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Dagmar Zoschke zu TOP 4: Gesetzliche Pflegeversicherung zur Pflegevollversicherung umwandeln

Wir debattieren nicht zum ersten Mal über das Thema Pflege. Pflegenotstand, Pflegefachkräfte, Pflegeausbildung oder auch die Pflegeversicherung haben wir hier im Plenum thematisiert.

Ja, für Vieles sind wir nicht zuständig. Pflege und Pflegeversicherung fällt in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, das wissen wir und dennoch müssen wir Verantwortung übernehmen und deutlich machen, wenn wir Indizien dafür erleben, dass etwas schiefläuft.

Jede/ jeder von uns wird immer mal wieder mit konkreten Problemen, Problembeschreibungen, Erfahrungen von Pflegenden, Alten- und Krankenpflegerinnen und Angehörigen von Pflegenden konfrontiert und es sind meist keine Gründe in Jubel auszubrechen.

Seit Beginn dieser Legislaturperiode arbeitet ein Runder Tisch „Pflege“, der die eine bzw. andere Stelle dieser Verantwortung thematisiert und der ja auch Handlungsempfehlungen für Politik erarbeiten soll.

Auch die Verhandlungspartner der Großen Koalition haben sich im Koalitionsvertrag zu diesem Politikfeld geäußert. Lassen Sie mich zunächst aus dem aktuellen Koalitionsvertrag auf Bundesebene zitieren:

(Ich zitiere) „Wir werden sicherstellen, dass alle auch zukünftig eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung von Beginn an bis zum Ende ihres Lebens erhalten, unabhängig von ihren Einkommen und Wohnort. Wir werden die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sofort und spürbar verbessern. Es werden Sofortmaßnahmen für eine bessere Personalausstattung in der Altenpflege und im Krankenhausbereich ergriffen und dafür zusätzliche Stellen zielgerichtet gefördert.“ (Zitatende)

Klingt doch gut, sagen die einen; andere wiederum: wir warten ab, was kommt oder wieder andere, schauen wir mal, wie wird es finanziert.

Dabei ist unser Ansatz: wer eine gute menschenwürdige Pflege für alle möchte, die nicht vom Geldbeutel des Einzelnen abhängig ist, der muss auch ganz konkret über die Finanzierung dieser Pflege nachdenken und für alle beteiligten Seiten machbare Lösungen anbieten.

Wenn wir nun auf die konkreten Probleme und Erfahrungen zu sprechen kommen, wird deutlich, dass dieses „Abhängig-sein vom Geldbeutel es Einzelnen“ ein andauerndes, gegenwärtig sehr akutes und für viele drastisch erlebtes Problem ist. Es harrt einer Lösung, die die bestehende Situation entschärft und für Pflegende einen positiven Ausblick in die Zukunft ermöglicht.

Durch die Umsetzung des 2.Pflegestärkungsgesetzes steigen aktuell die Eigenanteile für einen Heimplatz auf enorme Weise.

Ja, mehr Lohn für die Altenpflegerinnen war überfällig, keine Frage. Diese Kosten werden auf die Menschen mit Pflegebedarf umgelegt. Zusätzlich dazu werden auch für Investitionskosten, für Unterhalt und Verpflegung und für die Ausbildung der Altenpflegerinnen höhere Zuzahlungen fällig. Diese Kosten zusammen erhöhen nun wiederum den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil der Zu-Pflegenden.

Schon jetzt sind alte und ältere Menschen auf Hilfe zur Pflege angewiesen. Nicht jede kann die anfallenden Kosten aus dem eigenen Budget aufbringen. Auch alle weiteren Schritte zur Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze sind mit Finanzen, sind mit Kosten verbunden. Dies wird unserer Meinung nach die Zahl der Anspruchsberechtigten auf Hilfe zur Pflege weiter anwachsen lassen. Es wird immer offensichtlicher: die Rente reicht einfach nicht mehr aus, um den Pflegeplatz zu bezahlen.

Pflege macht arm und zwingt viele Menschen in die Sozialhilfe und das, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet und in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt haben.

Und sie werden, was sie nicht wollen, was ihnen peinlich ist, auf ihre Kinder angewiesen sein.

Ein selbstständiges Leben im Alter, werte Kolleginnen und Kollegen sieht anders aus!

Und ich will mal den Teufel an die Wand malen: es kann auch passieren, dass die eine oder der andere Zu-Pflegende auf Grund dieses Kostendruckes die Pflegeeinrichtung verlässt, weil er / sie es sich nicht mehr leisten können. Wer übernimmt dann die professionelle Pflege? Gibt es dann für ihn/ sie auch professionelle Pflege? Und ist die dann auch bezahlbar? Welche Belastungen entstehen dann noch für Familienangehörige? Und was wird aus denen die keine Angehörigen mehr haben, die finanziell oder durch Pflegeleistung helfen und unterstützen?

Dabei können wir auch ganz konkret werden: die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile in einem Pflegeheim des Kreisverbandes des DRK Börde steigen um 600 Euro auf ca. 1.800 Euro; im Magdeburger Pflegeheim Lerchenwuhne ist eine Erhöhung um etwa 30 % fällig; in einem Pflegeheim der Stadt Halle steigen die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile um etwa 350 Euro auf 1.500 Euro; die Bewohnerinnen und Bewohner der von der Gesellschaft für Sozialeinrichtungen in Wernigerode betriebenen Pflegeheime müssen sich auf eine Erhöhung der Eigenanteile um 190 bis 290 Euro gefasst machen. Dies ist durch die Medien Mitteldeutscher Rundfunk, die Volksstimme und die Mitteldeutsche Zeitung der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden.

Wir haben uns mal die Mühe gemacht, den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil für einen Pflegeheimplatz pro Person in unserem Land zu errechnen. Wir haben 89 Pflegeheime einbezogen. Die oben genannten Einrichtungen und durch die jeweiligen Träger vorgenommenen Kostenerhöhungen sind nicht mit eingeflossen. Der Eigenanteil liegt durchschnittlich bei 1.113, 43 Euro. Dabei betrug der höchste Eigenanteil 1.490,58 Euro, der Niedrigste 782,83 Euro im Monat.

Jede/ jeder von uns kann dies jetzt mal mit seinem eigenen Wissen, die Höhe der durchschnittlichen Renten in unserem Bundesland aktuell und in der Zukunft vergleichen. Da wird deutlich, dass unsere geäußerte Erwartungshaltung zu der wachsenden Zahl von Anspruchsberechtigten für die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ nicht ganz unbegründet ist.

Ich wiederhole es auch gern noch einmal, viele Menschen mit Pflegebedarf haben ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben in die Sozialsysteme eingezahlt und können sich nach der Zahlung der Eigenanteile weder Frisör, Fußpflege noch eine Tafel Schokolade leisten. Der Eigenanteil frisst die gesamte Rente auf und viele müssen für den noch fehlenden Rest zum Sozialamt, und das an ihrem Lebensabend!!

Zwischen den Zeilen wird auch eine weitere Gefahr erkennbar. Die Altenpflegerinnen und Altenpfleger erhalten für ihren Knochenjob mehr Lohn, das ist gut und richtig so. Gleichzeitig erleben sie in den Einrichtungen sehr hautnah, welche Notsituation für die von ihnen gepflegten Heimbewohnerinnen und Heimbewohner entstanden ist. Unsere Aufgabe als Politik ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen der Pflegenden nicht gegen die Interessen der Altenpflegerinnen und Altenpfleger aufgerechnet werden.

Um es noch einmal klar und deutlich auszusprechen, wir sind unbedingt für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und für mehr Gehalt für Pflegerinnen und Pfleger, keine Frage. Wir müssen verhindern, dass dies alleinig zu Lasten der Menschen mit Pflegebedarf geht.

Bereits bei der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung 1995 wurde kritisiert, dass die Pflegeversicherung lediglich als Teilversicherung konzipiert wurde. Besonders für Menschen der unteren und mittleren Einkommensschichten wurde und wird spürbar, dass diese Versicherung lediglich eine Teilversicherung ist. Sie mussten und müssen oft Hilfe zur Pflege nach den Paragraphen 61 und folgende des Sozialgesetzbuches XII beantragen, um Pflegeleistungen oder Heimunterbringung irgendwie zu schultern.

Die Hilfe zur Pflege belastet die Kommunen, mit einer Pflegevollversicherung könnten wir bundesweit die Kommunen entlasten.

Die Gewerkschaft Ver.di hat bereits 2012 ein wissenschaftliches Gutachten auf den Weg gebracht, das den Titel trägt: „Vollversicherung in der Pflege – Quantifizierung von Handlungsoptionen“. Das bedeutet, bereits 2012 ist die Relevanz des Problems genauer beleuchtet wurden, dass durch die aktuellen Entwicklungen eine neue Dimension erhalten hat.

Keiner kann leugnen, die Pflegeversicherung ist eine Teilversicherung und trägt noch nicht einmal 50 % der anfallenden Kosten. Daraus folgt, dass alle steigenden Kosten den Menschen mit Pflegebedarf zusätzlich aufgebürdet werden und die Eigenanteile explodieren.

Pflege ist keine Privatsache, sondern als Gemeinschaftsaufgabe anzunehmen. Sie ist Teil der Daseinsvorsorge. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel zu initiieren, die Gesetzliche Pflegeversicherung nach SGB XI zu einer Pflegevollversicherung umzuwandeln.

Es gibt für diese Zielrichtung bereits vorsichtige Schritte in die richtige Richtung. Der Brandenburger Landtag stimmte für einen von SPD und LINKEN eingebrachten Antrag, eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen zur Neuverteilung der Pflegekosten. Dabei ist es erklärtes Ziel, Pflegebedürftige zu entlasten und zu verhindern, dass Kostensteigerungen nur durch die Betroffenen, ihre Angehörigen und die Sozialhilfeträger zu tragen sind.

Auch die zuständige Ministerin unseres Landes hat in einer Pressekonferenz von einer Vollkasko- Versicherung in der Pflege gesprochen. Dorthin muss der politische Weg führen.

Und es wird hier nun im Saal wirklich keinen mehr verwundern, dass wir in einer Pflegevollversicherung, einer solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle entsprechend ihres Einkommens einzahlen und die alle pflegebedingten Kosten trägt, die Lösungsmöglichkeit sehen. Dabei sollten zudem die Beitragsbemessungsgrenzen abgeschafft werden.

Auch noch mal an dieser Stelle, selbstverständlich wird dies nicht von heute auf morgen realisiert werden können, deshalb soll der Bundesgesetzgeber Übergangsregelungen schaffen, die sicherstellen, dass die Pflegeleistungen vollumfänglich von der Pflegeversicherung getragen werden und die Pflegenden von den Erhöhungen der Eigenanteile befreit sind.

Zu ihrem Alternativantrag bleibt nur zu sagen, dies ist alles viel zu wage, es sind Absichtserklärungen. Sie mogeln sich um konkrete Aussagen, das hilft den gegenwärtig Betroffenen überhaupt nicht. Was ist in ihren Augen denn „auskömmlich“?

Bekennen wir uns als nachfolgende Generation zu besseren Lebensbedingung für diejenigen, die uns unser heutiges Leben durch ihre Arbeit ermöglicht haben. Sorgen wir dafür, dass sie selbstbestimmt und sorgenfrei ihren Lebensabend genießen können, die notwendigen Pflegeleistungen erhalten und noch genügend finanziellen Spielraum besitzen, sich ihre Wünsche selbst zu erfüllen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!