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Doreen Hildebrandt zu TOP 5: Alphabetisierung und Grundbildung in Sachsen-Anhalt langfristig sichern

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir reden heute über nichts Neues: Im Jahr 2013 hat der Landtag schon den Beschlusses 6/2305 gefasst. Das Thema Alphabetisierung hat seit der leo. – Level-One-Studie 2012 an Bedeutung gewonnen. In Sachsen-Anhalt wurde die Zahl der erwachsenen funktionalen Analphabeten auf etwa 200.000 geschätzt. Auf Grundlage des damals gefassten Beschlusses wurde das Netzwerk Alphabetisierung und Grundbildung Sachsen-Anhalt gegründet und ein ESF-Projekt vorrangig zur Förderung von Alphabetisierungskursen und Sensibilisierung in der Gesellschaft aufgelegt.

Durch die engagierte bisher geleistete Arbeit der beteiligten Träger der Erwachsenenbildung und der Netzwerkstelle Alphabetisierung und Grundbildung ist im Land bereits ein erster Schritt getan. Das Landesnetzwerk hat bereits angekündigt, im Herbst dieses Jahres eine Landesinitiative für Alphabetisierung und Grundbildung zu gründen. Deren Ziele, die verschiedenen Angebote bekannt zu machen, zu vernetzen, Unternehmen und Verbände zu informieren und Betroffenen Mut zu machen, sind die nächsten wichtigen Schritte.

Das Land ist also dank aller Beteiligten auf dem richtigen Weg.

Warum wir trotzdem heute diesen Antrag stellen, will ich Ihnen begründen:

Im Mai dieses Jahres legte die „Ramboll Management Consulting GmbH“ den Bericht „Beitrag der ESF-Förderung zur Alphabetisierung und Grundbildung in Sachsen-Anhalt“ vor.

Daraus geht hervor, dass wirksame Maßnahmen einer längerfristigen Investition bedürfen, wenn das Ziel, die Zahl der ca. 200.000 funktionalen Analphabeten zu reduzieren, erreicht werden soll. Eigentlich logisch: jetzt greifen die Maßnahmen, die Teilnehmer erkennen ihre Erfolge und sprechen auch in ihrem Bekanntenkreis darüber. Durch diese Mundpropaganda können mehr Menschen, die bisher aus Scham nicht mitgemacht haben, angesprochen werden.

Ebenso deutet Vieles darauf hin, dass eine Grundversorgung an Alphabetisierungs- und Grundbildungsangeboten noch nicht ausreichend ist. Findet ein Kurs ganz in meiner Nähe statt, bin ich eher bereit, hinzugehen, als wenn ich erst eine Stunde Fahrzeit einplanen muss.

Nur mit ESF-Mitteln werden langfristig angelegte und flächendeckende Kurse nicht möglich sein. Die Ramboll-Studie weist an mehreren Stellen darauf hin, dass die durch die ESF-Förderung einzuhaltende Richtlinie kontraproduktiv ist. So ist es zum Beispiel für die Teilnehmer schwer nachvollziehbar, wenn sie personenbezogen Daten, wie ob sie behindert oder arbeitslos sind, angeben müssen.

Das Interesse des Landes muss es aber sein, dass allen Bürgern und Bürgerinnen ein diskriminierungsfreier Zugang zu Bildung ermöglicht wird. Es betrifft 200.000 Menschen - das sind erschreckend viele. Vergegenwärtigt man sich, dass es nicht nur diese 200.000 sind, sondern familiäre Strukturen, also die Kinder, ebenso betroffen sind, dann wird die Handlungsnotwendigkeit des Landes umso deutlicher. Der am Dienstag veröffentlichte Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit, für den die Krankenkasse Versichertendaten von fast 600.000 Kindern und 430.000 Eltern ausgewertet hat, bestätigt dies. Karies, Übergewicht, Sprachstörungen – bei diesen Diagnosen gibt es enge Zusammenhänge zwischen Elternhaus und Kindergesundheit.

In Familien mit niedrigem Bildungsstatus sind Jungen und Mädchen bis zu dreimal häufiger von bestimmten Erkrankungen betroffen als Kinder akademisch gebildeter Eltern.

Aber nicht nur für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sondern auch für die Kursprojektträger sind die ESF-Vorgaben wie Fesseln – das Personal für die Alpha-Kurse zu finden, hängt deutlich vom möglichen Honorar ab. Die Richtlinie sieht eine Entlohnung mit maximal 30,00 € pro Stunde vor, in anderen Kursen, z.B. Sprachkursen würden jedoch Honorare von 35,00 € pro Stunde gezahlt. Auch die Vorgabe der Richtlinie, dass „in der Regel sechs Personen“ an einem Kurs teilnehmen sollten, führt im Einzelfall zur Verzögerung des Beginns.

Hier riskieren die Kursprojektträger, interessierte Teilnehmende sowie Honorarkräfte zu „verlieren“. Dasselbe gilt für längere Unterbrechungen des Angebots, beispielsweise aufgrund der Antrags- und Bewilligungszyklen. Gleichzeitig ist es gerade das Angebot eines Kurses, welches Menschen überhaupt erst aufmerksam werden lässt – sei es die Zielgruppe oder die „mitwissenden Personen“.

Wenn wir also tatsächlich diesen richtigen Weg weiter beschreiten wollen, und damit mehr Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen wollen, muss das Land auch eigene Mittel in die Hand nehmen. Leider benennt die Ramboll-Studie auch folgenden Fakt:

Ich zitiere: „Alle Bundesländer außer Sachsen-Anhalt haben bisher Landesmittel in Alphabetisierung und Grundbildung investiert“.

Lassen Sie uns beschließen, dass so schnell wie möglich ein Landesprogramm entwickelt werden muss, das dauerhaft und unabhängig von ESF-Zielen im Land greift.

Zum Alternativantrag der Koalition:

Alles, was im Beschlusstext steht, ist nicht falsch, auch mit einem Bericht an den Bildungsausschuss könnten wir leben, obwohl die Ramboll-Studie bereits alles beleuchtet. Aber ich finde es schäbig, nur in der Antragsbegründung, die nicht mitbeschlossen wird, von einem Landesprogramm zu reden, das auch erst ab 2020 umgesetzt werden soll. Damit wird den Schwierigkeiten, die die derzeitige ESF-Richtlinie mit sich bringt, viel zu spät abgeholfen.

Wenn Sie es mit dem Landesprogramm ernst meinen, dann schreiben Sie es doch auch in den Antrag!

In Ihrer Begründung schreiben Sie selbst, dass nach derzeitiger Antragslage die zur Verfügung stehenden ESF-Mittel voll ausgeschöpft werden. Reicht Ihr Vorstellungsvermögen so weit, dass nächstes Jahr mehr Kurse durchgeführt werden könnten, wenn zusätzliche Landesmittel bereitgestellt würden?

Und ja: Symbolpolitik ist wichtig, Herr Ministerpräsident. Wir finden es gut, dass Sie die Schirmherrschaft bei der Landesinitiative übernehmen – aber ist auch das nicht etwas heuchlerisch, wenn keine Landesmittel einfließen?

Wir werden uns bei Ihren Alternativantrag enthalten und ich appelliere nochmals an Ihren gesunden Menschenverstand, bereits 2019 Landesmittel zur Verfügung zu stellen.