Eine weitere Gruppe, die nicht im Fokus steht, sind die Kinder, die mit ihren Müttern in Beratungsstellen gehen. Es sind Mütter, die nicht in den Frauenschutzhäusern ankommen. Viele Frauen, die von Gewalt betroffen sind, gehen nicht in Frauenschutzhäuser, sondern lassen sich beraten. Dabei begleiten sie häufig die Kinder. Es sind Kinder, die mittelbar und unmittelbar Gewalterfahrungen haben. An dieser Stelle findet so gut wie gar nichts statt. Es gibt keine Angebote in Sachsen Anhalt. Hier müssen wir dringend nacharbeiten; denn diese Leerstelle können wir uns nicht leisten.

Ein weiteres positives Beispiel gibt es im Land Brandenburg. Ich schaue gern auf die dortige Sozialministerin und die Landesgleichstellungsbeauftrage, sie haben dafür gesorgt, dass es eine Koordinierungsstelle für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder mit Flüchtlingsstatus gibt. Ich fände, es stände es gut zu Gesicht, so etwas auch hier einzurichten. Ich hatte eine Kleine Anfrage an das Gleichstellungsministerium gestellt, aus deren Antwort deutlich hervorging, dass im ersten Halbjahr 2016 bereits 83 Frauen mit Flüchtlingsstatus und 96 Kinder Hilfe in Frauenschutzhäusern aufgesucht haben. Das ist ein klarer Anstieg gegenüber den Vorjahren.

Die Antwort auf meine letzte Frage fand ich - das muss ich so sagen - einfach nur kühn, nämlich zu behaupten, dass die Frauenschutzhäuser keine Mehrbedarfe haben, obwohl sie von mehr Frauen aufgesucht, und zu behaupten, dass die Frauen keine Aufwendungen für Dolmetscherleistungen haben. Die Wahrheit ist, sie wussten, dass sie kein Geld bekommen. Sie wussten, dass sie sich selbst helfen mussten. Sie wussten, dass sie auf das Ehrenamt zurückgreifen müssen. Ich sage dazu: Dabei haben uns die Männer mit ihren Vereinen einfach etwas voraus. Sie würden das dann einfach nicht machen. Aber die Frauen in Frauenschutzhäusern suchen nach Möglichkeiten. Sie suchen nach Möglichkeiten im Bereich des Ehrenamts, sie gehen dann an die Universitäten, um dort auch wieder Frauen zu finden, die das im Ehrenamt und kostenfrei machen. Ich muss sagen, ich finde es beschämend, wenn die Gleichstellungsministerin hierzu eine solche Feststellung trifft. Wir hatten in der letzten Wahlperiode bereits das Thema Kinder in Frauenschutzhäusern im Fokus. Es gab - das nur als Anmerkung - dort unter dem Stichwort Gewaltschutzambulanzen ein kleines Ping-Pong-Spiel zwischen dem Gleichstellungs- und dem Sozialministerium. Ich bitte Sie inständig, liebe Koalitionsfraktionen, lassen Sie das hierbei nicht zu.

Idealerweise, würde ich sagen, kommt tatsächlich alles aus einer Hand. Die Erfahrungen zeigen, dass wirklich alles in einem Ressort gebündelt werden sollte. Das macht Sinn; denn das Geld kommt bei einem Träger an und es muss dort verteilt werden. Deswegen bitte ich auch hierbei darauf zu achten, dass das in einem Ressort bleibt.

Nun noch ein paar Worte zu dem Antrag der Koalition, der sich natürlich dem Grunde nach erst einmal gut liest. Es sind ja ähnliche Ziele, die auch wir mit unserem Antrag verfolgen. Wir begrüßen absolut den Ansatz, dass wir in Deutschland eine bundesweite Regelung brauchen. Die frühere Gleichstellungsministerin Frau Prof. Kolb hat sich sehr stark dafür gemacht.

Muss man auch sagen, die Konferenz der Gleichstellungsministerinnen und Frauenministerinnen haben weitreichende Beschlüsse hierzu gefasst. Wir wissen aber auch, wie das mit solchen Beschlüssen ist und wer sich daran hält oder auch nicht daran hält. Wir haben keine Regelung auf Bundesebene. Das ist auch der Grund dafür, dass wir den Antrag im Land stellen. Denn wir brauchen eine Regelung im Land.

Ein Problem haben wir natürlich mit dem letzten Satz in Ihrem Antrag. Ja, natürlich brauchen wir dazu Geld. Wir reden hierbei ungefähr über 1 Million Euro, wenn man die einzelnen Personalstellen sowohl für die Angebote in den Frauenschutzhäusern als auch in den Beratungsstellen berechnet. Aber ich finde, dafür muss das Geld vorhanden sein. Der Antrag ist bezeichnenderweise von Ihnen veröffentlicht worden, als durch den Finanzminister die Veröffentlichung kam, dass uns 400 Millionen Euro pro Jahr im Land fehlen. Dazu müsste ich sagen: Dann wissen wir schon jetzt, dass das Geld dafür nicht vorhanden ist. Aber auch hier ist meine Erfahrung aus dem Gleichstellungsausschuss bzw. aus dem Finanzausschuss des letzten Landtags: Wenn wir etwas wollen, ist das Geld dafür auch vorhanden. Wir wissen auch, 1 Million Euro wird dieses Land nicht umhauen. Ich bin daher in Bezug auf die Haushaltsberatungen sehr positiv eingestellt.

Lassen Sie mich abschließend einfach nur noch einmal sagen: Wir müssen alle gemeinsam diese Gewaltkreisläufe durchbrechen. Wir werden die Gewalt nicht grundsätzlich verhindern. Das ist ein Irrglaube. Aber ich finde, wir müssen zumindest den Kindern die Chance gebe n, ein Leben ohne Gewalt zu führen und dieses Trauma zu überwinden.