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Anstieg der Schülerzahl an den Förderschulen ist bildungspolitisches Armutszeugnis

Birke Bull: Nach einer Tour durch bisher 7 Förderzentren in Sachsen-Anhalt erklärt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Landtag und Leiterin des Fraktionsarbeitskreises Bildung und Soziales:

Nach einer Tour durch bisher 7 Förderzentren in Sachsen-Anhalt erklärt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Landtag und Leiterin des Fraktionsarbeitskreises Bildung und Soziales:

„Sachsen-Anhalt hat ein Problem: Immer mehr Schülerinnen und Schülern wird ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert – vor allem Lernbehinderung und Defizite in der emotionalen und sozialen Entwicklung sind die Ursachen. Und die Regelschulen mustern sie fast alle aus. So machen Förderschülerinnen und -schüler derzeit 7,8 % der Schülerschaft in Sachsen-Anhalt aus.

Trotz liebevoller und engagierter Arbeit an den Förderschulen bleibt vielen der Weg zu einem Regelschulabschluss versperrt. Zu groß sind die Hürden, um von der Förderschule in eine Regelschule wechseln zu können oder in einer besonderen 10. Klasse die Chance zum Erwerb des Hauptschulabschlusses zu erhalten. Selbst wenn der Knoten reißt, gelingt der Schritt zu einem Regelschulabschluss nur wenigen.

Die Defizite liegen eindeutig bei den Regelschulen. Während an manchen Grundschulen in den letzten Jahren gute Ansätze zum gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf weiterentwickelt werden konnten, sind die meisten Sekundarschulen außer Stande, ausreichend differenzierte Bildungsangebote und individuelle Förderung vorzuhalten, damit gemeinsamer Unterricht gelingen kann.
Die Ursachen sind vielschichtig, manche sind in der Struktur begründet, manche haben aber auch ihre Wurzel in einer Philosophie, nach der man sich Schülerinnen und Schüler, die anders lernen, besonderer Hilfe bedürfen oder eben auch Probleme machen, gern durch Überweisung in die „nächstuntere“ Schulform entledigt, am Ende steht dann die Förderschule.
Vielmehr müsste es doch eine Schule als tragischen Misserfolg ihrer Arbeit verstehen, wenn eine Schülerin, ein Schüler versagt, in ihrer / seiner Schule nicht mehr mitkommt.

Die hohe und wachsende Zahl der Jugendlichen eines Jahrgangs, die ohne Schulabschluss oder aber mit einem Schulabschluss, der wenig Entwicklungsperspektiven eröffnet, den ersten Bildungsabschnitts ihres Lebens beenden, ist ein bildungspolitisches Armutszeugnis für unser Land. OECD-Experten rücken den Abschluss einer Lernbehinderten-Schule in die Nähe von Bildungsarmut.

Den vielfältigen Impulsen und Anstrengungen der Förderzentren wird der Erfolg versagt bleiben, solange an den Regelschulen innere Differenziertheit und individuelle Fördermöglichkeiten unterentwickelt sind. Wenn nach 4 Jahren Arbeit mit Förderzentren die Zunahme der Zahl der Schülerinnen und Schüler im gemeinsamen Unterricht bei 1 % liegt, kann das als bildungspolitischer Erfolg größeren Stils nicht gewertet werden. Wer den Kurs ändern will, muss bei den Regelschulen ansetzen.
Ich bin davon überzeugt, wenn es gelingt, mehr Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sinnvoll in die Regelschulen zu integrieren, werden deutlich mehr von ihnen einen größeren Bildungserfolg erzielen und auch eine höhere Zahl einen Regelschulabschluss erlangen als derzeit.
Aber Sachsen-Anhalt ist mit einer Integrationsquote von  5% Schlusslicht in der Bundesrepublik, ganz zu schweigen von anderen europäischen Ländern mit leistungsfähigen Bildungssystemen.

Es ist höchste Zeit, in diesem Sinne konkrete Schritte an den Regelschulen zu gehen. Dazu gehört, Durchlässigkeit im Schulsystem wirklich herzustellen. Hier muss es darum gehen, Brücken zu bauen, dass eine Schülerin oder ein Schüler, die oder der nach den Rahmenrichtlinien z.B. der Lernbehinderten-Schule unterrichtet wird, den Schritt in eine Sekundarschulklasse und zu einem Regelschulabschluss überhaupt wagen kann.
Dazu gehört aber auch der gezielte Einsatz von Schulsozialpädagoginnen und -pädagogen und weiteren Fachkräften, nicht zu letzt auch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen in größerer Zahl als bisher vor allem im Sekundarschulbereich.
Mindestens bis zum Ende der flexiblen Schuleingangsphase, im Grunde aber bis zu Ende der Grundschulzeit sollte eine Überweisung an Förderschulen – bis auf Ausnahmen – tabu sein.

Die Unterstützung für den gemeinsamen Unterricht muss verstärkt werden. Die Kolleginnen und Kollegen der ambulanten mobilen Dienste der Förderzentren, die dies leisten, verdienen hohe Anerkennung, sie brauchen vor allem ein ausreichendes Stundenkontingent für ihre Arbeit, darüber hinaus müssen Aufwendungen berücksichtigt werden, die neben der Beratung und dem Unterricht anfallen, wie zum Teil erhebliche Wegezeiten.

Es geht nicht an, dass die Koordinierung und Gestaltung der Förderzentren durch die Basisförderschulen zum Nulltarif geleistet werden muss. Wenn Stundenzuweisungen für die Schule und ihre Kollegien sowie Einstufungen der Schulleitungen allein an der Schülerzahl der Basisförderschule festgemacht werden, entspricht das nicht den hohen Erwartungen, die in die Förderzentren gesetzt werden.
Lehrerinnen und Lehrer vor allem an Regelschulen, die sich der integrativen Bildung und Förderung widmen, sollten die Möglichkeit erhalten, diese verantwortungsvolle Arbeit kontinuierlich und langfristig leisten zu können.

Geprüft werden sollte, ob nicht auch Förderschulen sich an dem erfolgreichen Projekt des produktiven Lernens beteiligen können. Hier erscheinen integrative Gruppen aus Schulerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf sinnvoll.“