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Eva von Angern zu TOP 15: Reform des Bestattungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt

An dieser Stelle ganz offen: Mit dem Sterben beschäftigt sich niemand gerne. Das sollte man aber, denn Sterben gehört zum Leben dazu. Ohne Ausnahme. Meine Fraktion möchte mit dem heute vorgelegten Antrag eine breite parlamentarische und gesellschaftliche Debatte zur Reform des Bestattungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt anregen. Diese intensiv zu führende Debatte sollte unserer Ansicht nach letzt endlich in einem Änderungsgesetzentwurf zum bestehenden Bestattungsgesetz führen, der aus der Mitte dieses Hauses initiiert und  möglichst von allen Fraktionen getragen wird.

Wir sprechen mit unserem Antrag verschiedene Änderungsmöglichkeiten im Bestattungswesen an, zu denen es vermutlich zwischen den Fraktionen wie auch innerhalb jeder Fraktion unterschiedliche Standpunkte und differenzierte Positionen geben wird. Denn gerade das Bestattungswesen, die Bestattungskultur lassen sich nicht in politische Lager aufteilen. Insofern ist uns auch bewusst, dass wir hier eine Diskussion eröffnen, die nicht nur auf Zustimmung, sondern durchaus auch auf Widerspruch treffen wird.

Wir rütteln mit unseren Vorstellungen an dem Jahrhunderte alten und vor allem von den beiden christlichen Kirchen verteidigten Friedhofszwang. Wir wollen diese Tradition nicht grundsätzlich in Frage stellen, aber zumindest zusätzliche Möglichkeiten prüfen. Wir sollten den Blick nicht davor verschließen, dass sich eben auch unsere Bestattungskultur in einem gesellschaftlichen Wandel befindet und neue Rechtsgrundlagen für neue Bedürfnisse erforderlich sind. Eine Liberalisierung des Bestattungsrechts muss nicht im Widerspruch zu bisherigen Traditionen stehen. Vielmehr eröffnet eine Gesetzesänderung, den vielschichtigen Interessen und Wünschen Verstorbener nachzukommen.

Interessanterweise hat sich die Deutsche Bischofskonferenz bereits im Jahr 2005 mit den veränderten Perspektiven in der Bestattungskultur auseinander gesetzt.
So stellte schon damals die Kirche fest, dass „die Friedhofs- und Grabmalkultur nach neuen Gestaltungsformen sucht; neben dem Erdbegräbnis als tradierte Bestattungsform tritt immer mehr die Feuerbestattung; anonyme Bestattungen und Urnenbeisetzungen auf See oder im Wald sind keine Seltenheit mehr.“
Und ich zitiere hier nicht ohne Grund gerade aus einem Papier der Kirche. Und ich habe auch nicht ohne Grund bereits vor Einbringung dieses Antrages sowohl mit einem Vertreter der katholischen als auch der evangelischen Kirche intensiv über dieses Thema gesprochen.

Egal - ob konfessionell gebunden oder nicht, uns eint die Tradition, mit unseren Toten auch posthum würdevoll umzugehen bzw. eine Erinnerungskultur für sie und vor allem für uns - die Hinterbliebenen - zu schaffen. Diesen beiden Grundgedanken folgend und der Tatsache, dass wir als freie Menschen in einem freien Land leben, stellt meine Fraktion das Bestattungswesen auf den Prüfstand und ich lade Sie alle herzlich zu dieser Reformdebatte ohne Scheuklappen ein.

Ich möchte im Folgenden die einzelnen Tatbestände unseres Antrages differenziert, in punktuelle Themenbereiche abgrenzend, begründen:

Leichenschau

Schon im Jahr 2011 antwortete mir die Landesregierung auf meine Frage (nachzulesen in der Kleine Anfrage in der Drs. 6/400), ob Defizite in der derzeitigen Praxis der Leichenschau in Sachsen-Anhalt gesehen werden, mit einem klaren: JA.
Dabei seien die Defizite vor allem in der korrekten Feststellung der Todesart zu sehen. Ganz konkret: es gibt Probleme, bei der Einschätzung, ob es sich um eine natürliche, eine nichtnatürliche oder eine nicht aufgeklärte Todesart handelt.
Bei der zweiten Leichenschau, die in Sachsen-Anhalt allerdings nur bei einer Feuerbestattung verpflichtend ist, stellten Rechtsmediziner bei ca. drei bis sieben Prozent eine falsch eingetragene Todesart fest. Das heißt nicht zwangsläufig, dass diesen Fällen immer ein bis dahin unentdecktes Tötungsdelikt zugrunde liegt.
Doch schon 2011 räumte die Landesregierung ein, dass zwischen 2001 und 2011 bei acht Verstorbenen in der zweiten Leichenschau Anzeichen für ein Tötungsdelikt festgestellt worden.

In der Folge dieser Erkenntnis kündigte die Landesregierung an, mit den ärztlichen Körperschaften zu klären, dass die erste Leichenschau nur ÄrztInnen zu übertragen ist, die über eine anerkannte, kontinuierliche Fortbildung für die Leichenschau verfügen. Des Weiteren räumte die Landesregierung ein, dass das Bestattungsgesetz geändert werden müsste. Aber bis heute blieb es bei dieser Absichtsbekundung, denn den „Worten folgten keine Taten“. Immerhin wurde durch unsere Frage eine Lücke im System aufgezeigt. Doch geschlossen wurde sie nicht.
Das Problem ist bereits seit vielen Jahren bekannt, aber behoben bzw. überhaupt versucht es zu beheben, wurde es nicht.

Das Ausmaß dieses Problems, dieses Defizit schlägt uns mit aller Wucht durch den bekannt gewordenen Fall, dem Fund der Leiche der jungen bulgarischen Studentin in Halle ins Gesicht. Ergebnis der ersten Leichenschau durch den hinzugerufenen Notarzt war: „Tod vermutlich durch Ertrinken“. Zumindest war es so auf dem Totenschein vermerkt. Wäre die Identität der jungen Frau feststellbar gewesen, wäre die zweite Leichenschau, in deren Ergebnis feststand, dass sie vergewaltigt und erwürgt wurde, nicht vorgenommen worden. Für unseren Rechtsstaat bedeutet das ganz klar: Ein Tötungsdelikt wäre unerkannt geblieben.

Ich gehe davon aus, dass wir uns einig sind, dass das ein unentdecktes Tötungsdelikt zu viel gewesen wäre. Und das bedeutet eben auch, dass Vertrauen in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und damit auch in den Rechtsstaat verloren geht.

Und der Fall der bulgarischen Studentin ist leider kein Einzelfall: Immer wieder werden unnatürliche Todesursachen als natürliche klassifiziert, weil es den ÄrztInnen, die die Leichenschau vornehmen, an entsprechender Fachkenntnis mangelt. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Lassen Sie uns die beste Lösungsvariante hierfür schnell finden und umsetzen.

Ich halte zunächst eine verpflichtende zweite Leichenschau auch bei Erdbestattungen für unverzichtbar. Die Kosten, die auf die Bestattungsverpflichteten zukommen, sind dafür aus meiner Sicht absolut überschaubar. Sie liegen zwischen 12,00 und 22,00 Euro netto. Eine Summe, die bei den Bestattungskosten nicht wirklich ins Gewicht fällt. Und ich vermute, dass die Sicherheit um die Todesursache auch für die Hinterbliebenen von entscheidender Bedeutung ist.

Zudem regen wir darüber hinaus an, dass die Feststellung des Todes und die erste Leichenschau von unterschiedlichen Ärzten vorgenommen werden soll. Es muss bei der ersten Leichenschau nahezu sichergestellt sein, dass die tatsächliche Todesursache von einem erfahrenen bzw. hierfür kompetenten Arzt erkannt wird.
Das ist wichtig für die Hinterbliebenen aber auch für unseren Rechtsfrieden. Allein auf die Aus- und Fortbildung von MedizinerInnen zu bauen bzw. zu vertrauen, reicht nicht aus. Das haben die letzten Jahre deutlich gezeigt.

Sternenkinder

Gemäß § 15 Absatz 2 des geltenden Bestattungsgesetzes in Sachsen-Anhalt darf auf Wunsch eines Elternteiles ein Fehlgeborenes - also Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 500 Gramm (so genannte Sternenkinder) - oder eine Leibesfrucht aus einem Schwangerschaftsabbruch bestattet werden. Das soll insbesondere die intensive Bindung, die vor allem viele Mütter und Väter bereits zum ungeborenen Kind entwickeln haben und die daraus resultierende oft intensive und langanhaltende Trauer, die dessen Tod verursacht hat, berücksichtigen. Eine damit im Vergleich zu anderen Bundesländern bereits weitergehende, liberale Regelung formuliert somit das sachsen-anhaltische Gesetz. Es besteht zwar keine Bestattungspflicht, aber auf der Grundlage dieser gesetzlichen Regelung in Sachsen-Anhalt durchaus ein Bestattungsanspruch der Eltern. Werden Fehlgeborene Kinder nicht bestattet, dann haben die Kliniken die Pflicht, für die „hygienisch einwandfreie und dem sittlichen Empfinden entsprechende Beseitigung" zu sorgen. Unserer Position folgend, die im Übrigen auch von den Kirchen getragen wird, sollte eine würdevolle Bestattung bei allen Fehl- und Totgeburten möglich  sein bzw. staatlich sichergestellt werden. Ich weiß, dass viele Kommunen schon jetzt sehr sensibel mit diesem Thema umgehen und in kirchlichen Krankenhäusern dieser Umgang schon jetzt gepflegt wird …und das ist gut so.

Religiöse Bedürfnisse

Das Bestattungsgesetz in der jetzt geltenden Fassung ist durch die zunehmende Vielfalt der auch in Sachsen-Anhalt lebenden Kulturen und Religionen nicht mehr zeitgemäß. Es besteht dringender Anpassungsbedarf. Während zwar alle Menschen vom Sterben gleich betroffen sind, wird die Bestattungskultur höchst differenziert zelebriert. Das ist zum Beispiel bei Menschen muslimischen Glaubens der Fall. Vor die Frage gestellt, wo ihre sterblichen Überreste bestattet werden sollen, fällt oft die Antwort „nicht in Deutschland", weil hier die gesetzlichen Regelungen unvereinbar mit ihrem Glauben sind. Spätestens jetzt wird dann aus einer höchst persönlichen Entscheidung eine gesamtgesellschaftliche Frage: wie wollen wir interkulturelle Riten ermöglichen. Hinsichtlich der Beachtung religiöser Bedürfnisse haben wir im vorliegenden Antrag nur einige Punkte benannt, die ausdrücklich nicht abschließend zu betrachten sind. In dieser Hinsicht sind andere Bundesländer uns schon voraus. Und ich bin der Auffassung, einem toleranten, weltoffenen Sachsen-Anhalt steht auch die entsprechende Öffnung in der Bestattungskultur gut zu Gesicht.
Dabei sollte es nicht auf die Zahl der GlaubensanhängerInnen ankommen. Lassen Sie uns ergebnisoffen diskutieren, welche religiösen Bestattungstraditionen auch in Sachsen-Anhalt möglich sein sollen, die natürlich auch konfessionslosen Menschen auf Wunsch offen stehen.

Bestattungs- bzw. Friedhofszwang

Meine Fraktion hat auch zwei heikle, heftig umstrittene Punkte in den vorliegenden Antrag aufgenommen; nämlich die der Aufhebung des Friedhofszwanges bzw. des Urnenzwanges. Die Aufhebung des Friedhofszwanges ist auch ein Thema im Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIEGRÜNEN. Und ich teile ausdrücklich die hierzu von Frau Lüddemann vorgetragene Argumentation.

Und man kann doch wohl an dieser Stelle zumindest die Frage stellen, warum ausschließlich nur der Staat darüber entscheiden darf, was nach meinem Tod mit meiner Asche passieren soll? Gibt es wirkliche, plausible Argumente für einen Friedhofszwang? So gibt es in der Schweiz bereits keinen Friedhofszwang. In einem Land, wo mehr als die Hälfte der EinwohnerInnen einer christlichen Religion angehören, nicht nur ca. 20 % wie hierzulande. Und da kann ich Menschen, die in mein Wahlkreisbüro mit einem Werbezettel eine Magdeburger Bestattungsunternehmens kommen, welcher mit der Verstreuung der Asche Verstorbener in den Schweizer Alpen oder in einem niederländischen Fluss nicht erklären, warum dies im Harz oder in Elbe und Saale nicht möglich sein soll und kann. Das sind eben auch die Folgen eines vereinten Europas. (Die ich im Übrigen grundsätzlich nicht negativ bewerte…)

Wir leben in einem freien Land und warum sollte die persönlichen Freiheitsrechte des Grundgesetzes nicht auch posthum in Anspruch genommen werden können?
Ganz so einfach und unproblematisch ist es aber nicht. Das ist auch mir völlig bewusst. Mit der Öffnung dieser Regelung werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Probleme auf uns zukommen, die ich nicht unter den Tisch fallen lassen möchte: Können wir tatsächlich auf diese Weise die Identität und Individualität des Verstorbenen schützen? Was passiert mit einer Urne bzw. deren Inhalt in einer - leider allzu oft - verstrittenen Familie? Wie wird der Zugang zu einem Ort der Trauer gewährleistet, wenn die sterblichen Überreste eines Verstorbenen aus dem für alle öffentlichen Raum zugänglichen Friedhof in einen nichtöffentlichen Raum verschwinden? Wie kann eine Eigentumsnachfolge geregelt werden?

All das sollen keine Gegenargumente sein, aber man kann sie nicht außer Acht lassen. Doch auch diese offenen Fragen sind der Grund, warum wir zunächst in eine breite Debatte u.a. mit Hilfe einer Anhörung einsteigen wollen. Und dann erst nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung im nächsten Schritt eine konkrete Änderung des Gesetzes anstreben.

Erlauben Sie mir noch auf einen Punkt einzugehen, der nicht Teil unseres Antrages ist. Bisher existiert keine gesetzliche Regelung zur Ausbildung bzw. zum Berufsabschluss eines Bestatters/ einer Bestatterin. Es gibt derzeitig einen zwischen den BestatterInnen ausgehandelten so genannten Ehrenkodex im Umgang mit den Toten. Doch reicht uns das? Lassen Sie uns auch dieses Thema in der Debatte um das Bestattungsgesetz besprechen. Denn die Wahrung der postmortalen Menschenwürde erfordert dies meines Erachtens auch.

Hinsichtlich des von Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vorgelegten Gesetzentwurfes teile ich ausdrücklich den Ansatz, bei den Kommunen für Änderungen in den Friedhofssatzungen hinsichtlich der Verwendung bzw. Nichtverwendung von Grabsteinen und Grabeinfassungen aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu werben. Die von Frau Lüddemann dargestellten Zahlen für Deutschland sind erschreckend. Lassen Sie uns ein deutliches Zeichen setzen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die nunmehr sensibilisierten Kommunen gleich ziehen werden.

Ich werbe nunmehr um die Zustimmung zu unserem Antrag und kündige für meine Fraktion an, dass wir den Gesetzentwurf nebst Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIEGRÜNEN mit überweisen werden. Lassen Sie uns gemeinsam in den benannten Ausschüssen mit den Kirchen, mit den medizinischen Interessenverbänden, den VertreterInnen der rechtsmedizinischen Instituten, den Strafverfolgungsbehörden und weiteren Institutionen sowie Betroffenen über eine mögliche Reform des Bestattungsgesetzes diskutieren und dann ebenfalls gemeinsam den Reformschritt gehen.