Debatte um 4-Tage-Woche nimmt groteske Züge an – Alleingang der Bildungsministerin
Zur eskalierenden Debatte und den Streit in der Deutschland-Koalition über die 4-Tage-Woche in einem Dutzend Sekundar- und Gemeinschaftsschulen im Land und einen Beschluss des Landtages erklärt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecher, Thomas Lippmann:
„Das Bildungsministerium kann sich bei der Erprobung einer 4-Tage-Unterrichtswoche nicht auf den Landtagsbeschluss vom 24. Februar 2022 berufen. Im Plenum wurde von den Regierungskoalitionen zwar beantragt, „den Schulen in Sachsen-Anhalt zusätzliche Freiräume in der konzeptionellen Unterrichtsplanung und -durchführung zu geben …“, es war dabei aber immer nur von dem inneren Organisationsmodell einer 80 + 10 Minuten Teilung des Unterrichts die Rede. Zu keinem Zeitpunkt wurde eine 4-Tage-Woche erwähnt.
Es ist auch nicht zutreffend, dass der Modellversuch nur auf das Schuljahr 2022/23 ausgerichtet ist. In allen einschlägigen Papieren ist davon zu lesen, dass das Ziel in einer schnellstmöglichen Überführung in das Regelsystem besteht. Spätestens ab 2024/25 soll es offenbar von möglichst allen Schulen der Sekundarstufe I praktiziert werden. (1)
Soweit vom Bildungsministerium immer wieder betont wird, es handele sich nicht um Maßnahmen, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen, und es solle auf keinen Fall damit eine Erhöhung der Arbeitsverpflichtung der Lehrkräfte erreicht werden, so spricht der Antrag der Koalitionsfraktionen hierzu eine andere Sprache. (2)
Es sind „potemkinsche Schulen“, die Bildungsministerium und Regierungskoalitionen der Öffentlichkeit vorgaukeln, wenn behauptet wird, es solle den Schulen lediglich „zusätzliche Freiräume in der konzeptionellen Unterrichtsplanung und -durchführung gegeben werden“. Fakt ist, dass sich insbesondere die CDU in den vergangenen 30 Jahren noch nie für pädagogische Innovationen oder die Gestaltungsspielräume von Schule interessiert hat. Wenn die CDU jetzt so eine Welle macht, um die Schulen massiv zu diesem „Schulversuch“ zu drängen, dann spricht aus jeder Zeile ihrer Anträge und Pressemitteilungen, dass es ihr mitnichten um Freiräume für die Schulen und eine Verbesserung der pädagogischen Praxis geht. Denn das könnten alle interessierten Schulen auch ganz ohne diesen Hype machen und da, wo es den Schulen tatsächlich darum geht, selbstbestimmtes Lernen zu ermöglichen und zu organisieren, läuft das auch längst.
Hier jedoch geht es der CDU schlich darum, die Schulpflicht aufzuweichen und die Schüler*innen der Sekundar- und Gemeinschaftsschulen für einen Tag aus der Verantwortung durch die Schulen zu entlassen. Man muss sich doch nur einmal fragen, warum diese „Innovation“ für Sekundar- und Gemeinschaftsschulen so wichtig ist, dass sie möglichst schnell in den „Regelbetrieb“ überführt werden soll, und für Gymnasien nicht. Die Begründung findet sich in der Unterrichtsversorgung, die bei Gymnasien weiterhin im Schnitt bei fast 100 Prozent liegt und bei Sekundar- und Gemeinschaftsschulen im kommenden Schuljahr offiziell weit unter 90 Prozent und tatsächlich deutlich unter 80 Prozent liegen wird! Man muss sich schon die Hosen mit der Kneifzange anziehen, wenn man die wirklichen Zusammenhänge nicht erkennt!“
(1) Aus dem Antrag nebst Begründung der Regierungskoalition in der Drs. 8/759:
„Es ist parallel zu prüfen, welche schul- und arbeitszeitrechtlichen Voraussetzungen für die Übernahme dieser Modelle in den Regelbetrieb unserer Schulen geschaffen werden müssen.“ (Antrag)
„Die gewonnenen Erfahrungen zu alternativen Unterrichtsorganisationsmodellen sollen vom LISA mit den Schulleitungen der Schulformen und dem Landesschulamt auf Übertragbarkeit in den schulischen Regelbetrieb hin überprüft werden. (Antrag)
(2) Aus dem Antrag nebst Begründung der Regierungskoalition in der Drs. 8/759:
„Es ist parallel zu prüfen, welche schul- und arbeitszeitrechtlichen Voraussetzungen für die Übernahme dieser Modelle in den Regelbetrieb unserer Schulen geschaffen werden müssen.“ (Antrag)
„Die unzureichende Unterrichtsversorgung, insbesondere an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen und die immer schwieriger werdende Nachwuchsgewinnung von Lehrkräften lassen die politisch Verantwortlichen zu dem Schluss kommen, neue Wege zur Sicherung des Unterrichts an den Schulen Sachsen-Anhalts ins Auge zu fassen.“ (Begründung)
„Es ist angesichts des landesweiten Lehrkräftemangels unbedingt notwendig, den Schulleiterinnen und Schulleitern weitere Instrumente zur Flexibilisierung der Unterrichtsorganisation und zum effizienteren Personaleinsatz in die Hand zu geben.“ (Begründung)
Magdeburg, 11. Juli 2022