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Eva von Angern zu TOP 11: Streichung des Verbots der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche (§ 219a StGB - Landgericht Gießen - „Verurteilung als Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz“

(Anrede) In Deutschland wird wieder heftig und emotional über Schwangerschaftsabbrüche gestritten.

Schaut man in die Wahlprogramme zu den letzten Bundestagswahlen und in die Annalen des Deutschen Bundestages, lautet der Befund: Keine maßgebliche, im Deutschen Bundestag vertretene politische Kraft betreibt nach meinem Kenntnisstand offen und entschieden eine Reform des § 218a StGB.

Selbst die mitunter im Völkischen nach Brosamen suchende AfD betreibt dies nicht, auch wenn sie sich bemüht, einen Pappkameraden aufzurichten, indem sie betont, sie lehne – Zitat – „alle Bestrebungen ab, die Tötung Ungeborener zu einem Menschenrecht zu erklären“.

Als betriebe irgendjemand, der gesellschaftspolitisch ernst genommen werden will, diese zynische Zuspitzung, die nicht nur juristisch Nonsens ist, sondern vor allem in ethischer Hinsicht in ihrer schlichten Einseitigkeit dem Problem des Ausgleichs zwischen zwei konkurrierenden Menschenrechten überhaupt nicht gerecht wird.

Und doch bricht der alte Konflikt zwischen Liberalisierung und Restriktion gegenwärtig wieder auf. Es wird schrill vor verhärteten Fronten über den Kompromiss gestritten. Auch die Äußerungen von Papst Franziskus, der Abtreibungen mit einem Auftragsmord verglich, und der ansonsten eigentlich für ein Mehr an Barmherzigkeit angetreten ist, tragen dazu bei. Leider.

Der in den 1990er Jahren nicht zuletzt in Folge des Beitritts erstrittene Kompromiss zwischen dem Recht der alten Bundesrepublik und dem der ehemaligen DDR hat in § 218a StGB rechtliche Gestalt angenommen. Ich gehöre einer Partei an, der dieser politische Kompromiss nicht weit genug geht, die ihn aber respektiert und gegen Angriffe verteidigt. Ich selbst finde den gefundenen Kompromiss als Juristin zwar nicht überzeugend, als Frau und Mutter aber als angemessen. Denn ich bin weder eine Anhängerin der alten bundesdeutschen noch der DDR-Regelung.

Für mich fühlt sich § 218a StGB wie ein Stück gelungene Einheit, wie ein vielleicht gelungener Ausgleich von Interessen und Rechtsgütern an, die in letzter Konsequenz nicht wirklich auszugleichen sind. Denn wenn man nicht zu dem Zustand zurückkehren will, dass ein Kind um jeden, wirklich um jeden Preis auszutragen ist, dann ist es folgerichtig, diese Abwägung in die Hände, letztlich in den Kopf und das Herz der Mutter zu legen. Denn ihr Bauch gehört ihr; auf Zeit betrachtet - aber eben auch ihrem ungeborenen Kind, das sich in ihrer körperlichen Obhut befindet. So sehe ich das. Warum also die Kontroverse?

Oberflächlich betrachtet, geht es dabei um § 219a StGB. Durch diese Norm des deutschen Strafrechts wird bestimmt, dass bestraft wird – ich zitiere –, „wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt“.

Darüber, wie viele Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Werbeverbot in Sachsen-Anhalt eingeleitet worden sind, kenne ich keine öffentlich zugängliche Statistik. Für den Freistaat Sachsen gibt es dank der Kleinen Anfrage meines Kollegen Klaus Bartl veröffentlichte Zahlen. Das sächsische Justizministerium teilte in seiner Antwort mit, dass bis Ende 2017 in drei Fällen wegen des Anfangsverdachts eines Verstoßes gegen § 219a StGB ermittelt worden sei. Ich werde mit einer Kleinen Anfrage versuchen, die entsprechenden Daten für Sachsen-Anhalt zu erheben.

Nach meiner Kenntnis sind auf Grundlage von § 219a bislang zwei Ärzte – ein Gynäkologe und eine Allgemeinmedizinerin – verurteilt worden. Zum einen handelt es sich um einen Frauenarzt in Bayern, der vor mehr als 10 Jahren durch das Amtsgericht Bayreuth zu einer Geldstrafe in Höhe von 8.000 Euro verurteilt worden ist, weil er auf der Internetseite seiner Praxis angegeben hatte, er führe Schwangerschaftsabbrüche durch. Seine Berufung zum Landgericht hatte keinen Erfolg. Zum anderen handelt es sich um die Verurteilung der Gießener Ärztin Dr. Kristina Hänel, die durch das Amtsgericht Gießen für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt worden ist, weil sie für den Abbruch von Schwangerschaften geworben habe.

Nach Überzeugung des Gerichts hat sie den Tatbestand des § 219a StGB dadurch erfüllt, dass sie auf der Internetseite ihrer Praxis darüber informierte, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Inzwischen hat sie auf ihrer Homepage unter der Rubrik „Spektrum“ unter der Kategorie „Frauengesundheit“ den Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ angeführt, der – klickte man ihn an – zu einem Kontaktformular verlinkt war, mit dem man um die Zusendung von Informationen bitten konnte. Auch Kristina Hänel ging in Berufung. Auch sie hatte keinen Erfolg – die 3. Kleine Strafkammer des Landgerichts Gießen bestätigte die Verurteilung.

Doch Richter Johannes Nink ist nicht glücklich mit dem Urteil, das er verkündet. Er sagte – Zitat: „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz.“ Und Kristina Hänel twitterte: „Ich bin einen Schritt weiter auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht, auch wenn es hart ist. Der Richter stimmt mir inhaltlich zu, vergleicht mich mit Sokrates und dem Schierlingsbecher. Bestätigt das Urteil. Absurd.[…]“


Ja, meine Damen und Herren, diese Situation ist absurd. Die Allgemeinmedizinerin wird verurteilt. Gleichzeitig macht der Richter als Bürger deutlich, was er von dem Gesetz hält, das er hier anzuwenden hat, und was er offenbar für geboten hält. Ich möchte hier nicht darüber nachdenken, warum er die Angelegenheit nicht dem Verfassungsgericht vorgelegt hat. Diese Entscheidung lag allein in der Verantwortung des Gerichts. Diese ist zu respektieren. Es wird gute Gründe gegeben haben, diesen Weg nicht gegangen zu sein und vielmehr der Verurteilten diesen Weg zu weisen.

Ich möchte hier über unsere Verantwortung als Volksvertreter*innen sprechen, die ihre Meinung zu diesem Zustand deutlich machen können, ja müssen und die – wenn auch nur vermittelt über die Landesregierung und den Bundesrat – die Möglichkeit haben, auf eine Veränderung des Zustands hinzuwirken. Deshalb fordert meine Fraktion, dass dieser Landtag beschließt: Der Landtag von Sachsen-Anhalt spricht sich für die ersatzlose Streichung von § 219a Strafgesetzbuch aus.

Warum muss diese Regelung aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden?

1. Die Norm des § 219a StGB steht im offenen Widerspruch zum in die Norm des § 218a StGB gegossenen politischen Kompromiss zur rechtlichen Ausgestaltung des Schwangerschaftsabbruchs. Denn nach § 218a StGB sind Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt. Mithin darf ein Arzt oder eine Ärztin nach dieser Gesetzeslage unter bestimmten Bedingungen explizit Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und dafür finanzielle Gegenleistungen von der Patientin oder ihrer Krankenversicherung beanspruchen. Denn wir wollen doch ganz sicher, dass diese die Schwangerschaft beendenden Handlungen durch Ärztinnen und Ärzte und nicht wieder durch sog. „kundige Laien“ durchgeführt werden. Wenn wir an § 218a StGB festhalten wollen und wenn wir wollen, dass dies Ärzte tun, dann ist es scheinheilig, dass wir – wie im Falle von Frau Hänel – den schlichten Hinweis darauf, dass sie diese Leistung in ihrer Praxis anbietet, unter Strafe stellen. Oder um mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 zu sprechen – ich zitiere aus der Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes vom 26. Juni 2018: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“


2. Die beiden § 219a StGB vorangegangenen Normen sind mit dem Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch eingefügt worden. Die §§ 219 und 220 des Reichsstrafgesetzbuches waren damit Teil der ersten nationalsozialistischen Strafrechtsreform. Hintergrund sei – ich verweise erneut auf die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes vom 26. Juni 2018 – die seit Beginn des 20. Jahrhunderts sinkende Geburtenrate gewesen, weshalb das Ziel bestanden habe, die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik auch durch diese Bestimmungen, aber insbesondere durch die drakonische Verschärfung der Strafen für den Schwangerschaftsabbruch bis hin zur Todesstrafe strafrechtlich abzusichern. Die drakonischen Strafen sind nach 1945 zwar aufgehoben, die Verbote allerdings beibehalten worden. Keine nachfolgende Reform dieses Regelungsfeldes hat an der inhaltlichen Ausrichtung der Norm etwas geändert. § 219a StGB fügt sich nicht bruchlos und schon gar nicht harmonisch in den Kompromiss aus den 1990er Jahren ein. Er ist vielmehr systemwidrig und muss es sein, weil er gänzlich andere Regelungsziele verfolgte.

3. Die Norm ist als sog. abstraktes Gefährdungsdelikt in besonderer Weise missbrauchsanfällig. Meine Kollegin Halina Wawzyniak hat in ihrem Blog dargestellt, wie weit gefächert sich die Kommentarliteratur zu § 219a StGB darstellt. So soll etwa nach Lackner/Kühl die bloße Aufklärung nicht unter den Tatbestand fallen, müssen zur Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen die Grenzen des Anstandes weit überschritten sein und bedarf es einer anreißerischen Werbung. Schönke/Schröder hingegen finden, dass der Tatbestand lediglich dann nicht erfüllt sei, wenn Ärzte und Kliniken die Mitteilung ihrer eigenen Bereitschaft zu honoriertem Schwangerschaftsabbruch an anerkannte Beratungsstellen weiterleiten. Etwas anderes solle gelten, wenn auf der Homepage für dieses an Beratungsstellen übermittelte Angebot geworben werde. Vollständig bigott wird es, wenn es erlaubt sein soll, in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachzeitschriften auch in Form von Reklameschriften zu werben, aber eben nicht auch nur schlicht informierend auf der Homepage der Ärzte.

4. Dieser Regelungszustand legt diese Strafbestimmung in den Instrumentenkasten der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Scheint § 219a StGB jahrzehntelang faktisch nicht angewendet worden zu sein, hat sich die Zahl der Strafanzeigen durch radikale Abtreibungsgegner in den letzten Jahren deutlich erhöht. Nach Angaben des Deutschen Juristinnenbundes waren es in 2010 12, in 2011 14, in 2012 3, in 2013 11, in 2014 2, in 2015 27 und in 2016 35 Ermittlungsverfahren. Dass es inzwischen auch Anklagen und Verurteilungen gibt, habe ich erwähnt. Recherchiert man im Netz, fällt auf, dass hinter vielen aktuellen Strafanzeigen die Initiative „Nie wieder“ um den Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen steht bzw. stehen könnte. Er betreibt auch die Internetseiten „babykaust.de“ und „abtreiber.com“, listet Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, neben Bildern zerstückelter Embryonen auf und bezeichnet sie als – Zitat – „Tötungsspezialisten für ungeborene Kinder“ und nennt Abtreibungen den – Zitat – „neuen Holocaust“. Schon der Titel der erstgenannten Internetseite nimmt darauf unverhohlen Bezug.

5. Ich teile die Einschätzung des Deutschen Juristinnenbundes, dass § 219a StGB auch verfassungsrechtlich anachronistisch und aus der Zeit gefallen ist. Er ist auch verfassungswidrig, weil durch die Kriminalisierung der Sachinformation ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten vorliegt und weil die Informationsfreiheit und das Recht auf Selbstbestimmung der Patientinnen verletzt sind.

Ich komme zum Schluss: Die gesellschaftspolitische und rechtsfachliche Debatte hat die bundesstaatlichen Institutionen inzwischen erreicht. Dem Bundestag liegen Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Hauses vor. Im Einzelnen handelt es sich um den Gesetzentwurf der Grünen mit dem Ziel der Aufhebung von § 219a StGB, den Gesetzentwurf der SPD mit dem Ziel der Aufhebung von § 219a StGB, den Gesetzentwurf der FDP mit dem Ziel der Änderung von § 219a StGB, sodass nur Werbung in grob anstößiger Weise strafbar sein soll, wobei der Gesetzentwurf auch die Alternative der Streichung von § 219a StGB benennt, sowie der Gesetzentwurf der Linken mit dem Ziel der Aufhebung von § 219a StGB.

Auch in den Bundesrat ist durch die Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen ein Gesetzesantrag eingebracht worden, dem Bremen beigetreten ist, der die Aufhebung von § 219a StGB zum Ziel hat.

Mit Nummer 2 unseres Antrages werben wir darum, der Landesregierung Sachsen-Anhalts mit möglichst breitem Parlamentsbeschluss dabei den Rücken zu stärken, die Bundesratsinitiative der Länder Berlin, Hamburg, Thüringen, Brandenburg und Bremen zur Streichung von § 219a Strafgesetzbuch zu unterstützen. Vielleicht auch beizutreten, sie aber zumindest zu unterstützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!