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Eva von Angern zu TOP 1a: Aktuelle Debatte "25 Jahre SED-Unrechtsbereinigungsgesetze" und TOP 1b Antrag „Kein Verfallsdatum für die Rehabilitierung politischer Verfolgung“

Wir befinden uns im Jahr 29 nach der friedlichen Revolution im Jahr 1989. Wir erinnern uns: Viele Bürger*innen der DDR ginge in verschiedenen Städten – auch in Magdeburg – in die Kirchen und auf die Straßen, um der damaligen Regierung zu sagen: „Wir sind das Volk!“ und wir wollen kein „Weiter so“. Wir wollen ein freies Land, in dem Meinungsfreiheit und Demokratie nicht nur Worte, sondern gelebte Realität sind.

Es war eine sehr politische Zeit und ich erinnere mich, dass ich als damals 12-jährige zum einen verunsichert aber vor allem neugierig auf die vielen Veränderungen in unserem Land reagierte. Und wie wir wissen, änderte sich sehr viel. In Vorbereitung der heutigen Debatte habe ich eine Rede gefunden, die mich bei jedem wiederholten Lesen beeindruckt. Sie beeindruckt mich wegen des Gesagten, aber auch wegen des Zeitpunkt des Gesagten. Ich meine die Rede von Michael Schumann, der leider viel zu früh starb und der im Dezember 1989 meine Partei im Mark erschütterte, aber für ihre Zukunft so wichtige Worte fand.

Er sprach klar von einem Machtmissbrauch und beschrieb deren Symptome wie folgt:

  • Konzentration der Macht in den Händen eines arroganten Alleinherrschers, 
  • Steuerung der Wirtschaft durch eine Kommandozentrale,
  • Reglementierung und bürokratische Zentralisation von Kultur, Wissenschaft und Bildung, die kritische Geister außer Landes trieb,
  • politische Entmündigung der Bürger unserer Republik und Kriminalisierung Andersdenkender,
  • Verwandlung der Medienlandschaft in eine trostlose Informationswüste und eine widerliche Hofberichterstattung.

Deutliche, sehr deutliche Worte, die ich ausdrücklich teile. Nun möchte ich in das Jahr 2014 kommen.

Die LINKE Bundestagsfraktion brachte vor fast genau drei Jahren einen „Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR“ ein. Durch den Gesetzentwurf sollte der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert werden: sowohl die Verurteilten wegen „asozialen Verhaltens“ nach §249 StGB der DDR im Zusammenhang mit den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973 als auch die Betroffenen von Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit sollten Leistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erhalten können. Die Befristung der Antragstellung sollte gestrichen werden, ebenso die Gewährung der Leistungen als „soziale“ Ausgleichsleistung. Die Betroffenen sollten unabhängig von ihrem Einkommen eine Ausgleichsleistung erhalten.

Der Betrag der monatlichen Ausgleichsleistung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) sollte um 50 Euro und nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) um 30 Euro entsprechend des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung (Bundesratsdrucksache 446/14) erhöht werden. Außerdem sollte für den Leistungsanspruch keine Mindesthaftdauer festgelegt werden. Jede erlittene Haft oder Zersetzungsmaßnahme rechtfertigt zu ihrer Würdigung unabhängig von ihrer Dauer einen Anspruch auf eine monatliche Ausgleichsleistung. Soweit eine Kausalität zwischen Freiheitsentziehung bzw. Zersetzungsmaßnahme und Gesundheitsschädigung wahrscheinlich aber nicht nachweisbar ist, sollte zugunsten der Betroffenen diese Kausalität unterstellt werden.

Soweit zum Inhalt des damaligen Gesetzentwurfes. Meine Kollegin sagte damals in ihrer Einbringungsrede: „Soziale Gerechtigkeit und Freiheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Keine von beiden hat einen höheren Wert. Das eine ist ohne das andere nichts wert. Wir können es nicht ungeschehen machen. Aber wir können dafür sorgen, dass den Opfern der SED-Diktatur mehr Gerechtigkeit widerfährt.“

Diese Worte teilt meine Fraktion in ihrer Intention ausdrücklich und daher werden wir Ihren mit der Aktuellen Debatte verbundenen Antrag zustimmen, auch wenn er uns nicht weit genug geht. Weiter gehende Vorschläge wurden – wie von mir benannt – von uns in den Bundestag bereits eingebracht.

Nun lassen Sie mich kurz auf den Erfolg des Gesetzentwurfes und vor allem die Debatte dazu eingehen. Der Gesetzentwurf wurde von der Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Die Begründung für die Ablehnung wirkt geradezu absurd. So teilte u.a. ein Mitglied des Bundestages für die CDU mit, dass man sich den Forderungen der SED-Opfer nicht verschließen würde und im Rahmen eines Berichterstattergespräches angehört habe. 

Nun ja, anhören ist gut. Aber konkrete Handlungen sind besser! Welch Argument ich aber noch weitaus verheerender in seiner Botschaft empfand, wurde vom Mitglied des Bundestages, Herrn Vaatz geäußert: Ich zitiere: „Die Linkspartei ist die letzte politische Kraft in Deutschland, die ein Recht hätte, zu verlangen, dass für das von ihr allein verursachte Unrecht nun die ganze Gesellschaft aufzukommen hätte, und dies in einer Höhe und unter Bedingungen die die Linkspartei selbst festlegt.“

Das, meine Damen und Herren, ist ein mehr als fragwürdiges Demokratieverständnis und ich gehe davon aus, dass eine solche Argumentation hier im Haus nicht geteilt wird, denn ein solches Argument vergisst auch, dass es in der DDR die so genannten Blockparteien gab.

Aber es wird noch absurder: „Der wirkliche Hintergrund Ihres Antrages scheint auch nicht die Sorge um die SED-Opfer zu sein, weil sie diesen in allen ihren Verlautbarungen genauso feindselig gegenüberstehen wie zu SED-Zeiten. Nein: Ihr Antrag ordnet sich ein in Ihr permanentes Bestreben, diesen Staat, in den die DDR aufgegangen ist, durch Überforderung zu zerstören, um die Genugtuung zu haben, dass nicht nur ihr Staatsgebilde, sondern die verhasste BRD am Ende scheitert.“

Sehen Sie mir nach, wenn ich einer solchen Argumentation klar entgegen halte, dass sie dem Geist des kalten Krieges entspringt und an Absurdität in der Gegenwart kaum zu überbieten ist.

Nun kann man uns als Partei mit unserer Geschichte als Partnerin in dieser Debatte dem Grunde nach ablehnen. Aus Sicht von Opfern kann ich das sogar menschlich nachvollziehen und akzeptiere das selbstverständlich. Im Parlamentarischen Raum kann ich solche Argumentation jedoch nicht akzeptieren. Man kann auch, wie es beispielsweise der Landeskirchenrat im Rahmen der 6. Tagung der II. Landessynode der evangelischen Kirche anlässlich des Bußtages 2017 gemacht hat, eigene Verantwortung suchen:

Erklärung des Landeskirchenrates im Gottesdienst der 6. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland am Bußtag 2017:  „Wir haben staatlichem Druck zu oft nicht standgehalten. Wir haben Fürbitte und Fürsprache geleistet, Unrecht jedoch oft nicht deutlich genug widersprochen. Wir haben uns bis heute nicht in der nötigen Weise unserer zu geringen Unterstützung für die Menschen gestellt, die in der Landwirtschaft, dem Handwerk und anderswo enteignet wurden, den von Zwangsaussiedlungen und Entheimatung Betroffenen, den politischen Gefangenen in der DDR und den in den Suizid Getriebenen. Wir beklagen, dem SED-Staat nicht klarer und kompromissloser entgegen getreten zu sein. Wir haben dabei die Erkenntnisse aus der Barmer Theologischen Erklärung nicht ernst genommen. Wir erkennen darin ein geistliches Versagen. Wir beklagen die Fälle, in denen Pfarrer und Pfarrerinnen und kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und Anderen Schaden zugefügt haben und dass wir unsere Verflochtenheit in diese Schuld bis heute nicht bekennen. Wir beklagen die Fälle, in denen Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplinarisch belangt, im Stich gelassen oder gar entlassen wurden. Bis heute übernehmen wir als Kirche nicht die nötige Verantwortung für Menschen, die unter Mithilfe oder nach Verrat aus kirchlichen Kreisen inhaftiert, gedemütigt, traumatisiert oder zur Ausreise gedrängt wurden. Dazu gehört auch, dass Pfarrerinnen, Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitenden, die in schwerer persönlicher Bedrängung keinen anderen Weg als die Ausreise aus der DDR gesehen haben, die Freigabe zum Dienst in westdeutschen Kirchen verweigert wurde.“

Ich habe diese Aussagen nicht zu kommentieren, wiewohl ich ihnen mit großem Respekt begegne. Vielmehr möchte ich abschließend noch einmal betonen: Jawohl, es darf kein Verfallsdatum für die Rehabilitierung politischer Verfolgung geben. Das muss auch für die entsprechende gesetzliche Grundlage gelten. Und ich kann uns alle nur auffordern, hier die Perspektive der Betroffenen zugrunde zu legen. Jede andere würde ihnen nicht gerecht werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!