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Dagmar Zoschke zum TOP 05: Seelische Gesundheit als übergreifendes Gesundheitsziel implementieren

Mehrere Studien, statistische Daten der Krankenkassen zur Entwicklung psychischer Erkrankungen in Deutschland und zahllose Presseberichte der letzten Jahre deuten auf eine besorgniserregende Tendenz hinsichtlich der psychischen Gesundheit vieler Menschen. Die Zahl der ausgewiesenen Ausfalltage durch psychische Erkrankungen wächst – und das, obwohl diese Gruppe von Erkrankungen noch immer in einer Grauzone der Information steht. Psychische Erkrankungen werden häufig nicht offen zugegeben bzw. hinter anderen Diagnosen versteckt.

Spätestens seit den Suiziden bzw. Suizidversuchen prominenter Personen ist auch die Öffentlichkeit für diese Thematik stärker sensibilisiert.

Diese Entwicklungen waren für das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt Grund genug, die Thematik Psychische Gesundheit zum Gegenstand näherer Untersuchungen zu machen. Deren Ergebnisse und die seit Jahren im Psychiatriebericht des Landes aufgezeigten Probleme waren für uns Anlass, den vorliegenden Antrag zu stellen.

Zur Illustration ein paar wenige Zahlen dazu aus dieser Studie:

Bundesweit stiegen die direkten Krankheitskosten für psychische Krankheiten von 23,3 Mrd. Euro im Jahre 2002 auf 28,7 Mrd. Euro im Jahr 2008.
Allein die Kosten für Depressionen und Demenz sind in diesem Zeitraum um 32 % gestiegen. (Die Kosten für alle Krankheiten stiegen um 16 %.)

Zwar liegen die Werte in Sachsen-Anhalt bei den Arbeitsunfähigkeitstagen noch unter dem Bundesdurchschnitt, aber die Angleichung geht ziemlich rasant vonstatten. Besonders sichtbar werden die Entwicklungen auf diesem Gebiet in der Zahl der Krankenhausfälle und der durchschnittlichen Verweildauer im Krankenhaus.

Während die durchschnittliche Verweildauer in Krankenhäusern 2009 in Deutschland und Sachsen-Anhalt 8 Tage betrug, waren es bei psychischen Störungen bundesweit 20,4 Tage und in Sachsen-Anhalt 20,7 Tage.

Diese Reihe ließe sich mit Spezifizierungen über verschiedene Diagnosen wie alkoholbedingte Erkrankungen, nach Altersgruppen und nach dem sozialen Status fortsetzen. Das will ich hier nicht tun. Sehen Sie sich das Material an.

Interessante Zusammenhänge im Bundesvergleich zwischen sozialer Lage, Krankenhausfällen und bestimmten Diagnosen, z. B. alkoholbedingten psychischen Erkrankungen, lassen sich mit einigen Tabellen herstellen.

Was man aber in dieser Studie natürlich nicht findet, sind Informationen über die individuelle Seite psychischer Erkrankungen. Angaben über die privaten Kosten stehen nicht zur Verfügung und noch weniger über die mit diesen Krankheiten verbundenen persönlichen, familiären und sozialen Probleme der einzelnen betroffenen Menschen. Das kann man nur erahnen oder aus Erfahrungen im Umfeld entnehmen, aber wir müssen es beachten.

Auch Konsequenzen für die Arbeitswelt spielen eine wichtige Rolle. Darauf setzte z. B. die EU einen besonderen Schwerpunkt mit ihrer Konferenz „Förderung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens am Arbeitsplatz“ im vergangenen Jahr in Berlin.

Auf Bundesebene ist aus all diesen Gründen im Jahr 2006 das nationale Gesundheitsziel „Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln“ festgelegt worden. Unter anderem in Bayern, Thüringen und Brandenburg gibt es für die Landesebene ähnliche Zielstellungen. In anderen Bundesländern ist das Thema in altersbezogenen Gesundheitszielen verankert.

Brandenburg legt den Fokus besonders auf Kinder und Jugendliche. Bayern bestimmte 2009 die Prävention psychischer Erkrankungen als Handlungsfeld innerhalb der Gesundheitsziele und Thüringen hat sein 3. Gesundheitsziel wie das nationale Gesundheitsziel „Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln“ benannt.

Wir meinen, dass die Gesundheitsziele–Bewegung eine sinnvolle und effektive Möglichkeit ist, um sowohl die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren als auch die notwendigen Akteure für Prävention, medizinische Versorgung, Selbsthilfe etc. zu koordinieren. Gesundheitsziele können nach unserer Auffassung als verbindendes Steuerungsinstrument im Gesundheitssystem wirksam zur Verbesserung der seelischen Gesundheit, der dafür notwendigen Versorgungsstrukturen und deren Qualität beitragen. Durch den Settingansatz wird es besser möglich, die Kräfte der verschiedenen Akteure zu bündeln und zielorientiert einzusetzen.

Sachsen-Anhalt hat ja bereits in vielen Bereichen mit diesem Instrument gute Erfahrungen gemacht. Und dass es für den Bereich der seelischen Gesundheit ebenfalls sehr nützlich sein kann, ist im 18. Bericht des Psychiatrie-Ausschusses von den Vertreterinnen der Landesvereinigung für Gesundheit in ihrem Gastbeitrag nachdrücklich aufgezeigt worden.

Wir wollen mit unserem Antrag zum einen die Landesregierung zu konkreten Maßnahmen im Bereich der Prävention psychischer Erkrankungen veranlassen. Besonders hinsichtlich betrieblicher Gesundheitsvorsorge sollen entsprechende Aktivitäten angeregt werden. Die Landesverwaltung muss hier als Vorbild vorangehen, zumal in den Haushaltsplänen der einzelnen Ressorts für betriebliches Gesundheitsmanagement Mittel veranschlagt sind. Das sind zwar keine Riesensummen, aber ihre Nutzung sollte dann doch in dieser Richtung konzeptionell untersetzt werden.

Eine Schwerpunktsetzung der Gesundheitspolitik des Landes auf seelische Gesundheit sollte auch damit verbunden werden, dass endlich auf die jahrelangen Forderungen nach einem neuen Landes-Psychiatrieplan reagiert wird.

Sachsen-Anhalt war 1992 einmal Vorreiter auf diesem Gebiet. Doch der 1996 fortgeschriebene Plan hat schon lange keine Wirkung mehr. Im Jahr 2007 begründete der Psychiatrie-Ausschuss eine zwingende Aktualisierung der Planung folgendermaßen: „Die Versorgungsziele müssen neu definiert werden; es geht heute nicht mehr darum, Versäumnisse der ehemaligen DDR auszugleichen. Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 15 Jahre und insbesondere der demographische Wandel haben völlig veränderte Voraussetzungen geschaffen. Nach der Kreisgebietsreform muss die regionale Planung angepasst werden.“

Diese Gründe sind heute genauso aktuell wie 2007. Dazu kommt noch eine Reihe weiterer, die ich eingangs mit den Daten zur Entwicklung psychischer Erkrankungen schon beschrieben habe.

Mit einem solchen Plan soll die Landesregierung ein Rahmenkonzept für die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung in den folgenden Jahren erarbeiten, das Wege zur optimalen Vernetzung der bestehenden Behandlungs- und Hilfestrukturen weist. Besonders die weitere Entwicklung gemeindenaher Angebote und die Sicherung der ambulanten fachärztlichen Betreuung, vor allem auch alter und pflegebedürftiger Menschen, sollten Gegenstand eines solchen Planes sein. Sicher bedarf es dazu auch einer weiteren Vervollständigung der Datenbasis, denn die Gesundheitsberichterstattung ist bezogen auf die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung noch lückenhaft. Die vom Statistischen Landesamt vorgelegte Studie dürfte dafür eine gute Grundlage sein.

Erst vor einem halben Jahr hat der Freistaat Sachsen seinen 2. Landespsychiatrieplan vorgestellt. Man hat dort also nach 18 Jahren eine Fortschreibung begonnen. Dem Presseecho und der parlamentarischen Debatte nach zu urteilen, gibt es allerdings dort noch einige erhebliche Unzulänglichkeiten und Diskrepanzen.
Trotzdem sollten wir das Thema unbedingt auch in Sachsen-Anhalt auf die Tagesordnung setzen und mit allen Beteiligten eine Debatte darüber führen, wie es gelingen kann, die Prävention und Versorgung optimal zu entwickeln. Besonders wichtig ist uns dabei, die aus der UN- Behindertenrechtskonvention resultierenden Rechte der psychisch kranken und behinderten Menschen zu beachten.

Zu der in Punkt 2 unseres Antrages aufgestellten Forderung, den Gesundheitszieleprozess für Sachsen-Anhalt dahingehend neu zu justieren, dass Prävention und Förderung der seelischen Gesundheit als übergreifendes Gesundheitsziel implementiert wird; habe ich bereits die wichtigsten Gründe aufgeführt. Im Ausschuss könnten Erwägungen diskutiert werden, ob es sinnvoll wäre, ein eigenständiges Gesundheitsziel wie es z. B. in Thüringen existiert, festzulegen, oder ob es sinnvoller wäre, den Aspekt der seelischen Gesundheit in den anderen Gesundheitszielen jeweils (explizit) zu verankern. (Letzteres erscheint mir allerdings etwas problematisch, weil dann möglicherweise alles und nix passiert.) Aber wie gesagt, das könnte Gegenstand einer Ausschussdebatte sein.

Wichtig erscheint mir, dass die Möglichkeiten der Gesundheitsziele zur Sensibilisierung der Gesellschaft und zur Enttabuisierung durch die breite Einbeziehung vieler Settings genutzt werden, um die Aufmerksamkeit für diese Erkrankungen zu erhöhen, die Versorgung der Kranken zu verbessern sowie die Akzeptanz als gleichrangige Erkrankung mit somatischen Erkrankungen zu erhöhen.

Mit Punkt 3, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales über ihre diesbezüglichen Aktivitäten und Konzepte zu berichten, soll der Landesregierung Gelegenheit gegeben werden, ihre Vorstellungen zum Umgang mit der Zunahme psychischer Erkrankungen vorzutragen, Präventionsmaßnahmen vorzustellen sowie dem Ausschuss über die Besetzung der Stelle und die konkreten Aufgabenstellungen des Psychiatriereferenten zu diskutieren. Dazu sollte idealerweise auch ein Zeitraster für die Erstellung eines Landespsychiatrieplanes gehören.