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Eva von Angern zu TOP 05: Entwurf eines Gesetzes über die Einführung eines Jugendarrestvollzugsgesetzes und zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt

Es ist gut, richtig und wichtig, dass wir heute zum wiederholten Male über den Jugendarrest und dessen Vollzug in Sachsen-Anhalt diskutieren, aber leider bleibt´s beim Diskutieren. Klare Botschaft heute: Es gibt mindestens zwei Missstände im Jugendarrest, die Dank einer intensiven Anhörung und einer inzwischen mehrjährigen öffentlichen Debatte auch beim letzten Mitglied dieses Hohen Hauses angekommen sein müssten, denen aber heute augenscheinlich der Beschlussempfehlung nicht abgeholfen wird.
In der Jugendarrestvollzugsanstalt in Halle befinden sich noch immer sogenannte SchulverweigererInnen, die ausdrücklich nicht dorthin gehören. Wir leisten uns einen Jugendarrestvollzug ohne gesetzliche Grundlage für dessen konkrete Ausgestaltung.

Das Erstgenannte halte ich aus fachlicher Sicht für absolut nicht trag- und hinnehmbar und das Zweite ist mindestens verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nicht gar verfassungswidrig. Darauf werde ich im späteren noch näher eingehen.

Die Besonderheit in der heutigen Debatte ist, dass der Gesetzentwurf und der Entschließungsantrag am Ende zwar abgelehnt werden, doch alle rechtspolitischen SprecherInnen sie für richtig und erforderlich erachten.
Da kann ich nur sagen: RESPEKT. Da sind Sie Ihren BildungspolitikerInnen um einiges voraus. Lediglich die BildungspolitikerInnen der CDU-Fraktion verhindern die Änderung des Schulgesetzes. Diese können sich in ihrer Argumentation lediglich auf die Stellungnahme des Verbandes der Schulleiter Sachsen-Anhalt berufen, der als einziger der Anzuhörenden an der jetzigen Formulierung im Schulgesetz festhält. Da weise ich lieber auf die Stellungnahme des Landesschülerrates hin, der für eine höhere pädagogische Fachkompetenz steht und in seinen Forderungen vor allem auf besser ausgebildete LehrerInnen, mehr SozialarbeiterInnen an den Schulen und eine verbesserte Kommunikation zwischen Schule, Elternhaus und Behörden setzen. Kluge Jungs.

Auch wenn Fachkompetenz heute nicht das entscheidende Kriterium bei der Abstimmung sein wird, lassen Sie mich einige Gedanken aus der Anhörung in die Zweite Lesung unseres Gesetzentwurfes einführen:

Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V.:
Die Arrestanstalt ist in vielerlei Hinsicht eine Schule der Kriminalität. Für viele ist der Arrest auch der Einstieg in die Kriminalität. Deshalb ist die Rückfallquote von 70% nicht verwunderlich. Es ist unklar, welche Klientel tatsächlich für die Maßnahme „Jugendarrest“ geeignet ist. Mit welchen erzieherischen Mitteln muss man arbeiten, damit Mittel und Klientel und Zweck in eine Konzeption passen?

Jugendgerichtshilfe Magdeburg:
Die Unterbringung von Schulverweigerern gemeinsam mit Jugendlichen und Heranwachsenden, bei denen ggf. von Jugendrichtern schon die schädlichen Neigungen festgestellt wurden, ist aus pädagogischer Sicht völlig indiskutabel.

Jugendarrestanstalt Halle:
Ich möchte keinen Jugendlichen unterbringen, gegen den wegen Schulbummelei Jugendarrest verhängt wurde. Wir müssen uns vielmehr fragen, warum gehen diese Jugendlichen nicht zur Schule?

Richter am AG Eilenburg:
Ein Jugendarrestvollzugsgesetz ist zwingend notwendig. Der gegenwärtige Zustand ist eklatant verfassungswidrig. Verweis auf BVerfG 2006. Dieses entschied, dass Grundrechtseingriffe im Vollzug freiheitsentziehender Sanktionen gegen junge Menschen nur dann verfassungsgemäß sind, wenn die aufgrund einer formalgesetzlichen Grundlage erfolgen. Der Jugendarrest wird weitaus häufiger vollstreckt und es ist verheerend, dass das tagtäglich ohne Eingriffsgrundlage erfolgt. Sein Rat: „Befassen Sie sich so schnell wie möglich mit einem Jugendarrestvollzugsgesetz. Lösen Sie sich dabei von Ihren vorgeformten Bildern. Binden Sie die Betroffenen ein. (…) Formulieren Sie dann konkrete Vollzugsziele und prüfen Sie, was Sie zu deren Umsetzung benötigen. (…)“

Das sind doch klare und deutliche Worte, die man nicht ignorieren sollte.

Die Ministerin der Justiz höchst selbst hat öffentlich eingeräumt, dass sie nicht nur das Instrument des Jugendarrestes, sondern auch die Tatsache, dass sich Schulverweigerer dort befinden, fachlich strikt ablehnt. Es gab ihrerseits den Vorschlag, wie bspw. in Brandenburg praktiziert, wo regelmäßig keine Anträge auf Umwandlung von Geldbußen in Beugearrest gestellt werden. Doch auch sie konnte sich damit nicht durchsetzen. Nicht mal damit. Obwohl der Kultusminister selbst einräumte, dass das ein haltloser Zustand ist, räumen die unter ihm befindlichen Arbeitsebenen freimütig im Ausschuss ein, dass sie ganz klar an der Ordnungswidrigkeit im Schulgesetz festhalten wollen. Ein Wille nach Veränderung ist folglich nicht erkennbar.

Ich bin keine Pädagogin, aber wenn PädagogInnen feststellen, dass, wenn alle pädagogischen Möglichkeiten ausgereizt sind, dass dann das letzte Mittel der Beugearrest sein soll/ sein muss, ist mehr als fragwürdig und eine pädagogische Bankrotterklärung.
Ich finde, dass Sie den Mut haben sollten, ehrlich zu benennen, was Ihr eigentliches Problem ist: Es geht Ihnen nicht um junge Menschen in schwierigen Lebenslagen.
Es geht Ihnen vielmehr darum, was Ihr vermeintliches WählerInnenpotential zu einer solchen Positionierung sagt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich denke, ich brauche Ihnen nicht die Augen zu öffnen: Sie sind alle hellwach. Nur heute macht es wenig Sinn, weiter um Ihre Stimme zu werben. Doch die heutige Abstimmung zeigt einmal mehr, dass hier einer Mindermeinung aufgrund einer unglücklichen Ehe zwischen CDU und SPD zum Mehrheit verholfen wird.

Nach dem 13. März 2016 sind die Karten für eine moderne, zukunftsorientierte Politik neu gemischt und dann werden wir auch erneut über den Jugendarrestvollzug in Sachsen-Anhalt reden und neue und vor allem nachhaltige Wege gehen.