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Doreen Hildebrandt zu TOP 4a: Aktuelle Debatte "Berufsschulnetzplanung für Sachsen-Anhalt: Die Auswirkungen geplanter Änderungen auf Wirtschaft, Auszubildende, Berufsschulen und die Fachkräftesicherung"

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir reden also heute in der aktuellen Debatte über die Umsetzung des Beschlusses „Berufsschulen als Motoren des dualen Systems weiter stärken“ von der 32. Sitzung des Landtages.

Was ist denn da passiert?

Da erfüllt das Bildungsministerium tatsächlich Punkt 1 des Beschlusses, indem es einen Fachklassenerlass auf den Weg bringt. Dieser Erlass bietet den Berufsbildenden Schulen und deren Schulträgern Planungssicherheit, Bestandssicherheit und wirkliche Entbürokratisierung. Das kann ja wohl kaum ein Kritikpunkt sein, wenn Herr Tullner endlich mal arbeitet.

Aber an der Berufsschulnetzplanung wird deutlich, wie der gesamten Landesregierung der Blick über den Tellerrand komplett abgeht.

Das will ich Ihnen an 4 Punkten verdeutlichen:

1. Wenn die Berufsschule nicht zum Azubi oder gar zum Betrieb kommen kann, muss der Azubi zur Berufsschule kommen. Unter Punkt 3 des Beschlusses Drs 7/1744 – also „Berufsschulen als Motoren des dualen Systems weiter stärken“ – wird die Landesregierung gebeten, ich zitiere: „die beim verpflichtenden Besuch einer auswärtigen Berufsschule verursachten Mehrkosten für Auszubildende hinreichend auszugleichen und dabei auch die Einführung eines Azubi-Tickets zu prüfen.“ Zitat Ende.

Nun haben wir in der letzten Landtagssitzung gehört, dass die Einführung des Azubi-Tickets kurzfristig nicht möglich ist. Unser Antrag, dann wenigstens erst mal die „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Auszubildende zu den Kosten der auswärtigen Unterbringung sowie zu Fahrtkosten aus Anlass des Besuchs einer auswärtigen Berufsschule“ auch für Jugendliche, die nicht auswärtig untergebracht sind, zu öffnen, wurde an 5 Ausschüsse überwiesen. Durch diese Ihre Entscheidung, sehr geehrte Damen und Herren, ist für den Ausbildungsbeginn 01.08.2018, an dem der Fachklassenerlass bereits gelten wird, nicht mehr mit einer solchen Regelung zu rechnen.

Warum der Blick über den Tellerrand hier nötig gewesen wäre? Fachklassen bedeuten nicht gleichzeitig Blockunterricht. Also wird die künftige Auszubildende zur Floristin aus Großmühlingen mit Betrieb in Calbe gut durchrechnen müssen, ob sie sich ihre Beschulung 2 Tage pro Woche in Haldensleben zeitlich und finanziell leisten kann. Wir reden bei betrieblicher Ausbildung hauptsächlich über Jugendliche, die noch keinen Führerschein haben können und somit auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Der Bus nach Schönebeck fährt 05:30 Uhr und nach 2 x Umsteigen in Schönebeck und Magdeburg ist sie 07:03 Uhr auf dem Bahnhof in Haldensleben und schafft es von dort aus die 3 km nach Alt Haldensleben pünktlich zum Unterricht. Zeitlich ist das also als hochmotivierte Auszubildende machbar. Mit durchschnittlich 375,00 € Ausbildungsvergütung wird es allerdings schwierig und wenn Sie sich an meine Ausführungen von letzter Sitzung erinnern – dieses Beispiel würde weder finanzielle Unterstützung vom Land noch vom Bund erhalten. Aber offensichtlich ist ja die Koalition der Meinung, durch die Diskussion in den Ausschüssen wird es besser. Sicher nicht – Sie verzögern damit, dass die Rahmenbedingungen für Fachklassenschülerinnen angepasst werden.

Die finanziellen Aspekte von Auszubildenden bringen mich zu Punkt

2. Meine Fraktion hatte zum Antrag „Berufsschulen als Motoren des dualen Systems weiter stärken“ Drs 7/1744 den Änderungsantrag 7/1781 gestellt, eine Mindestausbildungsvergütung für alle betrieblichen Auszubildenden im Land einzuführen. Und bevor nachher wieder das Beispiel der Dachdecker-Ausbildungsvergütung im 3. Lehrjahr angeführt wird: Herr Scheurell: Mindestausbildungsvergütung heißt, dass Sie gern Ihrem Azubi mehr zahlen dürfen. Bei dieser Forderung geht es uns nicht einmal vorrangig um das Abmildern von Fahrtkosten. Es geht uns bei der Mindestausbildungsvergütung darum, dass die duale Ausbildung insgesamt attraktiver wird und sie sich jeder auch leisten kann. Die historisch gewachsene Tradition, dass jeder Schulabgänger zunächst eine Ausbildung absolviert, stirbt langsam aus. In den alten Bundesländern ist es seit Jahrzehnten üblich, dass eine 2-stellige Prozentzahl an Jugendlichen sofort nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht ins Arbeitsleben einsteigt. Sehr geehrte Damen und Herren der Koalition – es kann doch nicht Ihr Wille sein, dass es in Sachsen-Anhalt auch so wird! Wir brauchen hier gut ausgebildete Fachkräfte und weniger Ungelernte. Auch hier scheint Ihnen der Blick über den Tellerrand verwehrt.

3. Gut ausgebildete Fachkräfte – bevor jetzt wieder das Ausspielen von Auszubildenden gegen Studierwillige losbricht – wir brauchen auch gut ausgebildete Berufsschullehrkräfte. Der Ausbau der berufsbildenden Schulen zu Zitat „modernsten technischen Bildungseinrichtungen, um digitale Bildungsangebote zu ermöglichen“, Zitat Ende, den wir ja unter Punkt 4 in der Drs 7/1744 mit beschlossen haben und die Möglichkeit der integrativen Beschulung von Fachpraktiker-Azubi erfordern auch eine konsequente Lehrerfortbildung. Gerade bei dem Personenkreis von jungen Menschen mit besonderem Förderbedarf muss es dem Lehrpersonal möglich sein, differenziert und zielgruppenorientiert zu unterrichten. Ein aktuelles Weiterbildungskonzept wäre hier der Blick über den Tellerrand gewesen. Die Bereitschaft des LISA und auch vom Landesverband der wohnortnahen beruflichen Rehabilitationseinrichtungen ist doch vorhanden. Also Herr Tullner - geben Sie doch auch den Berufsschullehrerinnen und -lehrern die Zeit und die Möglichkeit, sich weiterzubilden! Aber bitte nicht auf Kosten der Auszubildenden – der Unterrichtsausfall in den Berufsbildenden Schulen ist bereits jetzt gravierend. Und um noch einmal das Bild der Floristin aus Großmühlingen zu bemühen – wenn sie schon den Weg auf sich nimmt, zur Berufsschule zu kommen, sollte nicht nach dem 1. Block schon wieder Feierabend wegen Lehrermangel sein.

4. Wenn tatsächlich Blockunterricht stattfindet, muss für die Auszubildenden, die nicht neben der Berufsschule wohnen, Internatsunterbringung gewährleistet sein. Es ist schon eine starke Behauptung, wenn man sagt, die Schulträger könnten ein ausreichendes Angebot an Internatsplätzen vorhalten. Wie sieht es denn im Burgenlandkreis gerade aus? Hier wäre der Blick über den Tellerrand nötig gewesen, damit nicht die kreisfreien Städte und die Landkreise vor der mit dem Fachklassenerlass geschaffenen Tatsache stehen, mehr auswärtige Auszubildende unterbringen zu müssen. Und wer von Ihnen meine Damen und Herren genauso alt oder älter als ich ist und nun kurz in Erinnerungen an das Internatsleben zu DDR-Zeiten schwelgt – heutzutage sieht die Realität ganz anders aus. Erzieherinnen und Erzieher und Gemeinschaftsverpflegung sind nicht mehr vorhanden. Sozialpädagogische Betreuung, die nicht nur bei Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf, sondern auch bei Jugendlichen mit Heimweh nötig ist, kommt nicht vor. Das Argument des Bildungsministeriums, dass durch den Fachklassenerlass Ausbildungsabbrüche reduziert werden, zieht hier nicht. Eine Absprache mit den Schulträgern und eine Finanzierungszusage für den Internatsausbau und die Betreuung der Azubis im Internat ist zwingend nötig.

Gestatten Sie mir zum Abschluss noch 2 Bemerkungen zum 1. Teilbericht zur Entwicklung eines an die demografischen Anforderungen angepassten Berufsschulnetzes Drs 7/1796:

Unter Punkt 3 erklärt das Bildungsministerium, dass durch die Festlegung von zentralen Berufsschulstandorten für bestimmte Berufsbereiche der ländliche Raum gestärkt wird. Diese Sichtweise ist so einseitig, dass man sich nur wundern kann. Glauben Sie im Ernst, dass unsere Floristin, die im besten Fall 11 Stunden pro Berufsschultag unterwegs ist, sich noch an irgendeinem Vereinsleben oder sogar bei der Feuerwehr in Großmühlingen engagieren kann? Die Stärkung des ländlichen Raumes heißt für uns eben nicht nur, die bestehenden BBS-Standorte zu erhalten, sondern vorrangig, den Menschen, die im ländlichen Raum leben, die Möglichkeit zu eröffnen, dort tatsächlich am Leben teilzuhaben und nicht nur dort zu schlafen.

Zu guter Letzt zu Punkt 3.3 des Berichtes:

Das Bildungsministerium führt darin aus, dass es im Gastronomiebereich erhebliche Schwierigkeiten in der Klassenbildung gibt und dass mit dem Verband DEHOGA vereinbart ist, landesweit nur noch 6 Berufsschulstandorte mit Blockunterricht und Wohnheimunterbringung vorzuhalten. Ich zitiere den letzten Satz von Punkt 3.3 „Damit können sich Auszubildende ausschließlich auf den Berufsschulunterricht konzentrieren und müssen nach dem Unterricht nicht mehr in ihren Ausbildungsbetrieben tätig werden.“ Zitat Ende.

Woher kommt beim Bildungsministerium jetzt – knapp 2 Jahre nach unserem Antrag 7/383 vom 22.09.2016 mit dem Titel „Ausbildungsabbrüche in Sachsen-Anhalt reduzieren“, der immer noch im Ausschuss rumdümpelt, die Einsicht, dass es schwarze Schafe unter den Ausbildern geben könnte, die entgegen der gesetzlichen Vorschriften in Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung ihre Azubi ausbeuten? Ist jetzt endlich die Zeit dafür reif, die zuständigen Stellen aufzufordern, die Ausbildungsberechtigungen der Betriebe genauer zu prüfen?

Wenn diese Erkenntnis aus dieser aktuellen Debatte gewonnen wird, ist das ein Schritt zu besseren Ausbildungsbedingungen in unserem Land. Gegen den Fachkräftemangel muss mehr getan werden, als Fachklassen zu bilden. Wir brauchen tellerrandüberblickend für Auszubildende die finanziellen Rahmenbedingungen durch Azubi-ticket und Mindestausbildungsvergütung, wir brauchen mehr qualifizierte Berufsschullehrkräfte, eine adäquate Unterbringung der auswärtigen Auszubildenden und vernünftige Ausbildungsbedingungen.

Dann klappt es auch mit den Fachkräften.

Danke.