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Eva von Angern zu TOP 11: Die Lebenssituation von Frauen und Mädchen in Sachsen-Anhalt: Gleichstellung - ein noch unvollendetes Projekt

Anrede

Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Dies findet seine Entsprechung in Artikel 7 unserer Landesverfassung. Selbstverständlich sind auch wir an dieses Grundrecht in all unserem Handeln gebunden. Umso wichtiger war und ist es für als Parlamentarierinnen zu prüfen, ob dieses Grundrecht in Sachsen-Anhalt auch tatsächlich Beachtung findet.

In Sachsen-Anhalt lebten (Ende 2017) 1.128.205 Frauen und 1.094.876 Männer. Somit sind rund 51% unserer Bevölkerung weiblich.

Allein dieser Fakt zeigt, welch wesentliche Bedeutung der Gleichstellungspolitik in unserem Parlament zukommt. Wir sind vom Volk gewählt und sollen seine Interessen vertreten und dabei geht und muss es eben auch um die Gleichstellung von Mann und Frau gehen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass das noch nicht immer so selbstverständlich war, zeigt ein Jubiläum, welches wir in der vergangenen Woche begangen haben und was uns schon das gesamte Jahr begleitet und sicher noch weiter begleiten wird: Der 100. Geburtstag des Frauenwahlrechts. Gestatten Sie mir einen kleinen historischen Exkurs: Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann die Republik aus. Am 12. November 1918 stellte der Rat der Volksbeauftragten in einem Aufruf „An das deutsche Volk“ sein Regierungsprogramm vor. Ein wichtiger Teil davon war die Proklamation einer großen Wahlrechtsreform, die auch das Frauenwahlrecht enthielt. Wahlberechtigt waren alle Frauen und Männer ab 20 Jahren. Wenige Wochen später, am 30. November 1918, verankert der Rat der Volksbeauftragten das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in der Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung. Im Artikel 109, Abs. 2 der Weimarer Verfassung findet sich schließlich ein entscheidender Satz: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“

Es ist tatsächlich erst 100 Jahr her, dass Dank des unermüdlichen Engagements von Frauen das Recht eigeführt wurde, dass Frauen wählen und gewählt werden durften.

Doch wie sieht es heute aus? In Sachsen-Anhalt? Der Frauenanteil im Landtag von Sachsen-Anhalt (und in kommunalpolitischen Vertretungen) liegt derzeit bei knapp 20%, wobei – was den Landtag betrifft – es deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Fraktionen gibt (DIE LINKE. im LT von Sachsen-Anhalt: 9 von 16 Abgeordneten sind weiblich). Die Auswirkungen liegen auf der Hand: Das politische Klima bzw. die politische Debattenkultur ist eine andere geworden. Eine Sensibilisierung für geschlechtergerechte Themen wird dadurch schwieriger. Dies wiederum fördert einseitige Sichtweisen auf themenübergreifende Politikfelder. 100 Jahre sind vergangen und die Gefahr besteht, dass wir uns in einer Rückwärtsspirale befinden. Dieser Entwicklung müssen wir nach Kräften entgegenwirken! Wenn man bedenkt, dass es in unserem Land zähes Ringen um die Demokratie und damit die Möglichkeit des Mitentscheidens gab, gibt dies umso mehr Anlass, diese mit aller Kraft zu stärken und zu schützen. Ich hoffe, dass die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau nicht ebenso lange Zeit Menschengeschichte in Anspruch nimmt, denn dann erleben wir alle diesen Moment nicht mehr.

Die erste Politikerin, die 1919 in der Weimarer Nationalversammlung redet, war die Sozialdemokratin Marie Juchasz und sie bedankte sich ausdrücklich nicht dafür, dass ihr dieses Recht eingeräumt worden war.  Sie sagte vielmehr: „Was diese Regierung getan hat war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist". Sie sagte darüber hinaus, dass die gewählten Frauen selbstverständlich dieses Recht auch mit Leben erfüllen und nicht still dabeisitzen würden. Ich denke, dass wir selbstbewusst sagen können, dass wir dieser Ansage auch 100 Jahre später gerecht werden. Rückblickend lässt sich feststellen, dass viele Errungenschaften allein der Tatsache zu verdanken sind, dass Frauen ab diesem Zeitpunkt politisch mitbestimmen konnten: sei es die Sozialpolitik, der Mutterschutz, Kinder- und Jugendpolitik u.v.a.m. Und es ist gut und wichtig, dass das außerparlamentarische Engagement der Frauenbewegung nie nachgelassen hat. Politik ohne Gesellschaft, ohne gesellschaftliches Engagement ist unmöglich.

Die Gleichstellung von Mann und Frau bedeutet für meine Fraktion ganz klar auch die paritätische Besetzung von Parlamenten und kommunalen Gebietskörperschaften.

In der Koalitionsvereinbarung der die Regierung tragenden Parteien von CDU, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen findet sich hierzu folgende Formulierung: „In einer lebendigen Demokratie bedarf es der möglichst umfassenden Partizipation von Frauen und Männern in politischen und sozialen Belangen. Gemessen am Anteil der Bevölkerung sind Frauen derzeit vor allem in politischen Gremien unterrepräsentiert. Wir wollen die Partizipation von Frauen in politischen Gremien, Ämtern und Mandaten unter anderem durch die Erhöhung der Familienfreundlichkeit stärken. Um eine paritätische Besetzung von Kandidierenden-Listen zu erreichen, wollen wir prüfen, ob ein verfassungskonformes Paritégesetz auf den Weg gebracht werden kann, das Regelungen sowohl für die kommunale Ebene als auch die Landesebene enthält. “

Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, dass uns eine Prüfung im Jahr 2018 bzw. in dieser Wahlperiode mit den von mir benannten Zahlen zur Zusammensetzung von Parlamenten nicht befriedigen kann und wir deshalb in einer der nächsten Sitzungsperioden einen Antrag bzw. einen Gesetzentwurf zu einem geschlechtergerechten Wahlrecht hier vorlegen werden. Ich meine, dass es das mindeste ist, als Landtag eine öffentliche Debatte zu diesem Thema anzustoßen. Ich freue mich, dass wir mit der Forderung um ein Paritégesetz in guter Gesellschaft sind: Jüngst forderte die Bundesjustizministerin, Frau Barley ein solches. Bündnis 90/ Die Grünen sind bereits in einigen Landesparlamenten initiativ geworden und selbst die Kanzlerin äußerte in ihrer Rede anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht, dass sie eine Geschlechtergerechtigkeit nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft fordere. Nun will ich aber heute nicht meine Einbringungsrede zum Paritégesetz vorwegnehmen und es mit Hinweis auf diese Unterstützerinnen belassen.

Was mir jedoch an dieser Stelle sehr wichtig ist, ist der Verweis darauf, dass wir es nicht mit einem hundertjährigen Wahlrecht für alle Frauen zu tun haben.  Es gab sehr dunkle Zeiten in Deutschland, in denen, ich zitiere u.a. „Angehörige rassenfremden Volkstums“ und Jüdinnen nicht wählen durften. - Die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus. Genau das ist auch der Grund, warum insbesondere aber selbstverständlich nicht nur Frauenverbände derzeit in großer Sorge und Hab-Acht-Stellung sind.  Es mehren sich frauenfeindliche Tendenzen und Forderungen in der Politik von Rechtsaußen. Es geht wieder darum, die Rechte von Frauen gegen reaktionäre Kräfte zu verteidigen. Und ich sage Ihnen ganz deutlich: wir werden die Rechte von Frauen und Männern und Kindern verteidigen und beschützen. Und meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten Debatten auch darüber reden, wie viele Menschen, Frauen und Männer in Deutschland leben und nach wie vor von unserer Demokratie ausgeschlossen/ ausgegrenzt sind. 

Mädchen und Frauen bewegen unsere Gesellschaft – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie können viel erreichen, wenn sie nicht durch künstlich geschaffene Barrieren und gläserne Decken daran gehindert werden. Um das Problem zu verdeutlichen möchte ich Ihnen noch einige Zahlen aus der GA darstellen: Im schulischen Bereich absolvierten (im Jahr 2017) 3.011Mädchen und 2.577 Jungen erfolgreich das Gymnasium. Auch schließen in Sachsen-Anhalt regelmäßig mehr Frauen als Männer erfolgreich ihr Hochschulstudium ab (im Jahr 2016 waren es 5.118 Frauen und 4.608 Männer). Diesem Fakt gegenüber steht jedoch der Umstand, dass ungefähr doppelt so viele Männer wie Frauen einen Ruf auf eine Professur erhalten. Lassen Sie mich hierzu einige Beispiele anführen: 1. An der MLU Halle-Wittenberg wurde im Jahr 2013 eine Frau als Professorin berufen - und 12 Männer. Auch 2017 sieht es nicht besser aus: hier waren es 7 Frauen und 15 Männer. 2. Auch die OvGU Magdeburg bildet hier keine Ausnahme. Im Jahr 2013 wurden 4 Frauen und 14 Männer berufen und im Jahr 2017 3 Frauen und 12 Männer. Ich könnte noch viele Beispiele von weiteren Hochschulen nennen – sie zeichnen dasselbe Bild. Leider. Die Hochschulen verfügen über diverse Mentoring-Programme, wie „Im Tandem zum Erfolg“, COMETiN, MeCoSa 4.0 und FEM-Power, um Frauen, die zu einer akademischen Laufbahn tendieren, zu begleiten und zu unterstützen. Sieht man jedoch die Zahlen, dann belegen diese, dass selbst diese Programme nicht wirklich greifen, zum Teil auch deshalb, weil dann später in der Arbeitswelt die Zugänglichkeit zur akademischen Laufbahn und Führungsebene regelrecht „verbaut“ wird. Der Anteil an Frauen in erster Führungsebene liegt sowohl im öffentlichen als auch im privatwirtschaftlichen Bereich bei 33Prozent. Im Jahr 2016 waren 2.450 Absolventinnen und 1.358 Absolventen der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu verzeichnen, wobei im Bereich der Justiz im LSA 2016 nur 62 Frauen jedoch 118 Männer und im Bereich Inneres und Sport 63 Frauen jedoch 109 Männer eine Führungsposition einnahmen. Bezeichnend, wenn Sie mich fragen. Doch es sieht in anderen Bereichen nicht viel positiver aus. So wurden in den Jahren 2008 bis 2017 von insgesamt 1.797 Frauen und 3.195 Männern Unternehmensnachfolgen angetreten. In den Jahren 2008 bis 2017 sind 34.451Existenzgründungen (Einzelunternehmer*innen) durch Frauen und 68.351 Existenzgründungen durch Männer zu verzeichnen. All diese Negativbeispiele zeigen uns allen deutlich, dass noch sehr viel getan werden muss, um Frauen eine wirkliche Chancengleichheit zu ermöglichen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (auch durch eine gute Kita- und Hortbetreuung), das Schließen des Gender-Pay-Gaps, das Öffnen des Zugangs zu Führungspositionen und, und, und…

All dies erfordert unser Umdenken, unser – gemeinsames - Handeln. Gesellschaftlich und politisch. Am 25.11. findet wie in jedem Jahr der Gedenktag gegen Gewalt an Kindern und Frauen statt. Auch der Landtag wird diesen am Freitag begehen. Vielen Dank hierfür an die Landtagspräsidentin. Die PKS des BKA gibt jährlich erschreckende Einblicke in Familien und Partnerschaften. Gewalt gegen Frauen und gerade auch Gewalt im so genannten „Sozialen Nahraum“ ist für manche Mädchen und Frauen auch in Sachsen-Anhalt Alltag. Erste Zahlen, die bereits für das vergangene Jahr bekannt geworden sind, zeigen, dass wir anhaltend hohe Zahlen zu verzeichnen haben. Wir werden als Politiker*innen diese Gewalt niemals ganz verhindern können. Doch wir können zum einen präventiv wirken und zum anderen Schutzmaßnahmen vorhalten und die Strafverfolgung unterstützen. Besonders problematisch stellt sich die Lage für Menschen mit Behinderungen dar, die in unserer Gesellschaft zu den besonders vulnerablen Gruppen zählen, da sie vielfach in verschiedensten Abhängigkeiten leben. Für Frauen und Mädchen mit Behinderung stehen so gut wie keine adäquaten Unterkünfte zu ihrem Schutz zur Verfügung. Im Rahmen der Großen Anfrage ist zu verzeichnen, dass derzeit im Land Sachsen-Anhalt 19 Frauenschutzhäuser zur Verfügung stehen. Drei davon seien barrierefrei und eines – laut Aussage der Landesregierung - rollstuhlgeeignet. Die Wahrheit ist jedoch, dass keines unserer Frauenhäuser tatsächlich barrierefrei ist, sondern lediglich barrierearm. Weiterhin konstatiert die Landesregierung: „Der Landesregierung liegen keine Informationen dazu vor, dass Frauen und Mädchen mit Behinderung, die von Gewalt betroffen sind, keinen entsprechenden Schutz in einem Frauenhaus in Sachsen-Anhalt erhalten haben[…] (GA, S.98)“ 

Nun, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, da möchte ich nur an die Dunkelziffer erinnern - an Frauen und Mädchen, die nichts von Frauenschutzhäusern wissen oder aber diese nicht aus eigener Kraft erreichen können, weil z.B. Missbrauch und Gewalt durch die Pflegeperson oder Familienmitglieder geschieht – dies zeigt überdies die Polizeiliche Kriminalstatistik sehr deutlich. Wie gesagt: diese spiegelt nur die dokumentierten Fälle. Bei Hilfsangeboten für Jungen und Männer mit Behinderung, die von Gewalt betroffen sind, ist die Lage ähnlich defizitär: „Besondere Maßnahmen im Rahmen der Opferberatung und Zeugenbetreuung beim Sozialen Dienst der Justiz, wenn Männer oder Jungen mit Behinderung von Gewalt betroffen sind, werden nicht vorgehalten. Sollte ein Opfer einen besonderen Bedarf geltend machen, wird diesem im Einzelfall Rechnung getragen.“ Heißt es weiter (GA, S.99). Hier besteht noch dringender Handlungsbedarf. Das Etablieren von Frauenbeauftragten in den Werkstätten für behinderte Menschen ist ein notwendiger und längst überfälliger Aber auch hier muss die konstante Begleitung und Schulung sichergestellt werden, um einen optimalen Nutzen für die Betroffenen zu erlangen. Die Antworten der Landesregierung eröffnen noch weiteren Handlungsbedarf. Allerdings musste ich mich heute auf einige Punkte beschränken. Wir werden jedoch als Fraktion auch nach der heutigen Debatte weiterhin am Thema dranbleiben.

Wir haben gemeinsam noch einiges zu tun, um das Staatsziel der Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen. Doch es ist erreichbar und darauf kommt es an. Es ist kein Naturgesetz, dass Frauen manche Wege durch die so Genannte „Gläserne Decke“ versperrt bleiben. Und es ist unsere Aufgabe, gerade die der Frauen hier im Parlament, Steine aus dem Weg zu räumen und Mädchen und Frauen Mut zu machen, verschlossene Türen zu öffnen.

Lassen Sie uns gemeinsam an der Umsetzung des Landesprogrammes „Geschlechtergerechtes Sachsen-Anhalt“ arbeiten! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!