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Eva von Angern zu TOP 01: Entwurf eines Gesetzes über die Einführung eines Jugendarrestvollzugsgesetzes und zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt

Ich will es gleich vorweg stellen und damit jeglichem Irrtum vorbeugen: DIE LINKE wird auch durch Vorlage dieses Gesetzentwurfes mit der Sanktion des „Jugendarrestes“ keine Freundschaft schließen. Wir wollen nicht einmal annähernd einen freundschaftlichen Kontakt herstellen. DIE LINKE lehnt das Instrument „Jugendarrest“ wegen der nachgewiesenen nachhaltigen Wirkungslosigkeit strikt ab.

Bemerkenswert waren die in der Anhörung im Rechtsausschuss im September letzten Jahres getätigten Aussagen, die von allen anwesenden ExpertInnen geteilt worden, dass die derzeitige Ausgestaltung des Jugendarrestvollzuges im günstigsten Fall folgenlos bleibt, bzw. im Zweifelsfall der Vollzug des Jugendarrestes die Gefährdungssituation noch verschärft und die mit dem Jugendarrest verbundene Präventionshoffnung oder die teilweise gewünschte abschreckende Wirkung als gescheitert angesehen werden muss.
Das muss uns als Gesetzgeber Anlass zum sofortigen Handeln geben.

Folgerichtig fordern wir deshalb im Entschließungsantrag, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für die Abschaffung dieser Sanktionsform einsetzt, denn die Entscheidung über die Streichung der entsprechenden Norm im Jugendgerichtsgesetz obliegt natürlich dem Bundesgesetzgeber. Und dieser hat sich leider in der Vergangenheit eher nicht dadurch ausgezeichnet, den Empfehlungen der Fachleute zu folgen, sondern hat vielmehr Verschärfungen beschlossen. Die letzte, namentlich der „Warnschussarrest“, ist erst am 07.03.2013 in Kraft getreten.

Auf Landesebene stehen wir jedoch in der Verantwortung, den Vollzug des Jugendarrestes nicht lediglich durch einen Vollzugsplan, sondern per Gesetz zu regeln.

Ich stelle die durchaus provokante These auf, dass die Zustände in der Jugendarrestanstalt Halle, die die rechtspolitischen Sprecher im letzten Jahr während eines Arbeitsbesuches vorfanden, unter anderem auch Folge des Fehlens einer gesetzlichen Regelung sind. Wir als LandespolitikerInnen sind dafür verantwortlich, dass es bis heute gerade einmal eine halbe Stelle für Sozialarbeit in der Anstalt gibt.
Auch wir sind dafür verantwortlich, dass am Wochenende mangels Standards bzw. Personal gerade mal eine Verschluss-Verwahrung realisiert werden kann.
Von den zehn MitarbeiterInnen im Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) sind nur acht nachtschichttauglich und eine steht zwar noch im Stellenplan, ist aber schon seit drei Jahren für eine Ausbildung abgeordnet. Noch immer existiert der Erlass aus dem Jahr 1997, wonach die Wochenendschichten mit nur einer Beamtin abgesichert werden können.

Unabhängig von dem Risiko, welches damit auch unmittelbar einhergeht, ist uns doch wohl allen klar, dass keine Arbeit mit den jungen Menschen in dieser Zeit stattfindet. Ein unhaltbarer Zustand.

Und leider ist der Altersdurchschnitt der MitarbeiterInnen des AVD so hoch, dass nicht mal die Möglichkeit besteht, eine von Ihnen als Übungsleiterin auszubilden, um wenigstens ein professionelles Sportangebot vorzuhalten.

Nun könnte man meinen, dass auch Sie, sehr geehrte Landesregierung, mit diesem Agieren signalisieren wollen, dass Sie den Jugendarrest ablehnen. Aber ich glaube, das ist und bleibt meinerseits ein Wunschdenken. Ihr Agieren oder besser Nichtagieren geschieht auf den Rücken von Jugendlichen, die bereits mehrfach belastet sind. Erschwerend kommt hinzu, dass mittels der Sanktionsform des Jugendarrestes ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der Jugendlichen erfolgt, welcher einer gesetzlichen Regelung bedarf. Sie müssen sich momentan noch nicht vorwerfen lassen, gesetzeswidrig zu handeln, aber Sie werden dem Grundauftrag des Jugendgerichtsgesetzes aus Sicht der LINKEN nicht gerecht. Damit fördern Sie die schädliche Wirkung dieser Sanktionsform.

Der Verantwortung, als Parlament eine gesetzliche Regelung zum Vollzug des Jugendarrestes zu beschließen, kommen wir mit dem Gesetzentwurf heute nach.
Und dies hat auch zeitnah zu geschehen und darf nicht ins zeitliche Niemandsland geschoben werden. So selbstverständlich, wie das Parlament fordert (die Opposition lauter, die Koalitionsfraktionen leiser.), dass vor der Realisierung einer JVA-Strukturreform zunächst das Strafvollzugsgesetz für Sachsen-Anhalt beschlossen werden sollte, so selbstverständlich muss dies auch für den Jugendarrestvollzug gelten.

Auch wenn uns hier keine Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Nacken sitzt und auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 31.05.2006 leider keine Frist gesetzt hat, so sollten uns junge Menschen nicht nur in Sonntagsreden wichtig sein. Das gilt auch und gerade für straffällig gewordene Jugendliche.

Innerhalb der Begründung zum Gesetzentwurf verweist meine Fraktion auf die im Jahr 2008 aufgestellten Europäischen Grundsätze für die von Sanktionen und Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäterinnen und Straftäter. Deren Inhalt ist eindeutig: „Sanktionen oder Maßnahmen, die gegen Jugendliche verhängt werden können, - so wie die Art ihrer Durchführung -, müssen gesetzlich geregelt sein und auf den Prinzipien der Wiedereingliederung, Erziehung und Rückfallverhütung beruhen.“ „Es müssen ausreichend Ressourcen und Personal zur Verfügung gestellt werden, um sicherzustellen, dass die Eingriffe in das Leben der Jugendlichen sinnvoll sind.“ Mein Lieblingssatz: „Mittelknappheit darf niemals eine Rechtfertigung für Eingriffe in die Rechte von Jugendlichen sein.“

Nun möchte ich noch ein paar Worte zu einzelnen Normen sagen.

§ 1 verweist auf das Jugendstrafvollzugsgesetz LSA; daher liegt uns ein wahrhaft „schlankes“ Gesetz vor. Alle Normen des Jugendstrafvollzugsgesetzes, die nicht verändert bzw. ausdrücklich ausgeschlossen sind, haben damit auch für den Jugendarrestvollzug Geltung.

Kerngedanke dieses Gesetzentwurfes besteht in der kompromisslosen Abwendung vom bisherigen reinen Sanktionscharakter des Arrestes und hin zu einer konzeptionellen Zuwendung auf die Förderung und Erziehung der Jugendlichen.
Daher auch unsere klare Forderung, dass am Ende der JVA-Strukturreform ein eigener, räumlich, personell und wirtschaftlicher getrennter Standort der Arrestanstalt existieren muss. Hiervon darf es keine Abstriche geben. Alles andere - wie etwa die Überlegungen, die Anstalt an der neu zu bauenden Großanstalt in Halle anzusiedeln - hat im höchsten Maße negative Auswirkungen auf die Jugendlichen. Und ich hoffe sehr, sehr geehrte Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, dass sie sich dieser fachlichen Erwägung anschließen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt des Gesetzentwurfes ist die sozialpädagogische Diagnostik, die in einem individuellen Förderprogramm münden soll. Konsequenterweise bedarf es eines komplett neu aufgestellten Teams in der Jugendarrestvollzugsanstalt, beginnend mit einer sozialpädagogischen Leiterin, die sich auf Augenhöhe mit der Vollzugsleiterin befindet. Wir brauchen neben dem AVD dringend sozialpädagogisch ausgebildetes Personal. Nur so kann das aufgestellte Förderprogramm auch tatsächlich umgesetzt werden. Dies darf zudem keinesfalls mit Ende der Zeit im Jugendarrestvollzug enden, sondern muss dann Hand in Hand mit - im günstigsten Falle - den Eltern, dem Jugendamt, der Schule bzw. der Ausbildungsstätte weiter betrieben werden. Daher auch die Neuimplementierung einer Arrestvollzugskonferenz, die mit weitreichenden Rechten und Pflichten ausgestattet sein soll. Hier sind all jene gefragt und vor allem in der Verantwortung, die für die Jugendlichen Verantwortung übernommen haben. Es können nur in der Gemeinsamkeit nachhaltig Strategien für die Erziehung und Förderung der Jugendlichen entwickelt werden.

Und meine Fraktion schlägt darüber hinaus ein grundsätzliches Umdenken hinsichtlich der Hülle des Jugendarrestes, hinsichtlich der Vollzugsformen vor.
Jugendarrestvollzug hat nicht den Auftrag, die Allgemeinheit vor den Jugendlichen zu schützen. Daher sollte auch allen klar sein, dass es Gitter vor den Fenstern oder hoher Mauern nicht bedarf. Jugendarrestvollzug muss auch nicht als Vorstufe der Jugendanstalt „verkauft“ werden, denn das abschreckende Moment ist gescheitert.
Insofern ist es sinnvoll - ähnlich wie wir es in Schweden sehen konnten – vorzugehen. Und meines Erachtens sollten wir über dieses Ziel noch hinaus schießen und noch weitaus modernere, neue Formen testen. Wir haben in diesem Bereich nichts mehr zu verlieren, sondern können nur noch hinzugewinnen. Und je früher wir erfolgreich Jugendlichen helfen, ihren Weg in ein straffreies Leben zu finden, umso höher ist der gesellschaftliche Nutzen; und JA, auch der spätere Einspareffekt.

Der Vollzug des Warnschussarrestes muss unserer Ansicht nach allerdings in getrennten Räumlichkeiten vollzogen werden. Hier zeigt sich ganz deutlich, dass diese Sanktionsform systemwidrig ist und ein gemeinsamer Vollzug ausgeschlossen sein muss, da wir es hier mit einer ganz anderen Klientel zu tun haben.

Zum Abschluss noch eine kurze Bemerkung hinsichtlich unserer geplanten, folgerichtigen Änderung des Schulgesetzes, welche für Sie sicherlich keinen neuen Nachrichtenwert beinhaltet. Unsere Position bzw. die Position aller rechtspolitischen SprecherInnen der im Landtag vertretenen Parteien ist hinlänglich bekannt. Der Durchsetzung der Schulpflicht gegenüber Schülerinnen und Schülern mit administrativen Zwangsmaßnahmen standen und stehen wir mehr als kritisch gegenüber. Wir lehnen diese klar als untaugliches Mittel ab. Diese Auffassung wurde in der bereits erwähnten Anhörung im Rechtsausschuss von den anzuhörenden ExpertInnen geteilt. Im Vordergrund muss auch hier eine nachhaltige pädagogische und sozialpädagogische Arbeit stehen. Deshalb wird die ersatzlose Streichung des entsprechenden Paragraphen des Schulgesetzes wiederholt von uns vorgeschlagen.