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Eva von Angern zu TOP 22 c): Justizstrukturreform transparent gestalten

Zunächst sei mir der Hinweis erlaubt, dass ich fest davon ausgehe, dass wir heute über eine Vollzugsreform bzw. Justizvollzugsstrukturreform und nicht über eine allumfassende Reform der Justiz debattieren wollen. Bei letzterem hätten wir sonst sicher auf der Tribüne einige Präsidenten der Gerichtsbarkeit als aufmerksame Zuhörer zu sitzen.
Auch wenn die Debatte zumindest in Dessau diesbezüglich vermengt wird, nehme ich die Koalition und ihre Koalitionsvereinbarung ernst und gehe davon aus, dass unsere Justizstrukturen vorerst in der derzeitig aktuellen Form erhalten bleiben.

Zur Erinnerung an dieser Stelle einige Sätze zur bisherigen Chronologie der Justizvollzugsstrukturreform in Sachsen-Anhalt: Im Koalitionsvertrag für die sechste Legislaturperiode haben CDU und SPD vereinbart, die Justizvollzugsstrukturen im Land Sachsen-Anhalt weiter zu optimieren und zu konzentrieren. In diesem Zusammenhang ist beabsichtigt, bei gleichzeitiger Aufgabe derzeit bestehender Anstalten, dass ein Altstandort ausgebaut wird.

Das Ministerium für Justiz und Gleichstellung hatte deshalb eine Projektgruppe „Justizvollzugsreform Sachsen-Anhalt“ eingerichtet. Diese hatte den Auftrag, bis Ende 2011 einen Vorschlag für die Strukturoptimierung vorzulegen.

Angestrebtes Ziel im Rahmen der Arbeit der Projektgruppe ist und war, dass die Aufgaben, die Gefangenen und das Personal im Justizvollzug weiter konzentriert und zusammengeführt werden müssen, um auch künftig einen humanen, sicherheitsorientierten Behandlungsvollzug gewährleisten zu können.
 
Die eingesetzte Projektgruppe prüfte fünf Varianten, wobei jeweils die Justizvollzugsanstalt Burg und die Jugendanstalt Raßnitz als gesetzt galten, und schlug letztlich einen Ausbau am Standort Wilhelm-Busch-Straße in Halle als die vollzuglich und finanziell sinnvollste Variante vor.

In den nächsten fünf Jahren soll somit die Justizvollzugslandschaft neu geordnet werden.
Entstehen soll eine Struktur mit drei Standorten, denn nur so kann aus Sicht der Projektgruppe das Personal am sinnvollsten eingesetzt werden. Ändern sich die Strukturen nicht, würden spätestens Ende des Jahrzehnts 230 Bedienstete fehlen.
Handlungsdruck entsteht zudem aufgrund zurückgehender Häftlingszahlen bzw. entsprechender Prognosen.

Am 21. Februar 2012 sprach sich nunmehr das Kabinett dafür aus, dem o. g. Vorschlag zu folgen. Zudem wird im Auftrag des Finanzministeriums eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die die Umsetzung des Vorhabens am Standort Halle III prüfen soll.

Folgerichtig müsste jetzt in einem nächsten Punkt die unmittelbare Beteiligung des Parlaments zumindest hinsichtlich der geplanten Schließungen von Hauptanstalten, namentlich Volkstedt, Halle (Roter Ochse) und Dessau erfolgen und aufgezeigt werden.

Aber weit gefehlt: Zum jetzigen Zeitpunkt erreichte die parlamentarische Beteiligung an einer künftigen Justizvollzugsstrukturreform nur die „reine Informationshürde“ des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung und blieb dort hängen bzw. stecken.

Und an dieser Stelle muss ich auf unseren - bereits im September 2011 - eingebrachten Antrag „Für einen zukunftsfähigen Strafvollzug in Sachsen-Anhalt auf der Grundlage eines modernen Strafvollzugsgesetzes mit dem Ziel der Resozialisierung von Straftätern“ hinweisen. Eine unserer Forderungen war die unmittelbare Beteiligung des Parlaments im Rahmen der Evaluierung der Vollzugslandschaft in Sachsen-Anhalt.

Man kann und darf das Parlament letztendlich nicht in die bloße Rolle des Reagierens drängen, auch nicht in eine alleinige Kontrollfunktion hinein. Nein, bei solch‘ grundlegenden Maßnahmen und Entscheidungen ist die Landesregierung in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass das Parlament vor allem die Rolle des Agierens übernehmen kann. Eine Befassung des Parlaments ist daher zwingend erforderlich und unabdingbar.
Und das nicht erst, wenn Entscheidungen bereits getroffen und endgültig, und „das Kind evtl. bereits im Brunnen liegt“.

Nun möchte ich diese Aktuelle Debatte aber auch nicht ungenutzt verstreichen lassen und ein erstes Meinungsbild der Fraktion DIE LINKE zur bestehenden Kabinettsvorlage und der damit verbundenen, oft widersprüchlich begleiteten Debatte durch die Koalitionsfraktionen wiedergeben. Es nützt eben nichts am selben Strang ziehen zu wollen, liebe KollegInnen von der Koalition, man muss auch dasselbe Ende erwischen.

Erst am 17. März diesen Jahres, also gerade einmal vor knapp einer Woche,   trafen sich alle rechtspolitischen SprecherInnen in der Jugendanstalt Raßnitz auf Einladung des Bundes der Strafvollzugsbediensteten. Ich verrate keine Neuigkeit, wenn ich Ihnen sagen, dass bei denen der Schuh mächtig drückt. Grund dafür ist nicht etwa die bevorstehende Reform. Im Gegenteil. Grund dafür ist vor allem die Situation der Bediensteten vor Ort und das auch nicht erst seit diesem Jahr. Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt das Personal vor Ort in den Justizvollzugsanstalten.

Bereits im letzten Jahr haben uns die Bediensteten vorgetragen, dass das vorhandene Personal nicht mehr ausreicht, um die bestehenden Aufgaben überhaupt nur im Ansatz zu erfüllen. Bereits im letzten Jahr wurde ganz offen angesprochen, dass von einem Behandlungsvollzug nicht mehr die Rede sein kann. Die Gefangenen werden nicht selten schon um 15:00 Uhr weggeschlossen, weil bspw. kein Bediensteter mehr anwesend ist, um Freizeitangebote zu begleiten. Und nicht selten stand ich einem bedrückt lächelndem Gesicht gegenüber, wenn es um die im PEK angestrebte Zielzahl von 54 Bediensteten zu 100 Gefangenen ging.

Schon jetzt kann auf Grund eines überdurchschnittlichen hohen Krankenstandes gerade mal von 44 Bediensteten auf 100 Gefangenen verwiesen werden.
Und auch die Zukunft zeigt keine Besserung. Der Altersdurchschnitt liegt bei ca. 49 Jahren, das bedeutet immer häufiger die Diagnose: schichtuntauglich. In einem Betrieb, der 7 Tage in der Woche 24 Stunden arbeitet, ist das eine Katastrophe. Die noch gesunden Bediensteten machen im Umkehrschluss die Arbeit der teilweise oder ganz ausfallenden KollegInnen mit und steuern auf ein ähnliches Problem hin. Der Einstellungskorridor mildert die Situation ebenfalls nicht.

Und, meine Damen und Herren der koalitionstragenden Fraktionen, nun kann man sich natürlich hinstellen und aller Welt erzählen, dass es lediglich einen Kabinettsbeschluss gibt und die Fraktionen, dass das Parlament noch nichts in der Sache entschieden hat.
Unterm Strich soll das heißen, es ist noch alles offen. Doch ich sage auch hier noch einmal: Das ist unredlich. Und ja, es ist unprofessionell und fahrlässig, es fehlt die erforderliche Sorgfalt und auch Fürsorgepflicht, insbesondere gegenüber den Bediensteten, aber eben auch gegenüber den Gefangenen.

Warum?

Weil die Bediensteten das soeben erwähnte und beschriebene Personalentwicklungskonzept (PEK) und auch die Gefangenenprognose kennen. Sie kennen die knallharten Zahlen und ihre Folgen. Und sie wissen genau, dass bei sinkenden Gefangenenzahlen, wovon durchaus bei einer sinkenden Einwohnerzahl ausgegangen werden kann, und zugleich sinkenden Personalstellen der Betrieb aller Anstalten nicht aufrechterhalten werden kann. Ein Einfaches „weiter so“ klingt vielleicht im Ohr der Bediensteten zunächst gut, aber sie wissen, dass das nicht realistisch ist.

Wir haben schon jetzt 3 Mrd. Euro Personalausgaben im Landeshaushalt und mit Blick auf das Jahr 2019 haben wir wahrlich noch einigen Vorbereitungsbedarf. Und ich kann mich nicht erinnern, dass Mitglieder der Koalitionsfraktionen in den Haushaltsverhandlungen zum Einzelplan 11 Vorschläge hinsichtlich eines Aufwuchses bei den Personalstellen gemacht haben. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Mitglieder der Koalitionsfraktionen das PEK aufbrechen wollen. Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass in der Debatte um das PEK seitens der Koalitionsfraktionen ernsthaft eine effizienzgeleitete Aufgabenkritik - wie von der LINKEN stets gefordert - stattgefunden hätte.

Warum kann ich mich nicht erinnern? Es hat nämlich Ihrerseits nichts und rein gar nichts dazu stattgefunden. Ansonsten wären wir schon damals darüber gestolpert, dass die Zielzahl 54:100 bei den bestehenden Strukturen und Rahmenbedingungen nicht sinnhaft ist.

Und meine Damen und Herren der Koalition, jetzt ist es zu spät. Wir haben es bereits fünf nach zwölf. Jetzt haben Sie „A“ gesagt und müssen im Sinne eines langfristig effizienten, aber auch erfolgreichen Strafvollzuges „B“ sagen. Und das bedeutet vorliegend eine Standortkonzentration.

Eine Distanzierung von den Vorhaben der Landesregierung ist wenig glaubhaft.
Prüfen Sie, welche Vollzugsanstalt als sogenannte Pufferanstalt am Netz bleiben soll, um ggf. auf künftig wieder steigende Gefangenenzahlen reagieren zu können.
Aus Sicht der LINKEN wäre dies vorzugsweise die JVA Volkstedt, weil es sich bei dieser um eine im Sachsen-Anhalt tatsächlich (im positiven Sinne) einzigartigen Anstalt handelt -  und leiten Sie die Schließungen der übrigen Anstalten im Rahmen ausschließlich einer Gesetzesvorlage und damit unter Beteiligung des Landtages ein.

Lassen Sie mich abschließend noch ein Problem kurz anreißen, was mit Sicherheit die Motivation der Bediensteten um einiges steigern würde: Stellen Sie sicher, dass möglichst kein Bediensteter im Strafvollzug im Einstiegsamt in Pension geht. Damit werden Sie zugleich die Reformfreudigkeit um einiges erhöhen.