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Eva von Angern zu TOP 07: Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt

Meine Fraktion wird heute gegen den von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vorgelegten Gesetzentwurf stimmen, weil wir nach wie vor das Konstrukt der Verfassungsschutzämter auf Bundes- wie auch auf Länderebene als letztendlich untaugliches Objekt im Sinne von Grundrechtsschutz und Demokratie grundsätzlich ablehnen.

Die Institutionalisierung des Verfassungsschutzes als ein nach innen gerichteter Nachrichtendienst muss als gescheitert angesehen werden. Effektive und wirkliche Kontrollen geheimdienstlicher Aktivitäten existieren nicht. Auch die Ausweitung der Kontrollbefugnisse der Parlamente und der Bürgerinnen und Bürger stellt kein echtes Gegengewicht dar. Parlamentarische Kontrollgremien können am grundsätzlichen Problem nichts ändern. Geheimdienste lassen sich nicht ernsthaft kontrollieren, ändern oder sogar verbessern. Sie entziehen sich selbst der parlamentarischen Kontrolle, insofern sie selbst darüber entscheiden, welche Informationen dem parlamentarischen Kontrollorgan übermittelt werden.

Zur konkreten Gesetzesberatung möchte ich jedoch deutlich sagen, dass es dem parlamentarischen Miteinander wenig zuträglich war, dass die Koalition mit der „Macht ihrer Stimmenmehrheit“ eine Anhörung zu diesem Thema verhindert hat.
Welche Ignoranz der Macht.

Lassen Sie sich jedoch sagen, dass damit das Thema „Reform des Geheimdienstes“ bzw. „Abschaffung des Geheimdienstes“ nicht erledigt und von der Tagesordnung genommen ist. Im Gegenteil - das Thema ist aktueller denn je. Und auch die „Vogel Strauß“ -Taktik funktioniert auf Dauer bei diesem Thema nicht. Und das ist auch gut so, weil wir auch und gerade als Landesparlament dringend unserer Verantwortung gegenüber den NSU-Opfern, ihren Angehörigen und der Gesellschaft gerecht werden müssen. Aussitzen bzw. alleiniges Handeln der Exekutive funktioniert gerade bei dieser Problematik nicht mehr. Das haben wir - als Parlament - lange genug getan.

Insofern haben wir uns mit Ihrer Verhinderungstaktik, sehr geehrte KollegInnen von der Koalition, eine Chance vertan, nämlich die der Anhörung von ExpertInnen, welche auch Alternativen zum bestehenden - und ganz klar gescheiterten - System von Geheimdiensten aufgezeigt hätten.
Nicht ohne Grund wird seit Jahren über das „V-Mann-Wesen“ erbittert debattiert - einem folgenschweren System der Informationsbeschaffung des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern, welches sich wesentlich auf V-Leute und damit untrennbar auf das Prinzip „Quellenschutz statt Strafverfolgung“ stützt.
Ein kontraproduktives System, welches sich zu einer Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie entwickelt hat.

Und auch wenn der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wie auch hier im Land die Koalition diese Spitzel als „unverzichtbar" ansehen, können Sie nicht die Augen davor verschließen, dass die Debatte über Verrat und Vertrauen oder besser gesagt über Sinn und Unsinn neu entbrannt ist. Doch brauchen wir tatsächlich diesen großen Aufwand an Personal und eine nicht unerhebliche Summe öffentlicher Gelder, um die „Verräter“ durch den Verfassungsschutz anzuwerben, die dann nicht unclever filtern, was sie dem Staat an Wissen zur Verfügung stellen, um letztendlich als „guter“, als „vertrauenswürdiger“ V-Mann zu gelten? Der Preis ist hoch.

Doch was hilft es zur Verteidigung des Rechtsstaates, ein verhindertes rechtsextremes Konzert als Heldentat des Verfassungsschutzes zu feiern?
Angesichts des erheblichen Schadens für den demokratischen Rechtsstaat rechtfertigen auch positive Einzelfälle der Aufklärung bzw. Verhinderung von Straftaten mittels V-Personen nicht deren Einsatz in einem System der Konspiration und des unkontrollierten staatlichen Handelns.

Folgende gemeinsame traurige Erkenntnis haben sämtliche Untersuchungsausschüsse des Bundes und der Länder erbracht: Seit das NSU-Trio im Jahre 1998 im Untergrund verschwand, lieferten die V-Leute umfangreiche Informationen an die Verfassungsschutzämter. Doch der Einsatz von V-Personen hat schwerste Verbrechen nicht nur nicht verhindert, sondern auch ihre Aufklärung behindert. Denn ganz nüchtern festgestellt: Keine dieser Informationen führte zum Ziel. Die Terroristen konnten unter den Augen bzw. Ohren der Sicherheitsbehörden ihre Morde planen und ausführen.

Was bedeutet unter diesem Eindruck die Einschätzung der Innenminister, dass V-Männer unverzichtbar seien? Gerade das NSU-Debakel sowie das Desaster um das NPD-Verbotsverfahren haben doch unseren Eindruck bestätigt, dass die rechtsextreme Szene von V-Leuten vehement durchsetzt ist.

Nun suchen alle Landesregierungen nach der besten Lösung, um aus dieser Misere der Systemkrise der Verfassungsschutzämter herauszukommen. Zum Glück gibt es aber auch Fachleute, wie der frühere Bundesrichter Schäfer, die diese Debatte tatsächlich ergebnisoffen und auch mit der Option, auf V-Männer bzw. weitere nachrichtendienstliche Mitte gänzlich zu verzichten, führen. Doch das erfordert natürlich auch Mut, Alternativen aufzuzeigen und neue Wege zu gehen. Sie hatten leider nicht mal den Mut, eine Anhörung durchzuführen…

Wir drehen uns letztendlich im Kreise, denn weiterhin steht die Frage deutlich hörbar im Raum: Wofür braucht dieses Land überhaupt V-Männer? Und, Herr Innenminister, nicht die Opposition ist nach dem seit November 2011 ans Licht getretenem Grauen in der Pflicht zu erklären, warum es keiner V-Männer und im Besonderen keiner Verfassungsschutzämter im Allgemeinen braucht. Sie stecken in dieser Erklärungsnot. Und dazu habe ich bisher von Ihnen leider nur wenig gehört.
Stattdessen subventioniert auch Sachsen-Anhalt weiter in die rechtsextreme Szene mit öffentlichen Mitteln. Welch traurige Wahrheit.