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Dagmar Zoschke zu TOP 16: Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen-Anhalt

Behindert ist man nicht, behindert wird man - so steht es sinngemäß in der Präambel der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Und außerdem enthält die Präambel auch die Vereinbarung der Unterzeichnerstaaten, dass allen Menschen mit Beeinträchtigungen Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Diskriminierung zu garantieren sind. Wenn dies so ist, liegt es an uns, liegt es in unserer Verantwortung, diese Formen der Behinderungen abzubauen, Barrieren zu überwinden und volle Teilhabe zu ermöglichen.

Was behindert Menschen? Stufen, die zu hoch sind, Treppen überhaupt, Schrift, die zu klein ist, Worte, die man nicht versteht, Arztpraxen, die nur über Treppen erreichbar sind, Busse, die nicht mehr fahren, Fahrradständer oder Werbeaufsteller, die gestern noch nicht auf diesem Weg standen, Baustellen, an denen rot-weiße Flatterbänder auf die Gefahr hinweisen - gut sichtbar – auch für Sehbehinderte? Gedankenlosigkeit, Herzlosigkeit und Unverständnis oder Überheblichkeit in Ämtern, Verwaltungen und ähnlichen Institutionen?  

Der Alltag von behinderten Menschen ist noch viel zu oft voller solcher Erlebnisse.
Wenn wir davon ausgehen, dass unser Anspruch an Barrierefreiheit der ist, dass Menschen mit Behinderungen all das nutzen können, was auch wir nutzen, selbstständig und weitestgehend ohne fremde Hilfe, selbstverständlich auch dann, wann sie es für erforderlich halten, daran gemessen, haben wir noch allerhand zu tun, um unser Land diesem Anspruch entsprechend zu gestalten. Und dass wir genau dies tun müssen, steht außer Frage.

In Sachsen-Anhalt leben ca. 180.000 Menschen, die wegen diverser Barrieren an einer vollen Teilhabe an der Gesellschaft gehindert werden. Darüber hinaus bedeutet ein barrierefrei gestaltetes Lebensumfeld auch für unsere immer älter werdende Gesellschaft notwendige Lebensqualität. Barrierefreiheit nutzt allen, Barrierefreiheit braucht alle.

Die Bundesrepublik Deutschland hat am 26. März 2009 die zwei Jahre zuvor beschlossene UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Seit dem stehen wir als Gesellschaft, und insbesondere auch wir in Sachsen-Anhalt in der Bring-Schuld den Menschen mit Behinderungen gegenüber.

Die Ansprüche der UN-Konvention weisen in zwei Richtungen, zum einen wird die Gesellschaft als Ganzes in die Pflicht genommen und zum anderen auch jedes einzelne Individuum. Die Gesellschaft hat in erster Linie jeden Menschen vor Einschränkungen seiner Freiheiten durch den Staat zu schützen und die strukturelle Ausgrenzung behinderter Menschen zu verhindern. Behinderte Menschen sollen in alle ablaufenden Prozesse, also in politische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche von Anbeginn an einbezogen werden.

Der Grundansatz der Konvention bewegt sich fort vom defizitorientierten Blick auf Menschen mit Behinderungen, hin zur Erkenntnis der Vielfalt der menschlichen Existenz, d. h. Behinderung wird als normaler Bestandteil menschlichen Lebens und als Quelle kulturellen Reichtums verstanden. Der behinderte Mensch wird mit der Konvention zum einen aufgefordert, an den eben beschriebenen Prozessen mitzuwirken, sich einzubringen und dafür Sorge zu tragen, dass dies tatsächlich so geschieht. Und da nun mit der Konvention ein einklagbares Recht gegeben ist, bestärkt dies selbstverständlich auch das Agieren der Menschen mit Behinderungen und deren Verbände.

Dieses Haus hat in der Vergangenheit in anderer Zusammensetzung bereits mehrmals zu diesem Thema diskutiert; auch Beschlüsse gefasst. Ich erinnere an den Beschluss vom Dezember 2009, mit dem die Landesregierung gebeten wurde, „einen Aktionsplan zur Verwirklichung der räumlichen, mobilen und kommunikativen Barrierefreiheit in Sachsen-Anhalt“ ins Leben zu rufen. Allerdings, wie wir 2009 bereits feststellten, schöpft dieser Beschluss bei Weitem nicht die Möglichkeiten aus, die dieses Land hat. Noch immer verhindern Kostenvorbehalte, Nichtwissen und Vorurteile barrierefreies Bauen und Gestalten. Großer Handlungsbedarf existiert nach wie vor bei der Schaffung von Barrierefreiheit für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen. Diese konkreten Aufgaben Lösungen zuzuführen, dazu fordern wir uns alle und insbesondere die Landesregierung hiermit auf.

Es reicht nicht mehr aus, die UN-Konvention zu begrüßen und darauf zu verweisen, dass sich die Situation von Menschen mit Behinderungen in den letzten Jahren doch merklich verbessert habe. Nicht die UN-Konvention muss sich in der Praxis bewähren, wie Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen in Ihrer Koalitionsvereinbarung formulierten, sondern es muss aktiv gehandelt werden. Und da reicht es mir nicht, wenn in einer Absichtserklärung der Landesregierung vom Februar 2010 zur Umsetzung dieses Beschlusses mitgeteilt wird, dass das Ministerium für Gesundheit und Soziales mit allen Ressorts in einen Informationsprozess eintreten will.

Das Recht auf Barrierefreiheit ist mit der UN-Konvention ein einklagbares Menschenrecht, dem wir in der Landesgesetzgebung Rechnung zu tragen haben. Ein erster Schritt sollte die Einrichtung eines Kompetenzzentrums des Landes zur Barrierefreiheit schon 2010/11 sein. Ich sehe kein derartiges Zentrum! …

Die UN-Konvention hat u. a. damit gebrochen, dass eine Behinderung zu haben, persönliches Schicksal sei. Sie stellt klar: die Behinderung besteht in erster Linie in der Wechselwirkung zwischen den Beeinträchtigungen behinderter Menschen und den Barrieren in der Gesellschaft. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger als: wir haben Einfluss auf diese Barrieren in der Gesellschaft. In unserer Macht steht es, sie einzuschränken, sie zu minimieren bzw. sie gar nicht erst zuzulassen. Dies ist unser aller Auftrag.

Der vorliegende Antrag verweist auf genau diesen Auftrag. Und bevor wir jetzt wieder zu hören bekommen, es stehe alles im Koalitionsvertrag, wir machen das schon, keiner muss sich kümmern, sage ich Ihnen: Ja, auf Seite 36 haben Sie dazu etwas geschrieben. Aber einen konkreten Zeitpunkt, wann es einen Aktionsplan geben wird, nennen Sie nicht.

Mit unserem Antrag nehmen wir Sie ernst und fordern Sie auf, unverzüglich zu handeln und konkrete Ziele und Maßnahmen festzulegen. Damit würden wir auch einem Beschluss des Landesbehindertenbeirates vom April 2010 entsprechen, dem schon damals ein Landeskompetenzzentrum versprochen wurde.

Wir fordern also, die Aktivitäten zur Umsetzung der UN-Konvention in einem Landesaktionsplan über fünf Jahre zu bündeln und darin auch eine Prioritätenliste mit Zeitleiste aufzunehmen. Diese Prioritätenliste soll, neben den im Landtagsbeschluss 5/68/2309 B aufgeführten Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und zur Herstellung von Barrierefreiheit auch konkrete Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung inklusiver Lebensformen beinhalten.

Dafür ist die Sensibilisierung einer breiten Öffentlichkeit, beginnend in den Verwaltungen notwendig, um den Prozess der Inklusion in der Gesellschaft insgesamt zu befördern. Weder Vorurteile noch bürokratische Hemmnisse dürfen den Inklusionsprozess beeinträchtigen. Deshalb sollen verstärkt entsprechende Fort- und Weiterbildungen angeboten werden, um die Verwaltung stärker zu befähigen, Impulse zur Entwicklung von Selbstbestimmung und Teilhabemöglichkeiten in die Gesellschaft und damit auch auf alle Ebenen zu senden.

Es geht uns vor allem darum, zügig die in Landeskompetenz zu regelnden Fragen zu erfassen, die jeweiligen Änderungsbedarfe festzustellen und einen Zeitplan für ihre Umsetzung vorzulegen. Diese komplexe Aufgabenstellung muss in einem breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess unter Einbeziehung Betroffener sofort in Angriff genommen werden. Das ist der Hauptantrieb für unseren Antrag.

Dabei steht der Landesregierung ein starker und erfahrener Partner zu Seite, es sind die Betroffenen und ihre Verbände. Sie sind die wichtigste Erfahrungsquelle in der Erarbeitung und Umsetzung eines solchen Aktionsplanes. Sie sind gemäß der Forderung: „Nichts über uns ohne uns!“ einzubeziehen.