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Eva von Angern zu TOP 14: Richterliche Unabhängigkeit – unverzichtbar für einen Rechtsstaat

„Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.“ Auf diese gleichermaßen eindeutige wie einfache Formel bringen wortgleich Artikel 83 Absatz 2 unserer Landesverfassung und Artikel 97 Abs. 1 des Grundgesetzes das, was wir richterliche Unabhängigkeit nennen.

Dabei ist die durch das Landes- und das Bundesverfassungsrecht gewährte Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter kein Standesprivileg. Sie soll vielmehr die ausschließliche Bindung der Richterin oder des Richters an Recht und Gesetz gegen eine sachfremde öffentliche wie nichtöffentliche, aber insbesondere staatliche Einflussnahme von außen absichern. Denn nur die unabhängige Richterin oder der unabhängige Richter kann die Rechtsschutzgarantie als Kern unseres Rechtsstaats gewährleisten. Richterliche Tätigkeit wird auf verfassungskonforme Weise allein durch den Rechtssatz gesteuert.

Im Zentrum der richterlichen Tätigkeit steht, Recht zu sprechen. Zur Ausübung der rechtsprechenden Gewalt, die ausschließlich Richterinnen und Richtern übertragen ist, gehören alle Tätigkeiten, die mit der Rechtsfindung in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Meine Fraktion teilt die Überzeugung des Richterrats beim Landgericht Magdeburg, dass dazu auch die Terminbestimmung zählt.

Seit Monaten steht der Vorhalt im öffentlichen wie im parlamentarischen Raum, Justizstaatssekretär Böning habe durch einen am 24. Mai 2017 bei einer Richterin am Landgericht Magdeburg getätigten Anruf mit Billigung oder im Auftrag der zuständigen Justizministerin in rechtlich unzulässiger und verbal übergriffiger Weise in die verfassungsrechtlich geschützte richterliche Unabhängigkeit eingegriffen. Einzig die Fraktion DIE LINKE hat sich unter Nutzung des parlamentarischen Fragerechts und der Sitzungen des Rechtsausschusses in den vergangenen Monaten konsequent und tatsächlich um Aufklärung bemüht.

Allein das Stellen eines Selbstbefassungsantrages, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU, reicht eben nicht, um für wirkliche Aufklärung zu sorgen. Das beruhigt vielleicht allein das Gewissen. Man muss dranbleiben sowie für umfängliche Aufklärung sorgen wollen, und vor allem allen Betroffenen die Chance geben, sich im Ausschuss äußern zu können bzw. gehört zu werden. Die Landesregierung hat in ihren Antworten auf unsere zahlreichen parlamentarischen Anfragen keinerlei Zweifel aufkommen lassen, dass das Vorgehen von Justizstaatssekretär Böning nicht durch die Verfassung gedeckt oder in anderer Weise übergriffig gewesen sein könnte.

Auch der Umgang der Justizministerin mit dem Vorgang und mit Dienstaufsichtsbeschwerden aus Justizkreisen ist nach der Überzeugung der Landesregierung – ich verweise auf die Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen in den Drucksachen 7/1799, 7/1822, 7/2002 oder 7/2008 – in keiner Weise zu beanstanden. Die Koalitionsfraktionen ihrerseits haben unseren Vorhalt entweder brüsk zurückgewiesen oder zumindest erkennen lassen, dass man dem Vorgang nicht allzu große Bedeutung beimesse und es mit den in der Sitzung am 20. Juni 2017 erteilten Auskünften sein Bewenden haben könne. Der Bitte der Fraktion DIE LINKE, die am Verfahren beteiligte Richterin am Landgericht Magdeburg und den beteiligten Pressesprecher des Ministeriums in den Ausschuss einzuladen und dort befragen zu dürfen, um nicht nur eine Seite zu hören, trat keine andere Fraktion bei.

Unverhohlener Beifall wurde der Landesregierung für das Agieren von Justizstaatssekretär Böning durch die AfD-Fraktion gezollt. Diese Partei, die noch im Bundestagswahlprogramm forderte, die Justiz müsse entpolitisiert werden, begrüßte es im Rechtsausschuss, dass durch ein Justizministerium über ein Mitglied der politischen Führung des Hauses auf eine möglichst frühe Verurteilung hingewirkt worden ist. So ging es seit Monaten. Dann die überraschende Wende:

Meiner Bitte, zur 14. Sitzung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung am 10. November 2017 im Interesse einer weiteren Sachverhaltsaufklärung und Bewertung des Vorganges daran Beteiligte einzuladen, ist durch den Vorsitzenden allein nach Abstimmung mit den Koalitionsfraktionen nicht entsprochen worden, ohne mich auch nur über diesen Verzicht in Kenntnis zu setzen. Deshalb stellte ich im Ausschuss den förmlichen Antrag, fünf namentlich benannte Richterinnen und Richter am Landgericht Magdeburg in den Ausschuss einzuladen. Nach einer Sitzungsunterbrechung erklärte Frau Ministerin Keding im Ausschuss, der Vorgang stelle eine äußerst spezielle Situation, eine absolut singuläre Erscheinung dar. Sie sicherte darüber hinaus zu, ein solches Verhalten oder Vorgehen werde sich nicht wiederholen. Sie erklärte dies ausdrücklich unter Hinweis darauf, dass sich dies auch aus der intensiven Diskussion ergebe, in der man sich mit dem Vorgehen des Ministeriums auch aus Anlass der Dienstaufsichtsbeschwerden und der Kleinen Anfragen auseinandergesetzt habe.

Diese Aussagen stehen in offenkundigem Widerspruch zu Ihren und den Aussagen des Staatssekretärs im Rechtsausschuss, zu Ihren beiden Bescheiden auf die Dienstaufsichtsbeschwerden des Richterrats beim Landgericht Magdeburg, zu den Antworten der Landesregierung auf unsere Kleinen Anfragen sowie zu Ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Welche Positionen sind durch die Landesregierung zur Sache bisher vertreten worden? „Justizministerium weist Vorwurf der Beeinflussung zurück.“ (Titel der Pressemittteilung Nummer 024/2017 des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung vom 17. Juni 2017)

Im Weiteren: Der Staatssekretär hat darauf hingewiesen, dass es in Quedlinburg erhebliche Unruhe gibt. Von einem Elternabend in Quedlinburg hat eine teilnehmende Vertreterin des Ministeriums berichtet, es sei der dringende Wunsch der Anwesenden gewesen, die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Magdeburg möge nicht erst im August stattfinden. (Pressemittteilung Nummer 024 des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung vom 17. Juni 2017) Er habe sich überlegt, ob es vielleicht angebracht sei, wegen des Verfahrens mit dem Landgericht Magdeburg zu telefonieren. (Staatssekretär Böning am 20. Juni 2017 sinngemäß (!!!) im Ausschuss) Er habe die Richterin in freundlichem, kollegialem Ton gebeten zu prüfen, ob nicht mittels eines kollegialen Gesprächs mit dem zuständigen Richter, die Möglichkeit bestünde, das Verfahren zu beschleunigen. (Staatssekretär Böning in seiner dienstlichen Erklärung vom 7. August 2017; Antwort auf KA Drs. 7/1799) Er habe sich ganz persönlich versichert, dass das Verfahren in guten Händen sei. (Staatssekretär Böning am 20. Juni 2017 sinngemäß (!!!) im Ausschuss) Solche Gespräche seien keine Spezialität in Sachsen-Anhalt, sondern geübte Praxis. Zitat MZ: „Was meinen Sie, wie oft ich als Landgerichtspräsident in Braunschweig aus dem Ministerium angerufen worden bin, als die VW-Verfahren anhängig waren.“ (Staatssekretär Böning am 20. Juni 2017 sinngemäß (!!!) im Ausschuss) Und an dieser Stelle zur Verdeutlichung ein Auszug aus der dienstlichen Äußerung von Justizstaatssekretär Böning, wiederzufinden in der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage in der Drs. 7/2008: „In Anbetracht der Presseträchtigkeit habe ich versucht, das Verfahren G.* umgehend - aus der Erinnerung so gegen 16.00 Uhr im Beisein von Herrn T.* - telefonisch mit der Verwaltung des Landgerichts Magdeburg zu erörtern, um Presseanfragen bezüglich des Zeitpunktes der Terminierung reagieren zu können. .... Ich habe dann Frau RiLG L.* auf die von mir uneingeschränkt akzeptierte richterliche Unabhängigkeit in der Terminierung von Gerichtsverfahren hingewiesen. Dennoch habe ich darum gebeten zu prüfen, ob nicht mittels eines kollegialen Gesprächs mit dem zuständigen Richter/der zuständigen Richterin die Möglichkeit bestünde, dieses Verfahren zu beschleunigen. Angesichts der von mir oben beschriebenen Gefahren, die ich auch in dem Gespräch mit Frau RiLG L.* dargestellt habe, habe ich darauf verwiesen, dass die Justiz einschließlich des Landgerichts bei einer weiteren Straftat des Verurteilten G.* ein Problem in der Darstellung in der Öffentlichkeit bekommen könne....."

Dem gegenüber steht die Aussage der Richterin am Landgericht, ebenfalls in einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage in der Drs. 7/1799 wiederzufinden: „Die Richterin am Landgericht L. hat in einer dienstlichen Äußerung vom 14. August 2017 ausgeführt, sich an die genaue Wortwahl des mit dem Staatssekretär geführten Telefonats am 24. Mai 2017 vormittags nicht mehr erinnern zu können. Sie hat vermerkt, dass der Staatssekretär am 23. Mai 2017 um 16:23 Uhr vergeblich versucht habe, sie zu erreichen. Zu Beginn des Telefonats schien ihr der Staatssekretär angespannt gewesen zu sein. Er habe mehrfach ausgeführt, dass er wisse, was die richterliche Unabhängigkeit sei. Anschließend habe er eröffnet, dass er wegen des Verfahrens gegen Paul G. anrufe, wobei ihm der geplante Verhandlungstermin bekannt gewesen sei. Der Staatssekretär habe zur Gefährlichkeit des Angeklagten und der besonderen Bedeutung des Verfahrens länger in einem geschäftigen, jedoch nicht unsachlichen Ton ausgeführt. Nachdem sie dem Staatssekretär erwidert hatte, dass sie nicht einmal wisse, mit wem sie sprechen könne, habe er nach ihrer Erinnerung wörtlich gesagt: „Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erklären, dass sie am Landgericht keine Vorsitzenden oder Stellvertreter haben, die diese Verhandlung durchführen können! Ich weiß, wie das ist. Ich war selbst zwei Jahre Präsident eines Landgerichts‘.“Dies habe er laut und unfreundlich gesagt, so dass sie sich aufgrund der Beharrlichkeit und Schärfe gezwungen gesehen habe, mit Kollegen aus dem Präsidium, den möglicherweise nach der bevorstehenden Änderung der Geschäftsverteilung zuständigen Kollegen sowie dem seinerzeit noch zuständigen Richter zu sprechen.“

Und dann: Der Vorgang stellt eine äußerst spezielle Situation, eine absolut singuläre Erscheinung dar. Ein solches Verhalten oder Vorgehen wird sich nicht wiederholen. Dies ergibt sich auch aus der intensiven Diskussion, in der man sich mit dem Vorgehen des Ministeriums auch aus Anlass der Dienstaufsichtsbeschwerden und der Kleinen Anfragen auseinandergesetzt habe. (Ministerin Keding am 10. November 2017 im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung)

Man benötigt keine Goldwaage, um zu verstehen, was Frau Ministerin Keding hier im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung erklärt hat. Der gesunde Menschenverstand genügt völlig.

1. Sie haben damit – Frau Ministerin – erklärt, beim Anruf Ihres Staatssekretärs Herrn Böning am 24. Mai 2017 bei einer Richterin am Landgericht Magdeburg, um ein dort anhängiges Verfahren zu beschleunigen, handele es sich um einen absolut singulären Vorgang, der einer äußerst speziellen Situation geschuldet gewesen sei.

2. Sie sagen zweitens zu, ein solcher Vorgang werde sich nicht wiederholen.

3. Und Sie informieren den Ausschuss drittens darüber, dass Sie zu dieser Einschätzung auch im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Vorgehen des Staatssekretärs aus Anlass der Bearbeitung und Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerden sowie der Beantwortung unserer Kleinen Anfragen gekommen seien.

Ich frage Sie, Frau Ministerin Keding: Warum stellt etwas nach Ihrer Einschätzung einen absolut singulären Vorgang dar, was Staatssekretär Böning als geübte Praxis in Sachsen-Anhalt und anderswo – zumindest in Niedersachsen – darstellt? Warum sichern Sie zu, dass sich dieser nach Ihrer Einschätzung absolut singuläre, nach Überzeugung Ihres Staatssekretärs geübte Praxis darstellende Vorgang nicht wiederholen darf, wenn der Anruf doch weder die Verfassung verletzte und deshalb unzulässig war, noch in verbal übergriffiger Weise erfolgte, wie die Landesregierung auf meine Kleinen Anfragen hin und in Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde mitteilte?

Wie kann es sein, dass Sie, Frau Ministerin, ausdrücklich betonen, zu diesen Schlussfolgerungen im Zuge Ihrer Befassung mit meinen Kleinen Anfragen und den Dienstaufsichtsbeschwerden des Richterrats gekommen zu sein? - Die Antworten der Landesregierung auf die Anfragen und Ihre Bescheide auf die Dienstaufsichtsbeschwerden bieten nicht einmal den Hauch eines Anscheins dafür, Sie könnte im Zuge der Befassung mit den Dienstaufsichtsbeschwerden des Richterrats und der Beantwortung meiner Anfragen die Sorge umgetrieben haben, dass das telefonische Agieren Ihres Staatssekretärs, das nach Erörterung mit Ihnen und in Ihrem Auftrag erfolgte, doch nicht über jeden Zweifel erhaben sein könnte?

Wir alle sind des verstehenden Lesens oder Zuhörens mächtig. Ich bin davon überzeugt, dass entweder nur die Einlassungen ihres Staatssekretärs, Ihre Pressemitteilung, Ihre Bescheide auf die Dienstaufsichtsbeschwerde und Ihre Antworten auf meine Anfragen einerseits oder nur Ihre Einlassung im Rechtsausschuss am 10. November 2017 anderseits, nicht aber beides gleichzeitig glaubhaft sein können. Entweder ist ein Vorgehen rechtlich zulässig, findet regelmäßig statt, ist im konkreten Fall auch rechtspolitisch geboten gewesen und maßvoll umgesetzt worden, dann muss eine Ministerin für Justiz im Interesse ihrer Handlungsfähigkeit darum kämpfen, dass so auch in Zukunft in vergleichbaren Fällen verfahren werden kann.

Oder ein Vorgehen ist hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und seiner rechtspolitischen Angemessenheit in Zweifel zu ziehen und deshalb zuzusichern, es werde sich nicht wiederholen. Dann aber kann und darf eine auf die Verfassung verpflichtete Ministerin und eine dem Landtag verantwortliche Landesregierung in Antworten der Landesregierung auf Anfragen von Mitgliedern dieses Hauses und in Bescheiden im Dienstaufsichtsverfahren an unabhängige, sich um den Rechtsrahmen ihres Tuns sorgende Richterinnen und Richter nicht in dieser schroffen, selbstgewissen und jeden Zweifel abbügelnden Art und Weise aus jeder Zeile kommunizieren: Alles ist gut – sorgt euch nicht!

Dieser eklatante Beurteilungs- und Bewertungswiderspruch macht mir große Sorgen. Entweder haben Sie, Frau Ministerin, die Anfragen und die Dienstaufsichtsbeschwerden wider besseres Wissen beantwortet, um Ihren Staatssekretär zu halten, oder Sie haben Ihre Erklärung am 10. November 2017 im Rechtsausschuss entgegen Ihrer eigentlichen rechtsfachlichen und rechtspolitischen Überzeugung als Ministerin abgegeben, um die Koalitionsfraktionen nach einer Auszeit auf Kurs zu halten, weil sich auch dort der Zweifel breit gemacht hat.

Welche Deutung zutrifft, können nur Sie auflösen, Frau Ministerin. Ich fordere Sie namens meiner Fraktion im Interesse der Wahrung der Integrität des Rechtsstaates, sich hier klar und unmissverständlich zu erklären, welcher Überzeugung Sie sind. Das Haus bitte ich um Zustimmung zum Antrag der Fraktion DIE LINKE. Beide Nummern dieses Antrages sind die mindeste Konsequenz, die wir aus dem Vorgang ziehen müssen, um unserer Verantwortung vor der Verfassung gerecht zu werden.

Eigentlich wären wegen des erfolgten Eingriffs in die bundes- wie landesverfassungsrechtlich garantierte richterliche Unabhängigkeit, der sich nach Überzeugung der Ministerin nicht wiederholen darf, und des kaltschnäuzigen Umgangs mit dem Vorbringen aus der Richterschaft und aus der parlamentarischen Opposition andere Konsequenzen, namentlich ein Rücktritt der Ministerin, angezeigt.

Dies allerdings liegt in der Verantwortung des Ministerpräsidenten und der drei Fraktionen, die die Landesregierung stützen, die der Ministerin und ihrem Staatssekretär Glauben schenkten und die die Aufklärung der Vorgänge nicht eben befördert haben. Verantwortung kann nicht geteilt, aber gemeinsam getragen werden.