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Dagmar Zoschke zu TOP 02: Solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung

Die Gesetzliche Krankenversicherung muss vom Kopf wieder auf die Füße gestellt werden. Wenn wir diesen zentralen Pfeiler unseres Sozialsystems nicht dem freien Spiel der Kräfte sprichwörtlich zum Fraß vorwerfen wollen, dann führt kein Weg an einer tatsächlichen Reform vorbei.

Aber was heißt „tatsächliche Reform“? Seit dem Jahr 2002 folgt eine Gesundheitsreform der nächsten:

  • Praxisgebühr
  • Gesundheitsfonds
  • Zusatzbeiträge; mal einheitlich mal im Ermessen der einzelnen Kassen
  • dann wieder die Abschaffung der Praxisgebühr
  • Reformen, die mehr Konkurrenz zwischen den Krankenversicherern erzeugen
  • das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrages auf 7,3 Prozent usw., usf.


Eins ums andere Mal ging es mit den Reformen darum, das fragile Gerüst der Gesetzlichen Krankenversicherung zu stützen. Eins ums andere Mal blieben Ideen einer grundlegenden Reform der Beitragsfinanzierung, die das Problem nachhaltig angehen könnte, unberücksichtigt.

Hinzu kommt, dass sich immer mehr Gutverdienende aus dem Solidarsystem der Gesetzlichen Krankenversicherung verabschieden konnten.  Hinzu kommen außerdem immer wieder neue Vorschläge, welche Dinge man nicht alles aus dem Gesundheitsfonds in Flickschustermanier zahlen könnte. Politische Aufgaben und Probleme, die der ganzen Gesellschaft zuzuordnen sind, sollen aus dem Fonds der gesetzlichen Krankenversicherung mitfinanziert werden.

So etwa die Kosten für die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten. Wir sagen: Selbstverständlich sind diese Kosten aus Steuermitteln zu tragen. Dass ist auch dann der Fall, wenn wir nach dem Bremer Modell eine elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber einführen. Dass ist im Übrigen auch bei allen Personen der Fall, deren Beiträge aus Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII finanziert werden. Dass jetzt einzelne Stimmen klagen, die hohe Zahl der anerkannten Geflüchteten sei Schuld an zunehmenden Finanzproblemen der Gesetzlichen Krankenversicherung, ist geradezu infam. Denn die Kassen beklagen nicht zu Unrecht die allgemein niedrige Pauschale von gut 90,- Euro (+ knapp 15,- Pflegeversicherung), die sie für Personen im Hartz-IV-Bezug erhalten, von denen die Geflüchteten eben nur einen kleinen Teil darstellen. Die Kassen gehen von einer Summe von etwa 140,- Euro aus, die angemessen wäre. Wir sagen: die 90,- Euro könnten dann passen, wenn wir die Gesetzliche Krankenversicherung in eine Solidarische Bürgerversicherung umwandeln, in der alle Einkommensformen zur Beitragsfinanzierung herangezogen werden. Dann könnte ein besonders niedriger Beitragssatz auch für andere einkommensschwache Personen gelten – etwa für  Rentnerinnen und Rentner, die geringe Renten beziehen aber nicht die Voraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) erfüllen. (Bei diesen Personen wird derzeit ein Mindesteinkommen 968,33 Euro zur Beitragsbemessung zugrunde gelegt – auch wenn sie faktisch  nur die Hälfte haben, wodurch der Beitrag deutlich über 150 Euro bemessen wird).

Meine Fraktion hatte hier gerade wieder eine entsprechende Bürgeranfrage, wo dies für beide Teile eines Rentnerehepaares galt. Ihr einziger „Fehler“ war es, wegen Arbeitsangeboten ins Ausland zu gehen, weil sie hierzulande in Hartz-IV gefallen wären. Dadurch waren sie eben für eine längere Phase im Ausland und nicht hier krankenversichert (90% der zweiten Hälfte der Erwerbszeit in GKV ist die Voraussetzung für die KVdR).

Die durch die Reformen erzeugte und gewollte Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den Krankenkassen hat viele negative Folgen und führte zu den jüngsten skandalösen Schlagzeilen, wonach Krankenkassen ihre Mitglieder von Ärzten kränker schreiben lassen als sie sind, um beim Risikostrukturausgleich besser gestellt zu sein. Das ist Irrsinn und gefährdet das System der gesetzlichen Krankenversicherung.

Was will nun unser Antrag ganz konkret?

Punkt zwei unseres Antrages ist schnell erläutert. Entspricht er doch der Intension des Antrages meiner Fraktion aus dem Januar dieses Jahres: Die Beiträge von abhängig Beschäftigten müssen wieder paritätisch finanziert werden. Trotz unterschiedlicher Sicht auf die Herangehensweise, wurde hier im Hause doch annähernd Einigkeit in der Sache geäußert. Auch bundesweit schien eine Art fraktionsübergreifende Verständigung für die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in greifbarer Nähe gerückt zu sein. (Selbst in der CDU schien ein Umdenken eingesetzt zu haben. Die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft hatte sich hier entsprechend stark gemacht.) Umso verständnisloser der Umstand, dass sich die Länder im Bundesrat nicht gleich auf einen Beschluss einigen konnten und diese dringliche aber in der Sache übersichtliche Frage an die Ausschüsse überwiesen wurde. In denen sie nun schon ein halbes Jahr ruhen. Wir würden es sehr unterstützen, wenn dieses Mal Sachsen-Anhalt die Initiative ergreift und die entsprechende Bundesratsdrucksache (40/16) für den 09. November auf die Tagesordnung des Sozialausschusses des Bundesrates setzt.

Nun zum ersten Punkt unseres Antrages: hier geht es um die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung. Ziel einer solchen Versicherung ist es, dass die Beiträge fair nach der jeweiligen Einkommensstärke erhoben werden – weil eben alle Einkommensformen einzubeziehen sind: D.h., dass auch Selbständige, Beamte, Topmanager und – last but not least – Landtags- wie Bundestagsabgeordnete, Ministerinnen und Minister in dieses Solidarsystem einzahlen. Damit können wir endlich das Einnahmeproblem der Gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig angehen. Ja, wir haben partiell auch ein Ausgabenproblem das angegangen werden muss. Ich nenne hier exemplarisch nur die Stichworte: Fehlanreize im DRG-System und hohe Arzneikosten. Auch das muss angegangen werden, aber ohne die solide Absicherung der Einnahmeseite werden wir die anstehenden Aufgaben nicht adäquat lösen können.

Ich will Ihnen das an zwei Beispielen genauer erläutern: Beispiel Hebammen. Seit vielen Jahren streiten die Hebammen in Deutschland für angemessene Honorare und ganz besonders um eine endgültige Lösung in der Finanzierung ihrer Haftpflichtversicherung. Wirklich gelöst wurde das Problem aber bis Dato nicht, sondern nur winzige Schritte an Zugeständnissen erwirkt, die nicht einmal das Wort Teillösung verdienen. Ergebnis ist, dass weiterhin viele freiberufliche Hebammen ihren Job aufgeben müssen. Es bedarf hier einer grundsätzlichen Lösung und die kostet eben auch entsprechend Geld. So sehr wir die Initiative eines Runden Tisches auf Landesebene zur Hebammenversorgung begrüßen, lösen können wir diese grundlegendste und existenzielle Frage in dieser Runde leider nicht. Hierfür müssen eben die Weichen auf Bundesebene gestellt werden. Das wissen fraglos auch alle, die sich anerkennenswerterweise für diesen Runden Tisch engagiert haben bzw. sich an diesem engagieren werden.

Beispiel Krankenhäuser: Ohne die ganz grundsätzlichen Schwierigkeiten in der Krankenhausfinanzierung auszuführen – die einen eigenen Redebeitrag füllen würden – möchte ich auf einen besonderen Aspekt aufmerksam machen: Der Kostendruck betrifft gerade, die Kliniken, die die Versorgung in der Fläche stellen. Das Altmarkkrankenhaus kann eben nicht nach den gleichen Maßstäben rentabel sein, wie das Städtische Klinikum Magdeburg. Hier müsste ein Sicherstellungszuschuss dafür sorgen, dass die Menschen auch zukünftig mit einer 0-8-15 Blinddarmentzündung, einem Arm- oder Beinbruch oder anderen gewöhnlichen Erkrankungen halbwegs wohnartnah versorgt werden können. Gemäß Krankenhausstrukturgesetz (konkret: § 136c Absatz 3 SGB V) soll der Gemeinsame Bundesausschuss bis Ende dieses Jahres bundeseinheitliche Vorgaben für die Vereinbarung von Sicherstellungszuschlägen erarbeitet haben. Zum Verhandlungsstau im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes wird ja an anderer Stelle dieser Tagesordnung noch debattiert werden. Zu befürchten steht, dass auch hier keine Einigkeit erzielt werden kann. Das lassen zumindest die Erfahrungen aus den Verhandlungen um die Hochschulambulanzen und um die Aufschläge für die überregionalen Zentren befürchten. Auch bei der Frage der Sicherstellungszuschläge geht es um erhebliche Kosten. Das Vorhalten der Infrastruktur und insbesondere des Personals kostet eben Geld. Ebenso wie eine überfällige Mindestpersonalbemessung in den Kliniken und Hygienestandards nach niederländischem oder skandinavischem Vorbild. Ja, das alles kostet Geld. Aber diese Dinge müssen doch in einem der reichsten Länder der Erde möglich sein. Und das wären sie auch, wenn wir die Krankenversicherung solidarisch finanzieren. (Krankenhäuser sind im Übrigen nur ein Beispiel für das Problem der Flächenversorgung.)

Es gibt zahlreiche Baustellen in unserem Gesundheitssystem. So kennen wir sicher alle im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis mindestens ein Fallbeispiel, wo die Zuzahlungen zu den Kassenleistungen oder auch die rigorose Ablehnungen wichtiger Gesundheitsleistungen die Menschen in große Nöte geführt hat. Für viele Durchschnittsverdiener sind bereits die Zuzahlungen für Medikamente ein beträchtliches Problem. Richtig üppig aber wird es dann bei der Frage von Zahnersatz. Exbundeskanzler Schröder hat einmal sinngemäß gesagt, dass man die Herkunft der Menschen nicht am Mund ansehen dürfe. Aber das ist doch längst der Fall. Mag bei der einzelnen Füllung die Frage des Materials vielleicht noch als ein kosmetisches Problem erscheinen, wird sie bei einem umfänglichen Zahnersatz doch schnell zu einer Frage, die Einfluss auf die gesamte Gesundheit der Menschen nimmt.

Neben den Patientinnen und Patienten leiden auch die Menschen in den Gesundheitsberufen in unterschiedlichem Maße unter dem Sparregime der Gesetzlichen Krankenversicherung. Das Pflegepersonal in den Krankenhäusern habe ich ja bereits angesprochen. Hoch problematisch ist aber auch die Situation vieler Heilmittelerbringer. Ob in der Logopädie, der Osteopathie, der Ergo- oder Physiotherapie: Berufsaufgaben, Praxisschließungen und erhebliche Nachwuchsprobleme sind überall ein großes Thema. Völlig unverständlich ist mir, warum die ohnehin schon viel zu niedrigen Honorare von einzelnen Krankenkassen noch deutlich unterboten werden. Wenn diese Versorgung künftig nicht ausreichend gedeckt werden kann, wird das den Patientinnen und Patienten und dem Gesundheitssystem umso teurer zu stehen kommen: beispielsweise durch Wirbel- und Gelenkoperationen, die durch konservative Heiltherapie vermieden werden könnten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, gestatten sie mir zum Abschluss einen Blick auf unsere bisherigen Erfahrungen hinsichtlich unserer Vorschläge zu Bundesratsinitiativen. Da hieß es immer als wohlwollender Einstieg, dass Thema sei viel „zu wichtig“ und dann ergänzend wahlweise:

  • „um es kurz vor der Bundestagswahl zu thematisieren“ oder:
  • „man müsse die Koalitionsverhandlungen im Bund abwarten“ oder
  • „der Koalitionsvertrag sieht andere Maßnahmen vor, warten wir doch erst einmal das Ergebnis ab“.


Irgendwie gab es nie den richtigen Zeitpunkt, weil das „Thema zu wichtig“ war. Ja, dieses Thema ist wichtig. Es ist so wichtig, dass wir gerade im Vorfeld neu gemischter Karten im Bund uns als Länder klar positionieren müssen. Und bei allen Detail-Unterschieden zwischen den einzelnen Konzepten hat sich doch auch schon vor der letzten Bundestagswahl 2013 gezeigt, dass sich zumindest auch die SPD und Bündnis 90 / Die Grünen für das Modell einer Bürgerversicherung ausgesprochen haben. Wir müssen hier und heute nicht alle Modalitäten klären. Das macht ja dieser Antrag auch gar nicht. Aber wir sollten uns hier und heute dafür aussprechen, dass wir eine solche grundlegende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung wollen. Setzten wir uns also gemeinsam für diese dringlichen Reformen auf Ebene des Bundes ein.