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Eva von Angern zu TOP 07: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD aus dem Jahr 2011 wurde „die weitere Optimierung und Konzentration der Justizvollzugsstrukturen im Land Sachsen-Anhalt“ vereinbart: „Hierzu sollte ein weiterer vorhandener Standort ausgebaut werden. Zur Umsetzung sollte bis zum Ende des Jahres 2011 ein entsprechendes Konzept mit dem Ziel der Weiterentwicklung der Justizvollzugsstruktur vorgelegt werden.“ Ferner vereinbarte man, dass „zur Sicherung dieser Justizvollzugsstruktur eine zukunftsfähige und bedarfsgerechte Personalausstattung unverzichtbar ist.“

Bereits zu Beginn der Wahlperiode gab es dann die erste Ankündigung der Landesregierung, aufgrund rückläufiger Gefangenenzahlen bei den Strukturen nachbessern zu wollen und letztendlich auch zu müssen. Schon früh in der Wahlperiode gab es die eindeutige Ansage der Justizministerin, einen Drei - Standort - Vollzug in Sachsen-Anhalt anzustreben.

Ehrlicherweise muss aber auch an dieser Stelle gesagt werden, dass Grund dafür nicht nur allein die rückläufigen Gefangenenzahlen, sondern insbesondere auch der im Personalentwicklungskonzept festgelegte und von Ihnen, Frau Ministerin, unterstützte Personalabbau bei den Bediensteten im Vollzug war. Denn weder ich, noch KollegInnen meiner Fraktion können sich in dieser Legislaturperiode an einen vehementen bzw. wenigstens verhaltenen Aufschrei Ihrerseits bezüglich der vorgegebenen Sparpläne Ihres Finanzministers verbunden mit entsprechenden Forderungen nach Personalaufwüchsen  erinnern.

Ihre Positionierung erweckte stets den Eindruck, dass diese vorgegebenen Zahlen für Sie, wie auch für die gesamte Landesregierung „für die Ewigkeit in Stein gemeißelt wurden“.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, mit Ihren Aussagen im öffentlichen Teil der Enquetekommission „Die Gestaltung einer zukunftsfähigen Personalentwicklung im öffentlichen Dienst des Landes Sachsen-Anhalt“ vom 24.10.2008 konfrontieren. Sie sagten dort: „Legt man den Personalschlüssel von 51 Beschäftigten pro 100 Gefangenen zugrunde....., wenn man berücksichtigt, dass wir bis zum Jahr 2020 520 Personalabgänge - altersbedingt oder aus sonstigen Gründen -  im Justizvollzug ... haben werden - das heißt, 341 Angehörige des allgemeinen Vollzugsdienstes werden ausscheiden-, wird unter Beachtung der Stellenabbauverpflichtung selbst dann, wenn man den Korridor von 137 Neueinstellungen vorsieht, eine Personalunterdeckung entstehen. Nach den derzeitigen Überlegungen stellt sich daher die Frage, inwieweit möglicherweise weitere Einstellungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen, um das Verhältnis von 51 : 100 zu erreichen. Aus unserer Sicht ist es nicht möglich - jedenfalls nicht bei der derzeitigen Struktur der Anstalten-, mit einem Personalbestand unterhalb dieses Schlüssels zu arbeiten, weil dann dem gesetzlichen Auftrag des Behandlungsvollzugs nicht mehr entsprochen werden kann.“

Inzwischen sind über 6 Jahre vergangen, Lösungsansätze der Landesregierung werden hauptsächlich in einer notwendigen Veränderung der Justizvollzugsstrukturlandschaft gesehen. Und diese Veränderungen beinhalten allein Schließungspläne von JVA, um das vorhandene, zu knappe Personal auf die restlichen Gefängnisse aufzuteilen.
Und das wiederum wird letztendlich auch den voraussichtlichen Ausbau der JVA Halle, am Standort „Frohe Zukunft“, zur Folge haben. Die Außenstelle der JVA Burg in Magdeburg wurde bereits geschlossen. Da es sich hier um eine Außenstelle handelte, bedurfte es keines Änderungsgesetzes und keiner Entscheidung durch das Parlament. Und man kann zweifelsohne behaupten, dass die Schließung äußerst geräuschlos und medial kaum begleitet, vollzogen wurde. Lediglich der Einzug einer Künstlerszene lässt noch an die JVA Magdeburg öffentlich erinnern.

Durch den vorliegenden Gesetzesentwurf soll nun die Voraussetzung für die Schließung der JVA Dessau zum 1. Juli 2015 wegen Überkapazitäten an Haftplätzen geschaffen werden. Die Gefangenen sollen auf andere Standorte verteilt, die Bediensteten sollen versetzt werden. Von Geräuschlosigkeit kann hier aber wahrlich nicht die Rede sein, und das ist mit Blick auf die Stadt Dessau- Roßlau und deren Entwicklung in den letzten 25 Jahren durchaus verständlich bzw. nachvollziehbar. KommunalpolitikerInnen, BürgerInnen vor Ort reagierten auf die Ankündigung der Landesregierung mit Kritik und Enttäuschung.
Meine Fraktion versteht die Sorgen der Dessauer, dass die beabsichtigte Maßnahme wiederum ein Mosaikstein hinsichtlich der Abwertung des Standortes Dessau-Roßlau als Oberzentrum ist. Denn Dessau-Roßlau ist neben Magdeburg und Halle ein Oberzentrum und beansprucht für sich, dies auch zu bleiben. Jetzt sieht man in den Schließungsabsichten ein verheerendes Signal an das Oberzentrum.

Jeder Ab- oder Rückbau einer Institution, einer Einrichtung, einer Behörde oder einer Struktur in dieser Stadt bringt das Oberzentrum Dessau-Roßlau in Gefahr. Und es ist letztendlich die öffentliche Daseinsvorsorge, die aufgrund von Schließungen in eine erhebliche Schieflage geraten kann. Und es sind Arbeitsplätze, die in dieser Region damit verlorengehen.

Doch auch wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass zurückgehende EinwohnerInnenzahlen, dass die gegenwärtige demografische Entwicklung Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben. Wenn unsere Bevölkerung schrumpft und zugleich älter wird, wundert es nicht wirklich, dass auch Gefangenenzahlen und damit Haftplätze zurückgehen. Und ich denke und hoffe es zumindest, dass auch niemand hier im Saal dies grundsätzlich bedauert. Denn müsste unser Anspruch nicht eigentlich der sein:
Eine deutlich geringere Kriminalitätsrate, weniger verurteilte Straftäter, dann weniger benötigte Haftplätze und eine reduzierte Anzahl von Strafanstalten.

Unser Auftrag als Parlament ist - „dank“ der Föderalismuskommission - beste Bedingungen und Voraussetzungen für Gefangene und Bedienstete zu schaffen, um den Resozialisierungsgedanken des Strafvollzugsgesetzes tatsächlich erfüllen zu können.
Eine dafür notwendige konkrete Nachbesserung des Personalentwicklungskonzeptes durch die Koalition im Bereich des Allgemeinen Vollzugsdienstes ist mir zu keinem Zeitpunkt erinnerlich. Zwar waren immer mal kritische Stimmen in den Koalitionsfraktionen vernehmbar, diese aber eher leise und ohne Nachdruck. Und erst recht ohne Folgen.
Denn mir ist kein Änderungsantrag bzgl. des Neueinstellungskorridors in den Haushaltsverhandlungen für den Doppelhaushalt 2015/2016 in diesem Bereich erinnerlich.

Ja, wir haben ein Personalproblem im Strafvollzug in Sachsen-Anhalt. Das lösen wir jedoch allein nicht mit der Schließung von Anstalten. Und ja, der Erhalt der JVA Dessau unter gleichen personellen Vorzeichen würde zu Lasten der Vollzugsbediensteten im gesamten Land gehen. Und ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass ebenfalls meine Fraktion im personellen Bereich des Strafvollzuges nicht parlamentarisch aktiv geworden ist. Grund hierfür ist eine andere politische Prioritätensetzung insbesondere zugunsten der Neueinstellungen bei LehrerInnen und PolizistInnen. Denn auch wir sind keine finanziellen und personellen Wunschträumer - auch wenn man uns dies als Opposition gern vorwürft.
Uns kommt es auf die richtige Umverteilung an die richtige Stelle an, denn das „erlegte Fell des Bären“ können auch wir nur einmal verteilen. Insofern ist festzustellen, dass dieses Parlament - also wir alle - sehenden Auges in die vorliegende Situation hineingesteuert sind. Und nun ist es unsere Pflicht, nicht zu Lasten von Gefangenen und Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten dringend erforderliche Entscheidungen hinauszuzögern, sondern diese schnellstmöglich und ausgewogen zu treffen.

Die von der Koalition in den letzten Jahren und insbesondere Monaten öffentlich geführte Debatte war dabei wenig hilfreich. Im Gegenteil: Sie hat Hoffnungen geweckt, wo es keine Hoffnung gibt. Sie hat Illusionen hervorgerufen, die jetzt wie Seifenblasen zerplatzen.
Allerdings - erlauben Sie mir an dieser Stelle die Bemerkung - irritiert mich immer wieder das ambivalente Verhalten der Kommunen bzw. der Menschen in den einzelnen Kommunen, wenn es um die Schließung oder den Neubau einer JVA geht. Soll eine Justizvollzugsanstalt geschlossen werden, gibt es aus den unterschiedlichsten Gründen Proteste dagegen. Soll eine Justizvollzugsanstalt neu gebaut oder erweitert werden, gibt es Proteste … ebenfalls dagegen. So unterschiedlich sind Betrachtungen, Positionen, Interessenslagen und Wünsche von Menschen. Oft kommt es an, auf welcher Seite man steht.

Ich erinnere daran, dass das der Grund dafür war, dass eine Jugendanstalt und ein Hochsicherheitsgefängnis quasi auf freiem Feld entstanden sind. Beide Standorte sind im Sinne der Resozialisierung wenig günstig gelegen. Allerdings ist auch in meiner Fraktion eine regionalpolitische Diskussion geführt worden. Verständlich und nachvollziehbar. Denn fast alle von uns sind nicht nur LandespolitikerInnen, sondern auch KommunalpolitikerInnen vor Ort. Ich sagte bereits, dass auch für meine Fraktion der Standort Dessau- Roßlau von wesentlicher Bedeutung ist. Insofern kann ich schon jetzt ankündigen, dass das endgültige Abstimmungsverhalten meiner Fraktion bei der 2. Lesung und damit abschließenden Behandlung des Gesetzentwurfes noch nicht endgültig feststeht.

Heute werden wir den Gesetzentwurf mit überweisen, um dann auch mittels einer Anhörung das „Pro und Contra“ bezüglich einer Schließung nochmals genau abwägen zu können. Und es wird für unsere Entscheidung nicht unerheblich sein, welche Lösung, sprich auch welche Nachnutzungsoptionen, für die JVA Dessau im Raum stehen. Es muss dabei geprüft werden, ob bisherige Ankündigungen der Landesregierung - die man jetzt leider nicht einmal mehr in der Begründung des Gesetzentwurfes wiederfindet - einer adäquaten Nachnutzung des Standortes entsprechen. Ich beziehe mich hier auf öffentliche Ankündigungen, wie den offenen Vollzug, die zentrale Schlosswerkstatt, die Vergabestelle oder die Zentrale Auskunftsstelle des Justizvollzuges in Dessau ansiedeln zu wollen.

Aus fachlicher Sicht können natürlich auch Argumente gegen die Schließung aufgezeigt werden. Ja, auch mir ist die Ausschussreise des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung nach Norwegen bzw. Halden in mehr als guter Erinnerung. Ein beeindruckendes Gefängnis im Grünen mit besten Bedingungen für die Gefangenen und ihre Resozialisierung, aber auch für die Bediensteten. Ich möchte hier nur auf die hervorragende Bezahlung der Bediensteten hinweisen. Von diesen Einkommen können unsere Bediensteten nur träumen.

Doch hier ist uns ganz klar ein Stopp - Schild gesetzt. Mangels Ölvorkommen sind wir Welten davon entfernt, eine haushalterische Situation wie in Norwegen bei uns vorzufinden. Daher stehen uns auch nicht annähernd die gleichen Geldsummen zur Verfügung. Und ganz ehrlich: Wir haben auch bei weitem nicht die Zustimmung in der Bevölkerung und auch nicht hier im Landtag , den Strafvollzug prioritär zu behandeln. Diese Wahrheit können wir negieren oder aber - und das präferiere ich - zur Kenntnis nehmen, aufklären und entsprechend agieren.

Wir werden hier in diesem hohen Hause nicht das letzte Mal über die JVA- Reform debattieren. Die Schließung der JVA Dessau-Roßlau - gleich welcher Kompromiss dabei noch herausgehandelt werden wird - löst das hausgemachte Personalproblem nicht, sondern mindert es nur bzw. gibt uns etwas Zeit, um den nächsten Schritt vorzubereiten.
Wir schieben als Land grundsätzlich das Problem vor uns her und spielen auf Zeit. Ich denke, dass diese genannten Probleme schon mit dem nächsten Haushalt auf dem Tisch liegen werden. Der neu gewählte Landtag wird schon früh in der kommenden Wahlperiode weitere und hoffentlich vorausschauende Entscheidungen zu treffen haben. Ich hoffe, dass er dies mit dem nötigen Augenmaß verantwortungsvoll für die Gefangenen - im Sinne des noch zu beschließenden Strafvollzugsgesetzes - aber auch für die Bediensteten tun wird.