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Eva von Angern zu TOP 20: Jugendarrest Sachsen-Anhalt – modern und zukunftsfähig gestalten

Erst heute Morgen debattierten wir im Rahmen einer Aktuellen Debatte über eine der nächsten Reformen, die in Sachsen-Anhalt auf der Tagesordnung stehen.
Nun, warten wir mal ab, wie umfangreich und vor allem nachhaltig sich diese Reform tatsächlich entwickeln wird, und hoffentlich nicht als Reförmchen aufgrund von Koalitionsrangeleien enden wird. Aber, diese Reform ist auch eine Chance, um ein im Land lange Zeit vernachlässigtes Thema anzugehen.

Es ist aus Sicht der LINKEN unabdingbar, im Rahmen der geplanten Optimierung und Konzentration der Justizvollzugsstrukturen in Sachsen-Anhalt gleichzeitig den Vollzug des Jugendarrestes zu evaluieren und konzeptionell neu auszurichten.
Und diese Chance möchte ich heute mit dem vorliegenden Antrag natürlich nutzen und werbe um eine entsprechende Mehrheit.

Ich gehe davon aus, dass sicherlich einige Abgeordnete dieses Hohen Hauses die Jugendarrestanstalt in Halle im Roten Ochsen kennen und bei ihrem Besuch den zumindest dringenden baulichen Sanierungsbedarf auf den ersten Blick erkannt haben. Wer nunmehr auch die Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 03.01.2012 zur Kenntnis genommen hat, dem wurde unweigerlich klar, dass es auch und vor allem inhaltlichen Sanierungsbedarf, sprich konzeptionellen Neuausrichtungsbedarf gibt.

Jugendarrest gemäß § 16 Jugendgerichtsgesetz ist als Folge einer Straftat ein so genanntes „Zuchtmittel“, dass allerdings gegenüber den so genannten Weisungen (Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisung, soziale Trainingskurse) nachrangig ist. Es steht somit zwischen Erziehungsmittel und Jugendstrafe. Insgesamt ordnet sich natürlich auch diese Sanktion dem Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes unter und soll unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechtes Jugendliche und Heranwachsende von erneuten Straftaten abhalten.

Nun verrate ich kein Geheimnis, dass es gerade in der Fachöffentlichkeit nicht wenige Kritiker an der Sanktionsmöglichkeit „Jugendarrest“ gibt, die in Fachkreisen vorzugsweise als „stationäres soziales Training“ bezeichnet wird. Hier wird insbesondere die Wirksamkeit dieser Sanktion grundlegend in Frage gestellt. Schon mehrfach forderte die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. zumindest die Abschaffung vom Kurz- und Freizeitarrest. Doch auch die maximal vier Wochen dauernden Arrestaufenthalte können wohl kaum einen Erziehungserfolg zeitigen und sämtliche Rückfallstudien sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Wer einmal - zunächst - im Jugendarrest gelandet ist, wird nicht abgeschreckt, sondern endet meist in der Jugendanstalt Raßnitz. Das stellt eigentlich den Jugendarrest und seine Erfolgschancen grundsätzlich in Frage. Dieser grundsätzlichen Kritik schließt sich DIE LINKE an.

Doch das Gesetz ermöglicht noch immer den Jugendarrest und daher muss landespolitisch geprüft werden, in welchen Rahmen der dem Jugendgerichtsgesetz zu Grunde liegende Erziehungsgedanke innerhalb der Jugendarrestanstalt umgesetzt werden kann. Ein äußerst kritischer Punkt innerhalb des Jugendarrestes ist dabei die Unterbringung von Schulverweigerern.
Die Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage beinhaltete u. a., dass ca. 1/3 der Arrestanten aufgrund einer Ordnungswidrigkeit nach dem Schulgesetz in der Jugendarrestanstalt in Halle untergebracht sind. Selbstkritisch wurde zudem erwähnt, dass bereits im Mai 2010 der entsprechende Runderlass „Umgang mit Schulverweigerung in Sachsen-Anhalt“ aktualisiert und eine Handlungsanleitung für Schulen normiert wurde. Hiernach wird insbesondere auf das sofortige Erfassen von Fehlzeiten, die Einbeziehung der Eltern und eine am Einzelfall ausgerichtete pädagogische Lösungssuche Wert gelegt. Herr Kultusminister, das ist genau der richtige Ansatz.

Das Verhängen einer Ordnungswidrigkeit und damit eines Bußgeldes ist die denkbar ungünstigste Variante, und wie sich gezeigt hat, die absolut ineffektivste.
Die Tatsache, dass Schulpflichtverstöße bis zu drei Jahre zurückliegen, bis der Arrest angetreten wird, führt weder zum eigentlichen Anliegen: der Wahrnahme der Schulpflicht, noch entfalten sie irgendeine erzieherische Wirkung.

Die Landesregierung trägt selbst vor, dass frühzeitig und deutlich auf jugendliches Fehlverhalten, was zumeist ubiquitär ist, reagiert werden muss. Genau das geschieht vorliegend aber nicht. Deshalb auch die klare Forderung in unserem Antrag: Ersatzlose Streichung des § 84 Absatz 1 Ziffer 1 Schulgesetz Sachsen-Anhalt.
Schulpflichtverstöße dürfen künftig nicht mehr als Ordnungswidrigkeit mit der letztendlich möglichen Sanktion der Verhängung von Beugearrest in der Jugendarrestanstalt des Landes geahndet werden. Doch die Art und Weise der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage lässt mich hoffen, dass ich auf offene Ohren und Augen stoße.

Sachsen-Anhalt hat seit Dezember 2007 ein Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe. Die Ausgestaltung des Jugendarrestes ist bisher jedoch auf Landesebene nicht gesetzlich geregelt. Alleinige Grundlage stellt die Jugendarrestvollzugsordnung dar.

Da der Vollzug des Jugendarrestes jedoch erheblich in die Grundrechte der Jugendlichen eingreift, sollte dieser unter dem Vorbehalt eines Gesetzes stehen.
Das Land Schleswig-Holstein (zurzeit regiert von einer Koalition aus CDU und FDP) ist hier schon mehrere Schritte weiter und berät zurzeit als erstes Bundesland einen entsprechenden Gesetzentwurf. Es ist somit Vorreiter für alle Bundesländer und ich kann mir vorstellen, dass insbesondere der Staatssekretär des Justizministeriums hierfür entsprechende - nicht nur regionale - Sympathien entwickelt.

Meine Fraktion unterbreitet nunmehr den Vorschlag, dass auch in Sachsen-Anhalt geprüft wird, ob die Ausgestaltung des Vollzugs des Jugendarrestes ebenso die wesentlichen Eingriffsermächtigungen in einem Gesetz geregelt werden sollten und man damit den von Schleswig-Holstein eingeschlagenen Weg ebenfalls beschreitet.

Ob wir tatsächlich ein Gesetz benötigen, würden wir gern im Rahmen einer durch die betroffenen Ausschüsse durchzuführenden Anhörung mit den AkteurInnen beraten.
Denn, wie bereits schon angedeutet, der bisherige Vollzug des Jugendarrestes passierte nicht in einem rechtsfreien Raum. Die Jugendarrestanstalt arbeitet auf Grundlage eines Konzeptes und einer Vollzugsordnung, bei beidem hatte der Landtag jedoch kein Mitspracherecht. Meine Fraktion vertritt jedoch die Auffassung, dass es Zeit für eine Modernisierung ist, und ich verweise auf die bisherigen, doch eher ernüchternden Resultate der Anstalt. Darüber hinaus sei mir der Hinweis erlaubt, dass natürlich auch für den Jugendarrest das internationale Recht, insbesondere die UN-Menschenrechtskonvention gilt.

Die Forschungsstelle für Jugendstrafrecht um Prof. Ostendorf der Universität Kiel hat bereits im Sommer 2009 Mindeststandards für den Jugendarrest veröffentlicht. Unserem Antrag konnten Sie bereits einige dieser Ideen entnehmen, die sich auch im Gesetzentwurf aus Schleswig-Holstein in der Umsetzungsphase befinden.

Hier lohnt sich ein genauer Blick: Der Vollzug des Jugendarrestes, wenn er denn überhaupt eine erzieherische Wirkung haben soll, muss zwingend zeitnah dem rechtskräftigen Urteil folgen. Beim so genannten „Ungehorsamsarrest“ sollte stets Wert darauf gelegt werden, dass die Alternative zum Arrest, nämlich das Erfüllen der Weisung, aufgezeigt wird. Mithilfe bei der Tatverarbeitung. Jugendarrest muss in selbstständigen Einrichtungen vollzogen werden. Das heißt u. a.: Keine räumliche, sächliche und finanzielle Angliederung an eine JVA, schon gar nicht an die bestehende Jugendanstalt. Max. 48 Unterzubringende, Gruppen mit 12 Jugendlichen/ Heranwachsenden und jeweils zwei Leitern. Beispiel dafür: Jugendanstalt in Uppsala (Schweden), Anstalt ohne Mauern, ohne Zäune, ausreichend Personal, Wohngruppenvollzug in hoher Qualität.

Sachsen-Anhalt braucht Mut für neue Wege. Ein Blick in den Straftatenkatalog (siehe Kleine Anfrage: Dort dominieren Eigentumsdelikte.) zeigt, dass Anwohner keine Angst vor den Untergebrachten haben müssten.
Es geht um das sozialpädagogische Klima, um Einzelunterbringung, um die Förderung von Familienkontakte, um pädagogisch qualifiziertes Personal (kurzzeitpädagogische Qualifikation).  

Ein Kritikpunkt lautet hier: Sachsen-Anhalt hat gerade mal ½ Sozialarbeiterin in der Arrestanstalt. Es bedarf der Hinzuziehung externer Fachdienste (Psychologen, Drogenberatung, Schuldnerberatung) sowie eines engen Kontakts zu Jugendgerichtshilfe und Schule mit dem Ziel der Nachsorge.

Letzter wesentlicher Punkt: Es darf im 21. Jahrhundert letztendlich nicht mehr um Strafverschärfung und Abschreckung gehen. Diese Ziele sind als gescheitert anzusehen, auch wenn es noch immer in der Vollzugsordnung hauptsächlich um den „negativen Eindruck“ der Freiheitsentziehung geht. Vielmehr sollen Förderbemühungen von Eltern, Schule und Jugendhilfe unterstützt werden. Schon in der Arrestanstalt müssen folgende Kriterien im Mittelpunkt stehen: ozialpädagogische Diagnostik, intensives und erzieherisches Förderprogramm und dann individuelle Nachsorge.

Gerade davon - aber eben nicht nur davon - sind wir in Sachsen-Anhalt Welten entfernt. Nicht, weil das Personal, weil die Beschäftigten in der Jugendarrestanstalt, in der Jugendgerichtshilfe bzw. in den Schulen nicht engagiert und motiviert sind, sondern, weil sie persönlich an ihre Grenzen stoßen. Daher müssen wir uns auch nicht über die Vollzugsergebnisse der Hallenser Anstalt wundern, und schon gar nicht nach mehr und längerer Jugendstrafe rufen. Das kann im Jahr 2012 kein Lösungsansatz sein. Wir müssen vielmehr hinterfragen, wie effektiv denn die vorherigen Maßnahmen waren. Doch das geschieht leider immer noch zu wenig.
Der einfache Ansatz 54 Bedienstete auf 100 Gefangene (s. Personalentwicklungskonzept) ist eben in diesem Bereich nicht so einfach anzusetzen. Falls doch, dann müssen wir mit den (schlechten) Ergebnissen leben, sollten dann aber auch nicht den Erziehungsgedanken wie eine Monstranz vor uns hertragen.

Ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, auf die aktuelle Debatte zum Warnschussarrest hinweisen. Dieser soll als so genannter „Einstiegsarrest“ dem zur Jugendstrafe mit Bewährung Verurteilten einen „Schuss vor den Bug“ geben.
Der Betroffene soll unmittelbar am eigenen Körper spüren, was Freiheitsentzug bedeutet. Doch wohin führt diese Arrestmaßnahme wirklich? Zur Läuterung, Besserung, künftigen Straffreiheit durch Abschreckung oder aber sogar zu einer Förderung der Rückfälligkeit?

Folgende Argumente sprechen gegen den Warnschussarrest und damit gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts: Solche vermeintlichen Auswege - wie der Warnschussarrest - entlarven sich in der Regel als Irrwege. Man lenkt von eigentlichen Lösungsansätzen ab. Strafverschärfung wird nicht von künftigen Straftaten abhalten und vor Gewaltanwendung abschrecken. Das zeigt die Geschichte und in der Gegenwart Länder, wie die USA. Im Gegenteil: Prävention bewirkt letztendlich weitaus mehr als Repression. Wenn überhaupt setzen schnelle Verfolgung und Aufdeckung der Straftat positive Akzente. Jugendstrafrecht sollte altersgemäßer, flexibler und vor allem erzieherischer ausgestaltet werden.
Sollte neben der Bewährungsstrafe dennoch ein „Denkzettel, Warnschuss“ nötig sein, sollte man zuallererst über zusätzliche gemeinnützige Arbeiten oder einen entsprechenden Täter-Opfer-Ausgleich mit einer qualifizierten Begleitung nachdenken.

Die Rückfälligkeit nach einem Arrest ist weitaus höher als nach Ablauf einer sozialpädagogisch gestalteten Bewährungszeit. Arrest bedeutet zumeist auch ein Zusammenleben mit anderen Kriminalitätserfahrungen auf engem Raum (Hackordnung, Subkultur, Machtkampf).

Fazit: Jugendliche, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden, haben mit diesem Urteil bereits einen „Warnschuss“ erhalten. Sie zusätzlich im Gefängnis zu inhaftieren, ist nicht nur kontraproduktiv, sondern auch rechtlich hoch problematisch.