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Eva von Angern zu TOP 02: Regierungserklärung der Ministerin für Justiz und Gleichstellung Frau Prof. Dr. Angela Kolb zum Thema: „Opfer schützen - Sachsen-Anhalt geht mit gutem Beispiel voran“

Es ist jetzt genau zehn Jahre her, da durfte ich auf Einladung der USA drei Wochen dieses sehr große, sehr vielfältige und in manchen Dingen auch nur schwer oder gar nicht verständliche Land kennen lernen. So besuchte ich auf meiner Reise zwei Gefängnisse, eines in Arizona, Tucson, eines in New York. Rykers Island - eine Gefängnisinsel mit 14.000 Häftlingen. Unsere Delegation erfuhr, dass in den USA nach Begehung der dritten Straftat der Weg ins Gefängnis unumgänglich ist. Wir erfuhren, dass sich die Vielfalt der Bevölkerung nicht in den Gefängnissen wiederspiegelte. In beiden Gefängnissen waren überdurchschnittlich viele Afroamerikaner zu finden. Wir sahen Kinderbetten in den Zellen, denn in den USA ist man mit Geburt strafmündig. Soviel zu den USA.

Der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung konnte im Jahr 2012 fünf Tage in Norwegen verbringen und wir besuchten das Gefängnis in Halden. Ganz klar: ein Vorzeigegefängnis; ein sehr moderner Strafvollzug mit sehr modernen Konzepten. Dort gab es u. a. Strafvollzugsbedienstete mit akademischem Abschluss und entsprechender Bezahlung, einen Wochenendbungalow für die Familienzusammenführung und eine eigene Bäckerei. Das waren nur einige von vielen Vorzügen dieser Einrichtung.

Doch warum beginne ich meine Rede mit diesen Einlassungen, mit diesen Erinnerungen?
Weil ich zeigen will, wie unterschiedlich die Ansprüche von Gesellschaften/ von Staaten an die Arbeit mit Tätern, aber auch – und das steht stets unmittelbar damit eng zusammen – wie die Sorge um und der Umgang mit den Opfern von Straftaten geprägt ist.
Weil ich an diesen Beispielen darstellen will, dass auch wir noch ganz viel Luft nach oben (bzw. und absolut nicht wünschenswert) nach unten haben. Und da finde ich die heutige Überschrift der Regierungserklärung „Opfer schützen – Sachsen-Anhalt geht mit gutem Beispiel voran“ durchaus selbstbewusst, aber auch offen gesagt: wenig selbstkritisch und insbesondere letzteres macht hellhörig.

Selbstkritisch kann ich sagen, dass der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung diesem Thema weder in seiner Ausschussreise noch insgesamt in seiner Tätigkeit in dieser Wahlperiode viel Platz eingeräumt hat. Davon ausgenommen - ausdrücklich einem Thema, namentlich der Zukunft der rechtsmedizinischen Institute haben wir uns sehr intensiv gewidmet. Doch dazu möchte ich später noch kommen.

Doch lassen Sie mich auch deutlich sagen, dass es gut und richtig ist, dass sich eine Regierungserklärung diesem Thema widmet, denn es ist eben für eine Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung, wie sicher die Menschen in ihr leben und wie mit Opfern von Straftaten umgegangen wird. Das stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat, ohne ihn auszuhöhlen und das ist mir sehr wichtig. Einen absoluten Schutz vor Straftaten gibt es jedoch nicht. Dieses Signal sollten auch wir heute nicht anders vermitteln, weil es ansonsten Hoffnungen weckt, die niemand von uns erfüllen kann. Politik kann nur über tatsächlich bestehende Gefahren aufklären und Rahmen setzen, um Straftaten effektiv zu verfolgen und Opfern die erforderlichen Hilfen zur Verfügung zu stellen.  Das sind die Aufträge an Politik, die wir heute anlässlich dieser Regierungserklärung zu hinterfragen, zu überdenken und ggf. auch neu zu denken haben.

Wenn man sich dem Thema „Opferschutz“ zuwendet, sollte man immer wissen, dass dieser nie ohne den Umgang mit den Tätern gedacht werden kann. Umgedreht gilt übrigens das Gleiche.
Wir haben nun bereits vieles in der Regierungserklärung der Ministerin gehört. Ferner ist in der Bilanzbroschüre der Landesregierung nachzulesen, dass „Sachsen-Anhalt den Opferschutz stärkt.“ Und dass mit der Fortschreibung des Opferschutzberichtes aus dem Jahr 2010 Opferinteressen verstärkt berücksichtigt werden. Zudem gab es eine zentrale Veranstaltung am 8. Juli 2015 im Justizzentrum Magdeburg, zu der sich Opferschutzverbände und Opferhilfeeinrichtungen vorstellen konnten, und es gibt eine Broschüre, die über Opferrechte und Beratungs- und Hilfsangebote aufklärt. Aufklärung und Vernetzung sind sehr gut und sehr wichtig für die Begleitung von Opfern.

Doch ich möchte für meine Fraktion heute selbstverständlich auch die kritischen Punkte dieser Wahlperiode ansprechen, in denen wir dem Opferschutz absolut keinen Gefallen getan haben:

Zunächst: die leidige Debatte um die Zukunft der Rechtsmedizin in Sachsen-Anhalt.
Wenn wir ehrlich sind: Wir sind kein Stück vorangekommen. Im Gegenteil, eher noch mehrere Schritte zurückgegangen, in dem de facto der Standort Magdeburg abgewickelt wurde bzw. noch weiter abgewickelt werden soll. Ja, wir haben Traumaambulanzen und ja, welch‘ Überraschung: Wir wissen, dass sich diese nicht eigenständig finanzieren, sondern unter anderem von Landesmitteln. Doch überrascht Sie, überrascht uns das denn wirklich? Nein.

Genau so wenig, wie sich ein Frauenschutzhaus selbst tragen kann. Genauso wenig kann dies eine Traumaambulanz bzw. ein Rechtsmedizinisches Institut. Nein. Hier muss sich der Rechtsstaat und damit auch wir dazu bekennen, dass wir diese Institutionen als unerlässlich zur Wahrung der Rechte von Menschen erachten und deshalb auch finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Das unwürdige Ping-Pong-Spiel zwischen den einzelnen Ressorts hat hoffentlich ebenfalls in der nächsten Wahlperiode ein Ende.
Denn das wird den Interessen von Opfern von Gewalttaten nun absolut nicht gerecht. Da helfen auch nicht die schönsten Sonntagsreden. Frau Ministerin, eine Opferstiftung kann dabei Teil der Lösung sein und wir unterstützen Sie dabei gern. Allerdings möchte ich daran erinnern, dass Sie dieses Vorhaben schon einmal abgelehnt haben, als dieser Vorschlag in der letzten Wahlperiode von der FDP kam. Und ich spreche ganz bewusst davon, dass eine solche Stiftung nur Teil der Lösung sein kann.

Denn klar muss sein, dass ein bestehendes Defizit durch den Landeshauhalt zu tragen ist.
Das ist ein tatsächliches Bekenntnis zu einer solchen Institution und zu den Aufgaben, die dort erledigt werden. Ein solches Bekenntnis haben Sie heute bezüglich der Arbeit der Frauenschutzhäuser, der Interventionsstellen und der Beratungsstellen ausgesprochen. Das ist gut so. Doch auch hier wieder – wie schon bei früheren Debatten hierzu – kam das Ablenkungsmanöver Bundespolitik.

Ja, aus Sicht des Landes wäre es wünschenswert, dass es zum einen einheitliche Standards für die Hilfestrukturen von Gewalt betroffener Frauen und Kindern gäbe und diese zum anderen auch vom Bund finanziert werden würden. Doch darauf warten wir nun schon seit vielen Jahren und es passiert nichts. Ja, es ist in Sachsen-Anhalt nicht nichts passiert und der Schritt hin zu einer besseren Bezahlung des Personals ist ein wichtiger Schritt. Doch noch immer gibt es mit Ausnahme der Städte Halle und Magdeburg und der dortigen Förderung der Frauenschutzhäuser keine Lösung, gibt es kein Geld für die von Gewalt mit betroffenen Kindern. Damit meine ich ausdrücklich die Kinder, die in den Frauenschutzhäusern ankommen aber auch die vielen Kinder, die eben nicht dort ankommen, denen ambulant aber auch so gut wie keine Beratungsangebote gemacht werden können. Das ist ein Armutszeugnis für so ein reiches Land. Und noch viel schlimmer: Kinder, die Gewalt erleben und diese nicht aufarbeiten, leben ein Leben lang mit diesem Trauma und werden schlimmstenfalls selbst zu Tätern. Das ist kein Opferschutz. Ich weiß, Frau Ministerin, dass Ihnen dieses Thema am Herzen liegt. Doch ich erwarte von Ihnen, dass Sie nicht nur auf den Bund zeigen, sondern selbst den Weg im Land weiter beschreiten. Sie können uns dabei an Ihrer Seite wissen.

Eine weitere offene Baustelle, die weder in Ihrer heutigen Rede benannt, noch aus Ihrem schriftlichen Bericht heraus lesbar ist: Der Jugend-Täter-Opfer-Ausgleich. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass es in diesem Land Städte und Gemeinden gibt, in denen dieser nicht vorgehalten wird, weil die Jugendämter ihn nicht bezahlen. Stendal, Magdeburg, Naumburg, um nur einige zu nennen.

Nun könnte man zu dem Schluss kommen, dass es auf Grund sinkender Fallzahlen dieses Instrumentes nicht bedarf. Doch das ist ja wohl eine Milchmädchenrechnung. Das, was nicht da ist, kann auch nicht abgerufen werden. Und lassen Sie mich noch einmal (auch bei den KommunalpolitikerInnen hier im Raum) dafür werben, dass der Täter-Opfer-Ausgleich auch aus Opferperspektive ein sehr sehr wichtiges Instrument ist. Es gibt dem Opfer die Chance, den Täter zu fragen, was er sich bei der Tat gedacht. Dem Täter zu sagen, was seine Tat beim Opfer verursacht hat. Dem Täter mit sich und den Folgen seiner Tat zu konfrontieren und damit vielleicht auch weitere Taten zu verhindern. Und ich möchte daran erinnern, dass der Gesetzgeber einst den Ansatz verfolgte, dass der Täter-Opfer-Ausgleich eine Regelmaßnahme im Strafverfahren wird, da die darin liegende Chance erkannt wurde. Wir vergeben uns momentan viele Chancen. Und die Europäische Union bestärkt uns im Übrigen darin, in dem sie in der Richtlinie für Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten ganz klar die Belehrung über den Täter-Opfer-Ausgleich im Strafverfahren zur Pflicht macht.

Einen weiteren Punkt und für Sachsen-Anhalt zum Teil begonnene Baustelle ist die psychosoziale Prozessbegleitung in Umsetzung der EU-Opferschutzrichtlinie. Es ist richtig, dass wir Dank Vera und der Mobilen Opferberatung, die eine sehr wichtige Arbeit leisten, hier schon Angebote vorhalten. Doch lassen Sie mich an dieser Stelle auf das Land Mecklenburg-Vorpommern verweisen: Bereits im Jahr 2010 wurde dort ein Modellprojekt entwickelt und zwischenzeitlich sind im Landeshaushalt hierfür Gelder eingestellt, um in allen Landgerichtsbezirken Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, die Opfer von Sexual- und Gewaltstraftaten geworden sind, zu begleiten. Dort hat man nicht auf Europa oder den Bundestag gewartet, sondern möglich gemacht, was möglich zu machen ist und vor allem dringend gebraucht wird. Immerhin konnten so innerhalb von 4 Jahren 180 Kinder, Jugendliche und Heranwachsende begleitet werden. Und auch aus Brandenburg kann ich berichten, dass der Verein Opferhilfe e.V. jährlich 180.000 Euro erhält und so Opfer begleiten kann. Das sind durchaus positive Signale, die auch uns animieren sollten, weiter zu machen.


Vertrauen in den Rechtsstaat muss durch einen effektiven Opferschutz, aber auch durch eine intensive Täterarbeit hergestellt werden. Nur ein solches Herangehen kann auch tatsächlich zu einem effektiven Opferschutz führen. Der Schutz und die Unterstützung potentieller und tatsächlicher Opfer von Straftaten ist uns deshalb auch ein besonderes Anliegen. Dank an all die vielen Ehrenamtlichen. Weißer Ring. Frauenschutzhäuser. Interventionsstellen. Frauenzentren. VERA. Pro Mann. Mobile Opferberatung für Opfer rechter Gewalt. Verband der Kriminalprävention und Resozialisierung. Aber auch dem Sänger der Leipziger Oper, der gemeinsam mit dem katholischen Pfarrer so engagiert den Chor der JVA Burg organisiert. Sie alle sind Puzzleteile in einem großen Mosaik. Ihnen allen gilt unser Dank. Denn ohne sie würde vieles in Sachsen-Anhalt nicht geschehen, insbesondere auch mangels Geld nicht geschehen können.

Und um es ganz deutlich an dieser Stelle zu sagen: Die Fraktion DIE LINKE will auf niemandem im Ehrenamt verzichten. Wir brauchen dieses ganz dringend und das gerade auch beim Opferschutz bzw. bei der Beratung und Hilfe von Opfern. Wir sollten nur alle gemeinsam einmal mehr und einmal genauer hinschauen, wie wir mit unseren ehrenamtlich Aktiven umgehen. Jeder und jede hier im hohen Haus weiß, der oder die selbst ehrenamtlich aktiv ist, was ich damit meine. Es sind die kleinen Dinge, die Anerkennung aber auch die Unterstützung durch hauptamtliche Kräfte, die Ehrenamt erleichtern oder, wenn dieses fehlt, erschweren können.

Zum nachhaltigen Opferschutz gehört aber auch zwingend die Arbeit mit Täterinnen und Tätern. Dabei will ich ganz deutlich das Stichwort Resozialisierung benennen. Um bestmögliche Ergebnisse bei der Resozialisierung erreichen zu können, benötigen wir in Sachsen-Anhalt ein engmaschiges Netz zwischen der Arbeit der Gerichte, den Justizvollzugsanstalten und den sozialen Diensten der Justiz. Eine Wirkungsanalyse der bereits bestehenden Maßnahmen sollte geprüft sowie realisiert und mögliche Veränderungen getroffen werden. Auch hier kann ich nur feststellen, dass es positiv stimmt, dass die SPD dieses Unterfangen ebenfalls in der nächsten Wahlperiode angehen will. Von nicht unwesentlicher Bedeutung wird dabei natürlich auch das kürzlich beschlossene Strafvollzugsgesetz sein, und fast noch wichtiger ist die Antwort auf die Frage, wie viel Personal wir für dessen Umsetzung vorhalten werden.

Bei allen noch vorhandenen finanziellen Problemen und Engpässen im Bereich des Strafvollzuges müssen stets der Vollzug bzw. die Resozialisierungsmaßnahmen bei Jugendlichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen stets vorrangig im Fokus stehen. Und da ist eben wiederholt festzustellen, dass Jugendarrest ein untaugliches erzieherisches Mittel ist, weil es nämlich absolut keine erzieherische Wirkung entfaltet.

Lassen Sie uns daher gemeinsam neue Wege gehen, die Menschen vor Straftaten schützen und Opfern tatsächlich nachhaltige Hilfe gewähren, wenn sie Gewalt oder anderes erlebet haben. Schauen wir über den Tellerrand und lassen wir uns von den Praktikerinnen und Praktikern beraten, die tagtäglich mit Opfern und Tätern zusammen arbeiten.